Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 15.Januar 1987
- 15 A 563/84
-

 (weitere Fundstellen: NJW 1987, 2695 f.)

 

Tatbestand

1.

Der Kl. ist Anwohner der früheren Heine-Straße in K.-W. Da es im Stadtbezirk 3 (L.) der Stadt K. eine zweite Straße mit diesem Namen gab, beschloß die bekl. Bezirksvertretung am 24. 9. 1981, die Heine-Straße in K.-W. in Oscar-Wilde-Straße umzubenennen. Der Beschluß wurde am 12. 7. 1982 im Amtsblatt der Stadt K. veröffentlicht. Die hiergegen gerichtete Klage blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

 

Aus den Gründen:

2.

Der Kl. hat zutreffend einen Anfechtungsantrag gestellt. Der streitige Beschluß der Bezirksvertretung vom 24. 9. 1981 ist ein gem. § 421 VwGO anfechtbarer Verwaltungsakt. Zwar enthält die Benennung einer gemeindlichen Straße – gleiches gilt für die Umbenennung – weder ein Ge- oder Verbot, noch ist sie überhaupt darauf gerichtet, die Rechtsstellung einzelner Personen, etwa der Anlieger oder der Straßenbenutzer, zu verändern. Jedoch wird mit dem Straßennamen eine für die Verkehrs- und Erschließungsfunktion wesentliche und deshalb (ordnungs-)rechtlich bedeutsame Eigenschaft der Straße festgelegt. Es handelt sich folglich um eine adressatlose, sachbezogene Allgemeinverfügung i. S. von § 35 S. 2 Alt. 2 NRW-VwVfG, die im Wege der Anfechtungsklage anzugreifen ist (vgl. Senat, Beschl. v. 31. 7. 1979 — 15 A 368/79; VGH Mannheim, NJW 1981, 1749; Hüttebräucker, VBlBW 1985, 74; Niehues, DVBl 1982, 318; Kodal-Krämer, StraßenR, 4. Aufl. [1985], S. 279 [Rdnrn. 17, 1]; Kopp, VwVfG, 4. Aufl. [1986], § 35 Rdnr. 67; Stelkens-Bonk-Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl. [1983], § 35 Rdnr. 137).

3.

Die Anfechtungsklage des Kl. ist indes abzuweisen, denn er wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt der bekl. Bezirksvertretung nicht in seinen Rechten verletzt (§§ 42 II, 113 I 1 VwGO).

4.

Als adressatlose, sachbezogene Allgemeinverfügung i. S. von § 35 S. 2, Alt. 2 NRWVwVfG war der angefochtene Verwaltungsakt nicht an den Kl. gerichtet. Die Anfechtungsklage des Nichtadressaten ("Dritten") ist mangels unmittelbarer Rechtsbetroffenheit nur dann erfolgreich, wenn die Behörde Grundrechte des Kl. oder eine einfach-gesetzliche Norm verletzt hat, die den Kl. als Teil eines normativ hinreichend deutlich abgegrenzten Personenkreises gerade auch vor dem betreffenden rechtswidrigen Verwaltungsakt schützen will (vgl. BVerwGE 65, 167 [171] = NJW 1982, 2885; BVerwG, BayVBl 1984, 248). Als solche drittschützenden Normen kommen sowohl zwingende als auch solche Rechtssätze in Betracht, die der Behörde ein Ermessen einräumen. Immer ist jedoch erforderlich, daß der jeweilige Kl. sich auf die Verletzung eines Rechtssatzes berufen kann, der jeden falls auch dem Schutz seiner Individualinteressen dient und ihm damit ein subjektiv-öffentliches Recht auf seine Beachtung gewährt. Dem Kl. muß daher zumindest ein – normativ ableitbarer – Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zustehen (vgl. BVerwGE 39, 235 [237] NJW 1973, 724; VG Freiburg, DVBl 1986, 1168 m. Anm. Kirchhoff; Pietzcker, JuS 1982, 108 ff.). Dagegen reicht allein die Beeinträchtigung seiner Interessen nicht aus. Denn der Erfolg der Anfechtungsklage setzt nach den § 42 II, 113 I 1 VwGO nicht eine bloß tatsächliche Betroffenheit, sondern eine Verletzung eigener Rechte voraus (vgl. BVerwGE 61. 256 [262] = NJW 1981, 1393; Erichsen, VerwArch 64 [1973], 323).

5.

1. Die Aufgabe der Benennung von gemeindlichen Straßen ist im Lande Nordrhein-Westfalen nicht spezialgesetzlich geregelt. Sie obliegt den Gemeinden kraft ihres Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 II GG, Art. 78 I, II NRWVerf, §§ 1, 2 NRWGO). Soweit ihr zugleich eine ordnungsrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. Senat, Beschl. v. 31. 7. 1979 – A 368/79; Kodal-Krämer, S.278 [Rdnrn. 13.1, 13.2]; Ehlers, DVBl 1970, 494f.), erschöpft sich diese darin, sicherzustellen, daß die Straßen überhaupt einen unterscheidbaren Namen tragen. Hiergegen ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht verstoßen worden. Im Gegenteil zielte der streitige Beschluß der bekl. Bezirksvertretung darauf ab, die bisherige Heine-Straße in K.-L. von der gleichnamigen Straße in K.-W. zu unterscheiden.

6.

2. Die Vorschriften über die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte (§ 48 I 2, II-IV, § 49 II, V NRWVwVfG) kommen dem Kl. gleichfalls nicht zugute. Denn durch die Zuteilung eines Straßennamens wird ein Recht oder ein rechtlich erheblicher Vorteil der Anlieger nicht begründet (vgl. § 48 I 2 NRWVwVfG). Die Rechtsstellung der Anlieger wird durch sie weder unmittelbar noch mittelbar erweitert, Insbesondere wird durch die mit ihr verbundene Bestimmung der Wohnanschrift das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Anwohner (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) nicht berührt. Denn die Bezeichnung der Wohnung gehört nicht zu dem Bereich privater Lebensgestaltung, der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist (vgl. BVerfG, NVwZ 1984, 36).

7.

Ebenso wenig wird der zugeteilte Straßenname zum Bestandteil des Grundeigentums der Anlieger, weil der Gesetzgeber eine entsprechende Inhaltsbestimmung i. S. von Art. 14 I 2 GG nicht getroffen hat. Der Straßenname gehört vielmehr nur zu den das Grundstückseigentum tatsächlich mitbestimmenden Gegebenheiten, auf deren Fortbestand der Eigentümer als solcher keinen Anspruch hat (vgl. VGT! München, BayVBl 1966, 64; NVwZ 1983, 352).

8.

War der Kl. mithin durch die Zuteilung des früheren Straßennamens nicht in rechtserheblicher Weise begünstigt, so konnte die bekl. Bezirksvertretung den Straßennamen ändern, ohne hierbei an die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 48 II-IV und 49 II, V NRWVwVfG gebunden zu sein (vgl. VGH Mannheim, NJW 1979, 1670; VGH München, NVwZ 1983, 352). Dementsprechend ist es auch nicht möglich, aus dem Aufhebungsermessen der Bekl. nach § 48 I 1, 49 I NRWVfG einen Anspruch des Kl. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung herzuleiten. Denn die § 48 und 49 NRWVwVfG schützen das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer getroffenen Regelung nur insoweit, als diese Regelung ihm i. S. von § 48 I 2 NRWVwVfG ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil vermittelt hat. Einen Schutz auch im Falle einer nur tatsächlich begünstigenden Regelung bieten sie hingegen nicht (vgl. VGH München, NVwZ 1983, 352).

9.

3. Andere einfach-gesetzliche Vorschriften, denen ein verletztes Recht des Kl. entnommen werden könnte, sind nicht vorhanden. Die vom Rat der Stadt K. am 20. 11. 1980 beschlossenen "Grundsätze für die Straßenneu- und -umbenennung", auf deren Verletzung der Kl. sich beruft, sind keine außenwirksamen Rechtssätze, sondern Handlungsanweisungen des Rats an den Oberstadtdirektor (vgl. § 28 I NRWGO) und die Bezirksvertretungen (vgl. § 13b I, II NRWGO) mit lediglich verwaltungsinternem Regelungsanspruch (vgl. Senat, Beschl. v. 4. 6. 1985—15 B 386/85).

10.

Allerdings können sich ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften trotz ihrer nur verwaltungsinternen Geltung deshalb mittelbar auf das Außenverhältnis auswirken, weil die Verwaltung zur Wahrung des Gleichheitssatzes des Art. 3 I GG verpflichtet ist und sich demgemäß durch die Anwendung der Vorschriften im Verhältnis zu den betroffenen Bürgern selbst bindet (vgl. BVerwGE 61, 15 [18] = NJW 1981, 535; BVerwG, NJW 1985, 1234). Da jedoch die mittelbare Außenwirkung einer Verwaltungsvorschrift nicht weiter reichen kann als die unmittelbare Außenwirkung eines Rechtssatzes mit gleichem Inhalt (vgl. BGHZ 91, 243 [249f.] = NJW 1984, 2216), sind die "Grundsätze für die Straßenneu- und -umbenennung" für die Rechtsstellung des Kl. nur insoweit bedeutsam, als sie nach dem Willen ihres Urhebers, des Rates der Stadt K., dazu dienen sollen, die Interessen der einzelnen Straßenanlieger zu schützen. Denn nur unter dieser Voraussetzung könnte einem Rechtsatz mit gleichem Inhalt ein subjektiv-öffentliches Recht des Kl. auf seine Beachtung entnommen werden.

11.

Der Kl. rügt eine Verletzung der Nr. 3.2 der "Grundsätze", derzufolge ausländische Straßennamen möglichst nur zu verwenden sind, wenn ihre Aussprache mir der deutschen identisch ist. Diese Bestimmung bezweckt, Mißverständnisse zu vermeiden, die sich aus einer unterschiedlichen Aussprache ausländischer Straßennamen ergeben können. Sie schützt damit – ähnlich wie die Benennung der gemeindlichen Straßen überhaupt – das öffentliche Interesse daran, daß Wohngebäude, Betriebe, öffentliche Einrichtungen und Amtsgebäude im Verkehr der Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Behörden möglichst leicht und ungehindert aufgefunden werden können. Zwar berühren Umstände, die die Auffindung der Straßenanlieger erschweren, mittelbar auch deren Interesse an ihrer Auffindbarkeit. Doch hat der Rat der Stadt K. der Gefahr von Mißverständnissen infolge einer unterschiedlichen Aussprache ausländischer Straßennamen keine derart große Bedeutung beigemessen, daß er Bezirksvertretungen die Verwendung solcher Straßennamen mit einer von der deutschen abweichenden Aussprache strikt untersagt hätte. Vielmehr sollen entsprechende Benennungsbeschlüsse nur "möglichst" unterbleiben. Angesichts dieses – sogar verwaltungsinternen – weitgehend abgeschwächten Verbindlichkeitsanspruchs stellt sich die Bestimmung in Nr. 3.2 der "Grundsätze" im wesentlichen als eine bloße Empfehlung des Rats an die Bezirksvertretungen dar, die dazu beitragen soll, daß die im öffentlichen Interesse gelegene Aufgabe der Straßenbenennung in einer insgesamt möglichst sachgerechten zweckentsprechenden Weise erledigt wird. Dagegen ist ein Schutz der nur mittelbar betroffenen Interessen der einzelnen Straßenanlieger mit ihr nicht bezweckt.

12.

Mangels eines solchen Schutzzwecks kann der Kl. sich auf eine denkbare Verletzung der Nr. 3.2 der "Grundsätze" auch dann nicht mit Erfolg berufen, wenn angenommen wird, daß diese Empfehlung in früheren, vergleichbaren Fällen durchweg beachtet worden ist. Denn das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 I GG gewährt dem Bürger nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Fortführung einer tatsächlich vorteilhaften Verwaltungspraxis, sondern begünstigt ihn nur dann, wenn ohnehin schon ein Bezug zu seiner Rechtssphäre besteht (vgl. BVerwG, DÖV 1979, 911; Pietzcker, JuS 1982, 110). An einem solchen, die Anwendbarkeit des Art. 3 I GG eröffnenden Bezug zur Rechtssphäre des Kl. Fehlt es im vorliegenden Fall.

13.

Ob Art. 3 I GG über die Fälle einer vorausgesetzten rechtlichen Betroffenheit hinaus auch schlechthin willkürliche Interessenbeeinträchtigungen verbietet (vgl. hierzu BVerwGE 65, 167 [173 f.] = NJW 1982, 2885), mag dahinstehen. Selbst wenn die streitige Straßenumbenennung mit den erwähnten "Grundsätzen" und einer hieran anknüpfenden Verwaltungspraxis nicht voll in Einklang stehen sollte, liegen ihr doch jedenfalls solche Erwägungen zugrunde, die den Vorwurf einer willkürlichen Handlungsweise der Bekl. ausschließen (vgl. BVerwGE 65, 167 = NJW 1982, 2885).

14.

4. Auch im übrigen sind durch die streitige Straßenumbenennung Grundrechte des Kl. nicht verletzt worden. Daß die Wohnanschrift des Kl.

15.

 weder Bestandteil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) noch Bestandteil seines Grundeigentums (Art. 14 GG) ist, ergibt sich aus dem zu §§ 48, 49 NRWVwVfG Gesagten. Ebenso wenig ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. deshalb – mittelbar – verletzt worden, weil die Bekl. einen anstößigen Straßennamen gewählt hätte, dessen Verwendung als Teil seiner Anschrift dem Kl. nicht zugemutet werden könnte. Die Benennung einer Straße nach dem Schriftsteller Oscar Wilde ist offensichtlich nicht anstößig, mag auch der Kl. die Person dieses Schriftstellers aus den in seinem Schreiben vom 28. 12. 1982 erwähnten Gründen ablehnen.

16.

Schließlich ist auch die allgemeine Handlungsfreiheit des Kl. (Art. 21 GG) nicht rechtswidrig beeinträchtigt wurden. Zwar ist es denkbar, daß den Kl., obwohl er nicht Adressat der streitigen Straßenumbenennung war, immerhin aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmungen die Pflicht traf, einzelne Behörden oder öffentliche Einrichtungen über seine neue Anschrift zu unterrichten (vgl. hierzu näher VGH Mannheim, NJW 1981, 1749). Doch knüpfen derartige Mitteilungspflichten lediglich an die Tatsache einer geänderten Anschrift an, ohne daß es auf den Grund der Änderung und deren Rechtmäßigkeit ankäme. Der Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Freiheitssphäre besteht mithin allein in der Auferlegung der betreffenden Mitteilungspflicht selbst. Dagegen kommt den Umständen, die die Pflicht aktualisieren, unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 I GG ein eigener Eingriffswert nicht zu.