Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil vom 16.5.1973
- VII OVG A 97/72
-

 (weitere Fundstellen: GewArch 1973, 303 f.)

 

Tatbestand

1.

Die Klägerin betreibt einen Damenfrisiersalon in B.

2.

Nach einer Betriebserweiterung plante sie im Frühjahr 1970, an ihre Kundinnen in ihren Betriebsräumen Kaffee und sonstige alkoholfreie Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle abzugeben. Vor Eröffnung der erweiterten Betriebsstätte beantragte sie mündlich, ihr dies zu erlauben. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 1970 ab. Zur Begründung wurde angegeben, daß nach § 3 Abs. 2 der „Verordnung über die hygienische Ausübung des Friseurhandwerks" vom 10. Juli 1961 (NdsGVB1. S. 250) die Betriebsräume nicht zu „anderen Zwecken", insbesondere zum Zubereiten und Verabreichen von Speisen und Getränken … benutzt werden dürften.

3.

Nach Zurückweisung des Widerspruches erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, ihr den Ausschank von alkoholfreien Getränken und Kaffee zu gestatten.

4.

Das VG hob zwar die angefochtenen Bescheide auf, verpflichtete jedoch die Beklagte, unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen die Klägerin erneut zu bescheiden. Die Berufung der beklagten Stadtverwaltung hatte keinen Erfolg, das OVG führte jedoch zur Frage der Neubescheidung der Klägerin folgendes aus:

Die rechtzeitig eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das .Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die beantragte Erlaubnis nicht unter Hinweis auf die Verordnung über die hygienische Ausübung des Friseurhandwerks abgelehnt werden durfte. Bei der Entscheidung über den Antrag der Klägerin sind allerdings weitere rechtliche Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen.

 

Aus den Gründen:

5.

1. Die Verordnung über die hygienische Ausübung des Friseurhandwerks greift in einen vom Bundesgesetzgeber abschließend geregelten Bereich ein, soweit sie in ihrem § 3 das Verabreichen von Getränken in Friseurgeschäften generell untersagt und in § 8 keinen Anspruch auf Befreiung von diesem Verbot gewährt. Sie ist deshalb insoweit unanwendbar, weil der Verordnungsgeber die Grenzen der ihm erteilten Regelungsbefugnis überschritten hat. Verordnungen dürfen nach §§ 1, 15 SOG nur im Rahmen der geltenden Gesetze ergehen, als sie übergeordnetem Recht nicht widersprechen (§ 19 Abs. 1 SOG). Das Verbot des gewerblichen Getränkeausschanks in Friseurgeschäften kollidiert mit der bundesgesetzlichen Regelung des gewerblichen Getränkeausschanks nach dem Gaststättengesetz (GaststG in der hier schon anwendbaren Fassung vom 5. Mai 1970 – BGBl. I, 465 –). Unter die Regelung des § 1 Abs. 1 GaststG fällt auch die Fortsetzungsabsicht der vorgenommenen Getränkeabgabe, mit der ein mittelbarer wirtschaftlicher Vorteil angestrebt wird, selbst wenn diese Tätigkeit nur nebenbei oder bei besonderer Gelegenheit ausgeübt wird (vgl. Michel-Kienzle, Rdz. 3, 11, 12 zu § 1 GaststG; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 14. 12. 1954, Buchholz II, Nr. 2 zu Art. 12 GG, S. 20). Es entspricht auch dem Sinn des Gaststättengesetzes, in seinen Regelungsbereich den Ausschank alkoholfreier Getränke im Rahmen eines hauptsächlich anderen Zwecken dienenden Gewerbebetriebes einzubeziehen. Denn zu den besonderen Anliegen des GaststG gehört die Sicherstellung eines gesundheitlich einwandfreien Getränkeausschanks in allen allgemein zugänglichen Betrieben, in denen sich jeder Besucher Getränke servieren lassen kann (vgl. Michel-Kienzle, Rdz. 12 der Einleitung zum Kommentar des GaststG n. F.). Das trifft nicht nur für Gast- und Schankwirtschaften im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs zu. Auch schon nach dem bisherigen, bei Erlaß der Verordnung vom 10. Juli 1967 noch geltendem Gaststättenrecht war durch den Begriff der „Schankwirtschaft‘ jede im Zusammenhang mit anderen gewerblichen Tätigkeiten ausgeübte Getränkeabgabe zum Verzehr an Ort und Stelle der bundesrechtlichen Regelung unterworfen. – Wann die Ausschankerlaubnis wegen unzulänglicher hygienischer Beschaffenheit der Räume (vgl. Michel-Kienzle, Rdz. 37 zu § 4) oder wegen erheblicher, der Allgemeinheit durch die Verwendung der Räume drohender Nachteile zu versagen ist, ist jetzt in § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GaststG geregelt; durch § 4 Abs. 3 GaststG sind die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Mindestanforderungen zu bestimmen, die an die Lage, Beschaffenheit, Ausstattung und Einteilung der Räume im Hinblick auf die jeweilige Betriebsart und Art der zugelassenen Getränke zu stellen sind. Ein allgemeines Verbot, die bestimmten gewerblichen Zwecken dienenden Betriebsräume auch zum Ausschank von Getränken zu benutzen, ist in diesen Rechtsvorschriften nicht ausgesprochen; § 5 Abs. 1 der Nieders. Verordnung zur Durchführung des Gaststättengesetzes vom 7. Mai 1971 (GVBl. S. 215) verbietet nur den Schankbetrieb in Räumen, die zugleich als Wohn- oder Schlafräume dienen. Einzelanordnungen zur Aufrechterhaltung eines hygienischen Schankbetriebs können zum Schutze der Gäste gegen Gesundheitsgefahren jederzeit in Form von Auflagen nach § 5 Abs. 1 GaststG erteilt werden. Hiernach besteht eine abschließende bundesrechtliche, durch landes- rechtliche Spezialvorschriften ergänzte Regelung der für den gewerblichen Getränkeausschank bestehenden Beschränkungen; werden diese eingehalten, so hat der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Zulassung zum Schankbetrieb. Für ein weitergehendes, auf das SOG gestützte Ausschankverbot ohne Befreiungsanspruch ist deshalb kein Raum.

6.

2. Die von der Beklagten ins Feld geführten hygienischen Bedenken rechtfertigen es nicht, die ablehnenden Bescheide unter gaststättenrechtlichen Gesichtspunkten als im Ergebnis zutreffend zu bestätigen. Die auch in einem modern eingerichteten, sauberen Frisiersalon nicht ganz auszuschließende abstrakte Gefahr, daß einzelne unwägbare Stoffe wie Schnitthaare, Staubpartikel und Chemikalien in das dort servierte Getränk gelangen, begründet keine nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 GaststG abzuwehrende Gefahr für die Gesundheit der Kundinnen, die von dem Getränkeangebot Gebrauch machen. Anhaltspunkte dafür, daß die in Betracht kommenden Stoffe, wenn sie vom Körper in kleinsten Mengen mit einem Getränk aufgenommen werden, die menschliche Gesundheit irgendwie beeinträchtigen könnten, sind nicht erkennbar. Es besteht auch kein Anlaß, einen Sachverständigen zu beauftragen, dieser Frage durch naturwissenschaftliche Forschungen nachzugehen. Denn es ist allgemein bekannt, daß die Besucher eines Friseursalons mit diesen Stoffen auch dann in Berührung kommen können, wenn sie dort keine Getränke zu sich nehmen. Daß Staubteilchen, kleinere Haare und versprühte Chemikalien in geringen Mengen in den Mund und die Atemwege der Kunden gelangen, läßt sich beim gewöhnlichen Betriebsablauf nicht ganz vermeiden. Es gibt indessen nach Kenntnis des Senats und dem Vorbringen der Beteiligten keine Anhaltspunkte dafür, daß diese normalen Begleiterscheinungen des Friseurbetriebs sich gesundheitsschädigend auswirken könnten, wenn die Anforderungen der „Verordnung über die hygienische Ausübung des Friseurhandwerks" über die zu verwendenden Stoffe und die Beseitigung von Schmutz und Abfällen genügend beachtet werden. Um so weniger braucht dort beim versehentlichen Verschlucken einzelner derartiger, unbemerkt in ein Getränk gelangter Teilchen mit Gesundheitsgefahren gerechnet zu werden, da gerade die zur Nahrungsaufnahme und -verarbeitung dienenden Körperorgane geringe Mengen unverdaulicher Substanzen im allgemeinen ohne Schaden für den Organismus wieder abstoßen. Abgesehen davon ist die Wahrscheinlichkeit, daß solche Stoffe mit einem Getränk aufgenommen werden, durch besondere Schutzvorkehrungen und Achtsamkeit sehr viel leichter vermeidbar oder herabsetzbar, als etwa die Reinhaltung der Atemluft in solchen Betrieben gewährleistet werden kann.

7.

Nicht zu den nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 GaststG abzuwehrenden Gesundheitsgefahren gehört die Möglichkeit, daß das im Friseurgeschäft servierte Getränk auf den damit bewirteten Gast unappetitlich wirkt, z. B. weil ein Haar darauf schwimmt oder bestimmte Duftstoffe den Geschmack des Kaffees beeinträchtigen; insbesondere die zum Kaffee gereichte Milch nimmt leicht den Geruch luftverunreinigender Stoffe an. Indessen ist es nicht Aufgabe der das Gaststättenrecht anwendenden Behörden, das Publikum vor unappetitlich zubereiteten oder schlecht schmeckenden Getränken zu schützen. Denn niemand ist gezwungen, in einer seinen Appetit beeinträchtigenden Umgebung etwas zu bestellen oder ein ihm ungenießbar erscheinendes Getränk zu sich zu nehmen.

8.

3. Wenn nach alledem gesundheitliche Gefahren in einem ordnungsgemäß geführten, sauberen Friseurbetrieb nicht zur Versagung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 2, 3 GaststG führen können, so schließt dies nicht aus, daß das Zubereiten und Servieren durch Auflagen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 im einzelnen geregelt wird. Denn wie mehrfach hervorgehoben wurde, können hygienische Bedenken gegen den Getränkeausschank nur in einem sauberen, den allgemeinen hygienischen Anforderungen entsprechenden Betrieb ausgeschlossen werden. Deshalb ist es gerechtfertigt, auch für den Vorgang des Servierens besondere Auflagen zu erteilen, durch die auch insoweit größtmögliche Sauberkeit gewährleistet ist. Denkbar ist etwa die Auflage, daß die den Kaffee zubereitende oder servierende Gehilfin hierbei den Friseurkittel abzulegen hat und ihre Hände gründlich reinigen muß. Geregelt werden könnte auch, in welchen Behältnissen der Kaffee von der Küche zum Verzehrplatz getragen werden muß. Es liegt nahe, die im einzelnen erforderlichen Anordnungen aufgrund des Gutachtens einer besonders sachkundigen Stelle, etwa des Landesgewerbearztes, zu treffen. Indessen obliegt es nicht dem Verwaltungsgericht, hier mit der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit solcher in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellten Auflagen im einzelnen auseinanderzusetzen.

9.

Wegen der im Verwaltungsverfahren nachzuholenden Prüfung dieser Fragen braucht auch noch nicht abschließend zur Frage etwaiger sonstiger Versagungsgründe (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 GaststG) Stellung genommen zu werden. Auch insoweit ist die Sache noch nicht spruchreif. Die Beklagte muß der Klägerin, bevor sie endgültig über den Antrag entscheidet, ausreichende Gelegenheit geben, den Nachweis zu führen, daß sie auch die persönlichen Voraussetzungen für eine gaststättenrechtliche Erlaubnis in dem hier angestrebten begrenzten Umfang erfüllt.

10.

Der Beklagten ist mit der im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung die Anwendung einer nach Auffassung des Senats durch die bundesrechtliche Regelung verdrängten Rechtsvorschrift aufgegeben worden. Insoweit kann der Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben; vielmehr ist klarzustellen, daß statt dessen die hier dargestellte Rechtsauffassung, insbesondere zur Frage der Anwendbarkeit des Gaststättenrechts, für die Beklagte verbindlich ist.