Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil vom 22. März 1962
– 6 A 69/82 –

(weitere Fundstellen: DVBl. 1962, 418 ff.)

 

Leitsatz:

 

Der Bauwich ist in der Regel auch dem Schutz des Grenznachbarn zu dienen bestimmt und gibt diesem ein subj. öff. Recht auf seine Einhaltung, vorbehaltlich einer rechtmäßigen Befreiung (Dispens). Die messbare Größe des Bauwichs schließt es aus, geringfügige Überbauungen im Verhältnis zum Nachbarn, weil diesem zumutbar, nicht als Eingriff anzusehen. Doch kann ein solcher geringfügiger Eingriff deshalb rechtmäßig sein, weil er durch eine zulässige Befreiung (Dispens) gedeckt ist.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die Bekl. 1 (Stadt) erteilte dem Beigel. (Bauherrn) eine Baugenehmigung, die auch die Errichtung einer Garage auf der Grenze umfasste, obwohl der Kl. als Nachbar einer Grenzbebauung widersprochen hatte. Der Beigel., ein Bediensteter der Stadt, baute in Abweichung vom Bauschein entsprechend seinem ursprünglichen Bauantrag nicht nur eine Garage, sondern ein Mehrzweckgebäude (Garage und Geräteraum). Das Stadtbauamt sanktionierte die Abweichung vom Bauschein durch eine formlose Aktennotiz. Auf Dienstaufsichtsbeschwerde des Kl. beanstandete der RegPräs. Zunächst die Praxis der Stadt, wies jedoch schließlich die Beschwerde des Kl. zurück.

2.

Die Klage gegen die Stadt und den RegPräs. (Bekl. 2) blieb im ersten Rechtszug erfolglos. Das VG bejahte zwar eine Verletzung des Bauwichs, hielt aber die Beeinträchtigung des Kl. für zumutbar. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Klage richtet sich gegen die dem Beigel. erteilte Baugenehmigung, und zwar soweit sie sich auf das Nebengebäude (Garage und Geräteraum) bezieht. Es diente der Klärung des Streitgegenstandes, dass der Kl. in seinen Antrag nunmehr die formlose Nachtragsgenehmigung einbezogen hat, durch die das Zuwiderhandeln des Beigel. gegen die Baugenehmigung sanktioniert werden sollte. Das ungewöhnliche Verfahren der Baugenehmigungsbehörde, den Verstoß gegen den von ihr selbst erteilten Bauschein zu decken, rechtfertigt es auch, den Nachtrag verfahrensmäßig als Anhang zum Bauschein zu betrachten und ihn als durch das vom VG zutreffend als gegeben erachtete Vorverfahren mitumfasst anzusehen, nachdem im anschließenden Streitverfahren beide Bekl. Sich auf den Boden der geschaffenen Tatsachen gestellt und keinen Anlass gesehen haben, ihre im Vorverfahren getroffenen Entscheidungen zu überprüfen.

4.

Dass in erster Linie der Weg der Anfechtungsklage beschritten worden ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, wonach ein unter Verletzung von Rechten des Nachbarn erteilter Bauschein diesem gegenüber einen belastenden VerwAkt darstellt, so dass Rechtsschutz in Form der auf Beseitigung dieses Aktes gerichteten Anfechtungsklage zu gewähren ist (§ 23 MRVO 165, § 42 VwGO)

5.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung weiter anerkannt, dass der Grundstücksnachbar eine erteilte Baugenehmigung anfechten kann, wenn sie unter rechtswidriger Bewilligung oder Unterlassung eines erforderlichen Dispenses von einer Baurechtsnorm erteilt ist, die den Nachbarn oder doch jedenfalls auch ihn zu schützen bestimmt ist und ihm deshalb ein subj. öff. Recht auf ihre Einhaltung gewährt (vgl. Urt. vom 13.10.1958, BBauBl. 1959, 401; Urt. Vom 28.08.1959, DVBl. 1959, 820 = Thiel, Baurechtssammlung [BRS] Bd. 9 V A 4 S.84; Urt. vom 06.11.1959, Thiel, BRS, Bd. 10 V A 4 S.118). Da der Kl. geltend macht, durch Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung ohne einen erforderlichen Dispens in seinen Rechten verletzt zu sein, ist die Anfechtungsklage zulässig (vgl. jetzt ausdrücklich § 42 Abs. 2 VwGO).

6.

Da die Klage von Inkrafttreten der VwGo erhoben worden ist, ist der Anfechtungsantrag zu a) zu Recht gegen den Bekl. 2 gerichtet und nach Inkrafttreten der VwGO aufrechterhalten worden (BVerG, Urt. vom 11.11.1969, NJW 1960, 1587).

7.

In der Sache selbst steht fest, dass das umstrittene Nebengebäude auf der Grenze zum Grundstück des Kl. errichtet worden ist, obwohl nach § 8 II BauO ein seitlicher Grenzabstand (Bauwich) von 3 m hätte eingehalten werden müssen.

8.

Der Bauwich nach vorstehender Bauordnung gibt dem Grenznachbarn ein subj. öff. Recht auf seine Einhaltung, denn er ist nicht nur dem öff. Interesse, sondern auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt. Wie bereits in dem zitierten Urteil des Senats vom 20.08.1959 (DVBl. 1959, 820) ausgeführt worden ist, ist für jede BauO zu untersuchen, ob die Vorschrift über den Bauwich nachbarschützenden Inhalt hat und ob insbesondere auch ein Wandel der Anschauungen und Verhältnisse, mithin eine zeitnahe Auslegung es rechtfertigt, ihr einen solchen Gehalt beizumessen. Der Senat hat schon damals darauf hingewiesen, dass namentlich für städtische Bauordnungen der Bauwich auch dem Bedürfnis nach freier Sonnenbelichtung, Luftzufuhr und freiem Ausblick zu dienen bestimmt sein kann und somit als Teil der Abstufung baulicher Ausnutzbarkeit erscheint. Dies wird um so deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die Bebauungspläne nach dem inzwischen in Kraft getretenen BbauG ebenso wie ihre Vorläufer nach den Aufbaugesetzen der Länder mit ihren Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 a BbauG) sowie über die überbaubaren und nicht überbaubaren Grundstücksflächen und die Stellung der baulichen Anlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b und e) auch den seitlichen Grenzabstand in sich aufnehmen. In dieser Sicht erscheint der Bauwich – ehedem allein oder doch überwiegend ein Institut des Baupolizeirechts im engeren Sinne – einerseits als ein Ausdruck städtebaulicher Grundsätze und dient insoweit nicht den spezifischen Nachbarinteressen, sondern öff. Belangen. Andererseits kann seine Festsetzung für bestimmte Bereiche der offenen Bauweise zugleich das Ergebnis der Koordinierung der Interessen der Grundstückseigentümer dieser Bereiche sein, wie auch sonst den Bebauungsplänen – etwa bei den Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung in Gestalt der Ausweisung von reinen Wohngebieten zum Unterschied von Mischgebieten oder Gewerbe- und Industriegebieten – eine solche für die Grundeigentümer unmittelbar bedeutsame Wirkung zukommt. Bei dieser Betrachtung tritt der Gedanke des Feuerschutzes, der in der vom Senat in seinem Urteil vom 28.08.1959 (aaO) behandelten ländlichen Bauordnung einen vielfältigen Ausdruck gefunden hatte, naturgemäß etwas zurück. Aber auch für den Bereich ländlicher Bauordnungen ist der Gedanke des Feuerschutzes, wie zwischenzeitliche Erfahrungen des Senats ergeben haben, beim Bauwich nicht allein beherrschend. Steht doch zum mindesten in Erholungs-, Landhaus- und Wochenendgebieten hinter dem Bauwich zugleich auch das Bedürfnis nach Licht, Luft und Sonne, zumal der Drang des Stadtmenschen zum Land hin zahlreiche Siedlungen dieser Art entstehen lässt.

9.

Begreift man den Bauwich in moderner Hinsicht als Ausdruck der Abstufung baulicher Ausnutzbarkeit eines bestimmten Baugebietes, so steckt in seiner Regelung wie in vielen Planregelungen eine Einordnung der betroffenen Grundeigentümer in eine rechtliche Schicksalsgemeinschaft (vlg. dazu die Diskussionen der Staatsrechtslehrer zum baurechtlichen Plan, VVDStRL Heft 18 S. 113ff.), die von ihnen das Opfer der Einhaltung eines bestimmten Grenzabstandes verlangt, aber auch seine Einhaltung durch den Grenznachbarn zu seinen Gunsten gewährleistet.

10.

Der Gedanke als solcher ist, auch wenn er in moderner Sicht eine breitere Bedeutung gewonnen hat, nicht neu. Hat doch schon das RG für den Bereich der Braunschweig. LandesbauO 1899, die allerdings als förmliches Gesetz ergangen ist, einer Abstandsvorschrift, die land- und gartenwirtschaftlich genutzten Nachbargrundstücken Rechnung tragen sollte, auch einen zivilrechtlichen relevanten nachbarschützenden Charakter zuerkannt (RGZ 87, 371).

11.

Als Ergebnis dieser allgemeinen Ausführungen ist folgendes festzuhalten: Zwar gibt es keinen vorgegebenen Begriff des Bauwichs mit notwendig nachbarschützendem Charakter, jedoch ist bei der Auslegung der einzelnen Bauordnungen davon auszugehen, dass die vorstehend dargelegten Gesichtspunkte im Zweifel in der Regelung des Bauwichs ihren Ausdruck gefunden haben und mindestens ein wesentliches Indiz dafür bilden oder sogar eine Vermutung begründen, dass dieser auch den Grenznachbarn zu schützen bestimmt ist.

12.

Betrachtet man auf dieser Grundlage die hier anzuwendende BauO, so ist zunächst wesentlich, dass es sich um eine für Städte bestimmte BauO handelt, die im § 7 verschiedene Baugebiete und Baustufen vorsieht und damit auch den besonderen Interessen der Grundeigentümer dieser Teilbereiche Rechnung trägt. Die Vorschriften des § 8 über die Gebäudeabstände dienen auch mit dem Feuerschutz, wie insbesondere die Abschnitte III, IV und V über die Einhaltung vergrößerter Abstände bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen deutlich machen. Aber gerade der normale Bauwich nach der vorliegenden Bauordnung dient nicht bloß dem Feuerschutz. Dies ergibt sich besonders daraus, dass im Bereich der geschlossenen Bebauung dort, wo Grenzabstände eigehalten werden müssen, nach § 8 I Nr. 4 in diesem Bereich Grenzmauern nur bis 1,80m Höhe statthaft sind, dass weiter im Bereich der offenen Bebauung nach § 8 II Nr. 4 und 5 für Räume, die zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, oder bei besonderer Länge der Seitenfront sich die Maße des Bauwichs unter Umständen erhöhen und dass schließlich nach § 25 Nr. 5b seitliche Grundstückeinfriedungen eine Gesamthöhe von 1,80m nicht überschreiten dürfen.

13.

Auch die Prüfung der vorliegenden BauO ergibt also, dass nichts entgegensteht, ja es erkennbar in ihrem Sinne liegt, entsprechend den obigen Darlegungen dem Nachbarn ein subj. öff. Recht auf Einhaltung des Bauwichs einzuräumen. Der Senat folgt damit der Rechtsprechung anderer OVGe, die – allerdings mit zum Teil abweichender oder doch wesentlich allgemeiner gehaltener Begründung – dem Bauwich nachbarschützenden Charakter beigemessen haben (vgl. OVG Münster, OVGE 13, 361 = DVBl. 1959, 102; DVBl. 1960, 603; OVG Koblenz, AS 1, 400; Bayer. VGH, VGHE n. F. 5, 119; OVG Berlin, Urt. vom 20.05.1955 – OVG II B 112/54 – und vom 21.01.1958 – OVG II B 95/56 – zitiert nach den Hinweisen in JR 1962, 116 ff.).

14.

Da der Bauwich eine messbare Größe darstellt, ist es nach Auffassung des Senats nicht möglich, seinen nachbarschützenden Gehalt durch Erwägungen, die zwar hinter der Regelung stehen mögen, aber in der Regelung selbst keinen Ausdruck gefunden haben, einzuschränken. Soweit in den früheren Urteilen des Senats Gedanken dieser Art nach dem damaligen Stand der Erkenntnis und Erfahrungen erwogen worden sind, glaubt der Senat nach seiner heutigen Erkenntnis, auf diesem Wege den nachbarschützenden Gehalt der Norm nicht relativieren oder einschränken zu können. Da der Bauabstand der Größe nach durch die Norm eindeutig festgelegt ist, ist es auch nicht möglich, im Falle geringfügiger Überbauung in Bezug auf den Nachbarn einen Eingriff in den Bauwich nicht als gegeben anzusehen, weil ihm die Beeinträchtigung zugemutet werden könne (so aber OVG Münster, DVBl. 1960, 603 und im Anschluss daran das angefochtene Urteil des VG). Wenn das OVG Münster diese Einschränkung daraus herleitet, dass bei anderen nachbarschützenden Vorschriften deutlich ausgedrückt sei, dass nur unzumutbar störende Einflüsse von Nachbarn ferngehalten werden sollten, so verbietet die eindeutige Fassung der Vorschriften über den Bauwich die Übernahme einer solchen Einschränkung auf ihn. Insofern liegt auch der von erk. Senat in seinem Urteil vom 06.10.1960 (Thiel, BRS 10 V A 4, 118) behandelte Fall anders, weil in jenem Fall aus dem Zusammenhang der in Betracht kommenden Normen eine inhaltliche Begrenzung zu gewinnen war, was beim größenmäßig festgelegten Bauwich ausscheidet. Eine Einschränkung des Nachbarschutzes beim Bauwich ergibt sich aber darauf, dass nur ein rechtswidriger Eingriff in ihn den Nachbarn verletzt und dass dann, wenn vom Bauwich rechtmäßig Befreiung (Dispens) gewährt worden ist, ein rechtswidriger Eingriff nicht vorliegt. Bei Prüfung der Dispensvoraussetzungen ergibt sich die Möglichkeit, den hinter der Norm stehenden Schutzgütern sowie den öffentlichen Interessen des Bauherrn sowie des Nachbarn Rechnung zu tragen und damit zumutbare Beeinträchtigungen als Klaggrund auszuschließen (vgl. OVG Lüneburg, Thiel, BRS 9 V A 4,89). Im vorliegenden Fall ist der Bauwich auch rechtswidrig verletzt.

15.

Die Berufung der Bekl. und des Beigel. darauf, dass eine Ausnahme vom Bauwich durch § 13 Abs. 4 a RGaO gerechtfertigt sei, geht, wie das VG zutreffend erkannt hat, fehl. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 20.10.1961 – I OVG A 143/40 – und in seinem Beschluss vom 03.01.1962 – I OVG B 122/61 – im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG (Beschluss vom 12.05.1959, NJW 1959, 1382, und Beschluss vom 02.11.1961 – I B 34/61 –) ausgeführt, dass eine Garage an der Nachbargrenze nicht ohne weiteres genehmigt werden darf, sondern nur dann, wenn die Verwirklichung der Ziele der RGaO dies erfordert, mithin kein anderer, für den gedachten Zweck gleichwertiger Standort zur Verfügung steht. Die Augenscheinseinnahme durch den Senat hat die Feststellung des VG bestätigt, dass die Garage auf dem Grundstück ohne Inanspruchnahme des Bauwichs hätte errichtet werden können.

16.

Das Nebengebäude ist aber auch – jedenfalls in seinem derzeitigen Bestand – deshalb nicht durch § 13 Abs. 4 a RGaO gedeckt, weil es nicht nur eine Garage enthält. Da es entgegen der erteilten Baugenehmigung nach dem ursprünglichen Bauantrag errichtet worden ist, muss sich der Beigel. daran festhalten lassen, dass es nach dem von ihm unterzeichneten Bauantrag in Verbindung mit den beigefügten Bauunterlagen als Mehrzweckgebäude (Garage und Geräteraum) errichtet worden ist. Hieran ändert auch der spätere Versuch nichts, den Geräteraum als Mopedunterstellraum zu deklarieren, zumal nach dem Ergebnis des Augenscheins in ihm auch Torfballen und Kalk aufbewahrt werden.

17.

Schließlich ist auch nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass die Auslegung, die das BVerwG dem § 13 Abs. 4 a RGaO gibt, nämlich die Beschränkung auf das nach der RGaO Erforderliche, es nahelegt, auch den Baukörper seinen Ausmaßen nach an diesen Rahmen zu binden. Dann aber würde es bezweifelt werden können, ob es erforderlich war, eine Einzelgarage nach Höhe und Länge in den Ausmaßen zu erstellen, wie sie bei der Augenscheinseinnahme vorgefunden wurde. Doch braucht diese Frage nicht abschließend beantwortet zu werden, weil bereits aus den zuvor dargelegten Gründen die Ausnahme nicht durch § 13 RGaO gerechtfertigt wird.

18.

Da der Beigel. es bisher (nach dem Stande der Urteilsfindung) verabsäumt hat, eine Befreiung (Dispens) zu beantragen und da die Baugenehmigungsbehörde unrechtmäßig verursacht hat, den Verstoß gegen den Bauschein durch eine formlose Nachtragsgenehmigung zu legalisieren, statt ein Dispensverfahren anzuregen und insoweit den berechtigten Beanstandungen der Aufsichtsbehörde im Beschwerdeverfahren Rechnung zu tragen, ist es zu einem Dispens nicht gekommen, so dass der Senat keinen Anlass hat, die Zulässigkeit eines solchen Dispenses in diesem Verfahren zu prüfen, somit auch keine Möglichkeit besteht, die vom VG erörterte Frage der Zumutbarkeit bei der Behandlung der Dispensvoraussetzungen in den Rechtsstreit einzubeziehen. Vielmehr liegt der Fall so, dass infolge des Unterbleibens eines notwendigen Dispenses die Verletzung des Bauwichs rechtswidrig ist und der Kl., da er ein nur im Dispenswege einschränkbares subj. öff. Recht auf Einhaltung des Bauwichs hat, durch die Baugenehmigung für das Nebengebäude in seinen Rechten verletzt ist. Insoweit ist daher die Baugenehmigung aufzuheben.

19.

Daraus folgt zugleich, dass das Nebengebäude formell und materiell baurechtswidrig ist und dass dieser ordnungswidrige Zustand in Ermangelung eines Dispenses und eines Dispensantrages nur durch Abbruch des Nebengebäudes behoben werden kann.

20.

Der Kl. hat auch einen im Klagewege verfolgbaren Anspruch auf Beseitigung dieses ordnungswidrigen Zustandes. Das Vorverfahren umfasst sinngemäß den vom Kl. gestellten Verpflichtungsantrag. Insoweit ist jedoch nicht die Baugenehmigungsbehörde, sondern gleichfalls die Beschwerdebehörde der richtige Beklagte. Aus § 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO ergibt sich, dass künftig der Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen eines rechtswidrigen VerwAktes prozessual als Zusatzbegehren zur Anfechtungsklage gegen die Behörde zu richten ist, die den VerwAkt erlassen hat, sofern diese zur Erfüllung des Anspruchs in der Lage ist. Nach dem früheren Recht der MRVO 165, das bei Erhebung der Klage noch galt, ist die Anfechtungsklage, wie bereits dargelegt, zutreffend gegen die Beschwerdebehörde gerichtet worden. Es mochte zwar richtig sein, dass damals eine Folgenbeseitigungsklage, sofern sie selbständig, d.h. ohne Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage erhoben wurde, als sonstige Streitigkeit des öff. Rechts gegen die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde zu richten war (vgl. OVG Lüneburg, OVGE 8, 484 ff., streitig). Schon damals aber ist zu Recht angenommen worden, dass eine mit der Anfechtungsklage verbundene und aus ihr abgeleitete Vornahmeklage gegen die Beschwerdebehörde zu richten sei (OVG Lüneburg, OVGE 4, 235 ff.). Daraus folgt, dass die Vornahmeklage gegen die Bekl. 1) im Ergebnis zutreffend vom VG abgewiesen worden ist und dieser Antrag nach zulässiger Klarstellung als Hilfsantrag nur gegen den Bekl. 2) weiterverfolgt werden kann.

21.

Der Anspruch ist auch begründet. Das subj. öff. Recht des Kl. auf Einhaltung des Bauwichs durch die Baugenehmigungsbehörde berechtigt ihn, zu verlangen, dass keine Baugenehmigung unter Verletzung dieses Rechtes erteilt wird. Hat er demzufolge die Baugenehmigung durch die Anfechtungsklage zu Fall gebracht, so richtet sich das Einschreiten gegen das illegale Bauwerk nach ordnungsrechtlichen (polizeirechtlichen) Grundsätzen. Die Baugenehmigungsbehörde hat mithin die Aufgabe, den ordnungswidrigen Zustand zu beseitigen. Diese Aufgabe bedeutet noch keine im Klagewege erzwingbare Pflicht. Hat aber die Erteilung des Bauscheins und die damit verbundene Freigabe des Bauens unter der kontrollierenden Mitwirkung der Bauaufsicht das rechtswidrige Bauwerk entstehen lassen, so gebieten es der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die aus ihm abzuleitende Folgenbeseitigungspflicht gegenüber dem verletzten Nachbarn, dass dieser von der Behörde das Ihrige verlangen kann, um den geschaffenen illegalen Zustand wieder zu beseitigen, soweit es in ihren Kräften steht (vgl. dazu Bachof, Anmerkung zu einem Urteil des BVerwG, DVBl. 1961, 128 ff. zu II). Dass die Bauaufsichtsbehörden dazu in der Lage sind, ergibt sich aus ihrer gesetzlichen Aufgabe, gegen ordnungswidrige Zustände mit den zur Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustandes erforderlichen Mitteln einzuschreiten (§§ 1, 29, 30 SOG). Da nach dem hier noch maßgeblichen Recht der MRVO 165 das Anfechtungs- und Vornahmebegehren gegen die Beschwerdebehörde zu richten war, wird diese durch das Urteil verpflichtet, mittels ihres aufsichtlichen Weisungsrechts die erforderlichen Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde zu veranlassen.

22.

Die Verpflichtung, den Abbruch zu veranlassen, ist auch nach dem Stande zur Zeit der Urteilsfindung das erforderliche Mittel, um einen ordnungsmäßigen Zustand herbeizuführen, da für die Prüfung einer etwa möglichen, aber von einem Antrag des Beigel. abhängigen Legalisierung des Nebengebäudes durch einen Dispens kein Raum ist. Ob der Vollziehung des Abbruchs durch ein nachträglich einzuleitendes Dispensverfahren begegnet werden kann, muss gesonderter Nachprüfung ein einem etwaigen späteren Verfahren vorbehalten bleiben. Doch mag im Falle eines nachträglichen Dispensantrages beachtet werden, dass eine vollständige Legalisierung des Nebengebäudes (Garage- und Geräteraum) nach Größe und Höhe mindestens zweifelhaft erscheint, so dass es im Streitfall einer eingehenden gerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Dispenses bedürfen würde.