(weitere Fundstellen: NJW 1997, 2403)
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Tatbestand |
1. |
Die Ast. begehrte im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Ag. (Freistaat Thüringen) aufzugeben, gegenüber dem Sohn der Ast. bis zum Abschluß des Klageverfahrens in der Hauptsache Unterricht nach Maßgabe der Verwaltungsvorschrift zur Durchführung der Rechtschreibreform zu unterlassen. |
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Aus den Gründen: |
2. |
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Es fehlt an dem erforderlichen Anordnungsgrund. Einstweiliger Rechtsschutz ist zu gewähren, wenn anders dem Ast. eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfGE 79,69 = NJW 1989, 827 = NVwZ 1989, 352 L). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. |
3. |
Im Spannungsfeld zwischen Art. 6 II 1 GG und Art. 7 GG geht eine Verletzung des elterlichen Erziehungsrechts dann über die Randbereiche hinaus, wenn sie für die Ausübung dieses Grundrechts wesentlich ist. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG ist das Merkmal der Wesentlichkeit dann erfüllt, wenn religiöse, weltanschauliche, ethische oder politische Aspekte der Erziehung berührt sind, wenn es um die Festlegung der Erziehungsziele in den Grundzügen geht, wenn die Wahl des weiteren Bildungsweges des Kindes entscheidend vorgeprägt wird und wenn es um bildungs- und schulpolitische Grundentscheidungen von allgemeiner Bedeutung geht, die die Struktur des herkömmlichen Schulsystems organisatorisch und inhaltlich wesentlich verändern (vgl. dazu BVerfGE 34, 165 = NJW 1973, 133; BVerfGE 45, 400 = NJW 1977, 1723; BVerfGE 47, 46 = NJW 1978, 807; BVerwGE 64, 308 = NJW 1982, 1410 = NVwZ 1982, 378 L). Durch die Unterrichtung nach der reformierten Schreibweise werden diese Bereiche nicht berührt. Die Unterweisung darin, wie bestimmte Worte zu schreiben sind, stellt lediglich – wertneutrale – Vermittlung von Sachwissen dar Religiöse, weltanschauliche, ethische oder politische Werte eines bestimmten Inhalts werden nicht durch die Schreibweise, sondern durch die Bedeutung eines Wortes vermittelt. |
4. |
Es handelt sich auch nicht um die Festlegung von Erziehungszielen in den Grundzügen. Erziehung ist die seelisch-geistige Entwicklung eines Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht (vgl. BVerfGE 24, 119 144] = NJW 1968, 2233). Es ist nicht erkennbar; daß das Lernen einer in einigen Teilen veränderten Schriftsprache auf diese Entwicklung einen Einfluß hat. |
5. |
Ein Einfluß, geschweige denn eine Vorprägung des weiteren Bildungsweges des Sohnes der Ast. ist dadurch ebenfalls nicht gegeben. Dem Kind stehen nach wie vor alle Möglichkeiten unseres Bildungssystems offen. |
6. |
Letztendlich handelt es sich auch nicht um eine bildungs- und schulpolitische Grundentscheidung im obenbeschriebenen Sinne. Die Rechtschreibreform hat das Ziel, die Rechtschreibung zu vereinfachen und nicht, das bestehende System organisatorisch oder inhaltlich wesentlich zu verändern. |
7. |
Soweit die Ast. sich darauf beruft, durch den durch die Rechtschreibreform verursachten Anpassungsdruck in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG verletzt zu sein, wird Bezug genommen auf den Beschluß des BVerfG vom 21. 6. 1996 (NJW 1996, 2221 = NVwZ 1996, 997 L). |
8. |
Ein für die Ast. nicht mehr im Hauptsacheverfahren zu korrigierender Schaden ist daher ebenfalls nicht erkennbar. |