Verwaltungsgericht Köln
Urteil vom 20. 3. 1991
- 8 K 4501/89
-

 (weitere Fundstellen: NJW 1991, 2584 f.)

 

 

Tatbestand

1.

Die Kl. begehrt von der Bekl. die Herausgabe eines Handstempels zum Siegeln von Urkunden (Siegeltypar) und des dazugehörigen Aufbewahrungsbeutels. Sie macht dazu geltend, bei diesem Siegeltypar handele es sich um das Original des IV. Hamburger Stadtsiegels, das nachweislich bereits 1306 zum Siegeln einer Urkunde benutzt worden sei. Es sei 1810 im Zuge der Einverleibung der Stadt Hamburg in das Französische Kaiserreich außer Gebrauch gesetzt und danach in der Kämmerei unter Verschluß gehalten worden. Es sei in der Folgezeit zur Prüfung der Echtheit von Urkunden benutzt worden und zu einem späteren Zeitpunkt in die Petschaft-Sammlung des Stadtarchivs der Stadt Hamburg übernommen und dort inventarisiert worden. Im Jahre 1944 sei das Archivgut kriegsbedingt in den Salzstock Grasleben ausgelagert worden. Nach dem Rücktransport unter britischer Bewachung sei festgestellt worden, daß die Kiste, in der u. a. das IV. Stadtsiegel aufbewahrt worden war, erbrochen und Teile daraus, so auch das Siegel, entwendet worden seien. Die Bekl. erwarb den Siegelstempel am 26. 4. 1986 auf einer Auktion eines Kunsthauses für 2107,80 DM. Auftraggeber des Auktionators war damals ein Ehepaar, das den Stempel in früheren Jahren auf einem Trödelmarkt in Braunschweig erworben hatte. Im Jahre 1987 bot die Bekl. den Siegelstempel ihrerseits auf einer Kunstmesse in Köln für 6800 DM zum Verkauf an. Nachdem die Bekl. der Kl. auf deren Bitte hin weitere Unterlagen – u. a. mehrere Fotografien – über den Siegelstempel zugänglich gemacht hatte, verlangte die Kl. das Siegeltypar von der Bekl. mit der Begründung heraus, sie sei Eigentümerin dieser Sache. Die Bekl. kam diesem Begehren nicht nach. Eine vor den Zivilgerichten verfolgte Herausgabeklage, die auf das Eigentum der Kl. an dem Siegelstempel gestützt war, blieb in allen Instanzen erfolglos. Der BGH hat mit Urteil vom 5. 10. 1989 (NJW 1990, 899) rechtskräftig entschieden, daß die Bekl. nach § 935 II BGB im Wege einer öffentlichen Versteigerung gutgläubig Eigentum an dem Siegeltypar erworben habe. Die Frage, ob die Kl. Besitzrechte aus dem öffentlichen Sachenrecht geltend machen könne, müsse vor dem VG geklärt werden. Eine Teilverweisung des Rechtsstreites an das VG Köln, die das OLG Köln in seiner Entscheidung ausgesprochen hatte, hob der BGH auf. Die Kl. hat Klage vor dem VG erhoben mit dem Antrag, die Bekl. zu verurteilen, an die Kl. den Stempel des IV. Hamburgischen Stadtsiegels bestehend aus einer vergoldeten Bronzeplatte mit einer Öse auf der Rückseite versehen mit der Inschrift "Siegilvm + Bvrginivm De. HammenBvrch nebst der purpurfarbenen bestickten Tasche aus dem 18. Jahrhundert herauszugeben.

2.

Das VG hat der Klage stattgegeben.

 

Aus den Gründen:

3.

Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage im Hinblick auf das Geltendmachen eines Anspruchs aus öffentlicher Sachherrschaft im Verwaltungsrechtsweg erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Kl. hat als Sachherrin der öffentlichen Sache "Siegeltypar nebst Aufbewahrungsbeutel" einen Anspruch auf Herausgabe dieser Sache, damit diese wieder ihrem widmungsgemäßen Zweck zugeführt werden kann.

4.

1. In tatsächlicher Hinsicht ist die Kammer zunächst der Überzeugung, daß es sich bei dem streitgegenständlichen Siegelstempel um das Original des IV. Hamburger Stadtsiegels handelt. Die Bet. sind im gesamten Zivilprozeß und in allen übrigen bisher bezüglich dieses Objektes geführten Verfahren jeweils übereinstimmend von der Echtheit dieses Typars ausgegangen. Noch in der am 6. 10. 1989 bei dem erkennenden Gericht eingegangen "Schutzschrift" (VG Köln, 8 L 1846/89) hat die Bekl. selbst vorgetragen, sie sei Eigentümerin des IV. Hamburgischen Stadtsiegels, bei dem es sich um das älteste noch vorhandene Stadtsiegel aus dem 14. Jahrhundert handele. Ebenso ist der BGH in seinem Urteil vorn 5. 10. 1989 (NJW 1990, 899) ausdrücklich davon ausgegangen, daß es sich bei dem Streitgegenstand um das Original des IV. Hamburger Stadtsiegels handelt.

5.

Bei dieser Sachlage hält es die Kammer für nicht ausreichend, wenn die Bekl. nunmehr zur vermeintlichen Verbesserung ihrer prozessualen Situation im vorliegenden Verfahren lediglich mit Nichtwissen bestreitet, daß es sich bei ihrem Eigentum um das echte IV. Hamburger Stadtsiegel handelt. Insbesondere kann die Bekl. sich nicht darauf berufen, ihr sei der Zugang zudem Siegelstempel verwehrt. Bis zur Anordnung der Sequestration durch das OLG Köln mit Beschluß vom 21. 12. 1988 stand das Typar der Bekl. uneingeschränkt zur Verfügung. Sie hat hiervon Fotografien gefertigt, die es ihr ohne weiteres ermöglicht hätten, konkrete Zweifel an der Echtheit des Siegelstempels vorzutragen. Da auch durch die Inaugenscheinnahme der von der Kl. in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotografien aus dem Jahre 1937 keinerlei entsprechende Zweifel begründet worden sind, geht auch die Kammer (wie der BGH) von der Echtheit des Siegeltypars aus.

6.

2. Gleichermaßen ist erwiesen, daß dieser Siegelstempel lange Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg im Archiv der Hansestadt Hamburg archiviert war und nach Kriegsende abhanden gekommen ist, Bereits in der im Jahre 1922 handschriftlich gefertigten Übersicht über die Petschaft-Sammlung des Hamburgischen Staatsarchivs wird der Siegelstempel unter Tafel 1.1 erwähnt und ausführlich beschrieben. In dem 1939 vom Archiv der Hansestadt Hamburg herausgegebenen Buch "Hamburg und die Deutsche Hanse", das zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, wird der Stempel auf S. 10 unter Punkt 8 und die Stoffhülle unter Punkt 9 aufgeführt. Als Herkunftsort ist in beiden Fällen das Archiv angegeben. Die Ablichtungen 1 und 2 belegen die Identität der archivierten mit den streitgegenständlichen Objekten. In dem Verwaltungsvorgang II 7323/40 über die "Auslagerung von Archivalien in und außerhalb Hamburgs 1942 bis 1944" sind sowohl die Auslagerung als auch der Verlust des IV. Hamburgischen Stadtsiegels dokumentiert. Einem Schreiben des Archivrates Dr. v. Lehe vom 2. 12. 1944 ist ein Inhaltsverzeichnis des Ende November 1944 in das Salzbergwerk Grasleben verbrachten Archivgutes beigefügt. Danach befand sich in Kiste 104 der Siegelkasten mit Stempel zum Stadtsiegel. Auf der gleichen Liste ist nach dem Rücktransport neben Kiste 104 handschriftlich vermerkt "auf dem Transport erbrochen" sowie neben Nr. 2 "fehlt". Der Verlust des Siegelstempels wird ferner dokumentiert durch die bei den Vorgängen befindliche Beschreibung des "verloren gegangenen Siegelstempels" und ein Schreiben vom 1. 2. 1946 an den zuständigen britischen Offizier, in dem der Verlust des "Siegelkastens mit dem ältesten Stadtsiegel" als unersetzlich bezeichnet wird (beide Schreiben befinden sich in dem Verwaltungsvorgang II 7323/40). Schließlich ist der Verlust auch in der bereits erwähnten Übersicht über die Petschaft-Sammlung handschriftlich vermerkt.

7.

3. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen ist der Siegelstempel nach wie vor eine öffentliche Sache. Als solche sind diejenigen Sachen anzusehen, die durch ihre Benutzung öffentlichen Zwecken dienen und für deren Behandlung öffentliches Recht maßgebend ist (vgl. nur Wolff-Bachof, VerwR I, 9. Aufl. [1974], § 55 Ha, S.484).

8.

Die Eigenschaft als öffentliche Sache wird durch den Hoheitsakt der Widmung begründet, der durch Rechtssatz, ausdrücklichen Verwaltungsakt oder – so regelmäßig bei öffentlichen Sachen im Verwaltungsgebrauch – durch konkludenten Verwaltungsakt im Wege der Ingebrauchnahme erfolgen kann (vgl. Wolff-Bachof, §56 I und II, S. 484 ff.) Danach kann es hier nach Auffassung der Kammer zunächst keinem Zweifel unterliegen, daß der Siegelstempel durch seine Indienststellung spätestens Anfang des 14. Jahrhunderts öffentliche Sache im Verwaltungsgebrauch geworden ist (zum Begriff vgl. Wolff-Bachof, § 55 III a S. 486). Darauf, daß es gegebenenfalls zur damaligen Zeit diese Rechtsfigur ebensowenig wie den Begriff der Widmung gegeben hat, kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen, denn jedenfalls schon im Mittelalter wurde zwischen Eigentumsrechten und den aus der Souveränität des Staates folgenden Befugnissen ("Regalien") eine Trennung vorgenommen (so Stern, VVDStRL 21 [1964], 183 [186]).

9.

Der Gebrauch des, Siegels zu Verwaltungszwecken wird durch die bereits zitierte Schrift "Hamburg und die Deutsche Hanse" belegt. Dort heißt es auf S. 8: "In der Ratskanzlei fertigten Ratsnotare und Schreiber Briefe und Pergamenturkunden aus und versahen sie zur Beglaubigung mit dem Hamburgischen Stadtsiegel."

10.

Die Außerdienststellung des Siegelstempels im Jahre 1810 hat die Eigenschaft als öffentliche Sache nicht beseitigt. Durch die Aufbewahrung in der Stadtkämmerei, die durch die in der mündlichen Verhandlung in Ablichtung überreichte Schrift "Siegel des Mittelalters" von 1879 belegt wird, hat vielmehr eine Umwidmung zu einem anderen öffentlichen Zweck, nämlich zur Überprüfung der Echtheit von Urkunden stattgefunden. Das diesbezügliche Vorbringen der Bekl., die die Eignung des Typars zur Überprüfung der Echtheit von Siegeln bestreitet, teilt die Kammer nicht, mag es heute auch wirksamere Methoden der Echtheitsprüfung geben. Letztlich kommt es allerdings auf diesen Zweck ohnehin nicht entscheidend an, weil der Siegelstempel erwiesenermaßen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in das Archiv der Stadt Hamburg übernommen worden ist.

11.

Die Aufnahme einer Sache in ein von einem öffentlichen Rechtsträger betriebenes Archiv stellt nach Auffassung der Kammer – vergleichbar mit der Aufnahme eines Buches in eine öffentliche Bibliothek – stets eine (Um-)widmung zu einem öffentlichen Zweck dar. Das Archivgut wird wegen seiner besonderen Bedeutung im öffentlichen Leben der Nachwelt erhalten. Daß hierin ein öffentlicher Zweck zu sehen ist, wird durch die Regelungen des Hamburgischen Archivgesetzes vom 21. 1. 1991 bestätigt, das beispielsweise in § 1 II für die Archivierung das Vorliegen eines öffentlichen Interesses erfordert. Ob der Siegelstempel nach seiner Aufnahme in das Archiv weiterhin (allein) als öffentliche Sache im Verwaltungsgebrauch anzusehen ist – wofür sprechen könnte, daß Archive auch als spezielle Sachmittel der Verwaltung bewertet werden – oder ob nunmehr der Begriff "öffentliche Sache im Anstaltsgebrauch" (vgl. Wolff-Bachof, § 55 III b, S. 486) einschlägig ist – worauf hindeutet, daß jedenfalls heute durch § 5 HbgArchivG unter bestimmten Voraussetzungen jedermann ein Zugangsrecht zum Archiv eingeräumt ist – bedarf keiner Entscheidung. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es allein darauf an, daß das Siegeltypar auch nach der Überführung in das Archiv der Stadt öffentliche Sache geblieben ist.

12.

Diese Eigenschaft hat der Siegelstempel bis heute nicht verloren. Der Wegfall der öffentlichrechtlichen Eigenschaft einer Sache wird durch die Entwidmung als actus contrarius zur Widmung bewirkt. Eine – ausdrückliche oder konkludente – Entscheidung der Kl., ihre besondere Sachherrschaft über die öffentliche Sache "Siegelstempel" aufzugeben, läßt sich nicht feststellen. Insbesondere kann in dem Abhandenkommen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Außerdienststellung der Sache gesehen werden. Selbst wenn sich ein Bediensteter der Kl. den Stempel widerrechtlich angeeignet haben sollte, läßt sich damit eine Entscheidung der Kl. zur Entwidmung nicht konstruieren. Dies gilt schließlich auch bezüglich einer von der Bekl. geltend gemachten Untätigkeit der Kl. zur Wiedererlangung des Siegelstempels. Nach der Kenntniserlangung von der Existenz der Sache ist die Kl. unverzüglich tätig geworden, ein Verzichtswillen läßt sich auch hier nicht feststellen.

13.

Der Widmungszweck ist auch durch die Ersteigerung des Siegelstempels durch die Bekl. nicht untergegangen. Zwar hat der BGH rechtskräftig festgestellt, daß die Bekl. im Wege der Versteigerung gem. § 935 II BGB Eigentum an den streitbefangenen Sachen erworben hat. Dieses Eigentum ist jedoch nach wie vor mit der öffentlichrechtlichen Widmung belastet, ein lastenfreier gutgläubiger Erwerb nach § 936 BGB kommt nicht in Betracht, weil die Zweckbindung einer öffentlichen Sache nicht privaten Rechten Dritter gleichgestellt werden kann (allg. Meinung, vgl. Wolff-Bachof, § 57 II b 3, S. 496; Pappermann-Löhr-Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 1987, § 4 III 2 a, S. 19; Salzwedel, in: Erichsen-Martens, Allg. VerwR, 8. Aufl. § 45 III 2, S. 482; Frotscher, VerwArch 62 [1971], 153 [154]). Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Vorbesitzer des Siegelstempels das Eigentum bereits ersessen haben. Auch die Ersitzung einer öffentlichen Sache mit befreiender Wirkung ist nämlich ausgeschlossen (Salzwedel, § 45 III, S.482; Wolff-Bachof, § 57 II b 2, S. 496). Im übrigen ist auch der BGH bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß eine Ersitzung durch die Vorbesitzer nicht stattgefunden hat.

14.

4. Da der Siegelstempel (nebst der zugehörigen Aufbewahrungstasche) mithin nach wie vor eine öffentliche Sache ist, kann die Kl. von der Bekl, seine Herausgabe verlangen.

15.

Die Kammer legt dabei ihrer Entscheidung die rechtliche Konstruktion vom sog. modifizierten Privateigentum zugrunde. Diese entspricht der heute herrschenden Auffassung (vgl. Wolff-Bachof, § 57 I a, S. 493; Forsthoff, Lehrb. des VerwR AT, 10. Aufl., § 20, S. 373 ff; Pappermann-Löhr-Andriske, § 4 III, S. 16 f Salzwedel, § 45 I, S. 480 f Frotscher, VerwArch 62 [1971], 153 [154], jew. m, w. Nachw.) und liegt auch der Entscheidung des BGH zugrunde. Dieses Rechtsinstitut ist dadurch gekennzeichnet, dass auch öffentliche Sachen weiterhin der Privatrechtsordnung unterliegen, so daß an ihnen auch privates Eigentum erworben werden kann. Dieses Eigentum wird jedoch überlagert durch die öffentlichrechtliche Zweckbindung, die diese öffentliche Sache widmungsgemäß erfahren hat (vgl. die Zitate wie vor). Soweit – wie hier – ein Auseinanderfallen von Eigentum und öffentlichrechtlicher Sachherrschaft der widmungsgemäßen Zweckbindung entgegensteht, kann der öffentliche Sachherr die Sache vom Eigentümer herausverlangen.

16.

Die Existenz eines solchen Herausgabeanspruchs ist im Ergebnis weitgehend unbestritten. Soweit eine Ableitung aus geschriebenen Rechtsnormen vorgenommen wird, stützen die Autoren diesen Anspruch auf eine entsprechende Anwendung der §§ 1027, 1065, 1090 II i. V. mit § 985 BGB (vgl. Wolff-Bachof, § 57 II b 3, S. 496; Frotscher, VerwArch 62 [1971], 153 [158]). Gleichwohl hält die Kammer einen solchen Rückgriff auf zivilrechtliche Normen des BGB zur Begründung einer Anspruchsgrundlage nicht für erforderlich. Sie ist vielmehr der Auffassung, daß sich dieser Herausgabeanspruch ohne weiteres aus einer Annexkompetenz zu der dem öffentlichen Sachherrn verliehenen Befugnis, die öffentliche Sache widmungsgemäß zu verwenden, ergibt. Die Kammer hält in diesem Zusammenhang die von der Rechtsprechung des OVG Münster entwickelten Grundsätze zum Hausverbot für anwendbar. Auch für den Erlaß eines Hausverbotes fehlt es regelmäßig an einer geschriebenen Rechtsgrundlage. Das OVG Münster entnimmt eine solche Rechtsgrundlage der Sachkompetenz der Behörde zur Erfüllung der ihr übertragenen Verwaltungsaufgaben (OVG Münster, NWVBl 1989, 91 und DÖV 1990, 979).

17.

Das Hausverbot dient dazu, daß die der Behörde zugewiesenen Verwaltungsaufgaben sachgemäß erfüllt werden können. So liegen die Verhältnisse auch in Fallgestaltungen der vorliegenden Art. Die Herausgabe der öffentlichen Sache an den Sachherrn ist zwingende Voraussetzung für die Ermöglichung ihrer Funktion entsprechend der Widmung.

18.

Dieser Begründung eines ungeschriebenen Herausgabeanspruchs steht auch der Verfassungsgrundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nicht entgegen (vgl. hierzu etwa Schmidt Bleibtreu-Klein, GG, 6. Aufl., Art. 20 Rdnr. 11; v. Münch-Schnapp, GG, 3. Aufl., Art. 20 Rdnr. 43). Unabhängig von der nach wie vor ungeklärten Reichweite dieses Verfassungsgrundsatzes greift dieser vorliegend schon deshalb nicht ein, weil der Herausgabeanspruch keinen grundrechtsrelevanten Eingriff darstellt. Er ist vielmehr unmittelbarer Ausfluß der das privatrechtliche Eigentum überlagernden öffentlichrechtlichen Widmung. Der Eingriff in das Eigentum liegt in der Widmung. Diese Widmung – zuletzt zum Archivgut – ist hier jedoch im konkludenten Einverständnis mit der Eigentümerin, nämlich der Kl., die damals noch unzweifelhaft das Eigentum innehatte, erfolgt. Die Bekl. hatte das Eigentum mithin bereits mit dieser Belastung aus der Widmung (vergleichbar einer öffentlichrechtlichen Dienstbarkeit) erworben.

19.

Hat ein Eigentümer jedoch seine Zustimmung zur Entstehung einer öffentlichen Sache gegeben, kann durch den nachfolgenden widmungsgemäßen Gebrauch kein Eingriff mehr in das Eigentum erfolgen (vgl. etwa Forsthoff, § 20, S. 384 f.; Salzwedel, § 45 II, S. 482 f.). Dies muß erst recht für das Herausgabeverlangen, mit dem der widmungsgemäße Gebrauch erst ermöglicht werden soll, gelten.

20.

5. Gegenüber diesem Herausgabeanspruch kann die Bekl. nicht die Einrede der Verjährung erheben. Unabhängig davon, wieweit die zivilrechtlichen Vorschriften über die Verjährung im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden sind, ist die Kammer der Auffassung, daß gegenüber solchen Ansprüchen, die aus dem Recht der öffentlichen Sachen abgeleitet sind, grundsätzlich die Verjährung nicht durchgreifen kann. Soweit ersichtlich, ist die hier angesprochene Problematik bisher im Rahmen des öffentlichen Sachenrechts in Rechtsprechung und Literatur nicht diskutiert worden. Die Kammer orientiert sich daher bei ihrer Entscheidung an Sinn und Zweck der rechtlichen Konstruktion vom modifizierten Privateigentum. Diese Rechtsfigur ist dadurch gekennzeichnet, daß das privatrechtliche Eigentum immer soweit verdrängt wird, als es in Konkurrenz zur öffentlichrechtlichen Sachherrschaft tritt, die vor allen privatrechtlichen Verhältnissen den absoluten Vorrang genießt (so Wolff-Bachof, § 57 I a, S. 493; Forsthoff, § 20, S. 379 f.). Dabei kann bei einem Auseinanderfallen von Eigentum und öffentlichrechtlicher Sachherrschaft das Eigentum durchaus zu einem im wesentlichen inhaltslosen Recht eingeengt werden (so ausdrücklich Wolff-Bachof § 57 I a S.493). Konsequenterweise ist der lastenfreie gutgläubige Erwerb einer öffentlichen Sache nach völlig herrschender Meinung ebenso ausgeschlossen wie die lastenfreie Ersitzung einer solchen Sache.

21.

All dies bestätigt, daß sich im Kollisionsfall zwischen privatem Eigentum und öffentlichrechtlicher Sachherrschaft stets und ohne jede Einschränkung die besondere öffentlichrechtliche Zweckbindung durchsetzen soll. Angesichts dessen wäre es nach Auffassung der Kammer sinnwidrig, die Einrede der Verjährung durchgreifen zu lassen, was praktisch zum Untergang der öffentlichrechtlichen Sachherrschaft führen würde.

22.

Wegen der im öffentlichen Recht begründeten Besonderheiten des hier maßgeblichen Herausgabeanspruchs kommt eine entsprechende Anwendung bürgerlichrechtlicher Vorschriften über die Verjährung mithin generell nicht in Betracht. Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung der Fragen, welche Vorschriften des BGB einschlägig wären und ob danach von der tatsächlichen Seite her überhaupt die Voraussetzungen für die Verjährung gegeben sind.