(weitere Fundstellen: OVGE MüLü 30, 196 ff.)
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Tatbestand: |
1. |
Der Rat der Gemeinde P. befaßte sich im öffentlichen Teil seiner Sitzung am 23.3.1971, die im Mehrzweckraum der Hauptschule stattfand, ua mit der Aufstellung (Tagesordnungspunkt 25) und der Offenlegung (Tagesordnungspunkt 26) des Bebauungsplanes 30 "A.L.", dessen Entw bereits Gegenstand mehrerer vorausgegangener Ratssitzungen gewesen war. Anwesend war der Bürgermeister und 24 weitere Ratsmitglieder; Zuhörer hatten sich in dem für sie reservierten Teil des Mehrzweckraumes eingefunden. Vor Eintritt in die Beratung des Tagesordnungspunktes 25 erklärte der der X-Fraktion angehörende Gemeindevertreter Sch., der ein Grundstück im Planungsbereich besaß, auf dem nach dem Planentwurf Sportanlagen vorgesehen waren, er werde an der Beratung und Beschlußfassung nicht teilnehmen. Sch. verließ den Mehrzweckraum jedoch nicht. Nach Ablehnung eines Vertagungsantrages der Y-Fraktion stellte der Bürgermeister die Verwaltungsvorlage zu Tagesordnungspunkt 25 zur Abstimmung. Daraufhin kündigten Mitglieder der Y-Fraktion an, diese werde sich an der Abstimmung nicht beteiligen und den Sitzungsraum verlassen. Gleichzeitig wurde der Bürgermeister ausweislich der Sitzungsniederschrift beauftragt festzustellen, "inwieweit der Rat beschlußfähig sei". Während die Mitglieder der Y-Fraktion den Sitzungssaal verließen, wurde laut Sitzungsprotokoll "einstimmig" beschlossen, den Bebauungsplan 30 aufzustellen. Nach Abschluß des Abstimmungsverfahrens stellte der Bürgermeister fest, der Rat sei beschlußfähig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch Mitglieder der Y-Fraktion im Sitzungssaal, die sich nach einem Vermerk in der Verhandlungsniederschrift nunmehr ebenfalls aus dem Sitzungsraum entfernten. Während der anschließenden Beratung über den Tagesordnungspunkt 26 war nach der Sitzungsniederschrift nur doch die X-Fraktion im Sitzungsraum zugegen. Nach Rücksprache mit der Verwaltung stellte der Bürgermeister fest, der Rat sei bei 14 anwesenden Mitgliedern und einer gesetzlichen Zahl von 27 Ratsmitgliedern beschlußfähig. Daraufhin beschloß der Rat lt Protokoll "einstimmig" die Offenlage des Bebauungsplanes 30. |
2. |
Auf eine Beanstandung des Ratsmitgliedes Sch. wurde die Sitzungsniederschrift nachträglich durch den Vermerk nach Wiedergabe des Abstimmungsergebnisses ergänzt, Sch. habe an der Beratung und Abstimmung nicht teilgenommen. |
3. |
Die Y-Fraktion hat gegen den Rat der Gemeinde P. Klage erhoben mit dem Begehren, die Rechtswidrigkeit des ihrer Ansicht nach von einer beschlußunfähigen Minderheit des Rates gefaßten Beschl über die Offenlegung des Bebauungsplanes festzustellen. |
4. |
Der Bekl hat demgegenüber den Standpunkt vertreten, er sei beschlußfähig gewesen, weil das befangene Ratsmitglied Sch. anwesend iSd § 34 Abs 1 Satz 1 GO gewesen sei und außerdem das der Y-Fraktion angehörende Ratsmitglied B. während der gesamten Dauer der Beratung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 26 sich im Zuhörerraum aufgehalten habe. |
5. |
Das VG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl hatte keinen Erfolg. |
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Aus den Gründen: |
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I. |
6. |
Entgegen der Ansicht der Kl ist die Berufung des Bekl wirksam eingelegt worden. |
7. |
1. Der Bekl verteidigt im Verwaltungsrechtsstreit das von ihm in Anspruch genommene Recht, die Offenlegung des Bebauungsplanentwurfs unter den im Tatbestand wiedergegebenen Umständen wirksam zu beschließen, gegenüber dem Angriff der Kl, der gefaßte Beschl sei unter Verletzung ihrer Mitgliedschaftsrechte zustande gekommen. In einem solchen organinternen Kommunalverfassungsstreitverfahren über die sich aus dem Gemeindeverfassungsrecht ergebenden Rechte und Pflichten im Bereich einer kommunalen Vertretungskörperschaft ist richtiger Bekl der Rat.
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8. |
2. Der Rat wird in einem organinternen Kommunalverfassungsstreit durch den Bürgermeister (nicht - wie die Kl meint - durch den GemDir) vertreten. |
9. |
Freilich ist die Vertretung des Rates in einem derartigen - von der Rechtspr entwickelten - verwaltungsgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. § 27 Abs 2 Satz 3 GO idF d Bek vom 11.8.1969 (GV NW S 656), wonach die Vertretung des Rates nach außen beim Bürgermeister liegt, betrifft nur die repräsentative Vertretung.
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10. |
§ 55 Abs 1 GO überträgt lediglich die gesetzliche Vertretung der Gemeinde (nicht ihrer Organe) dem GemDir. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Vertretung des Rates ist in Verfahren der vorliegenden Art ebensowenig angängig wie in gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren
und in Kommunalaufsichtssachen.
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11 |
Für die beiden letztgenannten Arten von Streitigkeiten hat der Sen in seiner vorbezeichneten Rechtspr den Rechtsgrundsatz entwickelt, daß auf die Regelung zurückgegriffen werden muß, nach welcher der Beschl, dessen Rechtmäßigkeit im Prozeß verteidigt wird, dem Betroffenen gegenüber Wirksamkeit erlangt; wer die hierzu erforderlichen Maßnahmen trifft, handelt insoweit als gesetzlicher Vertreter des Rates und bleibt dies auch im Verwaltungsrechtsstreit.
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12. |
Entspr gilt auch hier. Allerdings kann die Befugnis zur Vertretung des Rates in einem Kommunalverfassungsstreit mit einzelnen seiner Mitglieder - anders als im gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren und in Kommunalaufsichtssachen - nicht davon abhängen, wer dem streitbefangenen Beschl rechtliche Außenwirkung zu verschaffen und dementsprechend für die Rechtmäßigkeit des Beschl nach außen einzustehen hat. Im Streit befindlich ist in Verfahren der vorliegenden Art nicht die Rechtmäßigkeit eines Ratsbeschl (oder einer Wahl) gegenüber Außenstehenden oder gar der Öffentlichkeit. Der Rat verteidigt vielmehr einen Beschl ausschließlich gegen den von Mitgliedern der Vertretungskörperschaft erhobenen Vorwurf einer Verletzung ihrer Mitgliedschaftsrechte. Eine Rechtswidrigkeit des Beschl aus anderen Gründen - namentlich wegen eines Verstoßes gegen Normen, die keinem innerorganisatorischen Interesse dienen - kann von der überstimmten Minderheit im Rat auch dann nicht erfolgreich im Klagewege gerügt werden, wenn die Mitgliedschaftsrechte eines Kl infolge des Beschl beeinträchtigt werden.
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13. |
Verletzt werden können Mitgliedschaftsrechte von Ratsmitgliedern bereits durch die Beschlußfassung selbst, nicht erst durch die Ausführung des Beschl. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn - wie hier - ein Anspruch auf Teilnahme an einer Abstimmung im Rat in Rede steht. Wer in einem solchen Falle dem Beschl - sei es durch öffentl Bekanntmachung oder durch anderweitige Ausführung - rechtliche Außenwirkung verleiht, kann nicht ohne weiteres zugleich auch zur Vertretung des Rates gegenüber seinen klagenden Mitgliedern befugt sein; denn ihnen gegenüber ist im Innenverhältnis zum Rat die entscheidende rechtliche Wirkung bereits mit dem Zustandekommen des Beschl eingetreten. In diesem Zusammenhang mag dahinstehen, ob schon mit der Beschlußfassung selbst die auf § 47 Abs 1 Satz 2 GO beruhende Verpflichtung des GemDir entsteht, einen Ratsbeschl (abgesehen von den Fällen des § 38 Abs 2 GO) auszuführen,
oder ob es zuvor noch der in § 38 Abs 1 GO vorgesehenen Zuleitung des Beschl an den GemDir durch den Bürgermeister bedarf. Wenn nämlich in einem Kommunalverfassungsstreit Eigenrechte des Rates gegenüber seinen Mitgliedern gerichtlich zu vertreten sind, bleibt jedenfalls nur ein Rückgriff auf die gesetzliche Regelung übrig, nach der dem Bürgermeister - abgesehen von der (repräsentativen) Vertretung des Rates nach außen - der Vorsitz im Rat, dessen Einberufung, die Festsetzung der Tagesordnung und die Verhandlungsleitung, einschließlich der Regelung von Abstimmungen und Wahlen, sowie die Anordnung von vorgeschriebenen öffentl Bekanntmachungen, die Zuleitung der Ratsbeschl an den GemDir und die Durchführung von Beschl zufallen, die die Durchführung der Geschäftsordnung, die Geltendmachung von Ansprüchen der Gemeinde gegen den GemDir und die Amtsführung des GemDir betreffen (§§ 27 Abs 2 Satz 2, 31, 33 Abs 1, 36 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, 37 Abs 3 Satz 1, 38 GO). Mit dieser umfassenden Aufgabenzuweisung hat das Ges dem Bürgermeister nicht allein eine bloße Repräsentantenstellung eingeräumt, sondern zugleich sämtliche eigentlichen Handlungsbefugnisse im Bereich der Gemeindevertretung bei ihm konzentriert. Dem Rat fällt freilich die Aufgabe der Willensbildung und Entschließung zu. Der Bürgermeister leitet indessen die Verhandlungen des Rates und führt dessen Beschlußfassungen herbei. Er handelt hierbei im Verhältnis des Rates zu seinen Mitgliedern als gesetzlicher Vertreter des Rates. Ihm kommt es zu, für ein dem Ges entspr Abstimmungsverfahren Sorge zu tragen und ggf eine Sitzung wegen Beschlußunfähigkeit zu vertagen; er hat dafür einzustehen, daß ein Beschl unter Wahrung der Mitgliederrechte zustande gekommen ist. Ihm obliegt es deswegen auch, den Rat in einem organinternen Kommunalverfassungsstreit zu vertreten. Zusätzlich gestützt wird diese Auffassung durch § 38 Abs 2 lit a GO, wonach der Bürgermeister (nicht der GemDir) Beschl ausführt, die die Durchführung der Geschäftsordnung betreffen. Auch hierin findet die gesetzgeberische Konzeption sinnfällig Ausdruck, die Vertretung des Rates innerhalb des Beschlußgremiums zu belassen und nicht dem außenstehenden GemDir zu übertragen, wenn es sich darum handelt, autonome Rechte des Rates wahrzunehmen. |
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II. |
14. |
Die auch im übrigen zulässige Berufung des Bekl ist nicht begründet. |
15. |
A) Die Zulässigkeit der Klage hat das VG unter Hinweis auf die Rechtspr des Sen zutreffend bejaht (wird ausgeführt). |
16. |
B) In der Sache muß die Klage Erfolg haben, weil der Beschl des Bekl über die Offenlegung des Bebauungsplanes 30 unter Verstoß gegen die Vorschriften des § 34 Abs 1 Satz 1 GO gefaßt worden ist und deswegen die Mitwirkungsrechte der Kl verletzt. |
17. |
Nach § 34 Abs 1 Satz 1 GO ist der Rat nur beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Rates der Gemeinde P. betrug zu dem hier in Rede stehenden Zeitpunkt 27. Bei der Beschlußfassung waren jedoch nur 13 Ratsmitglieder "anwesend" im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 1 GO, wie das erstinstanzliche Ger mit Recht festgestellt hat. |
18. |
1. Von den 14 nach dem Auszug der Kl im Sitzungssaal verbliebenen Mitgliedern der X-Fraktion zählte der Gemeindevertreter Sch. nicht zu den "Anwesenden" iS des § 34 Abs 1 Satz 1 GO, weil er als Eigentümer und (oder) Besitzer eines Grundstücks im Planungsbereich von der Teilnahme an der Abstimmung über die öffentliche Auslegung des Entw des Bebauungsplanes wegen Befangenheit ausgeschlossen war. |
19. |
a) Nach § 30 Abs 2 Satz 2 iVm § 23 Abs 1 GO dürfen Ratsmitglieder bei Angelegenheiten nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entsch ihnen selbst einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Der Eintritt eines Vorteils oder Nachteils braucht nicht festzustehen; es genügt vielmehr die nicht nur theoretisch denkbare Möglichkeit, daß die Entsch zu einem Vorteil oder Nachteil führt.
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20. |
Daß die Belegenheit seines Grundstücks innerhalb des Planungsbereichs unter den gegebenen Umständen ausreichte, um ein Mitwirkungsverbot für den Gemeindevertreter Sch. bei der Beschlußfassung über die Offenlegung des Bebauungsplanentwurfs zu begründen, kann nicht bezweifelt werden. Mit seinen Festsetzungen über die bauliche und sonstige Nutzung wirkt ein Bebauungsplan unmittelbar rechtsgestaltend auf die materiell-rechtliche Bebaubarkeit der von ihm erfaßten Grundstücke ein.
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21. |
Er beeinflußt insbesondere auch den Bodenwert entscheidend und vermag deswegen dem dinglich Verfügungsberechtigten einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil oder Nachteil zu bringen.
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22. |
Letzteres gilt auch bereits für die Offenlegung eines Bebauungsplanentwurfs. Allerdings hat der VGH Ba-Wü in seinem Beschl v 5.2.1973 - II 145/72 -, Ba-Wü VBl 1973, 111 die Auffassung vertreten, es sei unschädlich, wenn ein befangenes Ratsmitglied bei einem Auslegungsbeschl nach § 2 Abs 6 BBauG mitgewirkt habe, weil die maßgebliche und endgültige Entsch über den Bebauungsplan erst in dem - fehlerfrei ohne Mitwirkung des Befangenen zustande gekommenen - Beschl des Gemeinderates über den Bebauungsplan als Satzung (§ 10 BBauG vom 23.6.1960, BGBl I S 341) gefällt worden sei. Die in einem Normenkontrollverfahren ergangene Entsch des VGH Ba-Wü befaßt sich jedoch nur mit der Frage, ob die Mitwirkung eines befangenen Gemeinderatsmitgliedes an dem Auslegungsbeschluß zur Ungültigkeit des Bebauungsplanes führt; sie verneint nicht die Fehlerhaftigkeit des Auslegungsbeschlusses selbst. Daß der Eigentümer eines Grundstücks im Planungsbereich auch schon von der Teilnahme an einer Beschlußfassung des Rates über die Auslegung des Entwurfs des Bebauungsplanes ausgeschlossen ist, folgt ohne weiteres aus der Abhängigkeit, die zwischen den einzelnen Verfahrensstufen bei der Aufstellung eines Bebauungsplanes besteht.
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23. |
Von der Entsch darüber, ob der Entwurf eines Bebauungsplanes ausgelegt werden soll oder zuvor einer weiteren Überarbeitung bedarf, hängt es vor allem ab, wie schnell das Planfeststellungsverfahren beendet und der Plan als Satzung beschlossen werden kann. Daß aber gerade eine Beschleunigung (oder auch eine Blockierung) des Planungsverfahrens die wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer einschneidend berühren kann, liegt auf der Hand. |
24. |
Unerheblich ist, daß der Bekl die Befangenheit des Gemeindevertreters Sch. nicht förmlich durch Beschl festgestellt hat. Zwar entscheidet nach § 30 Abs 2 Satz 2 in Verbindung mit § 23 Abs 1 GO über Ausschließungsgründe bei Ratsmitgliedern der Rat. § 30 Abs 2 GO enthält jedoch lediglich eine Zuständigkeitsregelung und besagt nur, daß nicht das einzelne Ratsmitglied schon durch bloße Erklärung dem Rat gegenüber bindend für ihn bestimmen kann, ob es an einer Beratung und Beschlußfassung mitwirken darf.
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25. |
b) Nach der - berichtigten - Niederschrift über die Ratssitzung am 23.3.1971 hat der Gemeindevertreter Sch. sich an der Beratung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 26 (Offenlegung des Bebauungsplanes 30) nicht beteiligt. Er war allerdings bei der Beratung und Beschlußfassung im Sitzungssaal zugegen; nach der protokollierten Erklärung des Bürgermeisters in der mündlichen Verhandlung erster Instanz soll Sch. schon vorher seinen Sitz am Ratstisch verlassen und während der Behandlung des Tagesordnungspunktes 26 auf einem Stuhl gesessen haben, der auch von Zuschauern oder der Presse hätte in Anspruch genommen werden können. Ob diese Sachdarstellung zutrifft oder ob das Ratsmitglied Sch. während der Abstimmung am Sitzungstisch verblieben ist, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Zwar mag ein befangenes Ratsmitglied schon dann unzulässig an der Entsch mitwirken (§§ 30 Abs 2 Satz 2, 23 Abs 1 GO), wenn es während der Beschlußfassung seinen Platz im Kollegium beibehält.
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26. |
Hierzu ist jedoch keine abschließende Stellungnahme erforderlich. Der Sen braucht auch nicht die in Rechtspr und Schrifttum unterschiedlich beurteilte Frage zu entscheiden, ob ein Ratsmitglied, um dem Mitwirkungsverbot des § 23 Abs 1 GO zu genügen, während der Beratung und Beschlußfassung auch bei einer öffentlichen Sitzung nicht nur den eigentlichen Beratungsraum, sondern auch den für Zuhörer bestimmten Teil des Sitzungssaales verlassen muß
oder ob das ausgeschlossene Ratsmitglied bei einer öffentlichen Sitzung das Recht hat, sich während der Beratung und Beschlußfassung wie jeder andere Bürger unter den Zuhörern aufzuhalten.
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27. |
Ein Gemeinderatsmitglied, das wegen Interessenkollision an der Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen darf (§ 23 Abs 1 GO), ist jedenfalls nicht "anwesend" im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 1 GO; ob das Ratsmitglied den Sitzungsraum verlassen hat oder nicht, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos.
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28. |
Die im Schrifttum
vertretene, vom Bekl geteilte, entgegengesetzte Auffassung, nach der befangene Ratsmitglieder im Falle ihrer Gegenwart im Sitzungssaal bei der Berechnung der zur Beschlußfähigkeit erforderlichen und genügenden Ratsmehrheit mitzuzählen sind, haftet zu sehr am bloßen Wortlaut des Gesetzestextes; sie wird dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates und das Mitwirkungsverbot im Falle der Interessenkollision unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte nicht gerecht. Zum einen müßte nach dieser Ansicht der Rat folgerichtig auch dann als beschlußfähig angesehen werden, wenn sämtliche Mitglieder nach § 23 Abs 1 GO von der Beratung und Entsch ausgeschlossen wären. Da in einem solchen Fall die Möglichkeit einer Beschlußfassung ausscheidet, kann indessen auch keine Beschlußfähigkeit bestehen.
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29. |
Zum anderen würde den Ratsmitgliedern, denen das Ges wegen Befangenheit nicht nur das Stimmrecht, sondern sogar die Befugnis zur Mitberatung entzogen hat, tatsächlich der Weg eröffnet, durch ihr Zugegensein in der Sitzung Einfluß auf die Entsch des Gemeinderats auszuüben. Freilich würde die bloße Gegenwart befangener Ratsmitglieder, die sich an der Beratung und Abstimmung nicht beteiligen, stets insoweit ohne Einfluß sein, als es sich um die Berechnung der Mehrheit der abgegebenen Stimmen handelt (§ 35 Abs 4 GO). Dagegen könnte die Tatsache, daß die befangenen Ratsmitglieder, statt sich zu entfernen, in dem Sitzungssaal verblieben sind, entscheidende Bedeutung gewinnen, soweit die Beschlußfähigkeit des Gemeinderats in Rede steht. Die Anwesenheit der wegen Interessenkollision ausgeschlossenen Ratsmitglieder könnte zwar nicht unmittelbar zu Gunsten eines Antrages ins Gewicht fallen, wohl aber zur Folge haben, daß in einer Angelegenheit, die im Falle der Abwesenheit der Befangenen wegen Beschlußunfähigkeit des Rates zurückzustellen gewesen wäre (§ 34 Abs 2 GO), von einer Minderheit rechtswirksam zu Gunsten des oder der Befangenen beschlossen werden könnte. Ein nach § 23 Abs 1 GO ausgeschlossenes Ratsmitglied könnte hiernach durch seine bloße Gegenwart oder durch das Verlassen des Tagungsraumes erreichen, daß wirksam beschlossen wird, oder daß über einen ihn benachteiligenden Antrag nicht abgestimmt werden kann. Ein derartiges Ergebnis wäre indessen nicht in Einklang zu bringen mit dem Zweck, der durch das Mitwirkungsverbot des § 23 Abs 1 GO erreicht werden soll. Dessen Sinn besteht offensichtlich darin, dem befangenen Ratsmitglied jegliche Möglichkeit der Einflußnahme auf das Abstimmungsergebnis durch eigenes Verhalten bei der Beratung und Beschlußfassung zu nehmen. Diesem Gesetzeszweck entspricht es allein, bei der Feststellung der Beschlußfähigkeit nur diejenigen Ratsmitglieder als anwesend zu berücksichtigen, die auch stimmberechtigt sind. |
30. |
Für diese Auslegung der §§ 34 Abs 1 Satz 1, 23 Abs 1 GO fällt schließlich die Entstehungsgeschichte der Vorschriften ins Gewicht. Das im Geltungsbereich der GO früher geltende Gemeindeverfassungsrecht verlangte nämlich für die Beschlußfähigkeit der Gemeindevertretungen ebenfalls die Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder und traf ausdrücklich Vorkehrungen für den Fall der Beschlußunfähigkeit des Kollegiums infolge des Ausschlusses befangener Mitglieder. So waren nach § 34 Abs 1 Satz 1 der Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen vom 19.3.1856, GS S 265, (LandgemO Westf), Artikel 16 des Gesetzes betr die Gemeindeverfassung in der Rheinprovinz vom 15.5.1856, GS S 435, § 42 Abs 1 Satz 1 der Städteordnung für die Provinz Westfalen v 19.3.1856, GS S 237 (StO Westf), § 40 Abs 1 Satz 1 der Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15.5.1856, GS S 406 (StO Rheinprov) Gemeindeversammlung, Stadtverordnetenversammlung und Gemeinderat nur beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder zugegen war. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Gemeinde durfte derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widerspruch stand (§ 33 Satz 1 LandgemO West; § 44 Satz 1 StO Westf; § 41 Satz 1 StO Rheinprov); nach Art 1, 16 des Ges betreffend die Gemeindeverfassung in der Rheinprovinz vom 15.5.1856 in Verbindung mit § 65 Satz 1 der GO für die Rheinprovinz vom 23.7.1845, GS S 523, (LandgemO Rheinprov), durfte an der Beratung nicht teilnehmen, wer bei einer Angelegenheit ein von dem Interesse der Gemeinde verschiedenes Interesse hatte. Konnte "wegen dieser Ausschließung eine beschlußfähige Versammlung nicht gehalten werden", so hatte in den Stadtgemeinden der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz der Bürgermeister oder Magistrat, im Falle von dessen Ausschluß wegen Interessenkollision die Reg für die Wahrung des Gemeindeinteresses zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Vertreter für die Stadtgemeinde zu bestellen (§ 44 Satz 2 StO Westf, § 41 Satz 2 StO Rheinprov), in den Landgemeinden der Provinz Westfalen hatte der Landrat für die Wahrung des Gemeindeinteresses zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Vertreter für die Gemeinde zu bestellen (§ 33 Satz 2 LandgemO Westf), in den Landgemeinden der Rheinprovinz hatte die Reg für die Wahrung der Rechte der Gemeinde Sorge zu tragen (§ 65 Satz 2 LandgemO Rheinprov). Die StO Westf und die StO Rheinprov sowie die LandgemO Westf und die LandgemO Rheinprov waren bis zum 1.1.1934 in Kraft. Das anschließend geltende Gemeindeverfassungsges v 15.12.1933 (GS S 427) und die DGO v 30.1.1935 (RGBl I S 49)regelten die Beschlußfähigkeit der Gemeindevertretung ebensowenig wie die revidierte DGO v 1.4.1946 (ABl der Militärregierung Deutschland, Br Kontrollgebiet, S 127). |
31. |
Während das Gemeindeverfassungsgesetz und die DGO dem Gemeinderat nur Beratungsaufgaben zuwiesen, behielt die revidierte DGO die Regelung der Beschlußfähigkeit der Gemeindeverfassung vor. Die in die GO NW aufgenommenen Vorschriften über die Beschlußfähigkeit und das Mitwirkungsverbot bei Interessenkollision finden hiernach ihren sachlichen Anknüpfungspunkt in den Regelungen der Pr Städteordnungen für die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz sowie der Landgemeindeordnungen für diese beiden Provinzen. Wenn der nordrhein-westfälische Gesetzgeber deren Regelung ihrem wesentlichen Gehalt nach übernahm, namentlich die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates erst bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der gesetzlichen Mitglieder und den Ausschluß befangener Ratsmitglieder von der Beratung und Abstimmung vorsah, so rechtfertigt sich die Annahme, daß hiermit sachlich nichts Neues bestimmt werden sollte. Aus dem Umstand, daß die GO NW keine zusätzliche Bestimmung darüber getroffen hat, ob "wegen dieser Ausschließung eine beschlußfähige Versammlung nicht gehalten werden" kann, läßt sich Gegenteiliges nicht folgern. Ein derartiger Zusatz konnte dem Gesetzgeber nach Lage der Dinge vielmehr als überflüssig und entbehrlich erscheinen. |
32. |
4. In der Niederschrift über die Sitzung des Bekl vom 23.3.1971 ist ausdrücklich vermerkt, während der Beratung über den Tagesordnungspunkt 26 (Offenlegung des Bebauungsplanes 30) sei nur noch die aus 14 Ratsmitgliedern bestehende X-Fraktion einschließlich des befangenen Gemeindevertreters Sch. im Sitzungsraum zugegen gewesen. Demgegenüber behauptet allerdings der Bekl, bei der Abstimmung habe sich außer den 14 Mitgliedern der X-Fraktion auch noch das der Kl angehörende Ratsmitglied B. unter den Zuschauern im Sitzungssaal befunden. Auf die angebliche Gegenwart B's im Zuhörerraum kommt es indessen für die Beurteilung der Beschlußfähigkeit des Rates nicht an. Ein Ratsmitglied, das sich unter den Zuhörern einer öffentl Ratssitzung befindet, zählt nicht zu den "Anwesenden" im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 1 GO. Zu diesem Ergebnis ist das VG zutreffend gelangt. |
33. |
Die Wortfassung des § 34 Abs 1 Satz 1 GO läßt zwar auch die vom Bekl vorgenommene gegenteilige Ausdeutung zu. Allein vom Wortlaut her kann unter dem Begriff "anwesend" ohne weiteres sowohl die Gegenwart am Sitzungstisch als auch das bloße Zugegensein im Sitzungssaal, einschließlich des Zuhörerraumes, verstanden werden. Ein eindeutiger Sinn läßt sich der Vorschrift des § 34 Abs 1 Satz 1 GO insoweit jedoch abgewinnen, wenn man darauf abstellt, daß die Regelung der Beschlußfähigkeit eine angemessene Repräsentanz der gewählten Gemeindevertreter bei Abstimmung des Gemeinderates gewährleisten soll. |
34. |
Die in § 34 Abs 1 Satz 1 GO getroffene Bestimmung eines Quorums, dh der geringsten Anzahl von Mitgliedern, deren Anwesenheit für die Beschlußfähigkeit des Kollegialorgans rechtlich erforderlich ist, entspricht parlamentarischem Vorbild: Das Erfordernis einer bestimmten Mindestpräsenz bei der Beschlußfassung soll der Möglichkeit vorbeugen, "durch künstlich geschaffene oder zufällige Augenblicksmehrheiten Beschl herbeizuführen, die dem Willen der wirklichen Mehrheit widersprechen".
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35. |
Von dieser Zweckbestimmung des Quorums ausgehend können als "anwesend" im Sinne von § 34 Abs 1 Satz 1 GO nur Ratsmitglieder angesehen werden, die tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, sich an der Abstimmung zu beteiligen (selbstverständlich unter Einschluß derer, die sich hierbei der Stimme enthalten oder ungültige Stimmen abgeben, § 35 Abs 4 GO). Nur Ratsmitglieder, die in der Tat mit abstimmen können und dürfen, erfüllen nämlich die Anforderungen, die mit Rücksicht auf den Sinn des Quorums, Beschl gegen den Willen der eigentlichen Mehrheit im Rat zu erschweren, an die vorgeschriebene Präsenz gestellt werden müssen. Zu den "Anwesenden" zählt deshalb zwar das im Schrifttum
beispielhaft angeführte Ratsmitglied, das durch sein Verhalten während der Beschlußfassung - etwa das Zusammenpacken seiner Sitzungsunterlagen - den Willen kundgibt, sich zu entfernen. Denn dieses Mitglied bleibt bis zum tatsächlichen Verlassen seines Platzes am Sitzungstisch oder des Verhandlungsteiles des Saales im Stande, sich jederzeit doch noch an der Abstimmung zu beteiligen. Ein Ratsmitglied, das bei einer öffentl Sitzung unter den Zuhörern Platz nimmt, begibt sich hingegen dieser Möglichkeit und ist deswegen - zumindest in aller Regel - nicht mehr anwesend im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 1 GO. |
36. |
Demgegenüber läßt sich nicht einwenden, die Tatsache, daß ein zur nötigen Anwesendenzahl fehlendes Ratsmitglied sich wenige Meter vom Sitzungstisch entfernt zwischen die Zuhörer der öffentl Ratssitzung setze, solle nicht dazu mißbraucht werden können, den Rat beschlußunfähig zu machen; wer als abwesend gelten wolle, müsse auch bei einer öffentl Sitzung stets den Sitzungssaal verlassen. Ein solcher Einwand läßt die Bedeutung des Quorums und die Notwendigkeiten eines geordneten, dem Ges entsprechenden Abstimmungsverfahrens außer acht. |
37. |
Die Abstimmung im Rat erfolgt am Sitzungstisch. Ohne weiteres an ihr teilnehmen können bei einer öffentl Ratssitzung nur Ratsmitglieder, die ihren Platz am Sitzungstisch einnehmen oder sich zumindest im Kreise der Abstimmenden in dem eigentlichen Verhandlungsteil des Sitzungsraumes befinden. Zuhörer einer öffentl Ratssitzung, die sich in dem für die Öffentlichkeit bestimmten Zuhörerraum oder Teil des Sitzungssaales aufzuhalten haben, dürfen sich an der Verhandlung nicht beteiligen. Dieses an sich selbstverständliche Verbot ist in § 13 Abs 1 der Geschäftsordnung des Rates der Gemeinde P. ausdrücklich aufgenommen und muß in einer öffentl Gemeinderatssitzung grundsätzlich auch für Ratsmitglieder gelten, die - aus welchen Gründen auch immer - unter den Zuhörern weilen. Zudem ist ein Ratsmitglied, das sich - sei es auch nur vorübergehend - von seinem Platz am Sitzungstisch entfernt und den Zuhörerraum aufgesucht hat, regelmäßig auch tatsächlich außer Stande, von dort aus seine Stimme bei einer bereits begonnenen Abstimmung sicher zur Geltung zu bringen. Ein ordnungsgemäßer Gang der Abstimmung, namentlich die fehlerfreie Feststellung der Stimmenverhältnisse, ist jedenfalls bei einer öffentl Ratssitzung im Falle der Gegenwart von Zuhörern nur gewährleistet, wenn sämtliche sich an der Beschlußfassung beteiligenden Ratsmitglieder am Sitzungstisch oder zumindest im Verhandlungsteil des Sitzungssaales zugegen sind; denn nur dann kann mit hinreichender Sicherheit das Votum jedes Abstimmenden vom Ratsvorsitzenden und auch vom übrigen Rat unschwer einwandfrei wahrgenommen werden, so daß Fehler bei der Auszählung der Stimmen vermieden oder sofort berichtigt werden können. Ebenso läßt sich auch die Zahl der zur Zeit der Abstimmung anwesenden stimmberechtigten und stimmfähigen Ratsmitglieder in einer von Zuhörern besuchten öffentl Ratssitzung zuverlässig nur ermitteln, wenn allein die Gegenwart am Sitzungstisch oder jedenfalls im Verhandlungsteil des Sitzungssaales entscheidet. Nur unter dieser Voraussetzung ist deswegen dem Zweck des Quorums entsprechend insgesamt sichergestellt, daß die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Mindestpräsenz in der Tat während einer Abstimmung besteht und Beschlußfassungen unter Ausnutzung zufälliger oder bewußt herbeigeführter Augenblicksmehrheiten erschwert werden, weil alle Vorgänge während der Abstimmung sich sowohl unter den Augen des für die Verhandlungsleitung verantwortlichen Ratsvorsitzenden (§ 36 Abs 1 GO) als auch zugleich unter der Kontrolle des gesamten Beschlußgremiums vollziehen.
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38. |
Die Entstehungsgeschichte der dem Parlamentsrecht entnommenen Regelung des Beschlußquorums bestätigt diese Auslegung des § 34 Abs 1 Satz 1 GO. Unter "Anwesenheit" im Sinne der einschlägigen parlamentsrechtlichen Vorschriften Preuß und des Deutschen Reiches wurde nämlich herkömmlich nur das Zugegensein bei der Abstimmung im eigentlichen Sitzungssaal verstanden; die bloße Gegenwart "im Hause" ohne Möglichkeit, unmittelbar an der Abstimmung teilzunehmen, genügte nicht. So verlangten bereits Artikel 80 Satz 1 der Verfassungsurkunde für den Preuß Staat vom 31.1.1850 (GS S 17)und Artikel 28 Abs 1 Satz 2 der Verf des Deutschen Reiches v 16.4.1871 (RGBl S 63) die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder der Kammern des Preuß LT sowie des Reichstages als Quorum für Beschlußfassungen; und nach herrschendem Verfassungsverständnis war nur das Zugegensein im Sitzungssaale, nicht "im Hause" maßgebend.
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39. |
Artikel 21 Abs 1 der Verf des Freistaates Preußen v 30.11.1920 (GS S 543) bestimmte: "Der Landtag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist". |
40. |
Die WRV überließ die Regelung der Beschlußfähigkeit des Reichstages ebenso wie später das GG der Geschäftsordnung, die das Quorum ohne Abweichung von dem früheren Recht festsetzte. Nach Artikel 76 Abs 1 Satz 2 WRV kamen verfassungsändernde Beschlüsse des Reichstages jedoch nur zustande, wenn 2/3 der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend waren. Hierzu bestimmte die Geschäftsordnung für den Reichstag (§ 98 Abs 2), der Präsident des Reichstages habe bei Beschlüssen auf Abänderung der Verfassung durch ausdrückliche Erklärung festzustellen, daß 2/3 der Mitglieder anwesend seien. Auch unter der Geltung der preußischen Verfassung vom 30.11.1920 und der WRV entsprach es allgemeiner Rechtsauffassung, daß nur die Anwesenheit im eigentlichen Sitzungssaale, nicht schon die Anwesenheit "im Hause" den Anforderungen des Artikels 76 Abs 1 Satz 2 WRV sowie der Geschäftsordnung genüge.
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41. |
§ 49 Abs 1 der Geschäftsordnung des BT v 28.1.1952 (BGBl II S 389) machte wie die zur Zeit geltende Geschäftsordnung (F d Bek v 22.5.1970, BGBl I S 628, zuletzt geändert durch Bek v 19.10.1972, BGBl I S 2065) die Beschlußfähigkeit des BT ausdrücklich davon abhängig, daß mehr als die Hälfte seiner Mitglieder "im Sitzungssaal" anwesend waren. Daß als Anwesenheit im Sitzungssaal nicht die Gegenwart auf einer (Zuhörertribüne) Tribüne gelten könne, wurde bereits im Ausschuß und von dem Mitberichterstatter (Abg Kahn) in seinem Bericht vor dem Plenum hervorgehoben.
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42. |
Die Regelung des Landtagsquorums in Artikel 44 Abs 1 der Verf des Landes NW vom 18.6.1950 (GV NW S 127)stimmt schließlich wörtlich mit der des Artikels 21 Abs 1 der Pr Verf vom 30.11.1920 überein. Auch Artikel 44 Abs 1 der Verfassung des Landes NW setzt die Anwesenheit im Sitzungssaal selbst voraus.
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43. |
Wenn deshalb der nordrhein-westfälische Gesetzgeber in § 34 Abs 1 Satz 1 GO die Formulierung des Artikels 44 Abs 2 LV übernahm und in wörtlicher Übereinstimmung mit dieser das Beschlußquorum des Gemeinderates festlegte, so rechtfertigt auch das den Schluß, daß allein auf die Gegenwart der Mitglieder bei dem Abstimmungsvorgang im eigentlichen Verhandlungsteil des Sitzungssaales abgestellt werden sollte. |
44. |
Ob ausnahmsweise mit Rücksicht auf die bessere Überschaubarkeit eines Gemeinderats gegenüber einem Parlament dann etwas anderes gelten kann, wenn für den gesamten im Sitzungssaal befindlichen Personenkreis einschließlich des Ratsvorsitzenden die Gegenwart eines unter den Zuhörern befindlichen Ratsmitgliedes unübersehbar war und dieser jederzeit in die Beratung und Abstimmung eingreifen konnte, mag auf sich beruhen. Hier lagen keine übersichtlichen Verhältnisse vor. Nach der Verhandlungsniederschrift und der Sachdarstellung des Bekl besteht insbesondere kein Zweifel daran, daß der Bürgermeister die angebliche Anwesenheit des Ratsmitgliedes B. im Zuhörerraum während der Abstimmung nicht bemerkt hat, sondern erst nachträglich durch Zuhörer hiervon unterrichtet worden ist. |