Verwaltungsgericht Stuttgart
Urteil vom 05.11.1999
- 4 K 908/9
9 -

 (weitere Fundstellen: GewArch 2000, 126 f.)

 

 

Leitsatz

 

Die besondere Situation der Reisenden erfordert keine Sonderregelung der Dienstbereitschaft, die den Reisenden eine geöffnete Apotheke in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs einer Großstadt garantiert.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kläger ist Inhaber der 1995 eröffneten "Apotheke im Hauptbahnhof" in Stuttgart. Bereits am 05.09.1995 bat die Deutsche Bundesbahn im Interesse der Reisenden um eine Ausnahmeregelung mit regelmäßigen Sonn- und Feiertags-Öffnungszeiten für diese Apotheke. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11.10.1995 ab.

2.

Mit Schreiben vom 29.04.1998 beantragte der Kläger, die Dienstbereitschaftsordnung so zu ändern, dass die Öffnungszeiten seiner Apotheke über die bestehenden Öffnungszeiten hinaus an Sonn- und Feiertagen auf 9-18 Uhr festgesetzt würden. Zur Begründung machte er geltend, das Interesse an einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung erfordere die Sonntagsöffnung. Angesichts von 250.000 bis 300.000 Reisenden im Hauptbahnhof an Sonn- und Feiertagen und wegen der kurzen Umsteigezeiten müssten diese ihren dringenden Medikamentenbedarf im Hauptbahnhof decken können. Damit sei auch eine Attraktivitätsverbesserung des Hauptbahnhofs als Verkehrs- und Dienstleistungszentrum verbunden.

3.

Mit Bescheid vom 06.07.1998 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung hieß es, die Arzneimittelversorgung sei gesichert, denn es hätten in Stuttgart an Sonn- und Feiertagen 5-7 Apotheken 24 Stunden lang geöffnet, davon zwei in der Innenstadt. Ein Zusatzdienst an Sonntagen sei im übrigen nur wechselweise möglich, weil auch weitere Apotheken in unmittelbarer Nähe betroffen seien. Die Anordnung eines Zusatzdienstes im Bahnhofsbereich nach § 4 Abs. 2 Ladenschlussgesetz (LadSchlG) bedeute eine Umgehung von § 8 Abs. 3 LadschlG, wonach für Apotheken keine Sonderregelungen auf Bahnhöfen gälten. Im übrigen sei es für Besucher und Reisende zumutbar, die nächstgelegene Notdienstapotheke aufzusuchen.

4.

Am 24.07.1998 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte verkenne in ermessensfehlerhafter Weise das öffentliche Interesse an einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung; die Reisenden hätten häufig ihren Ärger über die Schließung der "Apotheke im Hauptbahnhof" an Sonn- und Feiertagen zum Ausdruck gebracht. Für einen Zusatzdienst komme allenfalls noch die XX-Apotheke in der K.-passage in Betracht. Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 3 LadSchlG sei nicht erkennbar, es gehe um die Gewährleistung der Arzneimittelversorgung für den besonderen Bedarf der Reisenden.

5.

Am 01.03.1993 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend, es bestehe bei der hohen Zahl der Reisenden ein dringender und schneller Medikamentenbedarf an Sonn- und Feiertagen, nicht aus Bequemlichkeit, sondern aufgrund von Notfällen. Diese Fälle seien recht häufig. Dennoch verweise die geltende Dienstbereitschaftsregelung die Reisenden auf die aktuelle Notdienstapotheke; dies sei wegen oft weiter Wege unzumutbar. Die strengen Maßstäbe des Ladenschlussgesetzes hätten sich in jüngster Zeit deutlich verschoben. § 8 Abs. 3 LadSchlG stelle keine Sperre dar, wenn es um die Sicherung einer geordneten Arzneimittelversorgung gehe. Die Beklagte habe den Bedarf nur unzureichend ermittelt, sie verschließe sich aus wirtschaftlicher Rücksicht auf die Mitbewerber der beantragten Regelung. Die Aufgabe des Apothekers erweitere sich immer mehr hin zur Beratung bei der Selbstmedikation.

 

6.

Die Beklagte trägt vor, erweiterte Öffnungszeiten der Apotheke im Hauptbahnhof an Sonn- und Feiertagen seien nicht erforderlich. Diesbezügliche Hinweise oder Beschwerden seien nicht bekannt geworden. Auch beim ärztlichen Notfalldienst müssten die Reisenden ein Krankenhaus aufsuchen, um verschreibungspflichtige Medikamente zu erhalten. Während der Ladenschlusszeiten solle nach der Intention des Gesetzgebers nur eine Notfallversorgung garantiert werden, diese solle aber nicht der Grundversorgung der Bevölkerung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren dienen.

 

Aus den Gründen:

7.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Ablehnung der Festsetzung der begehrten Öffnungszeiten der Apotheke des Klägers durch die Beklagte ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn dieser hat keinen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

8.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Regelung ist § 4 Abs. 2 LadSchlG. Danach hat die nach Landesrecht zuständige Verwaltungsbehörde für eine Gemeinde oder für benachbarte Gemeinden mit mehreren Apotheken anzuordnen, dass während der allgemeinen Ladenschlusszeiten (§ 3 LadSchlG) abwechselnd ein Teil der Apotheken geschlossen sein muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16.02.1989 - 3 C 35.86 -, Buchholz 418.21 ApBO Nr. 10 und Urteil vom 14.12.1989 - 3 C 33.87 -, Buchholz 418.21 ApBO Nr. 11) ist die Anordnung, die nach dieser Vorschrift zu ergehen hat, ein Verwaltungsakt, bezüglich dessen näherer Ausgestaltung der Behörde ein Handlungsermessen zusteht. Dabei hat die Behörde sowohl dem Arbeitsschutzgedanken als auch dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gerecht zu werden. Die grundsätzliche Dienstbereitschaft außerhalb der allgemeinen Ladungsöffnungszeiten stellt für die Apotheke kein Privileg dar, sondern ist Ausdruck der Pflicht, die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auch an den Tagen und zu den Tageszeiten sicherzustellen, an denen im allgemeinen Arbeitsruhe herrscht. Der so geregelte Notdienst gewährleistet der Bevölkerung eine noch geordnete, aber nicht in jeder Hinsicht bequeme Arzneimittelversorgung. Bei der Abwägung hat die Behörde die örtliche Situation zu berücksichtigen. Die Ausübung des Ermessens hat unter Wahrung der Wettbewerbsgleichheit zwischen den Apotheken zu erfolgen (BVerwG, Urteil vom 14.12.1989 aaO).

9.

In Anwendung dieser Grundsätze kann das erkennende Gericht in der Ablehnung der Änderung der getroffenen Regelung durch die Beklagte keinen Ermessensfehler erkennen: Die Beklagte hat das Gebiet der Stadt Stuttgart in ihrer derzeit geltenden Dienstbereitschaftsanordnung vom 02.12.1998 in drei Vorortbezirke und einen Innenstadtbezirk eingeteilt, wobei der Innenstadtbezirk aus 32 Gruppen von zumeist zwei, vereinzelt auch drei Apotheken besteht. Jeder dieser Gruppen hat ab 8.30 Uhr 24 Stunden lang Notdienst und wird dann von der nächstfolgenden Gruppe abgelöst. Die Beklagte stellt damit sicher, dass im Innenstadtbereich zwei bis drei, im gesamten Stadtbereich Gebiet Stuttgart fünf bis sieben Apotheken an jedem Tag des Jahres Notdienst haben.

10.

Dass hierdurch die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln im Hinblick auf die besondere Situation des Hauptbahnhofs nicht gewährleistet wäre, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Es mag zwar durchaus zutreffen, dass angesichts der großen Anzahl von Reisenden, die den Hauptbahnhof passieren, bei einem Teil dieser Personen ein plötzlicher Arzneimittelbedarf auftritt, sei es weil sie während der Reise erkrankt sind oder weil sie ihre gewohnten Arzneimittel vergessen haben. Soweit dieser Bedarf dringend ist, sind die Reisenden genötigt, eine der jeweils geöffneten Notdienstapotheken aufzusuchen. Dies bedeutet für Reisende, deren Reise am Hauptbahnhof noch nicht abgeschlossen ist oder die ein anderes Ziel im Stadtgebiet anstreben, eine spürbare Erschwernis. Zu berücksichtigen ist indessen, dass sich die Situation des Reisenden, der plötzlich am Bahnhof ein Medikament benötigt, nicht erkennbar von der eines beliebigen plötzlich Erkrankten unterscheidet, der sich außerhalb der gesetzlichen Ladungsöffnungszeiten ebenfalls auf den Weg zur Notdienstapotheke machen muss, um das von ihm benötigte Medikament zu besorgen. Die Reisenden kennen die gegenwärtige Praxis und rechnen daher nicht mit einer geöffneten Apotheke im Hauptbahnhof. Bei am Hauptbahnhof auftretenden lebensbedrohenden Zuständen muss - wie sonst auch - ein Notarzt gerufen und gegebenenfalls der Transport in ein Notfallkrankenhaus veranlasst werden. Dies gilt gleichermaßen in den Fällen, wo verschreibungspflichtige Medikamente benötigt werden. Ansonsten muss der Patient abwägen, ob er die Unterbrechung der Reise wegen seiner Erkrankung in Kauf nehmen oder die Reise ohne Medikamente fortsetzen will.

11.

Es ist damit weder die begehrte Sonntags-Dienstbereitschaft der Apotheke im Hauptbahnhof alleine noch die mit dem Hilfsantrag angestrebte Dienstbereitschaft im Wechsel mit vier anderen Apotheken in einem neu abzugrenzenden kleineren Gebiet, das den Hauptbahnhof und seine unmittelbare Umgebung umfasst, kraft Gesetzes geboten. Letztere Lösung - allerdings jeweils im Rahmen einer 24 Stunden-Bereitschaft - wäre grundsätzlich eine innerhalb des Ermessens der Beklagten liegende Möglichkeit, die aber nicht zur Versorgung der Reisenden unabdingbar ist, sondern letztlich nur deren Bequemlichkeit dient. Immerhin setzt der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zu rund 80 % frei erhältliche, sogenannte "Over the counter" - Artikel um, die gerade nicht der Behandlung von Notfällen dienen. Missstände, wie sich häufende Notsituationen, in denen das erforderliche Medikament nicht rechtzeitig verfügbar gewesen wäre, sind der Beklagten nicht bekannt geworden. Die beim Kläger vorgebrachten Beschwerden zeigen eher, dass die Patienten die geltende Regelung lediglich als überholt und unbequem ansehen. Eine Fehlgewichtung durch die Beklagte ist daher nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass sich die Tätigkeit des Apothekers immer mehr zur Beratung bei Selbstmedikation hin verlagern mag, weil diese Tätigkeit nicht mehr in das Feld der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung fällt, sondern auch während der allgemeinen Ladenöffnungszeiten erfolgen kann.

12.

Zutreffend hält die Beklagte dem Begehren des Klägers außerdem entgegen, dass § 8 Abs. 3 LadSchlG der begehrten Spezialregelung für Großstadtbahnhöfe entgegensteht. § 8 LadSchlG erlaubt in Abs. 1 Verkaufsstellen für Reisebedarf auf Personenbahnhöfen während des ganzen Tages und in Abs. 2 a in Städten über 200.000 Einwohnern Verkaufsstellen für Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs sowie Geschenkartikel in Personenbahnhöfen des Schienenfernverkehrs und Verbindungsbauwerken mit Verkehrsknotenpunkten an Werktagen von 6.00 bis 22.00 Uhr. § 8 Abs. 3 LadSchlG regelt demgegenüber, dass es für Apotheken bei den Vorschriften des § 4 LadSchlG bleibt. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber die Sondersituation bei Bahnhöfen allgemein und speziell Großstadtbahnhöfen erkannt und geregelt, aber für Apotheken - anders als bei internationalen Verkehrsflughäfen und internationalen Fährhäfen, vgl. § 9 Abs. 3 LadSchlG - keine gesonderte Erleichterung für erforderlich gehalten hat. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 LadSchlG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsgemäß (vgl. Urteil vom 29.11.1961 - 1 BvR 148/57 -, BVerwGE 13, 226). Wegen § 4 LadSchlG bedarf es keiner Sonderbehandlung von Apotheken auf Personenbahnhöfen (Stober, LadSchlG, 2. Aufl., § 8 RdNr. 23). Eine derartige abweichende, gesonderte Erleichterung für die besondere Situation des Großstadtbahnhofs strebt der Kläger aber gerade an.