Oberverwaltungsgericht
des Saarlandes
Beschluss vom 25.1.2005
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1 Q 51/04 -
(weitere Fundstellen: BauR 2006,826 ff.)
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Leitsatz: |
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Bauaufsichtsbehördliche Einschreitensbefugnisse (§§ 82, 57 Abs 2 LBO - BauO SL - 2004) unterliegen, anders als subjektive Abwehrrechte von Nachbarn gegen ein Bauvorhaben, nicht der Verwirkung. Ein längeres Untätigbleiben der Behörde angesichts erkannter baurechtswidriger Zustände löst daher keine Bindungswirkungen oder gar Duldungspflichten im Rahmen der Betätigung des Einschreitensermessens aus. |
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Gründe: |
1. |
Die Änderung der Bezeichnung der Beklagtenseite im Rubrum ist wegen der mit Blick auf die so genannte Kommunalisierung in § 58 Abs. 1 Satz 2 LBO 2004 vorgenommenen Übertragung der Aufgaben der Unteren Bauaufsichtsbehörden als Auftragsangelegenheiten auf die Landkreise, den Stadtverband Saarbrücken und die Landeshauptstadt Saarbrücken veranlasst.
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2. |
Der bei – wie hier – fehlender Zulassung der Berufung durch das Erstgericht statthafte und auch sonst zulässige Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17.3.2004 – 5 K 147/02 - muss in der Sache erfolglos bleiben. |
3. |
Durch die angegriffene Entscheidung hat das Verwaltungsgericht die Klage der Kläger gegen die jeweils an sie adressierten Bescheide der Beklagten vom 12.4.2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26.6.2002 abgewiesen. Die das Anwesen L Straße 3-5 in S betreffenden bauaufsichtsbehördlichen Anordnungen enthalten die Aufforderung zur Vornahme verschiedener, nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil materiell ihre Grundlage in den §§ 6, 8, 14, 16 und 17 der Garagenverordnung (GarVO)
findender brandschutztechnischer Vorkehrungen in der dortigen Tiefgarage binnen drei Monaten nach Bestandskraft der Verfügungen, und zwar im Wesentlichen den Einbau einer Sprinkleranlage, einer Brandmeldeanlage und einer Brandmeldezentrale mit Direktmeldung zur Feuerwehr, einer RWA-Anlage (Entrauchung) sowie die Aufbringung eines Feuerschutzanstrichs (F 60) auf die vorhandene Stahltragekonstruktion beziehungsweise – alternativ – deren anderweitige brandschutztechnische Nachrüstung zur Erreichung eines feuerbeständigen Gesamtaufbaus (F 90).
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4. |
Dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit Blick auf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) begrenzenden Antragsvorbringen der Kläger im Schriftsatz vom 21.6.2004 kann das Vorliegen der darin angeführten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und möglicherweise – hier fehlt es an einem eindeutigen Vorbringen - wohl auch der Nr. 5 VwGO nicht entnommen werden. |
5. |
Die Darlegungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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6. |
Die Kläger, welche die streitgegenständliche bauliche Anlage im Jahre 1990 im Wege der Zwangsversteigerung erworben haben und die die brandschutztechnischen Mängel der zugehörigen Tiefgarage nicht in Abrede stellen,
machen insoweit zunächst eine Verwirkung der bauaufsichtsbehördlichen Einschreitensbefugnisse der Beklagten geltend. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass es bei den umstrittenen brandschutztechnischen Anforderungen in der Sache letztlich um die Durchsetzung schon den Bauscheinen aus dem Jahre 1981
für das mehrgeschossige Gebäude mit der Tiefgarage beigegebener Brandschutzauflagen gehe, die bei der Ausführung des Vorhabens nicht eingehalten und deren Beachtung anschließend auch gegenüber ihren – der Kläger – Rechtsvorgängern von der Beklagten trotz jahrelanger Kenntnis der Gefahrenlage nicht durchgesetzt worden seien. |
7. |
Zwar trifft es nach Aktenlage zu, dass der Beklagten die nach den streitgegenständlichen Anordnungen zu behebenden brandschutztechnischen Missstände seit vielen Jahren bekannt sind und dass – aus welchen Gründen auch immer – eine konsequente Abhilfe nicht durchgesetzt worden ist.
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8. |
Daraus kann indes, auch wenn man mit den Klägern den rechtlichen Anknüpfungspunkt in den Auflagen zu den Bauscheinen aus dem Jahre 1981 sieht und diese nicht mit dem Verwaltungsgericht als nachträgliche Anforderungen im Verständnis des § 82 LBO 1996 begreift, nicht, wie die Kläger das mit ihrem Verwirkungseinwand im Ergebnis reklamieren, auf einen generellen Ausschluss der Befugnis der Bauaufsichtsbehörde geschlossen werden, nunmehr ihnen gegenüber die entsprechenden Anordnungen zur Herstellung ausreichender Sicherheit der Tiefgarage im Brandfalle zu erlassen. |
9. |
Nach ständiger Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte führen allein der mit einer langen Bestandszeit einer illegalen oder mit Mängeln belasteten baulichen Anlage verbundene Zeitablauf und ein Untätigbleiben der Behörde – gegebenenfalls in Kenntnis dieser Umstände – für sich genommen nicht zu Bindungen oder gar dauerhaften Duldungspflichten der Behörde im Rahmen der Betätigung ihres Einschreitensermessens. Die bauaufsichtsbehördlichen Einschreitensbefugnisse sind keine „subjektiven“ behördlichen Rechte und unterliegen, anders als Abwehrrechte eines Nachbarn gegen ein Vorhaben, anerkannter Maßen nicht der Verwirkung.
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10. |
Eine Verwirkung führte – entsprechend einschlägigen zivilrechtlichen Grundsätzen – bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Rechtsfolge zu einem Rechtsverlust, was gegenüber illegal errichteten baulichen Anlagen im Ergebnis sogar zu einer gesicherteren Stellung führen würde als in den Fällen der Errichtung von Bauwerken mit einer Baugenehmigung, die im Falle der Rechtswidrigkeit unter den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 48 SVwVfG zurückgenommen werden kann. |
11. |
Im Übrigen sei zur Vermeidung von Missverständnissen bei den Klägern angemerkt, dass, selbst wenn man, abweichend davon, Ermessensbindungen der Beklagten in Form eines Ausschlusses der Befugnis zur Anordnung der Behebung brandschutztechnischer Mängel der Tiefgarage und damit letztlich des gesamten darüber errichteten mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftsgebäudes in Erwägung ziehen wollte, das keinesfalls zur Folge hätte, dass der `status quo` hinzunehmen wäre. In diesem Falle spräche vielmehr im Hinblick auf die ganz gravierenden Gefahren im Brandfall für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen, seien es Bewohner, Besucher oder bei einem Rettungseinsatz tätiges Feuerwehrpersonal, alles dafür, dass die weitere Nutzung des Gebäudekomplexes, der in der bestehenden Form aufgrund der Abweichungen bei der Ausführung nicht als durch die dafür erteilten Baugenehmigungen legalisiert angesehen werden kann,
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12. |
Die von den Klägern angesprochene Vereinbarung zwischen der Beklagten und den früheren Eigentümern des Anwesens, den Eheleuten K, aus dem Jahre 1988
rechtfertigt offensichtlich keine andere Beurteilung. Sie steht allein im anderweitigen rechtlichen Zusammenhang mit der Behandlung der Tiefgarage nach dem früheren Schutzbautengesetz aus dem Jahre 1965. Dass im Eingang dieses Vertrages – offenbar formularmäßig – unzutreffend von einer erfolgten „mängelfreien Abnahme“ der Anlage die Rede ist, ändert daran nichts. Auch den Bauabnahmen durch die Bauaufsichtsbehörden nach den früheren Fassungen der Landesbauordnung konnte zudem weder eine „genehmigende Wirkung“ noch die verbindliche Zusicherung der Hinnahme der baulichen Anlage in dem besichtigten Zustand entnommen werden. Deswegen wäre selbst einer im Rahmen der (früheren) Bauüberwachung förmlich erteilten Bauabnahmebescheinigung der Bauaufsichtsbehörde hinsichtlich vom ursprünglichen Genehmigungsinhalt abweichend ausgeführter Bauteile keine legalisierende oder – mit Blick auf ein späteres bauaufsichtliches Tätigwerden - auch nur eine „vertrauensbildende“ Wirkung zuzumessen gewesen.
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13. |
Auch der mit dem Hinweis auf die Nichtinanspruchnahme ihrer Rechtsvorgänger verbundene Verweis der Kläger auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz kann keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen. Zwar hat die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des ihr in den bauordnungsrechtlichen Einschreitenstatbeständen (§§ 61 Abs. 2, 88 LBO 1996, 57 Abs. 2, 82 LBO 2004) eingeräumten Entschließungsermessens grundsätzlich den Anforderungen des dem Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmenden Willkürverbots Rechnung zu tragen und sie darf daher gleich gelagerte Sachverhalte nicht ohne einen irgendwie einleuchtenden sachlichen Grund unterschiedlich behandeln. Die Thematik der willkürlich unterschiedlichen Behandlung im Wesentlichen gleich gelagerter Sachverhalte ist vorliegend jedoch nicht berührt. Bei der Frage der unzureichenden Beachtung der brandschutztechnischen Anforderungen an die Tiefgarage des Anwesens L Straße 3 – 5 handelt es sich um einen – und denselben – Lebenssachverhalt, der nicht über einen Hinweis auf den Eintritt der Rechtsnachfolge hinsichtlich des Eigentums in mehrere „Fälle“ aufgespaltet werden kann. Wollte man die Argumentation der Kläger durchgreifen lassen, so liefe das auf einen Ausschluss der Regelungsbefugnisse und – hier – Einschreitenspflichten in einer der Verwirkung vergleichbaren Weise durch die „Hintertür“ hinaus, was gerade angesichts des Umstands, dass die Frage eines Eigentumswechsels in keinerlei Zusammenhang mit dem Einwirkungsbereich der Bauaufsichtsbehörde steht, völlig unvertretbar erschiene. |
14. |
Aus dem bisher Gesagten wird ferner deutlich, dass die Sache unter den von den Klägern im Zulassungsantrag angesprochenen Aspekten weder „besondere“ Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) aufweist. |
15. |
Soweit die Kläger außerdem – freilich ohne konkreten Bezug zu den Zulassungstatbeständen des § 124 Abs. 2 VwGO) - rügen, dass das Verwaltungsgericht von einem Sachverhalt ausgegangen sei, der „von keiner Partei vorgetragen“ worden sei, wird bereits der im Verwaltungsprozessrecht geltende Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) verkannt. Soweit die Kläger geltend machen, der fragliche „Sachverhalt könne so auch nicht zutreffen“ und so auch nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sein, beziehen sie sich auf Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seite 16 des angegriffenen Urteils zu der Frage, ob und inwieweit Mitarbeiter der Kläger vor dem Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren und damit dem Grundstückserwerb Kenntnisse von den gravierenden und nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand zu behebenden Brandschutzdefiziten bei der Tiefgarage erlangt hatten. Wie bereits in der erstinstanzlichen Entscheidung ausgeführt, mag die Beantwortung dieser Frage in der einen oder der anderen Richtung Bedeutung für das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Kläger haben; den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens, also die Frage der Rechtmäßigkeit der brandschutztechnischen Anordnungen in Abschnitt I. der Bescheide der Beklagten vom 12.4.2001 berührt sie nicht. |
16. |
Liegt damit – gemessen am Vortrag der Kläger – keiner der von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe im Verständnis des § 124 Abs. 2 VwGO vor, so ist ihr Antrag auf Zulassung der Berufung zurückzuweisen. |
17. |
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. |
18. |
Die an den geschätzten Kostenangaben für die Erfüllung der Brandschutzanforderungen orientierte Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 25 Abs. 2, 14 Abs. 1 und 3, 13 Abs. 1 GKG, die hier mit Blick auf den Zeitpunkt des Eingangs des Zulassungsantrags am 19.5.2004 noch in der bis zum 30.6.2004 geltenden Fassung Anwendung finden.
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19. |
Der Beschluss ist nicht anfechtbar. |