Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
Urteil vom 9.3.1984
- 2 R 175/82 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ 1985, 122)

 

Leitsatz:

 

Schon das Fehlen der erforderlichen bauaufsichtsbehördlichen Genehmigung rechtfertigt in aller Regel den Erlaß eines Nutzungsverbots (Aufgabe der durch Urteil vom 6. 3. 1972 - II R 97/71 -, BRS 25 Nr. 210, begründeten Senatsrechtsprechung); eine Ausnahme gilt allenfalls dann, wenn die betreffende Nutzung erst nach ihrer Aufnahme unzulässig wurde und bestandsgeschützt ist oder den einschlägigen materiellrechtlichen Vorschriften offensichtlich nicht zuwiderläuft.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die Kl. unterhält ein Fuhrunternehmen und benutzt dabei ein teils betoniertes, teils aufgeschüttetes und eingeebnetes Grundstück. Unter Berufung darauf, daß dafür keine bauaufsichtsbehördliche Genehmigung vorliege, hat der Bekl. ihr diese Nutzung untersagt. Die dagegen gerichtete Klage blieb in beiden Rechtszügen erfolglos.

 

Aus den Gründen:

2.

... Erweist sich mithin die Ingebrauchnahme des Anwesens durch die Kl. zu Betriebszwecken als formell illegal, so rechtfertigt bereits das allein die Annahme eines Verstoßes gegen öffentlichrechtliche Vorschriften im Verständnis des § 104 I 2 SaarlBauO und damit die vom Bekl. getroffene(n) Anordnung(en). Allerdings hat der Senat in früheren Entscheidungen den gegenteiligen Standpunkt eingenommen (grdl. Urt. v. 6. 3. 1972, BRS 25 Nr. 210), diesen jedoch in der Zwischenzeit schon mehrfach als überprüfungsbedürftig gekennzeichnet. Diese Überprüfung ergibt, daß sich die frühere Rechtsprechung nicht uneingeschränkt aufrechterhalten läßt (ebenso im Ergebnis: OVG Lüneburg, OVGE 21, 385; VGH München, BayVBl 1976, 691 Nr. 2, sowie BayVBl 1980, 246 und 1982, 51; VGH Kassel, BRS 33 Nr. 192 und wohl auch NVwZ 1983, 687; gegenteiliger Auffassung: OVG Koblenz, BRS 18 Nr. 145; OVG Münster, BRS 23 Nr. 205; VGH Mannheim, BRS 39 Nr. 61).

3.

Im Kern beruhte diese Rechtsprechung auf einer nicht näher begründeten Gleichstellung der in § 104 I SaarlBauO und der in § 104 I 2 SaarlBauO geregelten Fälle, wozu es in dem Urteil des Senats vom 6. 3. 1972, aaO, lediglich heißt, die Rechtmäßigkeit des Benutzungsverbots hänge "wie im Falle einer Abbruchsanordnung, der das Benutzungsverbot sowohl hinsichtlich seiner Voraussetzungen, als auch in seiner Zielsetzung gleichgeordnet ist", davon ab, ob die Nutzung "nicht nur gegen das formelle, sondern auch gegen das materielle Baurecht verstößt". Das läßt sich zunächst nicht mit dem Hinweis auf den Beschluß des OVG Koblenz (aaO), rechtfertigen, der tragend auf der jedenfalls heute und für das Saarland unzutreffenden Annahme beruht, die Baugenehmigung sei nur für die Errichtung einer baulichen Anlage, nicht aber für deren Nutzung von rechtlichem Belang, und geht zudem über einen gravierenden Unterschied zwischen Beseitigungsanordnung und Nutzungsverbot hinweg: Während mit dem Vollzug einer Abrißverfügung stets ein bereits neugeschaffener Vermögensgegenstand vernichtet wird, dessen Verlust dem Betroffenen ungeachtet der Unerlaubtheit seiner Herstellung mit Blick auf Art. 14 GG nur zumutbar erscheint, wenn die Anlage "als solche" rechtswidrig ist, wirkt sich ein Benutzungsverbot im Regelfall allein dahin aus, daß der eine Anlage unerlaubt Nutzende ohne zusätzlichen Verlust an Vermögenssubstanz lediglich hinter die formellen Schranken des Baurechts zurückgedrängt und gezwungen wird, etwaige diesbezügliche Vermögensinteressen auf dem dafür verfassungsrechtlich unbedenklich vorgeschriebenen Weg der Genehmigungsbeantragung weiterzuverfolgen. Das gilt auch dann, wenn die beanstandete Nutzung im Rahmen eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs stattfindet; denn im Falle der (Bau-) Genehmigungsabhängigkeit des Betriebs besteht dieses Recht nur im Rahmen jener Genehmigung (BVerfGE 58, 300 (353) = NJW 1982, 745), und an der fehlt es in den zur Rede stehenden Fällen gerade..

4.

Damit aber stimmt die Sach- und Interessenlage bei der unerlaubten Nutzung eher mit jener beim unerlaubten Bauen als mit jener nach unerlaubter Herstellung einer baulichen Anlage überein, liegt also die Gleichbehandlung des Nutzungsverbots mit der Baueinstellung gem. § 103 SaarlBauO näher als mit der Beseitigungsanordnung gem. § 104 I 1 SaarlBauO (ebenso VGH München, BayVBl 1980, 246), und für erstere genügt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die formelle Illegalität. Allerdings spielt im Rahmen von § 103 SaarlBauO das Problem des Bestandsschutzes praktisch keine Rolle, das immer nur auftritt, wenn sich zwischen der Verwirklichung des Einschreitenstatbestandes und dem für die Beurteilung der entsprechenden Behördenmaßnahme maßgeblichen Zeitpunkt die Rechtslage zu Ungunsten des Betroffenen geändert hat. Im Falle des Vorgehens gegen unerlaubte Nutzungen aber sind derartige Konstellationen im Gegensatz zur Baueinstellungsverfügung ohne weiteres denkbar (vgl. etwa BVerwG, BRS 24 Nr. 193; NJW 1977, 1932 = BauR 1977, 253; BayVBl 1979, 504; NJW 1981, 1224 = BauR 1981, 247 = VerwRspr 32, 983), und dann führt die Zulassung des Nutzungsverbots nur wegen (neuerdings) fehlender Genehmigung und die damit in der Sache bewirkte "Verweisung" auf eben das Genehmigungsverfahren zwecks Prüfung der materiellen Baurechtmäßigkeit der Nutzung doch zu einem mit dem Vermögenssubstanzverlust beim Abriß im Hinblick auf Art. 14 GG vergleichbaren Nutzungsrechtsverlust deswegen, weil es für die Erteilung der Genehmigung allein auf die einschlägigen Vorschriften im Zeitpunkt der Entscheidung ankommt und frühere, dem Ast. günstigere Regelungen außer Betracht bleiben müssen. Das nötigt zur Abstimmung beider Regelungen, die nach Lage der Dinge nicht beim Beurteilungszeitpunkt im Genehmigungsverfahren, sondern bei § 104 I 2 SaarlBauO anzusetzen hat. Deswegen muß indes keineswegs für alle Fälle des Erlasses eines Nutzungsverbots formelle und materielle Illegalität gefordert werden (so aber VGH Mannheim, BRS 39 Nr. 61); Rechnung zu tragen ist lediglich den Sachverhalten, wo Bestandsschutz tatsächlich in Rede steht (so mit Recht im Ergebnis VGH München, BayVBl 1980, 246).

5.

In der Sache bedeutet das: Beim Erlaß eines Nutzungsverbots gem. § 104 I 2 SaarlBauO ist zunächst wie bei der Baueinstellung gem. § 103 SaarlBauO zu fragen, ob die erforderliche Genehmigung vorliegt, verneinendenfalls sodann, ob nach der Aufnahme der Nutzung eine dem Betroffenen nachteilige Änderung der Rechtslage eingetreten ist, und erst wenn das zutrifft des weiteren, ob die betreffende Nutzung zuvor "legal" war und dementsprechend unter Bestandsschutz steht. Ist das nicht der Fall oder fehlt es bereits an einer Rechtsänderung, so rechtfertigt allein die formelle Illegalität das Nutzungsverbot und mag allenfalls - wiederum wie bei der Einstellungsverfügung - unter dem Gesichtspunkt des Übermachtverbots bzw. im Ermessensbereich noch der Tatsache Rechnung zu tragen sein, daß Formalien nicht reiner Selbstzweck sein dürfen, folglich ein behördliches Einschreiten gem. § 104 I 2 SaarlBauO wie gem. § 103 SaarlBauO regelmäßig zu unterbleiben hat, wenn die materiellrechtliche Zulässigkeit der ungenehmigten Anlage beziehungsweise ihrer Nutzung offensichtlich ist (auch dazu VGH München, BayVBl 1980, 246)..