Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
Urteil vom 20.02.1989
-
1 R 102/87 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ 1990, 172 ff.)

 

Leitsatz:

1.

Die Verwaltung einer Stadt einschließlich des zur Entscheidung über Widersprüche berufenen Stadtrechtsausschusses steht in bezug auf städtische Satzungen keine Inzident-Verwerfungskompetenz zu.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die Stadt S. zog die Beigel. mit Bescheid vom 3. 2. 1981 zu einer Straßenreinigungsgebühr in Höhe von 528 DM heran. Auf den Widerspruch der Beigel. hob der bekl. Rechtsausschuß der Stadt S. den Abgabenbescheid mit der Begründung auf, die zugrundeliegende städtische Satzung sei in bezug auf die Einordnung der das Grundstück der Beigel. erschließenden G.-Straße in die Reinigungsklasse S nichtig. Gegen diese Entscheidung erhob der fachlich zuständige Minister Aufsichtsklage nach § 15 AGVwGO, der das VG stattgab. Die Berufung des Bekl. wurde zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe:

2.

Das Ausbleiben der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung steht der Entscheidung über die Berufung nicht entgegen. Sie sind nämlich rechtzeitig und ordnungsgemäß mit dem Hinweis geladen worden, daß auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Von dieser Möglichkeit macht der Senat nach der Sachlage Gebrauch.

3.

Das Ausbleiben der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung steht der Entscheidung über die Berufung nicht entgegen. Sie sind nämlich rechtzeitig und ordnungsgemäß mit dem Hinweis geladen worden, daß auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Von dieser Möglichkeit macht der Senat nach der Sachlage Gebrauch.

4.

Die Berufung ist zulässig. Das ergibt sich aus § 124 VwGO. Die Rechtsmittelbeschränkung des Art. 2 § 4 Satz 1 Nr. 1 EntlG greift hier nicht ein; der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt nämlich nicht unter 500,00 DM. Allerdings beträgt die Differenz zwischen der im Bescheid vom 3.2.1981 auf 528,00 DM festgesetzten Straßenreinigungsgebühr und der Abgabe, die sich unter Zugrundelegung der Reinigungsklasse V für die Beigeladenen ergäbe, nämlich 220,00 DM, lediglich 308,00 DM (vgl. die Streitwertfestsetzung in der umstrittenen Entscheidung des Beklagten), erreicht also nicht den in Art. 2 § 4 Satz 1 Nr. 1 EntlG genannten Betrag. Dennoch ist die Berufung ohne besondere Zulassung statthaft. Durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid wurde nämlich die Abgabenfestsetzung vom 3.2.1981 nicht nur in Höhe eines Teilbetrages von 308,00 DM, sondern in vollem Umfang aufgehoben (so eindeutig Satz 1 des Entscheidungsausspruches). Daraus resultiert eine Beschwer von 528,00 DM. Mittelbar wurde die Auswirkung der Kassation zwar durch Satz 2 der Widerspruchsentscheidung eingeschränkt, indem das Stadtsteueramt zum Erlaß eines neuen Straßenreinigungsgebührenbescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Stadtrechtsausschusses verpflichtet wurde. Das ändert jedoch nichts daran, daß die ursprüngliche Festsetzung vollständig aufgehoben wurde, zumal sich der Beklagte gerade nicht endgültig festlegte, ob er eine Gebührenerhebung unter Zugrundelegung einer Einstufung der G straße in die Reinigungsklasse V, also in Höhe von 220,00 DM, für gerechtfertigt hält. Vielmehr wurden die entsprechenden Ausführungen durch die Formulierung, "allenfalls" eine Forderung in Höhe von 220,00 DM sei begründet, entscheidend eingeschränkt. Dies verbietet endgültig die Annahme, die Klage betreffe einen auf eine Geldleistung von lediglich 308,00 DM, mithin unter 500,-- DM gerichteten Verwaltungsakt; vielmehr ist der Gesamtbetrag der im Bescheid vom 3.2.1981 auf 528,00 DM festgesetzten Straßenreinigungsgebühr im Streit.

5.

In der Sache muß die Berufung ohne Erfolg bleiben. Denn das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Anfechtung des Widerspruchsbescheides des Beklagten durch den Kläger erweist sich nach § 15 AGVwGO (zur Gültigkeit der dort getroffenen Regelung vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1970, DVBl. 1971, 579) in Verbindung mit den §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2, 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO als zulässig, und sie ist auch begründet. Die Entscheidung des Beklagten ist rechtswidrig, und schon diese Feststellung zwingt dazu, sie aufzuheben, denn der Erfolg einer Aufsichtsklage hängt infolge der in § 15 Abs. 1 AGVwGO getroffenen Sonderregelung nicht zusätzlich davon ab, daß der Kläger in seinen Rechten verletzt ist.

6.

Die Rechtswidrigkeit der umstrittenen Entscheidung folgt daraus, daß dem Widerspruch der Beigeladenen nicht hätte stattgegeben werden dürfen. Der Straßenreinigungsgebührenbescheid vom 3.2.1981 entspricht nämlich in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht den gesetzlichen Mindestanforderungen (§§ 12 Abs. 1 Nr. 3 lit b und Nr. 4 lit. b KAG, 119, 157 AO) und beruht auf einer zutreffenden Anwendung der einschlägigen Satzung über die Reinigung der öffentlichen Straßen und die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren in der Landeshauptstadt ... vom 11.12.1979 unter Berücksichtigung der mit Wirkung ab 1.1.1981 in Kraft gesetzten Änderungssatzung vom 16.12.1980. Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Mithin könnte der angegriffene Widerspruchsbescheid nur Bestand haben, wenn die der Abgabenfestsetzung zugrundeliegende Satzung entweder insgesamt oder doch jedenfalls in einer im konkreten Fall relevanten Einzelbestimmung, nämlich der Einstufung der G straße in die Reinigungsklasse S, unwirksam wäre und der Beklagte dieser Erkenntnis hätte Rechnung tragen dürfen. Die erstgenannte Voraussetzung ist zwar erfüllt, nicht aber auch die zweite.

7.

Daß die Satzung vom 11.12.1979 an keinem zu ihrer Ungültigkeit führenden Mangel leidet, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. insbesondere Urteil vom 30.4.1987 -- 1 R 106/87 --, AS 21, 191 = SKZ 1988, 41); daran ist festzuhalten. Jedoch hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 13.10.1981 -- ausgehend von dem Vorbringen der Beigeladenen und anderer Anlieger der G straße -- schwerwiegende Gründe angeführt, die ungeachtet des grundsätzlich weiten, von den Gerichten zu respektierenden Ermessens des Stadtrates in bezug auf die Einstufung der einzelnen Straße in eine bestimmte Reinigungsklasse (dazu ebenfalls Urteil des Senats vom 30.4.1987 -- 1 R 106/87 --, insoweit Leitsatz nur in SKZ 1987, 276 Nr. 9 d) dafür sprechen, die durch Änderungssatzung vom 16.12.1980 vorgenommene Einordnung der G straße in die Reinigungsklasse S sei -- gemessen an § 53 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 5 SStrG in Verbindung mit Art. 3 GG -- sachlich unvertretbar und damit nichtig (vgl. in diesem Zusammenhang OVG Lüneburg, Urteil vom 29.4.1970, OVGE 26, 458 (461), und VG Darmstadt, Urteil vom 13.9.1977, KStZ 1978, 77 (79)). Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, diesen Standpunkt des Beklagten wolle er nicht in Frage stellen. Der Vertreter der Landeshauptstadt S hat sodann im Rahmen des Verfahrens 1 R 105/87 die Meinung vertreten, die Änderungssatzung vom 15.12.1982, durch die die G straße -- wenngleich erst mit Wirkung ab 1.1.1983 -- wieder in die Reinigungsklasse V eingestuft wurde, lasse nur den Schluß zu, daß sich im Stadtrat nachträglich die Erkenntnis durchgesetzt habe, die Zuordnung zur Reinigungsklasse S sei verfehlt gewesen; jedenfalls habe sich die seit dem 1.1.1983 praktizierte Reinigung fünfmal wöchentlich als ausreichend erwiesen. Unter diesen Umständen kann ohne weitere Sachaufklärung davon ausgegangen werden, daß in der Tat die Zuordnung der G -- straße vom 1.1.1981 bis zum 31.12.1982 in die Reinigungsklasse S mit höherrangigem Recht unvereinbar und daher unwirksam war. Demzufolge galt für diese Zeit die frühere satzungsmäßige Zuweisung zur Reinigungsklasse V fort. Mithin ist die im Bescheid vom 3.2.1981 auf 528,00 DM festgesetzte Straßenreinigungsgebühr nur in Höhe eines Teilbetrages von 220,00 DM gerechtfertigt.

8.

Dennoch muß die Entscheidung des Beklagten insgesamt aufgehoben werden, denn dem Stadtrechtsausschuß stand nicht die Befugnis zu, bei seiner Entscheidung von der Ungültigkeit der Änderungssatzung vom 16.12.1980 auszugehen. Ungeachtet der materiellen Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides vom 3.2.1981 durfte der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen nicht, auch nicht teilweise stattgeben.

9.

Ob der Verwaltung allgemein oder jedenfalls in bestimmten Fällen die sogenannte Inzident-Verwerfungskompetenz in bezug auf Satzungen und andere Normen unterhalb eines förmlichen Gesetzes zusteht, wird nach wie vor kontrovers erörtert. Kläger und Beklagter haben in ihren Schriftsätzen die Argumente für die verschiedenen Standpunkte angeführt. Der Senat verweist insoweit zusammenfassend auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 1.4.1982 (BayVBl. 1982, 654, mit ablehnender Anmerkung von Renck, BayVBl. 1983, 86) sowie auf die ausführlichen Abhandlungen von Kopp (DVBl. 1983, 821) und Pietzcker (AöR 101, 374, und -- die in dem vorgenannten Aufsatz vertretene Ansicht in wesentlichen Punkten modifizierend -- DVBl. 1986, 806). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde die Problematik bisher nicht abschließend geklärt. Das Bundesverfassungsgericht betont in seinem Urteil vom 21.2.1961 (BVerfGE 12, 180 (186)) zwar besonders die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), leitet daraus jedoch -- unter Berufung zudem auf einen in der einschlägigen Norm eingeräumten Ermessensspielraum -- lediglich das Recht und gegebenenfalls die Pflicht der Behörde ab, den sofortigen Vollzug eines Verwaltungsaktes auszusetzen, wenn ernstzunehmende Bedenken an der Gültigkeit des zugrundeliegenden förmlichen Gesetzes bestehen. Das ist für die hier anstehende Fallgestaltung unergiebig.

10.

Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 21.11.1986, BVerwGE 75, 142, mit Anmerkung von Steiner, DVBl. 1987, 483) hat entschieden, die Ungültigkeit eines in Kraft gesetzten Bebauungsplanes könne weder die Gemeinde durch deklaratorischen Beschluß noch die höhere Verwaltungsbehörde durch Rücknahme der Plangenehmigung oder Nichtigkeitsfeststellungsakt allgemeinverbindlich feststellen; dazu sei vielmehr entweder eine gerichtliche Nichtigkeitserklärung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO oder ein förmliches Planaufhebungsverfahren durch die Gemeinde erforderlich. In diesem Zusammenhang wurde ausdrücklich offengelassen, wie sich eine Behörde bei der Entscheidung eines Einzelfalls zu verhalten hat, wenn sie die Wirksamkeit einer Satzung bezweifelt, auf deren Gültigkeit es ankommt. Zu dieser vorliegend gegebenen Konstellation wurde vielmehr auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 10.4.1986 (DVBl. 1986, 1264) verwiesen. Danach handeln Bedienstete einer Baugenehmigungsbehörde amtspflichtswidrig, wenn sie einen unwirksamen Bebauungsplan anwenden; sie haben vielmehr den Bauherrn auf die Bedenken, die gegen die Gültigkeit des Planes bestehen, hinzuweisen. Damit ist indes die Streitfrage nicht abschließend beantwortet, denn es bleibt unentschieden, wie sich die Behörde weiter zu verhalten, insbesondere welche Entscheidung sie zu treffen hat, wenn die Gemeinde auf der Anwendung ihres Bebauungsplanes besteht

11.

Der erkennende Senat ist nach Auswertung von Rechtsprechung und Schrifttum der Auffassung, daß sich weder aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) noch aus den verschiedenen Normenkontrollvorschriften (Art. 100 Abs. 1, 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 76 BVerfGG, 47 VwGO, 16 AGVwGO) noch aus der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht (§§ 37 f. BRRG, 55 f. BBG, 69 f. SBG) letztlich durchschlagende Argumente für oder gegen ein Inzident-Verwerfungsrecht der Verwaltung in bezug auf untergesetzliche Normen herleiten lassen. Den Ausschlag müssen vielmehr -- jedenfalls in der hier gegebenen Fallgestaltung -- die Kompetenzverteilung innerhalb der Gemeinde, der Grundsatz der Einheit der Gemeindeverwaltung und der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und -klarheit geben. Danach kann aber der Stadtverwaltung einschließlich des Stadtrechtsausschusses nicht die Befugnis zugebilligt werden, bei der Entscheidung eines Einzelfalles von der materiellrechtlichen Ungültigkeit einer städtischen Satzung auszugehen (wie hier insbesondere Pietzcker, AöR 101, 374 (389 ff.), sowie -- trotz erheblicher Unterschiede in Einzelpunkten -- im Grundsatz für die Inzident-Verwerfung von Bebauungsplänen Gaentzsch, Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, § 10 Rdnr. 20; Grauvogel/Dürr in Brügelmann, BBauG, § 10 Rdnr. 6, und Dolde, Baurecht 1978, 153 (156); im Ergebnis übereinstimmend BayVGH, Urteil vom 1.4.1982, BayVBl. 1982, 654, und Schmidt, BayVBl. 1976, 1; anderer Ansicht dagegen unter anderem Kopp, DVBl. 1983, 821; Pietzcker, DVBl. 1986, 806 (808), und Renck, BayVBl. 1983, 86).

12.

Die Aufgaben einer Gemeinde sind durch die kommunalrechtlichen Bestimmungen auf verschiedene Organe verteilt. Allein dem Gemeinderat als der durch Wahl legitimierten Vertretung der Bürger (§ 32 Abs. 1 KSVG) steht dabei die Befugnis zu, Satzungen zu erlassen, zu ändern und aufzuheben (§ 35 Nr. 12 KSVG); er ist der Ortsgesetzgeber. Der Bürgermeister leitet demgegenüber die Gemeindeverwaltung und erledigt insbesondere die Geschäfte der laufenden Verwaltung sowie die ihm übertragenen Selbstverwaltungsangelegenheiten (§ 59 Abs. 2 und 3 KSVG). Rechtswidrigen Beschlüssen des Gemeinderats hat der Bürgermeister zu widersprechen; hält der Rat seinen Beschluß aufrecht, hat der Bürgermeister die Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde einzuholen (§ 60 Abs. 1 KSVG). Beschlüsse, über deren Rechtmäßigkeit der Bürgermeister im Zweifel sein muß, hat er der Kommunalaufsicht vorzulegen (§ 60 Abs. 2 KSVG). Die Befugnisse der Kommunalaufsicht sind in den §§ 123 ff. KSVG geregelt. Danach kann die Kommunalaufsichtsbehörde unter anderem rechtswidrige Beschlüsse des Gemeinderates beanstanden und verlangen, daß Maßnahmen, die auf Grund solcher Beschlüsse getroffen worden sind, rückgängig gemacht werden (§ 126 KSVG); bei Vorliegen besonderer Umstände können Ratsbeschlüsse sogar aufgehoben werden (§ 127 Abs. 1 KSVG). Aus diesem Regelungsgeflecht muß insgesamt abgeleitet werden, daß vom Gemeinderat beschlossene Satzungen, denen der Bürgermeister weder widersprochen hat noch bezüglich derer eine Vorlage an die Kommunalaufsichtsbehörde erfolgt ist und die die Kommunalaufsichtsbehörde auch ansonsten nicht beanstandet hat, für den Bürgermeister und für die gesamte Gemeindeverwaltung verbindlich sind. Nach seinem Inkrafttreten darf Ortsrecht, auch wenn sich zwischenzeitlich Zweifel an seiner Gültigkeit ergeben haben, von dem Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung nicht einfach als unwirksam angesehen und bei Einzelfallentscheidungen außer acht gelassen werden. Unbenommen davon bleibt das selbstverständliche Recht des einzelnen Amtswalters, den Gemeinderat auf die Gültigkeitsbedenken hinzuweisen (zur beamtenrechtlichen Remonstration vgl. §§ 38 BRRG, 70 SBG). Wenn der Rat aber danach an seiner Satzung festhält und ihre Anwendung fordert, wenn die Kommunalaufsicht nicht eingeschaltet wird und wenn sie nun sich ebenfalls nicht eingreift, ist die Satzung von der gesamten Gemeindeverwaltung strikt zu beachten. Jede Inzident-Verwerfung durch die Gemeindeverwaltung nähme nämlich dem Ortsrecht seine generelle Wirkung, beseitigte damit -- wenn auch nur punktuell -- die Entscheidung des für die Normsetzung allein zuständigen Gemeinderates und liefe damit der kommunalrechtlichen Aufgabenverteilung zuwider.

13.

Das Gegenargument, eine mit höherrangigem Recht unvereinbare Satzung sei eo ipso unwirksam und daher könne sich die Frage nach einer Verwerfungskompetenz sinnvollerweise gar nicht stellen, überzeugt nicht. Das Problem der Behandlung als unwirksam erkannter Normen ist nämlich nicht allein ein Problem des Erkennens der Nichtigkeit, sondern auch eine Frage der Kompetenz, wer die Folgerungen daraus ziehen darf beziehungsweise ziehen muß. Diese Befugnis ist aber jedenfalls für die allgemeinverbindliche Nichtigkeitsfeststellung -- außer dem Normenkontrollgericht -- wegen der qualitativen Gleichwertigkeit von Normsetzung und Verwerfung allein dem Normgeber, hier also dem Gemeinderat, zuzuordnen, der sich hierfür des förmlichen Normaufhebungsverfahrens bedienen muß. Dann ist es aber nur konsequent, dem Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung auch das Recht zur Inzident-Verwerfung abzusprechen. Anderenfalls würde nämlich ebenfalls -- wenn auch nur punktuell -- die generelle Geltung beanspruchende Satzung durchbrochen und ein konkreter Fall anders behandelt, als dies der Gemeinderat durch Satzung bestimmt hat. Auch dies tangierte damit die Satzungshoheit des Rates.

14.

Ein Inzident-Verwerfungsrecht der Verwaltung wäre im weiteren mit dem Gesichtspunkt der Einheit der Gemeindeverwaltung unvereinbar. Zwar geht es bei der Inzident-Verwerfung zunächst einmal nur um eine konkrete einzelne Entscheidung. Dennoch reichen die Auswirkungen in aller Regel und auch im konkreten Fall wesentlich weiter. So kommt der Frage, ob die G straße wirksam in die Reinigungsklasse S eingestuft ist, nicht nur Bedeutung zu für die Straßenreinigungsgebührenpflicht der Beigeladenen. Vielmehr hängt davon im Ergebnis die Gebührenerhebung für sämtliche Anlieger dieser Straße ab. Darüber hinaus stellte sich nach der Entscheidung des Beklagten vom 13.10.1981 für das Straßenreinigungsamt die Frage, wie intensiv künftig die G straße zu reinigen ist. Nach der einschlägigen Satzung hängen nämlich Reinigungspflicht und Gebührenerhebungsrecht unmittelbar zusammen. Welcher Reinigungsklasse die G straße zuzuordnen ist, muß daher von der Gemeindeverwaltung notwendigerweise einheitlich beantwortet werden. Damit ist aber ein Verwerfungsrecht des einzelnen Amtswalters unvereinbar.

15.

Zum Tragen kommt dann auch der ganz gewichtige, im Grundgesetz verankerte Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und -klarheit. Würde der Stadtverwaltung ganz allgemein die Befugnis zugebilligt, städtische Satzungen wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht im Rahmen von Einzelfallentscheidungen außer acht zu lassen, entstünde eine weitgehende Ungewißheit über das maßgebliche Ortsrecht. Das zeigt der konkrete Fall anschaulich. Stadtsteueramt und Straßenreinigungsamt gingen auch nach der umstrittenen Entscheidung des Beklagten davon aus, die Einstufung der G straße in die Reinigungsklasse S sei maßgeblich, und in dieser Haltung wurden sie vom Stadtrat, vom Oberbürgermeister und von der Kommunalaufsichtsbehörde bestärkt. Der Beklagte hielt dagegen an seiner Meinung fest, "allenfalls" eine Zuordnung zur Reinigungsklasse V sei verbindlich. Damit blockierten sich die verschiedenen städtischen Ämter selbst. Die Beigeladene und die anderen Anlieger der G straße, die weiterhin zu Straßenreinigungsgebühren nach Maßgabe der Reinigungsklasse S veranlagt wurden, durchschauten, wie ihre Eingaben auch an das Gericht zeigen, die Streitigkeiten nicht mehr. Es entstand eine unerträgliche Rechtsunsicherheit.

16.

Die insbesondere vom Beklagten ins Feld geführten rechtspolitischen Erwägungen greifen demgegenüber nicht durch. Durch die Rechte des Bürgermeisters nach § 60 KSVG und durch die Befugnisse der Kommunalaufsicht sind zahlreiche, vom Gesetzgeber ersichtlich als ausreichend und damit zugleich als abschließend angesehene Möglichkeiten geschaffen, rechtswidrigen Satzungen bereits auf Verwaltungsebene entgegenzuwirken. Hinzu kommen sodann für die Normbetroffenen die verschiedenen Möglichkeiten, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie können ein Normenkontrollverfahren (§§ 47 VwGO, 16 AGVwGO) einleiten, nach erfolglosem Vorverfahren oder unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO den sie belastenden Verwaltungsakt anfechten (§ 42 VwGO) und um die Aussetzung der Vollziehung nachsuchen (§ 80 VwGO). In all diesen Verfahren wird das Gericht -- sofern erforderlich -- über die Gültigkeit der Satzung insgesamt oder einzelner ihrer Bestimmungen abstrakt oder inzidenter entscheiden. Angesichts dessen kann keine Rede davon sein, ohne Inzident-Verwerfungskompetenz der Verwaltung ergäbe sich eine unerträgliche Rechtsschutzlücke. Ebensowenig trifft es zu, der hier vertretene Standpunkt führe zu einem unzumutbaren Haftungsrisiko des einzelnen Amtswalters. Dessen Remonstrationsrecht beseitigt vielmehr seine persönliche Verantwortlichkeit für die Einzelfallentscheidung.

17.

Als Zwischenergebnis ist mithin festzuhalten, daß die Gemeindeverwaltung einschließlich des Bürgermeisters grundsätzlich nicht berechtigt ist, Ortsrecht, das sie wegen eines Verstoßes gegen eine höherrangige Norm für unwirksam hält, bei einer Einzelfallentscheidung außer acht zu lassen. Entgegen der Berufungsbegründung gilt für den Stadtrechtsausschuß keine Ausnahme von diesem Grundsatz.

18.

Der Stadtrechtsausschuß gehört ungeachtet der Tatsache, daß das bei ihm stattfindende Verfahren teilweise gerichtsförmlich ausgestaltet ist, als Widerspruchsbehörde (§§ 73 Abs. 1 und 2 VwGO, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 AGVwGO) funktional zur Stadtverwaltung. Dabei ist ihm nach der einschlägigen gesetzlichen Regelung unter anderem die Aufgabe übertragen, über Widersprüche gegen Verwaltungsakte der Landeshauptstadt S zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AGVwGO). Mit dieser Zuweisung ist aber mangels entsprechender besonderer Normierung (zur Möglichkeit, durch spezielle Bestimmungen der Widerspruchsbehörde zusätzliche Kompetenzen zu geben, BVerwG, Urteile vom 18.5.1982, BVerwGE 65, 313 (319), und vom 7.2.1986, NVwZ 1986, 556 (557)) nicht zugleich die weitergehende Stellung eines "Überamtes" verbunden, das ihn berechtigen würde, in die Satzungsgewalt des Stadtrates nach § 35 Nr. 12 KSVG einzugreifen. Vielmehr unterliegt der Stadtrechtsausschuß insoweit denselben Schranken wie jede andere Stelle der Gemeindeverwaltung.

19

Das Bundesverwaltungsgericht (vgl. u.a. Urteile vom 28.5.1963, BVerwGE 16, 116, vom 16.7.1965, BVerwGE 21, 354, und vom 16.2.1973, BVerwGE 42, 8) hat schon wiederholt entschieden, daß sich mit dem Hinweis auf die der Widerspruchsbehörde aufgegebene Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes (§ 68 Abs. 1 VwGO) nicht die Meinung rechtfertigen läßt, die Widerspruchsbehörde -- einschließlich weisungsfreier Ausschüsse -- sei beispielsweise nicht an die Ablehnung der Zustimmung einer anderen Behörde gebunden, sofern eine entsprechende Erklärung für die Ursprungsbehörde bindend war. Die Kontrollaufgabe der Widerspruchsbehörde und ihre Bindung an Gesetz und Recht erleiden vielmehr infolge der Kompetenzordnung innerhalb der Verwaltung Einschränkungen (so insbesondere BVerwG, Urteil vom 7.2.1986, a.a.O.). Die Widerspruchsbehörde hat eben keine allgemeine und umfassende Kompetenz zur Entscheidung in der Sache, wenn die Kompetenz der Erstbehörde durch Vorbehalte zugunsten anderer Behörden beschränkt war. Durfte die Erstbehörde nicht anders entscheiden, als sie es getan hat, weil beispielsweise eine aufgrund landesrechtlicher Normierung zur Mitwirkung berufene andere Behörde ihr Einvernehmen oder ihre Zustimmung versagt haben, dann darf die Widerspruchsbehörde -- mangels ihr eingeräumter besonderer Befugnisse -- dem Widerspruch nicht stattgeben. Auf den hier gegebenen Fall übertragen bedeutet dies, daß der Stadtrechtsausschuß ebenso wie zuvor das Stadtsteueramt an die Änderungssatzung vom 16.12.1980 gebunden ist, sie daher nicht unangewendet lassen darf.

20.

Diesem Standpunkt steht entgegen der Meinung des Beklagten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.6.1974 (BVerwGE 45, 207; zum Verständnis dieser Entscheidung vgl. auch das Urteil des Senats vom heutigen Tag -- 1 R 105/87 --, mit dem die Klage der Landeshauptstadt S gegen den auch hier angefochtenen Widerspruchsbescheid als unzulässig abgewiesen worden ist) nicht entgeht. Soweit dort entschieden wurde, der Stadtrechtsausschuß als Widerspruchsbehörde brauche, wenn er eine Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes zulassen will, dazu nicht das Einvernehmen der Stadt einzuholen, ist das im gegebenen Zusammenhang unergiebig. Zum einen beruht dieser Leitsatz auf der Auslegung spezieller Normen des Bundesbaugesetzes, und zum anderen ging es dort gerade nicht um die Inzident-Verwerfung eines Bebauungsplanes, sondern um die Erteilung einer bereits im Bebauungsplan vorgesehenen Ausnahme. Die weitere Aussage des Urteils vom 21.6.1974 (a.a.O.) geht dann dahin, eine Stadt könne in ihren Rechten grundsätzlich nicht durch ein eigenes Organ, beispielsweise ihren Stadtrechtsausschuß, verletzt werden. Das betrifft allein die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO beziehungsweise die tatsächliche Verletzung eigener Rechte im Verständnis des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Beides interessiert -- wie bereits erwähnt -- im Rahmen der hier gegebenen Aufsichtsklage nicht. Zur vorliegend allein relevanten objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Widerspruchsbescheides enthält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.6.1974 (a.a.O.) zumindest keine eindeutige Aussage. Erwähnt wird dort (a.a.O., S. 213) lediglich, es sei "denkbar und nicht vom Gesetz untersagt, (daß) die Zuständigkeiten für die Entscheidungen über die Erteilung der Baugenehmigung und über die Erklärung des Einvernehmens ... auf unterschiedliche Gemeindebehörden übertragen (sind)". Das knüpft an entsprechende Formulierungen im Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.1969 (DÖV 1970, 349 (350)) an. In dieser Entscheidung heißt es, eine solche interne Abstimmung zwischen verschiedenen Gemeindebehörden werde zwar nicht von § 36 BBauG gefordert (so schon BVerwG, Urteil vom 6.12.1967, BVerwGE 28, 268 (271 f.)), könne jedoch nach anderen Vorschriften -- zu denken ist dabei insbesondere an die Normen des Kommunalrechts -- geboten sein, was anzunehmen sogar naheliege. Von daher läßt sich die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durchaus dahingehend interpretieren, zwar verhalte sich ein Stadtrechtsausschuß je nachdem, was das Kommunalrecht bestimme, kompetenzwidrig, wenn er zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet, obwohl der Stadtrat zuvor zu dem Vorhaben ablehnend Stellung genommen hat, jedoch liege darin, da sich die Stadt die Entscheidungen ihres Stadtrechtsausschusses zurechnen lassen müsse, keine Verletzung eigener Rechte der Stadt. Das bedarf indes hier keiner Vertiefung, und ebensowenig ist auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einzugehen, wonach in Verwaltungsvorschriften geregelte interne Mitwirkungsbefugnisse anderer Behörden die Prüfungskompetenz der Widerspruchsbehörde nicht einengen (dazu insbesondere BVerwG, Urteil vom 9.5.1985, BVerwGE 71, 251; dort -- S. 255 -- wird im übrigen ebenso wie im Urteil vom 17.9.1981, RiA 1982, 170 (172), die Frage erörtert, aber nicht entschieden, ob sich eine Beschränkung der Kontrolle im Widerspruchsverfahren daraus ergibt, daß der ursprüngliche Verwaltungsakt von einem im Vergleich zur Widerspruchsbehörde verfassungsrechtlich höherrangigen Organ erlassen wurde). Vorliegend geht es nämlich nicht um eine in Verwaltungsvorschriften geregelte Mitwirkung des Stadtrates oder um die Maßgeblichkeit eines "einfachen" Ratsbeschlusses im Widerspruchsverfahren. Vielmehr muß über die Bindung des Stadtrechtsausschusses an eine vom Stadtrat beschlossene und in Kraft gesetzte (Abgaben-) Satzung entschieden werden. Insoweit stehen sich aber der Stadtrat als Ortsgesetzgeber und der Stadtrechtsausschuß als Teil der Gemeindeverwaltung gegenüber, und in diesem Verhältnis muß nach Auffassung des Senats der Stadtrechtsausschuß die Gesetzgebungskompetenz des Stadtrates strikt respektieren. Er darf deshalb eine von ihm für nichtig erachtete ortsrechtliche Bestimmung nicht außer Anwendung lassen. Vielmehr ist er in einem solchen Fall zunächst darauf zu verweisen, seine Bedenken gegen die Satzung bei dem Stadtrat geltend zu machen und unter Aussetzung des Widerspruchsverfahrens dessen Stellungnahme einzuholen. Insoweit pflichtet der Senat dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.4.1986 (DVBl. 1986, 1264 (1266)) bei. Im Anschluß an die Aussage, eine Behörde handele amtspflichtswidrig, wenn sie einen unwirksamen Bebauungsplan anwende, sie habe vielmehr den Bauherrn auf ihre Bedenken an der Wirksamkeit des Planes hinzuweisen, führt der Bundesgerichtshof dort nämlich aus, es sei rechtlich unbedenklich, wenn die mit der Sache befaßte Behörde sodann die Gemeinde und die Kommunalaufsichtsbehörde über ihre Zweifel an der Gültigkeit des Planes unterrichte und ihre Entscheidung zunächst aussetze (zu dieser Aussetzungsbefugnis vgl. auch Steiner, DVBl. 1987, 483 (486)). Damit wird nach Auffassung des Senats den Interessen der Beteiligten ausgewogen Rechnung getragen. Der Beklagte muß -- jedenfalls zunächst einmal -- die von ihm für unwirksam erachtete Norm nicht anwenden. Zugleich wird die Satzungsgewalt des Stadtrates respektiert, und die Widerspruchsführer werden über die Bedenken an der Wirksamkeit des maßgeblichen Ortsrechts informiert. Schließt sich im weiteren der Stadtrat den vom Stadtrechtsausschuß vorgetragenen Bedenken an, hat er ein förmliches Normaufhebungsverfahren durchzuführen; bis zu dessen Abschluß bleibt es bei der Aussetzung des Widerspruchsverfahrens, und danach dürfte sich mit dem förmlichen Außerkraftsetzen der Norm die Sache erledigen; jedenfalls kann danach das Vorverfahren ohne weitere Probleme abgeschlossen werden. Falls der Stadtrat dagegen mitteilt, er halte seine Satzung für gültig, und ihre Anwendung im Einzelfall fordert, muß sich der Stadtrechtsausschuß darüber klar werden, ob er seine Bedenken ausgeräumt sieht oder nicht. Im ersteren Fall ist der Widerspruch zurückzuweisen, und in einem etwa anschließenden Klageverfahren ist erforderlichenfalls die Gültigkeit der Satzung vom Gericht zu überprüfen. Hält der Ausschuß dagegen weiterhin das Ortsrecht für ungültig, kann er allenfalls in Betracht ziehen, untätig zu bleiben und den Widerspruchsführer auf die Erhebung einer Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zu verweisen. Ob ein derartiges Vorgehen allerdings mit dem Entscheidungsauftrag der Widerspruchsbehörde in Einklang steht, erscheint zweifelhaft. Erläßt der Rechtsausschuß aber einen Widerspruchsbescheid, muß er nach Auffassung des Senats von der Gültigkeit der Satzung ausgehen, also den Widerspruch zurückzuweisen. In einem daran anschließenden Gerichtsverfahren kann dann -- sofern notwendig -- das Gericht inzidenter über die Wirksamkeit der Satzung befinden.

21

Daß in der letztgenannten Fallgestaltung der Beklagte eine Entscheidung treffen muß, die seiner Überzeugung nach einer gerichtlichen Kontrolle nicht standhalten wird, ist dabei nicht so ungewöhnlich, wie der Beklagte meint. Daß im Spannungsfeld zwischen materieller Richtigkeit und Wahrung kompetenzrechtlicher Schranken dem letztgenannten Aspekt im Verwaltungsverfahren einschließlich des Widerspruchsverfahrens der Vorrang gebührt, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits wiederholt entschieden. Zuletzt im Urteil vom 10.8.1988 (Baurecht 1988, 694) hat es dies nochmals unter Zurückweisung aller dagegen erhobenen Einwendungen für den Fall bestätigt, daß ein auf Kreisebene angesiedelter weisungsfreier Rechtsausschuß über den Widerspruch gegen die Ablehnung eines Bauantrages zu entscheiden hat, wenn das Vorhaben zulässig ist, die Gemeinde aber ihr Einvernehmen versagt hat; obwohl also der Genehmigungsanspruch besteht und der Rechtsausschuß dies erkannt hat, muß der Widerspruch zurückgewiesen werden, weil eine Bindung an die Verweigerung des Einvernehmens besteht.

22.

Ob schließlich Besonderheiten in bezug auf die Inzident-Verwerfungsbefugnis der Verwaltung bestehen, wenn die in Rede stehende Norm offensichtlich inhaltlich rechtswidrig ist oder wenn sie von einem Gericht bereits in einem anderen Verfahren inzidenter für nichtig erachtet wurde, bedarf hier keiner Entscheidung; so liegt der Fall nämlich nicht.

23.

Von den vorstehend aufgezeigten Grundsätzen ausgehend kann die angefochtene Entscheidung des Beklagten keinen Bestand haben. Er war danach nicht befugt, dem Widerspruch der Beigeladenen stattzugeben. Daß er dies dennoch getan hat, war objektiv rechtswidrig, und das zwingt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, dazu, daß auf die Aufsichtsklage hin den auf die mündliche Verhandlung vom 13.10.1981 ergangene Widerspruchsbescheid aufgehoben werden muß.

24.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.