Verwaltungsgericht
Aachen
Beschluss vom 17.2.2004
- 6 L 145/04
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(weitere Fundstellen: NJW 2004, 1888 f.)
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Tatbestand |
1. |
Die Ast. beantragte beim VG einstweiligen Rechtsschutz gem. § 80 V VwGO gegen die gegenüber ihrem Ehemann ausgesprochene Wohnungsverweisung. Das VG lehnte den Antrag ab. |
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Aus den Gründen: |
2. |
Der Antrag ist zwar zulässig. Insbesondere ist die Ast. als Ehefrau des Beigel. analog § 42 II VwGO wegen des in Art. 6 I GG verbürgten und somit auch ihr zuteil werdenden besonderen Schutzes von Ehe und Familie antragsbefugt, weil eine Verletzung des Schutzbereichs dieses Grundrecht durch die angefochtene Polizeiverfügung jedenfalls möglich erscheint. |
3. |
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Bei der im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 80 V VwGO gebotenen Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts einerseits und dem Individualinteresse der betroffenen Ast., vorläufig von den Auswirkungen der sofortigen Vollziehung der Verfügung verschont zu bleiben, überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse. Denn die angefochtene Verfügung des Ag., die gem. § 80 II 1 Nr. 2 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, erweist sich bei summarischer Betrachtung als rechtmäßig. |
4. |
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a NWPolG. Nach § 34 a I 1 NWPolG kann die Polizei eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen. Gemäß § 34 a V 1 NWPolG enden Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot regelmäßig mit Ablauf des zehnten Tags nach ihrer Anordnung, soweit nicht die Polizei im Einzelfall ausnahmsweise eine kürzere Geltungsdauer festlegt. |
5. |
Diesen Anforderungen genügt die vom Ag. am 12. 2. 2904 zunächst mündlich erlassene und später schriftlich bestätigte Verfügung, mit der dem Beigel. die Rückkehr in die eheliche Wohnung zunächst bis zum 24. 2. 2004, durch Änderungsverfügung vom heutigen Tage nunmehr noch bis zum 22. 2. 2004, untersagt wurde. |
6. |
Ausweislich der Begründung der angefochtenen Verfügung, des Inhalts der Strafanzeige, des „Ergänzenden Berichts zur Strafanzeige in Fällen häuslicher Gewalt" sowie 4er „Dokumentation über den polizeilichen Einsatz bei häuslicher Gewalt" ist es am 12. 2. 2004 in der von der Ast. gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Beigel., und den beiden drei und neun Jahre alten Kindern sowie dem Säugling bewohnten Wohnung zu einem Polizeieinsatz gekommen. Anlass für den Polizeieinsatz war der Hilferuf von Nachbarn, die der Polizei mitteilten, in der Wohnung der Ast. und des Beigel. sei es zu einer Schlägerei gekommen. Nach den Angaben der Bet, habe der Beigel. erhebliche Mengen Alkohol (etwa zehn Flaschen Bier) konsumiert, Dann sei es zu einem heftigen Streit gekommen, in dessen Verlauf der Beigel. der Tochter mit der flachen Hand derart ins Gesicht geschlagen habe, dass diese eine sichtbare Schwellung der rechten Gesichtshälfte davongetragen habe. Die Ast. selbst sei vom Beigel. mehrfach mit der Faust derart auf die rechte Gesichtshälfte geschlagen worden, dass dies zu einer Schwellung der Wange, einem Hämatom am rechten Auge sowie einer blutenden Unterlippe geführt habe. Dann habe er sie auf den Boden gestoßen, ihr einen Büschel Haare ausgerissen und ihr mit dem beschuhten Fuß mehrfach in den Rücken und in die rechte Seite getreten. Nach den Angaben der Ast. sei es in der Vergangenheit mehrfach zu Gewalttätigkeiten dieser Art gekommen. Der Beigel. neige insbesondere nach Alkoholgenuss zu Gewalttätigkeiten gegenüber der Familie. Die Ast. und der Beigel. räumen diesen Sachverhalt im Wesentlichen als unstreitig ein. Lediglich die Verletzung der Tochter sei auf ein Versehen zurückzuführen. Der Beigel. führt weiter sinngemäß aus, er habe jetzt kein Alkoholproblem mehr, es habe sich vielmehr um einen einmaligen „Ausrutscher" gehandelt. |
7. |
Vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts ist die im Zeitpunkt des Einschreitens der Polizeibeamten getroffene Einschätzung, es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es bei einem Verbleib des Beigel. in der gemeinsamen Wohnung bzw. bei einer kurzfristigen Rückkehr zu Gewalttätigkeiten kommen werde, nicht zu beanstanden. Die Polizeibeamten sind angesichts dessen, dass durch den Vorfall entgegen der Einschätzung des Beigel. sehr wohl ein bei diesem aktuell bestehendes und nach wie vor nicht bewältigtes Alkohol- und Gewaltproblem belegt worden ist, zu Recht von einer gegenwärtigen Gefährdungssituation für die Ast. und die gemeinsamen Kinder ausgegangen. Die zur Abwehr dieser Gefahr getroffene Entscheidung bleibt, nachdem durch Änderungsverfügung vom heutigen Tag die zunächst gesetzte Frist auf zehn Tage verkürzt worden ist, auch im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung. Ermessensfehler sind ebenfalls nicht zu erkennen. |
8. |
Auch der Umstand, dass die Ast. nunmehr beantragt, das Rückkehrverbot aufzuheben, und vorträgt, alles sei „halb so schlimm" gewesen, dem Beigel. sei einfach „die Hand ausgerutscht", führt nicht zu einer anderen Bewertung. Denn entscheidend für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung ist nicht die eigene – nachträgliche – Einschätzung der Gefahrenlage durch das Opfer, sondern vielmehr die durch die Polizei vorgenommene Gefährdungsprognose im Zeitpunkt ihres Einschreitens (vgl. hierzu auch: VG Aachen, u. a. Beschl. v. 20. 8. 2003 – 6 L 979/03; Beschl. v. 26. 5. 2003 – 6 L 589/03, und Beschl. v. 4. 3. 2003 – 6 L 237/03; krit. Collin, DVBl 2003, 1499). Diese ist aber – gerade unter Berücksichtigung der Einlassung der Ast. anlässlich ihrer Strafanzeige vom 12. 2. 2004 – nicht zu beanstanden. |
9. |
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass nach dem jetzigen Sach- und Streitstand einiges dafür spricht, dass infolge übermäßigen Alkoholkonsums die Steuerungsfähigkeit des Beigel. erheblich eingeschränkt sowie dessen Hemmschwelle herabgesetzt wird, so dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, das sich dessen bereits gezeigte Aggressivität und Gewaltbereitschaft in einem ähnlichen Zustand jederzeit wiederholen und gerade auch gegen die Ast. selbst richten kann. Das Entstehen einer solchen Gefährdungssituation kann angesichts der betroffenen Rechtsgüter von Leib und Leben der Ast. nicht erst abgewartet werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass auch die Tochter durch Schläge des Beige1, in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Zwar stellen die Ast. und der Beigel. insoweit übereinstimmend den Vorfall als bloßes Versehen dar. Angesichts der festgestellten Verletzungen der Tochter hält die Kammer die Behauptung, es hätte sich „lediglich" um eine folgenlose Ohrfeige gehandelt, jedoch nicht für glaubhaft. |
10. |
Die Kammer übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass das aus Art. 2 I GG folgende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit grundsätzlich auch beinhaltet, dass der Einzelne sich – in gewissem Rahmen – selbst gefährden darf. Der aus Art. 2 II GG folgende Schutzauftrag des Staats (für Leben und körperliche Unversehrtheit) kann daher in Konflikt geraten mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen (vgl. hierzu Gollin, DVBl 2003, 1499 [1503 f.] m. w. Nachw.). Es mag daher durchaus Fallgestaltungen geben, in denen die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eines Gewaltopfers, das mit der Rückkehr des Gewalttäters einverstanden ist, eine bewusste Selbstgefährdung bedeuten und den Schutzauftrag des Staats zurückdrängen kann. Im vorliegenden Fall kann aber angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit verlässlich beurteilt werden, ob der von der Ast. geäußerte und in ihrem Antrag zum Ausdruck kommende Wunsch, der Beigel. solle in die gemeinsame Wohnung zurückkehren, tatsächlich auf einer unbeeinflussten und freien Willensentscheidung beruht oder vielmehr geprägt ist von einem möglichen – wirtschaftlichen oder sozialen – Abhängigkeitsverhältnis zum Beigel. Kann ein freier Willensentschluss des Gewaltopfers aber nicht sicher und zweifelsfrei konstatiert werden, so wird dem Schutzauftrag des Staats regelmäßig der Vorrang einzuräumen sein. Im vorliegenden Fall führt der Wunsch der Ast. – abgesehen davon, dass nicht sie alleine, sondern in gleicher Weise ihre Kinder gefährdet sind (!) – daher nicht im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null zu einem Anspruch auf Aufhebung des Rückkehrverbots. |