Verwaltungsgericht Berlin
Beschluss vom 27.06.1983
- 13 A 152/83
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(weitere Fundstellen: NJW 1984, 140 f.)
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Zum Sachverhalt: |
1. |
Der Ast. errichtete ohne Baugenehmigung auf seinem Grundstück einen Raubtierzwinger. Dieser ist an das Wohnhaus angebaut, hat eine Grundfläche von ca. 50 qm und besteht aus ca. 2,60 m hohen Stahlelementen, die mit verzinktem Stahldraht ausgefacht sind. Er hält einen seitlichen Grenzabstand zum Nachbargrundstück von 0.90 m ein. In diesem Zwinger hält der Ast. zwei Tiger. Das Grundstück liegt im allgemeinen Wohngebiet. Das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt, lehnte die Erteilung der nachträglich beantragten Baugenehmigung ab und forderte den Ast. auf, nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit das Tiergehege zu beseitigen und die Raubtierhaltung einzustellen. Daraufhin änderte das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt die hinsichtlich der Einstellung der Raubtierhaltung gesetzte Frist dahingehend ab, daß diese Nutzung bis zum 31. 5. 1983 einzustellen sei, weil die Raubkatzen inzwischen herangewachsen seien und sich die von ihnen ausgehende Gefahr in der Zwischenzeit verdichtet habe. Für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung drohte die Behörde ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 DM an und ordnete die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse an. Über die hiergegen erhobenen Widersprüche des Ast. ist noch nicht entschieden. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche hatte keinen Erfolg. |
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Aus den Gründen: |
2. |
Nach § 80 V VwGO kann das VG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen, wenn gem. § 80 II Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung behördlich angeordnet worden ist. Die im Rahmen dieses Verfahrens über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom VG vorzunehmende Interessenabwägung ergibt hier, daß das öffentliche Interesse an der sofortigen Beendigung der Raubtierhaltung das Interesse des Ast. an der Beibehaltung dieser Nutzung während des Rechtsmittelverfahrens überwiegt. |
3. |
Die angefochtene Nutzungsuntersagung, für die das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt nach § 10 Nr. 1 DVO zum allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin - ASOG - zuständig ist, ist offensichtlich nach § 97 I 2 BerlBauO gerechtfertigt. Die Tigerhaltung verstößt eindeutig gegen die planungsrechtlichen Vorschriften über die zulässige Art der baulichen Nutzung. Diese sind gem. § 29 S. 1 BBauG hier anwendbar, weil der Zwinger und damit seine Nutzung nach der landesbauordnungsrechtlichen Regelung des § 80 I 1 BerlBauO genehmigungsbedürftig ist und nicht gem. § 81 BerlBauO unter die genehmigungsfreien Vorhaben fällt. Für das Grundstück des Ast. gelten planungsrechtlich die Festsetzungen des Baunutzungsplans in Verbindung mit den planungsrechtlichen Vorschriften der Bauordnung von 1958 als gem. § 173 III BBauG übergeleitete Bebauungsplanfestsetzungen, sei es - beim Vorhandensein förmlich festgestellter Straßenfluchtlinien - als qualifizierter Bebauungsplan i. S. des § 30 BBauG, sei es als einfacher Bebauungsplan im Rahmen des § 34 I BBauG. Auf dem hiernach als allgemeines Wohngebiet zu nutzenden Grundstück sind nach § 7 Nr. 8 BerlBauO 58 neben den dort im einzelnen genannten, der Wohnnutzung untergeordneten gewerblichen Nutzungen nur "Wohngebäude" zulässig. Diese Regelung läßt zwar auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz Nebenanlagen zu den Wohngebäuden Wohngebäuden zu; für das übergeleitete Berliner Planungsrecht gilt insoweit dasselbe, was ausdrücklich in § 14 BauNutzVO für die durch neue Bebauungspläne geregelte Grundstücksnutzung zugelassen ist. |
4. |
Unter den Begriff der Nebenanlagen fallen grundsätzlich auch Ställe und Tiergehege. Derartige Nebenanlagen sind jedoch ebenso wie die ausdrücklich in den Katalogen für die einzelnen Baugebiete nach § 7 Nrn. 6 ff. BerlBauO 58 genannten Hauptnutzungen nur zulässig, wenn sie nicht gegen die generelle Regelung des § 7 Nr. 5 BerlBauO 58 verstoßen, die im wesentlichen § 15 BauNutzVO für die neueren Bebauungspläne entspricht. Danach sind in den Baugebieten nur bauliche Anlage, Betriebe und sonstige Einrichtungen zulässig, die der Bestimmung des betreffenden Baugebietes nach Art, Umfang und Zweck entsprechen und durch ihre Benutzung keine Nachteile oder Belästigungen verursachen können, die für die nähere Umgebung nicht zumutbar sind. Die Errichtung eines Zwingers für ausgewachsene Tiger entspricht nicht der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets, und seine Benutzung verursacht beträchtliche Nachteile, die für die Nachbarschaft nicht zumutbar sind. Die Tigerhaltung fügt sich nicht in den Rahmen einer städtischen Wohnnutzung ein. Sie überschreitet eindeutig und erheblich diesen Rahmen, der durch das ungestörte Wohnen und die damit verbundenen und untergeordneten Freizeitbeschäftigungen bestimmt wird. Hinsichtlich der Tierhaltung wird dieser Rahmen durch die Hunde- und Kleintierhaltung umschrieben. Er ergibt sich für die in neuen Bebauungsplänen festgesetzten allgemeinen Wohngebiete ausdrücklich aus § 4 III Nr. 6 i. V. mit § 14 BauNutzVO. Erhebliche Nachteile für die Nachbarschaft folgen aus der Tatsache, daß Tiger auch für Menschen gefährliche Raubtiere sind. Allein die Befürchtung, die zwangsläufig in der Nachbarschaft entstehen muß, diese Tiere könnten aus dem Zwinger ausbrechen, führt zu einer Verunsicherung der Umgebung, die unzumutbar ist (vgl. hierzu VGH München, BayVBl 1983, 212 zur Löwenhaltung in einer Wohnumgebung). Darüber hinaus besteht auch tatsächlich keine absolute Sicherheit, daß die Tiere unter keinen Umständen ausbrechen können. Es ist z. B. nicht auszuschließen, daß die Tiere die Betreuungsperson beim Betreten des Zwingers anfallen und sich selbst befreien oder daß Dritte widerrechtlich den Zwinger öffnen. Ob in diesem Zustand auch eine konkrete Gefahr i. S. des § 14 ASOG zu sehen ist, wie der Ast. meint, kann angesichts des Vorliegens der speziell baurechtlichen Eingriffsbefugnis offenbleiben. Die Behörde hat ihre Beseitigungs- und Nutzungsuntersagungsverfügung zutreffend auch auf die zwingende Grenzabstandsregelung des § 7 I, II BerlBauO gestützt, weil der Raubtierzwinger fast die gesamte Breite des erforderlichen Grenzabstandes bedeckt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Zwinger und seine Nutzung auch noch gegen weitere gesetzliche Verbote verstößt. Andere Maßnahmen als die Nutzungsuntersagung und die Beseitigung des Zwingers kommen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände nicht in Betracht. |
5. |
Die geschilderten erheblichen Nachteile für die Nachbarschaft können nicht für die Dauer eines möglicherweise jahrelangen Rechtsstreits hingenommen werden. Es ist unerheblich, daß, wie der Ast. behauptet,seine Nachbarn sich mit der Tierhaltung einverstanden erklärt haben sollen. Denn es kommt auf den Schutz der gesamten Umgebung an. Daß die Tiere, wie der Ast. meint, getötet werden müßten, ist für die Entscheidung ebenfalls ohne Bedeutung, weil dies allein auf die widerrechtliche Aufnahme der Tigerhaltung durch den Ast. zurückzuführen wäre. Daß auch in anderen Bezirken Berlins in einzelnen Fällen Raubtiere auf Wohngrundstücken gehalten werden sollen, ohne daß die Bauaufsicht eingeschritten ist, kann die Behörde nicht davon abhalten, hier von ihren Verpflichtungen zum Schutz der Nachbarschaft Gebrauch zu machen. |