Verwaltungsgericht Berlin
Beschluss vom 7.12.2012
- 5 L 419.12 -
| Gründe |
1. | Der Antragsteller ist Richter am Amtsgericht. Mit Schreiben vom 7. November 2012 beantragte er bei der Präsidentin des Amtsgerichts das aktive und passive Wahlrecht für die bevorstehende Wahl der Frauenvertreterin. Diesen Antrag lehnte der Wahlvorstand mit Schreiben vom 12. November 2012 ab und verwies zur Begründung auf das Landesgleichstellungsgesetz, wonach wahlberechtigt und wählbar nur weibliche Beschäftigte einer Dienststelle seien. Am 13. November 2012 ging beim Wahlvorstand ein Wahlvorschlag von fünf (weiblichen) Beschäftigten des Amtsgerichts ein, die den Antragsteller als Kandidaten für die Wahl der Frauenvertreterin und deren Stellvertreterin vorschlugen. In der vom Wahlvorstand am 15. November 2012 ausgehängten „Bekanntmachung der Kandidatinnen" ist der Antragsteller als vorgeschlagener Kandidat für beide Ämter aufgeführt. |
2. | Mit seiner am 20. November 2012 erhobenen Klage (VG 5 K 420.12) begehrt der Antragsteller, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 12. November 2012 das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl der Frauenvertreterin zuzuerkennen. |
3. | Sein gleichzeitig gestellter Antrag,
hat keinen Erfolg. |
4. | Es kann dahinstehen, ob der Antrag bereits unzulässig ist. Dafür könnte zum einen sprechen, dass nach dem Landesgleichstellungsgesetz (LGG) die nachträgliche Anfechtung der Wahl die einzige ausdrücklich geregelte Rechtsschutzmöglichkeit bei Fehlern des Wahlverfahrens ist, was Rechtsschutz im Vorfeld der Wahl ausschließen könnte (§ 16 a Abs. 7 LGG; vgl. zum Bundeswahlgesetz: BVerfG, Beschluss vom 24. August 2009 - 2 BvR 1898.09 -, juris Rn. 2 ff.; zum Personalvertretungsrecht: BVerwG, Beschluss vom 14. April 2008 - BVerwG 6 P 6.08 -, juris Rn. 5 ff. m.w.N. zum Streitstand). In diesem Anfechtungsverfahren sind zum anderen nur wahlberechtigte - mithin weibliche (§ 16a Abs. 1 Satz 1 LGG) - Beschäftigte anfechtungsberechtigt. Dies spricht dafür, auch (möglichen) Rechtsschutz im Vorfeld der Wahl nur wahlberechtigten weiblichen Beschäftigten zuzugestehen. Es erscheint daher zumindest zweifelhaft, ob der Antragsteller als Mann die Durchführung der Wahl unterbinden kann. Andererseits macht der Antragsteller geltend, gerade durch den Ausschluss von der Wahlberechtigung in seinen Rechten verletzt zu werden. |
5. | Offen bleiben kann auch, ob der Antragsteller dadurch das passive Wahlrecht erworben hat, dass ihn der Wahlvorstand in die Liste der Kandidatinnen aufgenommen hat. |
6. | Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil der Antragsteller für die Wahl der Frauenvertretung weder aktiv noch passiv wahlberechtigt ist, das Wahlverfahren mithin keine Fehler aufweist, die zur Anfechtung der Wahl führen und deren Aussetzung im Vorfeld rechtfertigen könnten. |
7. | Nach dem Landesgleichstellungsgesetz sind wahlberechtigt und wählbar nur weibliche Beschäftigte einer Dienststelle (§ 16a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LGG). Der Antragsteller als Mann gehört nicht zu diesem Personenkreis. Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung verstößt diese Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte nicht gegen höherrangiges Recht. |
8. | Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) darf niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Diese Verfassungsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Danach darf das Geschlecht grundsätzlich nicht Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung sein. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt. Das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG wird ergänzt durch Art. 3 Abs. 2 GG. Nach dieser Vorschrift sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. |
9. | Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er eine Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. So müssen Frauen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer. Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden. Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025. 82, - juris Rn. 53). |
10. | Eine solche, faktische Nachteile ausgleichende Regelung hat der Berliner Gesetzgeber mit dem Landesgleichstellungsgesetz geschaffen. Maßgeblich ist insoweit nicht, ob in der Dienststelle des Antragstellers Frauen aktuell benachteiligt sind. Vielmehr darf der Gesetzgeber, wenn er - wie mit dem Landesgleichstellungsgesetz - Regelungen für das ganze Land trifft, typisieren und neben aktuellen Ungleichbehandlungen auch faktische Benachteiligungen in der Vergangenheit, die beispielsweise zu Unterrepräsentanzen in bestimmten Besoldungsgruppen geführt haben, durch begünstigende Regelungen ausgleichen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juli 2010 - OVG 4 N 93.08 -, BA S. 4). Nach Einschätzung des Gesetzgebers liegen aufgrund der gesellschaftlichen Ressourcenverteilung und der nach wie vor bestehenden Rollenbilder von Frau und Mann die Benachteiligungen, die es abzubauen gilt, auf Seiten der Frauen (vgl. zu § 16 BGleiG: BT-Drucks. 14/5679, S. 27). Das Landesgleichstellungsgesetz mit der Einrichtung einer Frauenvertreterin dient der Frauenförderung (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 2 und 3, § 4 LGG). |
11. | Durch die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte hat der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Es liegt jedenfalls nahe, dass die Ziele des Art. 3 Abs. 2 GG in besonderem Maße gefördert werden, wenn die Wahl lediglich durch die Gruppe derjenigen Beschäftigten erfolgt, deren Gleichberechtigung sichergestellt werden soll. Denn eine Einflussnahme durch die Gruppe der nach Auffassung des Gesetzgebers bevorzugten Dienstkräfte wird hierdurch ausgeschlossen (vgl. VG Berlin, Urteil vom 5. November 2008 - VG 2 A 41.08 -, UA S. 4). Hinsichtlich der Wählbarkeit für das Amt der Frauenvertreterin kann es wichtig sein, die Verhältnisse aus der Sicht des benachteiligten Geschlechts beurteilen zu können; es ist auch nahe liegend, dass die weiblichen Beschäftigten sich mit ihren Problemen bei einer Person des gleichen Geschlechts besser aufgehoben und vertreten fühlen (vgl. BT-Drucks. 14/5679, S. 27; vgl. auch VG Augsburg, Beschluss vom 16. Juni 2004 - Au 2 E 04.890 - juris Rn. 16). |
12. | Art. 33 Abs. 2 und Abs. 5 GG sind nicht verletzt. Denn das Amt der Frauenvertreterin ist ein Wahlamt, das nicht nach den Kriterien der Bestenauslese vergeben wird. |
13. | Ob das Amt der Frauenvertreterin angesichts der gesetzlich vorgesehenen Freistellungsmöglichkeiten ein „Nebenberuf" sein und dem Schutzbereich von Art. 12 GG unterfallen kann, wie der Antragsteller meint, kann dahinstehen. Die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Frauen wäre aus den oben genannten Erwägungen jedenfalls gerechtfertigt. |
14. | Schließlich ist auch das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Die Frauenvertreterin ist ausschließlich Vertreterin der weiblichen Beschäftigten. Sie vertritt weder Rechte des Antragstellers noch greift sie in seine Rechte ein. Deshalb ist es zulässig, aktives und passives Wahlrecht auf weibliche Beschäftigte zu beschränken (vgl. OVG Berlin-Brandenburg a.a.O., S. 3 f.). |
15. | Gleiches gilt für den vom Antragsteller gerügten Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es kann dahinstehen, ob dieses Gesetz für das Amt der Frauenvertreterin Anwendung findet (verneinend: VG Berlin, a.a.O., S. 5). Jedenfalls wäre die unterschiedliche Behandlung wegen der besonderen Anforderungen an dieses Amt gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt (vgl. v. Roetteken, BGleiG, Stand: Juni 2012, § 16 Rn. 99). |
16. | Die Regelung verstößt auch nicht gegen europäisches Recht. Die Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 (ABl. EG 2000 Nr. L 180 S. 22) ist nicht relevant, denn sie befasst sich nach Art. 1 mit der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Gleiches gilt für die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (ABl. EG 2000 Nr. L 303 S. 16), die nach Art. 1 die Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung betrifft. Die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen vom 5. Juli 2006 (ABl. EG 2006 Nr. L 204 S. 23) ist zwar anwendbar, jedoch nicht verletzt. Denn die darin geregelten Diskriminierungsverbote stehen nicht der Beibehaltung oder dem Erlass von Maßnahmen entgegen, mit denen bezweckt wird, Benachteiligungen von Personen eines Geschlechts zu verhindern oder auszugleichen (Art. 3 sowie Erwägungsgrund Nr. 21). Diesem Ausgleich von Benachteiligungen dient nach dem oben Gesagten (auch) die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte (vgl. v. Roetteken, a.a.O.). |