Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil vom 28.09.1967
- OS IV 99/66 -

(weitere Fundstellen: BSR, Band 18, Nr. 125)

 

 

Leitsätze:

1.

Der § 34 BBauG hat hinsichtlich des darin enthaltenen Verbots der Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse nach nachbarschaftsschützenden Charakter. Gestattet eine Baugenehmigung eine Überschreitung der nach § 34 BBauG erlaubten Höchstzahl der zulässigen Vollgeschosse, so ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, soweit er dadurch einen Nachteil erleidet und soweit von dem Verbot der Überschreitung keine Ausnahme und keine Befreiung zulässig sind. Ein Nachteil für den Nachbarn liegt insbesondere dann vor, wenn ihm eine Bebauung seines Grundstücks, die ohne die Überschreitung rechtlich möglich wäre, rechtlich unmöglich gemacht wird.

2.

Der § 34 BBauG hat hinsichtlich der darin enthaltenen Regelungen über die Grundflächenzahl, die Geschossflächenzahl und die Baumassenzahl keinen nachbarschützenden Charakter.

3.

Der § 25 Abs. 1 HBO hat nachbarschützenden Charakter. Gestattet eine Baugenehmigung eine Unterschreitung der nach § 25 Abs. 1 HBO gebotenen Abstände, so ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, soweit von dem Verbot der Unterschreitung keine Befreiung gewährt werden kann.

4.

Der § 25 Abs. 2 Satz 1 HBO hat hinsichtlich der darin enthaltenen Gewährleistung der Besonnung, Belichtung und Belüftung der Grundstücke – jedenfalls über das in § 25 Abs. 4 Nr. 1 b enthaltene Verbot der Überschreitung des Lichteinfallwinkels von 45° hinaus – keinen nachbarschützenden Charakter.

5.

Der § 25 Abs. 2 Sätze 1 und 3 HBO hat hinsichtlich des Gebots der Berücksichtigung der rechtlich möglichen Bebauung des Nachbargrundstücks nachbarschützenden Charakter. Gestattet eine Baugenehmigung eine Unterschreitung der nach § 25 Abs. 2 Sätze 1 und 3 HBO gebotenen Abstände, so ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, soweit ihm dadurch eine Bebauung seines Grundstücks, die ohne die Unterschreitung rechtlich möglich wäre, rechtlich unmöglich gemacht wird, und soweit von dem Verbot der Unterschreitung keine Ausnahme und keine Befreiung zulässig sind.

6.

Der § 25 Abs. 3 HBO hat keinen nachbarschützenden Charakter.

 

Zum Sachverhalt:

7.

Dem Kl. steht an einem Teil des vierten Geschosses und an dem fünften Geschoss einschließlich der in diesem Geschoss gelegenen Dachterrasse des Wohnhauses auf dem Grundstück L.-Straße 9 ein dingliches Nutzungsrecht zu. Das Grundstück ist mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus einschließlich einer Dachterrasse und einem zweigeschossigen Anbau sowie mit einem zweigeschossigen Gartenwohnhaus bebaut. Die beigel. Nachbarin beabsichtigt, auf ihrem Grundstück ein Sanatorium zu errichten, das aus drei Baukörpern bestehen soll, von denen der Hauptbau 8 Vollgeschosse und eine teilweise geschlossene Dachterrasse erhalten wird. Der Bekl. erteilte der Beigel. die Baugenehmigung unter Befreiung von § 17 BauNVO und § 25 Abs. 2 und 3 HBO. Auf die nach vergeblichem Widerspruch erhobene Klage hob das VG die Baugenehmigung insoweit auf, als mehr als fünf Vollgeschosse genehmigt worden sind.

 

Aus den Gründen:

8.

Die Berufungen des Bekl. und der Beigel. erweisen sich zum Teil als begründet.

9.

Die von dem Kl. erhobene Anfechtungsklage ist teilweise begründet. Insoweit hat ihr das VG zutreffend stattgegeben. Die Baugenehmigung verstößt hinsichtlich der Genehmigung zu Errichtung eines Gebäudes mit mehr als 7 Vollgeschossen sowohl gegen § 34 BBauG wie auch gegen § 25 Abs. 1 HBO. Diese Vorschriften sind auch in gewissem Umfang dazu bestimmt, dem Schutze der Interessen des Kl. zu dienen.

10.

Bei der Prüfung der Begründetheit der Klage und damit der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung muss zunächst zwischen bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Gesichtspunkten unterschieden werden. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht ist von der Vorschrift des § 34 BBauG auszugehen. … Hiernach ist ein Vorhaben zulässig, wenn es nach der vorhandenen Bebauung – sowie nach der vorhandenen Erschließung – unbedenklich ist. Bei der Prüfung der Unbedenklichkeit nach der vorhandenen Bebauung ist darauf abzustellen, welche Art und welches Maß der baulichen Nutzung in der Umgebung des Baugrundstückes vorhanden sind und ob das neue Vorhaben damit vereinbar erscheint. Zu dem Maß der baulichen Nutzung gehören die Zahl der zulässigen Vollgeschosse sowie die Grundflächenzahl und die Geschossflächenzahl oder die Baumassenzahl.

11.

Da der Kl. gegen die Art der baulichen Nutzung nichts eingewandt hat, stellen sich für das vorliegende Verfahren drei Fragen: die erste Frage geht dahin, ob im Rahmen des § 34 BBauG dem Verbot von Vorhaben, die wegen der Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse bedenklich sind, eine nachbarschützende Funktion zukommt. Wenn diese Frage zu bejahen ist, dann geht die zweite Frage dahin, ob im vorliegenden Falle eine rechtswidrige Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse vorliegt. Wenn auch das zutreffen sollte, dann lautet die dritte Frage, ob der Kl. durch die rechtwidrige Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse einen Nachteil erleidet.

12.

Zu der zuerst genannten Frage ist der Sen. der Auffassung, dass dem sich aus § 34 BBauG ergebenden Verbot von Vorhaben, die wegen der Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse bedenklich sind, jedenfalls insoweit eine nachbarschützende Funktion nicht abgesprochen werden kann, wie die rechtswidrige Überschreitung zu einem Nachteil für den Nachbarn führt. Weiterhin ist nach der Meinung des Sen. eine solche Benachteiligung des Nachbarn vor allem dann anzunehmen, wenn die rechtswidrige Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse eine Einschränkung der ohne die Überschreitung möglichen baulichen Nutzung oder eine Beeinträchtigung der ausreichenden Besonnung, Belichtung oder Belüftung des Nachbargrundstücks herbeiführt. Einschränkend sei allerdings noch darauf hingewiesen, dass nicht jeder Umstand, den ein Nachbar als störend empfindet, einen Nachteil in diesem Sinne darstellt.

13.

Bei dem ersteren Gesichtspunkt geht der Sen. davon aus, dass die Höhe eines Bauwerks einmal von der Zahl der Geschosse und zum anderen von der Höhe der Geschosse abhängig ist. Daraus folgt, dass die Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse zunächst zu einer größeren Höhe dieses Bauwerks und damit auch zu der Notwendigkeit eines größeren Bauwerksabstandes führt. Infolgedessen kann die Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse dazu führen, dass der Nachbar bei der späteren Errichtung eines Bauwerks auf seinem eigenen Grundstück entweder einen größeren Bauwerksabstand einhalten muss oder gezwungen ist, jetzt seinerseits ein niedrigeres Bauwerk zu errichten, damit der vorgeschriebene Bauwerksabstand eingehalten wird. In extremen Fällen kann auf diese Weise ein Nachbargrundstück sogar in vollem Umfang unbebaubar werden. Gegen derartige Beeinträchtigungen der baulichen Ausnutzbarkeit ihrer Grundstücke müssen sich die betroffenen Nachbarn zur Wehr setzen können. Diese Möglichkeit setzt aber voraus, dass den betreffenden Vorschriften auch eine nachbarschützende Funktion zuerkannt wird (im Ergebnis ebenso OVG Münster VKII B 746/63, Beschl. V. 25.2.1964, BRS 15 Nr. 24).

14.

Demgegenüber hat der Bekl. darauf hingewiesen, dass der Sen. in einem früheren Urt. OG IV 95/64 v. 6.10.1965 die Auffassung vertreten hat, bei den §§ 16-21 BauNVO könne ein Nachbarschutz allenfalls in dem gleichen Umfang wie im Falle des § 25 Abs. 1 HBO bejaht werden. Daraus folgert der Bekl., dass den §§ 16-21 BauNVO im Hinblick auf die Rechts des Nachbarn keine über den § 25 Abs. 1 HBO hinausgehende Bedeutung zukommen könne. Zu diesem Vorbringen des Bekl. steht der Sen. auf dem Standpunkt, dass die in der damaligen Entscheidung pauschal vertretene Rechtsauffassung über die nachbarschützende Funktion der §§ 16 bis 21 BauNVO bezüglich der Zahl der zulässigen Vollgeschosse modifiziert werden muss. In dem von dem Bekl. genannten Verfahren ging es nicht um die Zahl der zulässigen Vollgeschosse, sondern um die Grundflächenzahl und die Geschossflächenzahl. Insoweit hält der Sen. seine damals vertretene Auffassung, dass kein über den § 25 Abs. 1 HBO hinausgehender Nachbarschutz bestehe, nach wie vor für richtig. Für die Zahl der zulässigen Vollgeschosse eines Gebäudes muss aber etwas anderes gelten. Dass den diesbezüglichen Vorschriften ein nachbarschützender Charakter zukommt, ist vorstehend begründet worden.

15.

Die zweite Frage, ob eine Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse vorliegt, ist auf Grund der von dem Sen. durchgeführten Beweisaufnahme zu bejahen. Wie die Einnahme des Augenscheins ergeben hat, sind in der Umgebung des Grundstücks der Beigel. keine Gebäude vorhanden, die mehr als fünf Vollgeschosse aufweisen. Lediglich in einer Entfernung von mehreren hundert Metern stehen vereinzelte Bauwerke, die sechs oder sieben Vollgeschosse besitzen. Diese vereinzelten Gebäude sind aber nicht geeignet, der Bauweise des Gebietes, in dem das Grundstück der Beigel. liegt, eine bestimmte Prägung zu geben. Nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung muss daher festgestellt werden, dass auf dem Grundstück der Beigel. ein Bauwerk von mehr als fünf Vollgeschossen nach der vorhandenen Bebauung bedenklich ist.

16.

Die Möglichkeit, eine Ausnahme von § 34 BBauG zuzulassen, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Auch eine Befreiung kann nicht gewährt werden. Die BauNVO sieht zwar in ihrem § 24 Abs. 3 die Möglichkeit vor, in den Fällen des § 24 Abs. 2 eine Befreiung zuzulassen. Der § 24 Abs. 2 BauNVO kann jedoch nicht angewandt werden, weil er ungültig ist (vgl. Entscheidungen des Sen. OS IV 48/65 v. 31.8.1966 – BRS 17 Nr. 29.) und OS IV 20/65 v. 25.11.1966 – BRS 17 Nr. 16.), so dass eine solche Befreiung nicht in Betracht kommt. Aber auch wenn der § 24 Abs. 2 nicht ungültig gewesen wäre, würden die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 nicht vorliegen, insbesondere weil keine Gründe des Allgemeinwohls eine Abweichung erfordern. Dass eine Abweichung im Interesse der Beigel. wünschenswert erscheint, hätte nicht ausgereicht.

17.

Da die Vorschrift des § 34 BBauG in Bezug auf die Zahl der zulässigen Vollgeschosse eine nachbarschützende Funktion besitzt und da eine rechtswidrige Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse vorliegt, kommt es darauf an, ob der Kl. durch die rechtswidrige Überschreitung der Zahl der zulässigen Vollgeschosse einen Nachteil erleidet. Das ist der Fall. Denn diese Überschreitung führt dazu, dass das von der Beigl. Zu errichtende Gebäude anstatt einer Höhe von etwa 15 m eine Höhe mehr als 28 m erhält. Diese größere Höhe des Gebäudes hat wiederum zur Folge, dass die ausreichende Besonnung eines Aufenthaltsraumes des Kl. nicht mehr gewährleistet sein würde (wird ausgeführt).

18.

Diese Beeinträchtigung der ausreichenden Besonnung des Aufenthaltsraums des Kl. würde allerdings nicht eintreten, wenn das Vorhaben der Beigel. nur mit sieben Vollgeschossen ausgeführt wird. Denn in diesem Falle würde dem vorgenannten notwendigen Fenster des Kl. in dem Abstand von ca. 16 m nur eine ca. 8 m hohe Hauswand gegenüberstehen. Bei dieser Relation kann davon ausgegangen werden, dass das Gebäude der Beigel. der Besonnung nicht mehr wesentlich im Wege stehen wird. Denn das Fenster des Kl. kann über das Gebäude der Beigel. hinweg besonnt werden. Daraus ergibt sich, dass die Genehmigung eines Gebäudes bis einschließlich sieben Vollgeschossen für den Kl. keinen Nachteil mit sich bringt.

19.

Was das Bauordnungsrecht betrifft, so ist der Sen. der Auffassung, dass die von dem Bekl. der Beigel. erteilte Baugenehmigung gegen § 25 HBO verstößt. Dabei ist zwischen etwaigen Verstößen gegen § 25 Abs. 1, § 25 Abs. 2 und § 25 Abs. 3 HBO zu unterscheiden.

20.

Nach § 25 Abs. 1 HBO sind Bauwerke in solchen Abständen voneinander und von den seitlichen Grenzen des Grundstücks zu errichten, dass die ausreichende Besonnung, Belichtung und Belüftung der Aufenthaltsräume und der Grundstücksfreiflächen gewährleistet sind. Diese Vorschrift hat nach der ständigen Rechtsprechung des Sen. nachbarschützenden Charakter. Wenn also eine Baugenehmigung gegen § 25 Abs. 1 HBO verstößt, so ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, soweit dadurch die ausreichende Besonnung, Belichtung oder Belüftung seiner Aufenthaltsräume und seiner Grundstücksfreiflächen nicht mehr gewährleistet sind.

21.

Im vorliegenden Falle hat die von dem Sen. durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass die der Beigel. erteilte Baugenehmigung gegen § 25 Abs. 1 HBO verstößt. Nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme muss angenommen werden, dass im Falle der Ausführung des Vorhabens der Beigel. der Aufenthaltsraum an der Westseite der Wohnung des Kl. im 5. Geschoss nicht mehr ausreichend besonnt sein würde. …. Nach der Ausführung des Vorhabens der Beigel. würde diesem Fenster in einem Abstand von ca. 16 m eine ca. 14 m hohe Wand gegenüberstehen. Nach der Meinung des Sen. würde auf diese Weise die Besonnung des Raumes in einem Umfange beeinträchtigt werden, dass sie nicht mehr als ausreichend bezeichnet werden könnte.

22.

Eine Befreiung von den Erfordernissen des § 25 Abs. 1 HBO ist hier nicht möglich (wird ausgeführt).

23.

Die Beeinträchtigung der ausreichenden Besonnung des Aufenthaltsraumes des Kl. würde allerdings nicht eintreten, wenn das Vorhaben der Beigel. nur mit sieben Vollgeschossen ausgeführt wird. Dies ist bereits weiter oben ausgeführt worden, so dass an dieser Stelle hinauf Bezug genommen werden kann. Daraus folgt wiederum, dass die Genehmigung eines Gebäudes bis zu sieben Vollgeschossen nicht gegen § 25 Abs. 1 HBO verstößt.

24.

Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 HBO muss der Bauwerksabstand zwischen einer Außenwand bis 12m und einer Außenwand über 12m mindestens das Einfache ihrer mittleren Höhe betragen. Bei der Errechnung dieses Bauwerksabstandes ist nach § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO nicht nur die vorhandene, sondern auch die nach dem geltenden Recht mögliche Bebauung des Nachbargrundstücks zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich, dass der Bauwerksabstand zwischen einem neu zu errichtenden Bauwerk und den Bauwerken auf dem Nachbargrundstück in zweifacher Hinsicht eingehalten werden muss: Einmal bezüglich der tatsächlich vorhandenen Bebauung und zum anderen bezüglich der nach geltendem Recht möglichen Bebauung des Nachbargrundstücks. Die Berücksichtigung der nach geltendem Recht möglichen Bebauung des Nachbargrundstücks ist deshalb geboten, weil anderenfalls ein Bauherr durch die Nichteinhaltung dieses Bauwerksabstandes die nach geltendem Recht mögliche Bebauung des Nachbargrundstückes erheblich einschränken oder sogar gänzlich unmöglich machen würde. Dies muss aber im Interesse der gleichmäßigen Bebauung aller Baugrundstücke verhindert werden.

25.

Der in § 25 Abs. 2 Satz 1 HBO vorgeschriebene Bauwerksabstand zwischen dem von der Beigl. zu errichtenden Gebäude und dem auf dem Grundstück L.-Straße 9 vorhandenen Gebäude ist nicht gewahrt. Dennoch kann sich der Kl. nach der Rechtsprechung des Sen. allein auf diesen Fehler der Baugenehmigung nicht berufen. Wie der Sen. bereits mehrfach entschieden hat, besitzen die Bestimmungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 HBO über die mindestens einzuhaltenden Bauwerksabstände hinsichtlich der Besonnung, Belichtung und Belüftung der tatsächlich vorhandenen Bauwerke und Grundstücksfreiflächen keinen nachbarschützenden Charakter. Das bedeutet, dass der Kl. durch die Unterschreitung des vorgeschriebenen Bauwerksabstandes zwischen dem zu errichtenden Gebäude der Beigel. und dem vorhandenen Gebäude auf dem Grundstück L.-Straße 9 nicht in einem ihm zustehenden Recht verletzt wird. An dieser Rechtsauffassung hält der Sen. fest.

26.

Dieser vom Sen. aufgestellte Grundsatz kann jedoch nicht für das Gebot des § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO gelten. Nach dieser Bestimmung muss der vorgeschriebene Bauwerksabstand nicht nur zwischen dem zu errichtenden Gebäude des Bauherrn und einem vorhandenen Gebäude des Nachbarn, sondern auch zwischen dem zu errichtenden Gebäude des Bauherrn und der nach dem geltenden Recht möglichen Bebauung des Nachbargrundstücks eingehalten werden. Es ist ersichtlich, dass die Bestimmung des § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO den Nachbarn in seinem Recht auf die zukünftige Ausführung der nach dem geltenden Recht möglichen Bebauung seines Grundstücks schützen will. Wenn diese Vorschrift aber den Nachbarn in seinem Recht auf die zulässige bauliche Ausnutzung seines Grundstücks schützen will, dann hat sie nachbarschützenden Charakter. Das bedeutet, dass sich der Nachbar auf eine Verletzung des § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO berufen kann, wenn er dadurch einen Nachteil erleidet. Wenn also eine Baugenehmigung gegen § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO verstößt, so ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, soweit dadurch eine Bebauung seines Grundstücks, die ohne den Verstoß gegen § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO rechtlich möglich wäre, rechtlich unmöglich gemacht wird.

27.

Im vorliegenden Falle kann dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß der Baugenehmigung gegen § 25 Abs. 2 Satz 3 HBO vorliegt. Denn der Kl. wird durch die Baugenehmigung allein in der ausreichenden Besonnung seiner Wohnung beeinträchtigt. Sonstige ins Gewicht fallende Nachteile sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Kl. kein Grundstückseigentümer, der in der baulichen Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt sein könnte. Daraus folgt, dass sich der Kl. nicht auf eine etwaige Verletzung des § 25 Abs. 2 HBO berufen kann.

28.

Nach § 25 Abs. 3 HBO muss der Grenzabstand zwischen einer über 12m langen Außenwand und der Grundstücksgrenze, wenn diese Außenwand der Grenze gleichgerichtet ist, das Einfache ihrer Höhe betragen.

29.

Im vorliegenden Falle wird dieser gesetzlich vorgeschriebene Grenzabstand erheblich unterschritten. Dennoch kann sich der Kl. nicht mit Erfolg auf diese Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung berufen. Wie der Sen. ebenfalls wiederholt entschieden hat, besitzen die Bestimmungen des § 25 Abs. 3 HBO über die mindestens einzuhaltenden Grenzabstände keinen nachbarschützenden Charakter. Es ist kein Anlass ersichtlich, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

30.

Hiernach ist zusammenfassend festzustellen, dass das VG der Klage zu Unrecht stattgegeben hat, soweit der Bekl. der Beigel. eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes über 5 Vollgeschosse hinaus bis zu 7 Vollgeschossen erteilt hat. Insoweit müssen auf die Berufungen des Bekl. und der Beigel. das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen werden. Die weitergehenden Berufungen des Bekl. und der Beigel. können keinen Erfolg haben.