Oberverwaltungsgericht Thüringen
Beschluss vom 29.8.1997
- 2 ZEO 1037/97 u. 2 EO 1038/97
-

(weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1998, 492)

Leitsätze

1.

 Ernstliche Zweifel iSd § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO bestehen nur dann, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Mißerfolg.

2.

Die Entscheidung über die Beschwerde darf zusammen mit der Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde ergehen, wenn dies wegen der besonderen Eilbedürftigkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und die Beteiligten hinreichend Gelegenheit zum abschließenden Vortrag auch bezüglich der Sachentscheidung hatten.

3

Eine Versammlung iSd VersG (VersammlG) liegt dann vor, wenn eine Mehrheit natürlicher Personen zusammenkommt, um gemeinsam Diskussionen zu führen oder/und eine Meinung kundzutun; entscheidend ist, daß die Veranstaltung auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform ausgerichtet ist. Bei Veranstaltungen mit unterhaltendem oder kulturellem Charakter liegt keine Versammlung iSd VersG (VersammlG) vor.

4.

Die Öffentlichkeit einer Versammlung bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfaßt. Einladungen nur an einen bestimmten Personenkreis führen zur Nichtöffentlichkeit der Versammlung. Stellt der Veranstalter hingegen nicht sicher, daß nur die eingeladenen Personen Zutritt zu der Versammlung haben - man also "unter sich" bleibt -, liegt eine öffentliche Versammlung vor.

5.

Ein geselliges Beisammensein von Parteitagsdelegierten und geladenen Gästen in engem Zusammenhang mit einem Parteitag ist eine Versammlung iSd VersG (VersammlG). Ob diese Versammlung öffentlich oder nichtöffentlich ist, bestimmt sich danach, ob gewährleistet ist, daß man "unter sich" bleibt. Dürfen Einladungen frei kopiert und weitergegeben werden, ist die Versammlung öffentlich.

6.

Die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde im Rahmen des § 5 Nr 4 VersG (VersammlG) für ein Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räumen sind jedenfalls nicht geringer als diejenigen gem § 15 Abs 1 VersG (VersammlG) für ein Verbot einer Versammlung im Freien. Ein zum Einschreiten berechtigender Sachverhalt liegt demzufolge erst dann vor, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist.

Zum Sachverhalt

1.

Die Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot des von ihr im Anschluß an ihren Parteitag im Zuständigkeitsbereich des Ag. geplanten “Kameradschaftsabends”. Die Ast. plante für den 30.8.1997 einen außerordentlichen Parteitag zur Wahl ihrer Listenkandidaten für die Bundestagswahl 1998. In der Einladung der Mitglieder heißt es: “Anschließend Kameradschaftsabend mit Partnern, Freunden und Gästen: Es spielen nationale Gruppen und Liedermacher”. Statt eines Tagungsortes wird ein Anlaufpunkt bekanntgegeben, der vor Beginn des Parteitages und des Kameradschaftsabends besetzt sein soll. Auf Initiative des Ag., der von dem Kameradschaftsabend Kenntnis erlangt hatte, fand am 28.8.1997 ein Kooperationsgespräch statt. Im Anschluß daran verbot der Ag. mit Bescheid vom 29.8.1997 den nach dem außerordentlichen Landesparteitag der Ast. am 30.9.1997 in der Gaststätte “F” in K. vorgesehenen Kameradschaftsabend, erstreckte das Verbot auf jede Art von Ersatzveranstaltungen sowohl unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an. Noch am selben Tag hat die Ast. Widerspruch eingelegt und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Das VG hat mit Beschluß vom 29.8.1997 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Ast. gegen die Verbotsverfügung des Ag. insoweit wiederhergestellt, als der für den am 30.8.1997 im Anschluß an den Parteitag der Ast. angesetzte Kameradschaftsabend mit Ausnahme des Auftritts von “Künstlern” und der Teilnahme von Herrn S stattfinden dürfe.

2.

Das OVG hat auf Antrag der Ast. die Beschwerde zugelassen und dieser stattgegeben.

Aus den Gründen:

II.

3.

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist begründet, denn der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt vor.

4.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen nur dann, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels - hier der Beschwerde - wahrscheinlicher ist als der Mißerfolg (vgl. HessVGH, B. v. 4.4.1997 - AuAS 1997, 158; Seibert, DVBl. 1997, 932 m.w.N.). Die ernstlichen Zweifel müssen zudem rechtserheblich sein. Sie müssen also eine Frage betreffen, deren Beantwortung im vom Rechtsmittelführer gewünschten Sinne wahrscheinlich zu einem anderen Entscheidungsergebnis führen würde. Ist also das Entscheidungsergebnis wahrscheinlich zutreffend - weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf eine weitere selbständig tragende und nicht erfolgreich angegriffene Begründung gestützt hat oder weil sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt -, dann kann eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfolgen. Diese Vorschrift soll die Korrektur unrichtiger Entscheidungen, nicht die Korrektur fehlerhafter Begründungen ermöglichen (vgl. NdsOVG, B. v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97 - DÖV 1997, 697 (nur LS); Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, § 124 Rdn. 16; Seibert, DVBl. 1997, 932, 934).

5.

Im vorliegenden Fall liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses vor, denn dieser ist - wie im folgenden noch dargelegt wird - unrichtig..

III.

6.

Die Beschwerde ist ebenfalls begründet.

7.

Die Entscheidung über die Beschwerde darf zusammen mit der Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde ergehen, weil die Beteiligten hierüber in Kenntnis gesetzt worden sind und hinreichend Gelegenheit zum abschließenden Sachvortrag nicht nur zur Zulassungs-, sondern auch zur Sachentscheidung hatten und dies außerdem wegen der besonderen Eilbedürftigkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist (vgl. VGH BW, B. v. 12.2.1997 - 7 S 430/97 - DVBl. 1997, 661; NdsOVG, B. v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97 - DÖV 1997, 697 (nur LS); Lotz, BayVBl. 1997, 257, 264).

8.

Die Beschwerde ist begründet, weil das Verwaltungsgericht dem - zulässigen und begründeten - Eilantrag der Antragstellerin nicht in vollem Umfang stattgegeben hat.

9.

 Zunächst ist es bedenklich, daß das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin "insoweit wiederhergestellt (hat), als der ... Kameradschaftsabend mit Ausnahme des Auftritts von "Künstlern" und der Teilnahme von Herrn S. stattfinden darf". Weder § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, wonach die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederhergestellt werden kann, noch § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO, wonach die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden kann, dürften einen solchen Ausspruch rechtfertigen. Die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in sachlicher Hinsicht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt nämlich die Teilbarkeit des Verwaltungsaktes voraus (vgl. nur Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Schoch, VwGO, § 80 Rdn. 294). Hieran dürfte es im Fall des Verbots eines Kameradschaftsabends, der seinen wesentlichen Inhalt gerade im Auftritt von Künstlern hat, fehlen. Ist die angefochtene Verfügung aber unteilbar, so kann die aufschiebende Wirkung gegen die rechtswidrige Verbotsverfügung nur insgesamt wiederhergestellt werden; es bleibt dann der Behörde überlassen, die Voraussetzungen für eine neue - rechtmäßige - Verbotsverfügung zu prüfen und eine Ermessensentscheidung über ihren Erlaß - ggfs. verbunden mit Auflagen - zu treffen. Auch § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtfertigt den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht, denn es liegt keine Auflage im Sinne dieser Vorschrift vor. Auflagen i.S.d. § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO betreffen nicht unmittelbar den Inhalt des Verwaltungsaktes, bezüglich dessen die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet werden soll, sondern sind spezielle, auf die Zwecke des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens zugeschnittene Nebenbestimmungen (vgl. BayVGH, B. v. 4.11.1977 - Nr. 34 IX 77 - BayVBl 1978, 182; U. v. 6.9.1990 - 22 B 90.500 - NVwZ-RR 1991, 159; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Schoch, VwGO, a.a.O., § 80 Rdn. 296; Kopp, VwGO, 10. Aufl. 1994, § 80 Rdn. 75). Eine solche Auflage hätte im vorliegenden Fall etwa die Anordnung von Einlaßkontrollen seien können.

10.

Der zulässige Eilantrag der Antragstellerin ist in vollem Umfang begründet. Zwar ist der Sofortvollzug der Verbotsverfügung des Antragsgegners formell fehlerfrei ergangen; insbesondere ist die gem. § 80 Abs. 3 VwGO erforderliche Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß erfolgt. Die im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt jedoch zugunsten der Antragstellerin aus, weil die Verbotsverfügung des Antragsgegners offensichtlich rechtswidrig ist.

11.

Die Verbotsverfügung des Antragsgegners ist zwar formell rechtmäßig. Insbesondere ist im Rahmen des Kooperationsgespräches die gem. § 28 ThürVwVfG vor Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes erforderliche Anhörung erfolgt.

12.

Die Verbotsverfügung des Antragsgegners ist jedoch materiell rechtswidrig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage insbesondere nicht in der vom Antragsgegner herangezogenen Vorschrift des § 5 Nr. 4 VersG, wonach die Abhaltung einer öffentlichen Versammlung im Einzelfall verboten werden kann, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.

13.

Der von der Antragstellerin geplante Kameradschaftsabend im Anschluß an ihren Parteitag ist zwar - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - eine Versammlung im Sinne des VersG.

14.

Eine Versammlung i.S.d. VersG ist dann gegeben, wenn eine Mehrheit natürlicher Personen zusammenkommt, um gemeinsam Diskussionen zu führen oder/und eine Meinung kundzutun (vgl. Zeitler, Versammlungsrecht, 1994, Rdn. 2 ff.; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 11. Aufl. 1994, VersG, § 1 Rdn. 198; Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier-Ridder, Versammlungs-recht, 1992, VersG, § 1 Rdn. 12 ff.). Ob es sich insoweit um eine öffentliche Angelegenheit handeln muß, ist umstritten (bejahend Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O.; verneinend Zeitler, a.a.O., Rdn. 17; Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier-Ridder, a.a.O., § 1 Rdn. 22; Ott/Wächtler, VersG, 6. Aufl. 1996, § 1 Rdn. 6). Nicht erfaßt sind jedenfalls Zusammenkünfte rein gesellschaftlicher Art (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, a.a.O., § 1, Rdn. 201; Ott/Wächtler, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 8; Zeitler, VersG, a.a.O., Rdn. 21 ff.). Entscheidend ist der Zweck der Veranstaltung, bestimmte Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern, zu beraten oder kundzugeben (vgl. Ott/Wächtler, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 11). Art. 8 GG und das Versammlungsgesetz schützen das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage). Entscheidend ist, daß die Veranstaltung auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform ausgerichtet ist (vgl. BVerwG, U. v. 21.4.1989 - BVerwG 7 C 50/88 - BVerwGE 82, 34, 38 f = NJW 1989, 2411 = DVBl. 1989, 995 = DÖV 1989, 1038 = Buchholz 442.151 § 29 StVZO Nr. 2; U. v. 7.6.1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63, 69 = NJW 1978, 1933 = DÖV 1978, 887 = DVBl. 1979, 157 = Buchholz 11 Art. 5 GG Nr. 42). Bei Veranstaltungen mit unterhaltendem oder kulturellem Charakter liegt keine Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes vor (vgl. Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier-Ridder, VersG, § 1 Rdn. 24).

15.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall noch vom Vorliegen einer Versammlung auszugehen. Zwar handelt es sich bei dem Kameradschaftsabend um ein geselliges Beisammensein mit kulturellen Darbietungen, was als solches nicht dem Versammlungsbegriff des VersG unterfällt. Durch den engen Bezug zum vorangegangen Parteitag ist jedoch zu erwarten, daß auch über Personen und Inhalte des Parteitages diskutiert, der Parteitag gewissermaßen "nachbearbeitet"  wird.  Dies  stellt   eine  Meinungsbildung   bzw.  -äußerung in Gruppenform dar. Damit hat der Kameradschaftsabend wegen seines Charakters als "Anschlußveranstaltung" zum Parteitag eine politische Komponente, die es gerechtfertigt erscheinen läßt, ihn dem Versammlungsbegriff des VersG - mit dem daraus folgenden Schutz - zu unterwerfen.

16.

Die Versammlung ist - ebenfalls entgegen der Auffassung der Antragstellerin - auch öffentlich.

17.

Die Öffentlichkeit einer Versammlung bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfaßt (vgl. BVerwG, B. v. 14.2.1996 - BVerwG 1 B 203.95 - Buchholz 11 Art. 8 Nr. 8; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 162, 172). Öffentlich sind Versammlungen dann, wenn der Zutritt nicht durch die Einladung, die Ankündigung oder in sonstiger Weise auf einen individuell bezeichneten Personenkreis beschränkt, sondern grundsätzlich jedermann gestattet ist (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 208; Zeitler, Versammlungsrecht, a.a.O., Rdn. 36; Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier-Ridder, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 30; Ott/Wächtler, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 29; Krüger, Versammlungsrecht, 1994, S. 29). Einladungen nur an einen bestimmten Personenkreis führen zur Nichtöffentlichkeit der Versammlung. Dementsprechend sind Mitgliederversammlungen von Parteien und Gewerkschaften keine öffentlichen Versammlungen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 209; Zeitler, Versammlungsrecht, a.a.O., Rdn. 36). Die nichtöffentliche Parteiversammlung verliert diese Eigenschaft auch dann nicht, wenn am Eingang eine Kontrolle der Mitgliedsausweise nicht stattfindet (vgl. Zeitler, a.a.O.). Werden in die Mitgliederversammlung eines Vereins aber wahllos Gäste aufgenommen, liegt eine öffentliche Versammlung vor (vgl. Ott/Wächtler, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 30, der weitergehend die Öffentlichkeit auch dann annimmt, wenn die Anzahl der Gäste die der Vereinsmitglieder überwiegt; hiergegen unter Hinweis auf fehlende Praktikabilität dieser Unterscheidung: Zeitler, Versammlungsrecht, a.a.O., Rdn. 36). Wird die Mitgliedseigenschaft der Teilnehmer kontrolliert und sind Gäste nicht oder nur im Ausnahmefall zugelassen, liegt eine nichtöffentliche Versammlung vor; die Zulassung einzelner Gäste, insbesondere von Angehörigen der Vereinsmitglieder, macht eine geschlossene Veranstaltung nicht zu einer öffentlichen (vgl. Ott/Wächtler, VersG, a.a.O., § 1 Rdn. 30).

18.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Öffentlichkeit des Kameradschaftsabends noch zu bejahen. Zwar hat ein geselliges Beisammensein im Anschluß an einen Parteitag auch dann nichtöffentlichen Charakter, wenn hierzu nicht lediglich die Parteitagsdelegierten, sondern auch deren Angehörige und bestimmte sonstige Gäste Zutritt haben. Maßgeblich hierfür ist, daß man "unter sich" bleiben will. Es kann dahinstehen, ob die Öffentlichkeit einer Versammlung bereits dann anzunehmen ist, wenn zu ihr auch solche Personen Zugang haben, für die andere die Bürgschaft übernommen haben (so BVerwG, B. v. 14.2.1996, a.a.O.). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Einladung zu der Versammlung von den Eingeladenen kopiert und frei weitergegeben werden darf, ohne daß eine Kontrolle oder Einschränkung durch den Veranstalter stattfindet, ist von der Öffentlichkeit der Versammlung auszugehen. In diesem Fall will man eben nicht "unter sich" bleiben, sondern öffnet sich bewußt für die - wenn auch beschränkte - Öffentlichkeit. Hierfür spricht im vorliegendem Fall auch der Umstand, daß der Veranstalter für den Parteitag mit 70, für den Kameradschaftsabend aber mit 300 Teilnehmern rechnet. Dieses Verhältnis in Verbindung mit der unbeschränkten Weitergabemöglichkeit der Einladung belegt die Öffentlichkeit der Versammlung.

19.

Die Verbotsverfügung des Antragsgegners ist aber rechtswidrig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Nr. 4 VersG nicht vorliegen und außerdem das Ermessen fehlerhaft betätigt worden ist.

20.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Nr. 4 VersG liegen nicht vor. Es werden keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.

21.

Unabhängig davon, ob man § 5 Nr. 4 VersG für verfassungsrechtlich bedenklich hält (so Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier-Ridder, VersG, a.a.O., § 5 Rdn. 61 ff.; dagegen Krüger, Versammlungsrecht, a.a.O., S. 82 ff.) oder nicht, ist er als Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken des Versammlungsrechts des Art. 8 GG eng auszulegen (vgl. Maunz/Dürig-Herzog, GG, Art. 8 Rdn. 136; Zeitler, a.a.O., Rdn. 235). Anders als die Verbotsgründe der Nummern 1 bis 3 bezieht sich § 5 Nr. 4 VersG nicht auf die äußeren Begleitumstände der Versammlung, sondern auf Kommunikationsinhalte. Die ausdrückliche Entscheidung in Art. 8 GG für einen Gesetzesvorbehalt ausschließlich für Versammlungen unter freiem Himmel darf nicht unterlaufen werden. Andererseits bleiben strafbare Äußerungen auch in einer Versammlung verboten. Eine Versammlung gewährt dem Einzelnen keinen Freiraum für Gesetzesübertretungen. Der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG wird insoweit Rechnung getragen, als Beschränkungen der Versammlungsfreiheit nur bei den in § 5 Nr. 4 VersG genannten Delikten und nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich sind. Im Einzelfall kann es daher geboten sein, entsprechende Äußerungen im Wege der Auflage zu verbieten und im Falle des Verstoßes ein Strafverfahren einzuleiten (vgl. Zeitler, a.a.O., Rdn. 235).

22.

Es kann dahinstehen, welche Anforderungen an die Tatsachenfeststellung und die Prognoseentscheidung der Behörde im Rahmen des § 5 Nr. 4 VersG zu stellen sind. Die Anforderungen können insoweit jedenfalls nicht geringer sein als beim Verbot einer Versammlung im Freien gem. § 15 Abs. 1 VersG. Hierfür geht der Senat in ständiger Rechtsprechung von folgendem aus:

23.

Die behördliche Eingriffsbefugnis wird dadurch begrenzt, daß Verbote und Auflösungen nur bei einer "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. In Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung vertritt dabei der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt werden (vgl. z.B. ThürOVG, ThürVBl. 1994, 115). In dem soeben zitierten Beschluß heißt es weiter: "Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz, daß es auf "erkennbaren Umständen" beruhen muß, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. Zu den erkennbaren Umständen zählen alle Tatsachen, die einen Schluß auf das künftige Verhalten der Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung zulassen. Deshalb können neben einschlägigen strafgerichtlichen Verurteilungen auch Tatsachen und Erkenntnisse aus strafrechtlichen Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Veranstalter und Teilnehmer ebenso berücksichtigt werden wie den Behörden sonst bekanntgewordene Äußerungen und Verhaltensweisen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde aber insbesondere bei Erlaß eines vorbeugenden Verbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei irriger Einschätzung die Möglichkeit einer späteren Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG verbleibt" (vgl. hierzu auch BVerfGE 69, S. 315 (342 ff.) = NJW 1985, 2395 sowie ThürOVG, B. v. 13.10.1995 - 2 EO 647/95).

24.

Ferner wird in dem Beschluß ausgeführt: "Bei erforderlichen Eingriffen haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze zudem stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Nicht jedes beliebige Interesse rechtfertigt eine Einschränkung dieses Freiheitsrechts. Denn das durch Art. 8 GG gewährleistete Freiheitsrecht schützt Versammlungen und Aufzüge als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Dieser Schutz erstreckt sich auch auf Versammlungen, auf denen es zu Meinungsäußerungen in plakativer oder in aufsehenerregender Form kommt. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem Andersdenkenden zukommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Das Versammlungsrecht ist ein Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers. Neben der organisierten Mitwirkung in Parteien bleibt dem Einzelnen im allgemeinen nur diese Möglichkeit einer kollektiven Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit. Die mit der Ausübung dieses Grundrechts zwangsläufig verbundenen Belästigungen müssen Dritte dann im allgemeinen ertragen, solange keine unmittelbare Gefährdung anderer gleichwertiger Güter gegeben ist. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung wird im allgemeinen nicht genügen." An dieser Rechtsauffassung hält der erkennende Senat ausdrücklich fest (vgl. ThürOVG, B. v. 9.8.1996 - 2 EO 669/96 - NVwZ - RR 1997, 287 = DVBl. 1996, 1446 = NJ 1997, 102 = ThürVBl. 1997, 34).

22.

Nach BVerwG, B. v. 21.8.1985 - BVerwG 1 B 11.85 - Buchholz 402.44 § 15 VersG Nr. 6 stellt der Begriff der unmittelbaren Gefährdung auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts in dem Sinne, daß ein zum Einschreiten berechtigender Sachverhalt erst vorliegt, wenn der Eintritt eines Schadens fast mit Gewißheit zu erwarten ist.

25.

Ausgehend hiervon genügen die Feststellungen des Antragsgegners in der Verbotsverfügung den Anforderungen des § 5 Nr. 4 VersG nicht. Zunächst rechtfertigt die bloße Teilnahme einzelner Personen an einer Versammlung der oben dargestellten Art, bei der keine Reden gehalten, sondern lediglich Lieder vorgetragen werden, die Prognose, es werde zu volksverhetzenden Äußerungen kommen, auch dann nicht, wenn es sich um exponierte Vertreter des rechtsextremen Spektrums handelt. Anders als bei Reden in öffentlicher Versammlung dürfte bei bloßen Tischgesprächen die Gefahr einer Handlung, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören" (§ 130 StGB; Volksverhetzung), eher gering sein. Auch das Verhalten der Antragstellerin bzgl. der Benennung der auftretenden Künstler erfüllt die dargestellten Anforderungen nicht. Zwar wird man aus dem Maß der Kooperationsbereitschaft des Veranstalters im Vorfeld der Versammlung durchaus - positive oder negative - Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit von Gesetzesverletzungen ziehen können. Im vorliegenden Fall ist es aber bereits zweifelhaft anzunehmen, daß die Antragstellerin insoweit nicht kooperativ war. Zwar hat sie im Kooperationsgespräch unter Hinweis auf Bitten der auftretenden Personen keine Namen genannt, diese aber später nachgeschoben. Ob die Formulierung "waren vorgesehen" die Schlußfolgerung des Antragsgegners rechtfertigt, die Antragstellerin habe nunmehr andere Personen engagiert und verschweige deren Namen, kann dahinstehen. Wenn der Antragsgegner nicht weiß, welche Gruppen auftreten, und im Kooperationsgespräch vom Veranstalter geäußert wird, bestimmte extremistische Gruppen würden nicht zugelassen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß nunmehr andere Personen auftreten, die hierbei Straftaten der in § 5 Nr. 4 VersG genannten Art begehen, zumal die Antragstellerin im Kooperationsgespräch geäußert hatte, daß es fraglich sei, ob überhaupt Künstler auftreten würden oder Musik von Tonträgern gespielt werde. Zumindest hätte der Antragsgegner bezüglich der von der Antragstellerin genannten Gruppen prüfen müssen, ob insoweit mit volksverhetzenden Äußerungen oder Liedinhalten zu rechnen ist. Der vom Antragsgegner gezogene Schluß ist um so weniger gerechtfertigt, als die Antragstellerin - mangels einer gerichtlichen Klärung des rechtlichen Charakters einer Veranstaltung der von ihr geplanten Art - von der Nichtöffentlichkeit ihrer Veranstaltung und von einem Recht zum Verschweigen der Namen der auftretenden Personen ausging. Im übrigen ist auch hier der Kontext des Kameradschaftsabends zu dem vorangegangenen Parteitag zu sehen, so daß bereits auf der Tatbestandsebene der Ausstrahlungswirkung der Art. 8 und 21 GG Rechnung getragen werden muß.

26.

Selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des § 5 Nr. 4 VersG würde sich die Verbotsverfügung als ermessensfehlerhaft darstellen (vgl. § 114 VwGO). Es kann dahinstehen, ob dies bereits daraus folgt, daß der Antragsgegner im Falle von tatsächlich erfolgenden Rechtsverstößen nachträglich hätte einschreiten können. In jedem Falle hätte er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Auflagen Rechnung tragen können, zumal die Antragstellerin im Kooperationsgespräch ausdrücklich erklärt hat, Auflagen zu akzeptieren. Eine solche Auflage an die Antragstellerin hätte etwa darin bestehen können, bestimmte Gruppen oder Personen nicht auftreten zu lassen oder im Falle von strafbaren Handlungen einzuschreiten und vom Hausrecht Gebrauch zu machen. Deshalb kann dahinstehen, ob die vom Antragsgegner in der Verbotsverfügung genannten Gesichtspunkte für deren Erlaß auch tatsächlich diejenigen sind, die ihn zum Erlaß der Verbotsverfügung bewogen haben; gewisse Bedenken ergeben sich insoweit aus dem Umstand, daß die Gründe, die der gesetzliche Vertreter des Antragsgegners in dem Kooperationsgespräch als für ein mögliches Verbot maßgeblich bezeichnet hat, andere als die in der Verbotsverfügung genannten sind.

27.

Zusammenfassend ist zu betonen, daß auch (rechts - oder links-)radikale Parteien den Schutz der Art. 21, 8 GG genießen, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht gem. Art. 21 Abs. 2 GG verboten sind, und Personen solange an Versammlungen teilnehmen können, bis das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 18 GG festgestellt hat, daß sie das Grundrecht des Art. 8 GG verwirkt haben. Aus Art. 21 GG folgt das Recht, sowohl Parteitage als auch ein Anschluß- oder Rahmenprogramm mit geselligem und/oder kulturellem Charakter zu veranstalten. Verbote in diesem Bereich müssen den - im Lichte der Art. 8 und 21 GG auszulegenden - strengen Voraussetzungen der Vorschriften des Versammlungsgesetzes genügen.