Oberverwaltungsgericht
des Saarlandes
Beschluss vom
7. August 1992
- 2 W 10/91 -
(weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1992, 404 f.)
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Leitsätze: |
1. |
Dem Schriftformerfordernis genügt auch eine per Telefax erhobene Beschwerde. |
2. |
Die an die Stelle der Bauwichbestimmungen getretenen Vorschriften über die Abstandsflächen dienen - wie jene - neben der Schaffung heller und gesunder Wohnbereiche, der Verhinderung der Brandausbreitung und der Sicherstellung der Zufahrt für die Feuerwehr auch der Wahrung des Nachbarfriedens und damit dem Nachbarschutz. |
3. |
Die Zulassung einer Grenzgarage mit Abstellraum innerhalb der Abstandsfläche setzt voraus, daß letzterer innerhalb des betreffenden Gebäudes eindeutig lokalisiert und abgegrenzt ist und daß seine Nutzung umfangmäßig erheblich hinter der Hauptnutzung zurückbleibt. |
4. |
Leidet ein sofort vollziehbarer Bescheid an einem (Ermessens-) Fehler, so bleibt die Möglichkeit der Behebung dieses Mangels im weiteren Verlauf des (Verwaltungs-) Verfahrens auf die Entscheidung über einen Antrag auf Vollzugsaussetzung ohne Einfluß; wird der Mangel danach behoben, ist dies gegebenenfalls auf einen diesbezüglichen Abänderungsantrag hin zu berücksichtigen (wie Beschluß vom 15.2.1991 - 2 W 2/91 - im Anschluß an die Rechtsprechung des 1. Senats) |
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Zum Sachverhalt: |
1. |
Die Beigeladenen haben die für sofort vollziehbar erklärte Genehmigung erhalten, auf ihrem Wohnanwesen an der rückwärtigen Grenze ein Garagengebäude mit Abstellraum zu errichten. Die Anlage soll an eine auf der rechten Seitengrenze genehmigte Eckgarage unter Beseitigung der Trennwand angebaut werden. Im Gebäudeinnern ist außer einer Dachstütze keine Abgrenzung vorgesehen; das Gesamtbauwerk soll drei Garagentore aufweisen. |
2. |
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Eigentümer des rückwärts angrenzenden Grundstücks auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung zurückgewiesen. Die Beschwerde hatte Erfolg. |
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Aus den Gründen: |
3. |
Die [...] am 7. Mai 1991 fristgerecht und per Telefax auch ordnungsgemäß (OVG Münster, Beschluß vom 9. November 1990, DÖV 1991, 562) eingelegte Beschwerde ist begründet; auf den gemäß den §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zulässigen Antrag hin ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die streitbefangene Baugenehmigung wiederherzustellen, weil kein überwiegendes Interesse der Beigeladenen an deren sofortiger Ausnutzung besteht, hinter das die berechtigten Belange der Antragstellerin zurücktreten müßten. |
4. |
Die Beigeladenen planen die Bebauung einer -- konkret: der rückwärtigen -- Grenze ihres Grundstücks, was stets die Belange des an dem unmittelbar angrenzenden Grundstück dinglich Berechtigten berührt und von ihm im Einzelfall grundsätzlich nur dann hinzunehmen ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abweichung von § 6 Abs. 1 Satz 1 LBO vorliegen. Insoweit kommt hier allein § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO in Betracht, wonach in Abstandsflächen und ohne eigene Abstandsfläche ein Garagengebäude einschließlich Abstellraum in bestimmten Abmessungen zulässig ist. Zwar sind vorliegend wohl die diesbezüglichen (Maß-) Voraussetzungen erfüllt. Desungeachtet erweist sich jedoch die den Beigeladenen auf dieser Grundlage erteilte Baugenehmigung bei weiterer Prüfung als offensichtlich fehlerhaft. |
5. |
Ausgangspunkt dieser Erkenntnis ist der Umstand, daß die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO und die damit einhergehende Zurückstellung der (nunmehr) durch die Vorschriften über die Abstandsflächen geschützten Belange einschließlich des vorbehaltlich lediglich § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 LBO grundsätzlichen Nachbaranspruchs auf Freihaltung der Grundstücksgrenzen von Gebäuden ihren Grund in dem nach der Einschätzung des Gesetzgebers höheren Stellenwert des öffentlichen Interesses an der Freihaltung der öffentlichen Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr haben (dazu etwa Urteil des Senats vom 1.6.1990 -- 2 R 58/88 --, sowie zur früheren Regelung des § 7 Abs. 5 LBO 1974 Beschluß des Senats vom 9.4.1986 -- 2 R 9/85 --, SKZ 1988, 287 Leitsatz-Nr. 18): Nur weil die Benutzer der einzelnen Grundstücke ihre Kraftfahrzeuge nicht davor, sondern tunlichst auf Privatgelände abstellen sollen, haben die für die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsflächen sprechenden Gesichtspunkte der Schaffung heller und gesunder Wohnbereiche, der Verhinderung der Brandausbreitung, der Sicherstellung der Zufahrt für die Feuerwehr sowie der Wahrung des Nachbarfriedens ausnahmsweise zurückzutreten. Solche oder vergleichbare Gründe für eine entsprechende Sonderbehandlung von Abstellraum sind nicht ersichtlich. wenn sich die Privilegierung durch § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO wie schon zuvor durch § 7 Abs. 5 LBO 1974 dennoch nicht auf "reine" Garagengebäude beschränkt, sondern (auch) solche mit zugeordnetem Abstellraum erfaßt, so geschieht dies mithin nicht um dieses Nutzungszwecks willen; vielmehr trägt die betreffende Regelung lediglich pragmatisch der nach der Lebenserfahrung verbreiteten Übung Rechnung, Garagen zu Abstellzwecken mitzubenutzen beziehungsweise ihnen entsprechend nutzbare Flächen anzuschließen. Letztere werden mithin von dem Garagenprivileg bloß "mitgezogen", was § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO im übrigen auch sprachlich dadurch zum Ausdruck bringt, daß die Bestimmung nicht "Garagen und Abstellräume" oder gar "Abstellräume mit Kraftfahrzeugeinstellmöglichkeit", sondern in den betreffenden Abmessungen eben nur "ein Garagengebäude einschließlich Abstellraum" an der Grenze zuläßt. Daraus folgt zweierlei: Erstens muß, wie von der Antragstellerin mit Recht hervorgehoben, die Annexnutzung umfangmäßig erheblich hinter der Hauptnutzung zurückbleiben (Gädtke-Böckenförde-Temme, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, 8. Aufl., 1989, Rdnr. 106 zu § 6), wobei die dies erstmals erlaubende Vorgängerregelung des § 7 Abs. 5 LBO 1974 einen Anhaltspunkt für die Größenverhältnisse zu liefern vermag, weshalb es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht genügt, daß den Beigeladenen mit der Genehmigung eines hier insgesamt mehr als 50 qm großen "Garagengebäudes mit Abstellraum" die Notwendigkeit der Vorhaltung einer Fläche für das Unterstellen wenigstens eines Personenkraftwagens, das heißt von allenfalls etwa 20 qm vorgeschrieben wurde, und zweitens muß, nicht zuletzt, um die Überwachung der Einhaltung dieser Voraussetzung (auch) im Nachbarinteresse zu gewährleisten, der Abstellraum innerhalb des Garagengebäudes eindeutig lokalisiert und abgegrenzt sein (ebenso im Ergebnis offenbar Bork-Köster, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., 1988, Rdnr. 13 zu § 6). Ob dies, wie die Antragstellerin weiter meint, stets eine räumliche Trennung von Garage und Abstellraum erfordert, obgleich dadurch nicht eigentlich die -- gegebenenfalls unzulässige -- Ausweitung des Abstellraumes in die Garage hinein, sondern eher umgekehrt die -- gegebenenfalls gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO regelmäßig zulässige -- Benutzung des Abstellraums zusätzlich als Garage erschwert würde, kann dahinstehen (verneinend Bork-Köster, eben aaO sowie Gädtke-Böckenförde-Temme, eben aaO, Rdnr. 105 f zu § 6), weil die den Beigeladenen erteilte und vom Antragsgegner für sofort vollziehbar erklärte Baugenehmigung vom 7. Februar 1991 schon den vorgenannten Anforderungen nicht genügt: Weder den genehmigten Bauzeichnungen noch den sonstigen Antragsunterlagen ist zu entnehmen, welche Ausdehnung der zugelassene Abstellraum haben und wo er in dem Garagengebäude untergebracht werden soll. Das macht die Baugenehmigung ungeachtet der nach dem Verfahrensablauf und den Erklärungen der Beigeladenen etwa im Schriftsatz vom 3.4.1991 naheliegenden Annahme, als -- mit etwa 16 qm Innenfläche dann allerdings wohl überdimensionierter -- Abstellraum solle die immer noch (nur) als solche genehmigte vorhandene Garage dienen, wegen inhaltlicher Unbestimmtheit fehlerhaft und zwingt zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des dagegen erhobenen Widerspruchs, weil schützenswerte Belange der Beigeladenen an der Ausnutzung einer solchermaßen mit den einschlägigen Vorschriften unvereinbaren Erlaubnis nicht bestehen, die Antragstellerin andererseits aber verlangen kann, in ihrem Nachbarrecht auf Freihaltung der Grenzen ihres Grundstücks von Gebäuden hier konkret nur beschränkt zu werden, wenn alle (auch dazu Urteil des Senats vom 1.6.1990 -- 2 R 58/88 --) Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Nr. 1 LBO zweifelsfrei vorliegen. |
6. |
Hieran ändert nichts der Umstand, daß das Verwaltungsverfahren bisher nicht abgeschlossen ist und deshalb die Möglichkeit bestehen mag, daß die Beigeladenen die betreffenden Angaben nachtragen und auf dieser Grundlage etwa die Widerspruchsbehörde die Baugenehmigung neu faßt: Der Senat hat sich in diesem Punkt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Möglichkeit einer Heilung insbesondere von Ermessensfehlern bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens jener des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes angeschlossen und entschieden (Beschluß vom 15. Februar 1991 -- 2 W 2/91 -- m.w.N.), daß im gegebenen Zusammenhang nicht schon diese bloße Möglichkeit, sondern erst deren Wahrnehmung rechtliche Bedeutung erlangt mit der Konsequenz, daß dieser Umstand in Verfahren der vorliegenden Art erst auf einen Abänderungsantrag gemäß den §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 7 VwGO hin berücksichtigt werden kann. |
7. |
Ist mithin dem Begehren der Antragstellerin unter entsprechender Abänderung des angefochtenen Beschlusses schon unter diesem Aspekt zu entsprechen, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die Baugenehmigung vom 7. Februar 1991 (auch) gegen die ebenfalls nachbarschützende Vorschrift des § 42 Abs. 7 LBO verstößt, was aus den bereits vom Verwaltungsgericht erörterten Gründen mit Blick auf die Konkretisierung der diesbezüglichen Zumutbarkeitsschwelle durch die Regelung über die Abstandsflächen und angesichts der Tatsache, daß die nach Darstellung der Antragstellerin "überlange" Garagenzufahrt nicht an ihrem Grundstück entlangführt, das in diesem Bereich zudem seinerseits mit einer Grenzgarage bebaut ist, allerdings eher fernliegt. |
8. |
Der Landesgesetzgeber hat im übrigen in den die Entscheidungen der Kommunalaufsicht betreffenden §§ 127 ff. KSVG auch die Vorlage durch den Bürgermeister ausdrücklich angesprochen (vgl. § 131 Abs. 2 KSVG), indes ganz offensichtlich keine Veranlassung gesehen, dem Bürgermeister in Fällen vorliegender Art in Ausnutzung der durch § 42 Abs. 2 VwGO eröffneten Befugnis eine Möglichkeit zur Klageerhebung - ausnahmsweise - unabhängig von einer eigenen rechtlichen Betroffenheit einzuräumen. |
9. |
Nichts anderes ergibt sich, wenn man davon ausgehen wollte, daß es auch gesetzgeberisches Anliegen des § 60 Abs. 1 KSVG ist, dem Bürgermeister - was im konkreten Falle negativer Beschlußfassung im übrigen ohnedies nicht in Rede steht - nicht zuzumuten, von ihm als rechtswidrig angesehene Beschlüsse des Gemeinderates ausführen zu müssen (§ 59 Abs. 2 Satz 2 KSVG, so: Lehné in seiner Kommentierung des saarländischen Kommunalrechts Loseblatt, 2. Aufl., Stand: März 1994, KSVG § 60 Anm. 1). Diesem Ziel hat der saarländische Landesgesetzgeber erkennbar allein durch die Normierung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Bürgermeisters gegen den beanstandeten Gemeinderatsbeschluß wie auch seiner Vorlage an die Kommunalaufsichtsbehörde Rechnung getragen (§ 60 Abs. 3 KSVG). Teilt diese die Auffassung des Bürgermeisters nicht, so hat dieser keine rechtlichen Möglichkeiten mehr, insbesondere kein Klagerecht. In diesen Fällen liegt die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des Ratsbeschlusses nach der Gesetzeslage - außer beim Gemeinderat selbst - allein bei der Aufsichtsbehörde. Deren Entscheidung hat der Bürgermeister - ungeachtet möglicherweise eigener abweichender Auffassungen - hinzunehmen. Mit der Zurückweisung der Vorlage entfällt die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Ratsbeschluß; das kommunalaufsichtsbehördliche Beanstandungsverfahren ist abgeschlossen (vgl. z. B. Kottenberg-Rehn, GONW Loseblatt, 15. EL, August 1992, Anm. III. 2. zu § 39 GONW). Diese Rechtsauffassung wird im übrigen in Rechtsprechung und Literatur auch zu vergleichbaren Bestimmungen in den Gemeindeordnungen anderer Bundesländer - soweit ersichtlich einhellig - geteilt (wie hier: Lehné a. a. O., § 60 Anm. 3; Körner GONW, 5. Aufl. 1990, Erläuterung 5 zu § 39; Thiele, NdsGO, 3. Aufl. 1992, Anm. 4 zu § 65; OVG Koblenz, Urteil vom 4. 7. 1960 - 1 C 3/60 und 1 C 9/60 = AS 8, 78 [80 ff.], zu § 39 Satz 1 GORhPf a. F.; VG Koblenz vom 22. 7. 1977 - 2 K 138/76 = Kottenberg/Rehn/von Mutius, Rechtsprechung zum kommunalen Verfassungsrecht, Band V, GONW §§ 39 Nr. 6, zu § 42 GORhPf; OVG Münster Urteil vom 22. 2. 1956 - III A 838/55 = OVGE 10, 314 [315] und Urteil vom 29. 3. 1967 - III A 1084/63 = OVGE 23, 124 [128], VG Saarlouis, Urteil vom 23. 11. 1987 - 1 K 221/87 = NVwZ 1988, 864). |
10. |
Die Berufung wird daher zurückgewiesen. |