Niedersächsisches
Oberverwaltungsgericht
Beschluss vom
16.05.1984
- 12 B 53/84
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(weitere Fundstellen: NVwZ 1985, 925 f.)
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Zum Sachverhalt: |
1. |
Der Ast. (Kameradschaftsverband der Soldaten eines Panzer-Korps der ehemaligen Waffen-SS e. V.) hatte seine Mitglieder zur Jahreshauptversammlung, die in den Vorjahren in Bad Hersfeld stattgefunden hat, für 1984 in das Kurhaus der Stadt Bad H. eingeladen. Mit Verfügung v. 7. 3. 1984 verbot die Stadt, die auch eine Kündigung des mit der Kurhaus-KG geschlossenen Vertrages erwirkte, dieses Treffen und zugleich auch alle anderen Veranstaltungen des Ast. (sog. "Kompanie-Abende" in einzelnen Lokalen) in ihrem Stadtgebiet. Das VG entsprach dem Antrag des Verbandes auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Stadt hatte vor dem OVG Erfolg. |
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Aus den Gründen: |
2. |
Die Ag. hat die sofortige Vollziehung der angefochtenen Untersagungsverfügung v. 7. 3. 1984 aus zutreffenden rechtlichen Gründen angeordnet (§ 80 II Nr. 4 VwGO). Die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung liegt im öffentlichen Interesse. Die Untersagung ist erkennbar rechtmäßig und hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 11 i. V. mit 1, 2, 6 NdsSOG, da das Versammlungsgesetz v. 15. 11. 1978 (BGBl I, 1790) für die geplante nichtöffentliche Versammlung unanwendbar ist, wie das VG zutreffend ausführt. |
3. |
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Ast. gegen diese Verfügung bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits ohne rechtsschutzwürdiges Interesse, soweit er sich gegen die Sofortvollziehung der Untersagung des geplanten Treffens im Kurhaus der Stadt Bad Harzburg richtet. Das Treffen kann im Kurhaus der Stadt nicht stattfinden, weil der Mietvertrag zwischen dem Ast. und dem Leiter der Kurhausgastromonie mit Schreiben v. 20. 3. 1984 gekündigt worden ist. Soweit sich der Aussetzungsantrag gegen die Regelung in der Verbotsverfügung wendet, daß auch "alle anderen Veranstaltungen im Gebiet der Stadt Bad Harzburg" verboten sind, ist der Antrag unbegründet. |
4. |
Die nicht erlaubnispflichtige, friedlich geplante, vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG) geschützte und deshalb normalerweise "polizeifeste" Versammlung des Ast. ist unter den besonderen örtlichen und historischen Umständen rechtswidrig. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, die seine "immanente" Schranke darstellt; das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1, 2. Alt. GG) eines unbestimmten Personenkreises ist unter den besonderen Umständen dieser Veranstaltung so stark gefährdet, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit an seine Grenzen stößt (Drews-Wacke-Vogel-Martens, Gefahrenabwehr II, 8. Aufl. (1977), S. 73, 192 ff.; v. Münch, GG, 1981, Art. 8 Rdnr. 29). Die Versammlung führt zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, welche wesentlicher Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. des Art. 2 I GG ist und das spezielle Grundrecht des Art. 8 I GG begrenzt (Dürig, AöR 79 (195354), 79 ff.). Dies ergibt sich im einzelnen aus Folgendem: |
5. |
Dringende öffentliche Interessen gebieten es, die auf die Tage v. 17. bis 20. 5. 1984 angesetzte Versammlung des Kameradschaftsverbandes zu untersagen. Es besteht nach der zutreffenden Einschätzung der Ag. eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i. S. des § 2 Nr. 1a NdsSOG, wenn die Veranstaltung in irgendeinem Gebäude der Stadt ... stattfindet, weil hinreichend wahrscheinlich ist, daß während des Treffens Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Wie aus den von der Ag. vorgelegten Presseberichten hervorgeht, haben die Gegner des Treffens eine Demonstration bereits angemeldet. Es muß nach den Erfahrungen mit gleichartigen Demonstrationen gegen Veranstaltungen von Kameradschaftsbünden der ehemaligen Waffen-SS damit gerechnet werden, daß es zu Ausschreitungen der Demonstranten gegen die Teilnehmer des Treffens und zu Gegenmaßnahmen der Verbandsmitglieder und radikaler Gruppen kommen wird. Diese Ausschreitungen gefährden die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich. |
6. |
Der Kameradschaftsverband der Soldaten des I. Panzer-Korps der ehemaligen Waffen-SS e. V. soll die Erinnerung an die Waffen-SS wachhalten. Dies geht aus den Zwecksetzungen und Aufgaben des Verbandes hervor, wie sie in der Satzung des Verbandes in dessen § 3 gekennzeichnet sind, wo unter e) die "Erstellung der Kriegsgeschichte des I. Panzer-Korps" als Aufgaben genannt ist. Es ist in der Öffentlichkeit zudem bekannt und steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, daß das Gedankengut der SS durch die geplanten Veranstaltungen des Verbandes belebt werden soll, ohne daß entschieden zu werden braucht, ob der Verband zu den rechtsextremistischen Gruppen in der Bundesrepublik gehört. Dieses Gedankengut wird durch die Worte Himmlers aus dem Jahre 1934 umrissen: Aufgabe der SS war, "sämtliche offenen und geheimen Feinde des Führers, der nationalsozialistischen Bewegung und unserer völkischen Auferstehung zu finden, zu bekämpfen und zu vernichten. Bei diesem Werk sind wir willens, weder eigenes noch fremdes Blut zu schonen, wenn es das Vaterland fordert." (Nationalsozialistische Monatshefte 5 (1934), S. 10, zit. nach Sauer, in: Bracher-Sauer-Schulz, Die Nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 928 m. Fußn. 148). Die Ag. hat in der Verbotsverfügung auf Blatt 2 unter Nr. 5 inhaltlich zutreffend das Urteil von Nürnberg v. 30. 9. 1946 zitiert, in dem eine Stellungnahme gerade auch zur ehemaligen Waffen-SS enthalten ist, die aber nicht im einzelnen gewertet werden kann. Mit dem Blick auf den gekennzeichneten historischen Hintergrund sind Ausschreitungen wahrscheinlich, weil das Treffen des Verbandes gerade in der Stadt ... auf weite Teile der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland herausfordernd wirkt; die Bedeutung der sog. "Harzburger Front" ist allgemein noch gut bekannt. Die Harzburger Front war der Zusammenschluß der sog. "Nationalen Opposition", nämlich der Nationalsozialisten, der Deutschnationalen des Stahlhelms, der Vereinigung vaterländischer Verbände und anderer Verbände unter der Führung von Hitler, Hugenberg und Seldte im Kampf gegen Brüning und seine von der damaligen SPD tolerierte Minderheitsregierung. Die "Harzburger Front" forderte auf ihrer Harzburger Tagung am 11. 10. 1931 den Rücktritt der Regierungen im Reich und in Preußen sowie die Auflösung des Reichstages und des Preußischen Landtags. In der Literatur wird die Bedeutung jener historischen Harzburger Tagung anschaulich als "präludierender Paukenschlag" für die nationalsozialistische Machtergreifung bezeichnet (Bracher, in: Bracher-Sauer-Schulz, aaO, S. 26). Die Wahl gerade der Stadt Bad Harzburg als Tagungsort für das Treffen kann - wie schon erwähnt - nur so verstanden werden, daß der Kameradschaftsverband die Erinnerung an das für die nationalsozialistische Bewegung bedeutende Ereignis im Jahre 1931 neu beleben will. Hieran ändert auch nichts der Hinweis des Ast. auf seine Zwecke und Aufgaben, die "eine Restauration nationalsozialistischen Gedankengutes" untersagt. Wenn der Ast. ehrlich eine deutliche Distanzierung zum Gedankengut des Nationalsozialismus vornehmen will, so hätte er sich rechtzeitig um einen anderen, historisch nicht belasteten Tagungsort bemühen müssen, der sicher zu finden gewesen wäre. |
7. |
Diese historische Verknüpfung wird, wie die Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern des Treffens und Demonstranten stark motivieren. Das VG hat diese mögliche Entwicklung in der angefochtenen Entscheidung auch bedacht, nach Auffassung des Senats jedoch zu gering bewertet. In der Einladung zum Treffen 1984 heißt es:
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8. |
Allein diese Formulierung läßt erkennen, daß die Veranstalter sich der besonderen Bedeutung des gewählten Versammlungsortes wohl bewußt waren. Damit gewinnen die vom VG verworfenen Bedenken so viel Gewicht, daß die öffentlichen Belange überwiegen. Die Ag. war unter diesen Umständen wegen einer vorliegenden konkreten Gefahr zu Maßnahmen gemäß § 11 NdsSOG gegen den Ast. als in dieser historisch-politischen Situation vorrangig Verantwortlichen i. S. des § 6 NdsSOG verpflichtet (Drews-Wacke-Martens, S. 192 (193)). |