Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 
Urteil vom 20.02.1997
- Bf II 13/96 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1998, 616 ff.)

 

Leitsätze:

1.

Eine Anschlagsäule für allgemeine Informationen und Veranstaltungshinweise (klassische Litfaßsäule) ist keine Nebenanlage gemäß § 1 Abs 2 Nr 1 HBauO (BauO HA) des Weges, auf dem sie errichtet werden soll; sie ist deshalb Baugenehmigungsbedürftig.

2.

Eine klassische Litfaßsäule ist nicht nach §§ 30ff BauGB bauplanungsrechtlich zu beurteilen, da ihre Errichtung mangels städtebaulicher Relevanz kein Vorhaben iSd § 29 BauGB darstellt.

3.

Als Vorhaben iSd § 29 BauGB wäre sie sowohl auf einer vorhandenen Straßenverkehrsfläche als auch innerhalb eines reinen Wohngebiets nach § 3 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig.

4.

§ 13 Abs 5 der hamburgischen Baupolizeiverordnung vom 8. Juni 1938 (BPVO (BauPolV HA)) ist nicht als bauplanungsrechtliche Vorschrift nach § 173 Abs 3 BBauG übergeleitet worden, soweit hiernach die dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen nicht benutzt werden dürfen (Änderung der früheren Rechtsprechung).

5.

Klassische Litfaßsäulen gehören seit Jahrzehnten zum Stadtbild und stellen auch innerhalb eines mit Ein- und Mehrfamilienhäusern bestehenden Wohngebiets regelmäßig keine Verunstaltung dar.

6.

Die bauordnungsrechtliche Vorschrift des § 13 Abs 5 HBauO (BauO HA) regelt die gestalterische Vereinbarkeit von Werbung mit dem Charakter des Baugebiets, in dem sich die Werbeanlage befindet. Gilt für das betroffene Grundstück keine der in dieser Vorschrift genannten Baugebietsfestsetzungen, so ist auf die Baugebietsfestsetzung der Umgebung abzustellen (Änderung der Rechtsprechung).

 

Tatbestand

1.

Die Kl. beantragte die Bau- und Werbegenehmigung zur Errichtung einer Beton-Litfaßsäule mit einem Durchmesser von 1,38 m und einer Höhe von 4,11 m zur Nutzung als allgemeine Anschlagsäule. Errichtet werden sollte die Litfaßsäule auf öffentlicher Wegefläche in H. R. Das Gebiet liegt im Geltungsbereich des Baustufenplans R. vom 17. 3. 1953, erneut festgestellt am 14. 1. 1935. Für die Straßen enthält der Baustufenplan keine Festsetzungen. Das umliegende Gebiet ist als "besonders geschütztes Wohngebiet" ausgewiesen, und zwar für eine eingeschossige offene Bauweise. Die Bekl. lehnte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab. Zur Begründung führte sie an, eine Ausnahme von der planungsrechtlichen Festsetzung eines besonders geschützten Wohngebiets könne nicht erteilt werden, weil sich eine Litfaßsäule nicht in die Umgebung einfüge.

2.

Das VG hat die Bekl. zur Neubescheidung des Bauantrags verpflichtet und die Klage im übrigen abgewiesen. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

 

Aus den Gründen:

 

I.

3.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

4.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Neubescheidung des Bauantrags der Klägerin verpflichtet. Bei der Neubescheidung hat die Beklagte allerdings die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu berücksichtigen

5.

Das Errichten der Litfaßsäule auf dem öffentlichen Weg ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 HBauO genehmigungsbedürftig (hierzu unter 1.). Der Erteilung einer Baugenehmigung stehen zwingende öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 HBauO nicht entgegen. Vorschriften des Bauplanungsrechts stehen nicht entgegen, da die Errichtung einer Litfaßsäule kein Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB darstellt und als Vorhaben im übrigen planungsrechtlich zulässig wäre (hierzu unter 2.). Das Bauordnungsrecht eröffnet der Beklagten allerdings Ermessen, welches sie noch nicht ausgeübt hat (hierzu unter 3.).

6.

1. Das Errichten der Litfaßsäule auf dem öffentlichen Weg ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 HBauO genehmigungsbedürftig, da es sich um die Errichtung einer baulichen Anlage handelt. Die Litfaßsäule ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 HBauO aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen, da sie nicht als Nebenanlage des Weges anzusehen ist.

7.

Auch unter Berücksichtigung des weiten, kommunikative Tätigkeiten umfassenden Verkehrsbegriff des Hamburgischen Wegegesetzes ( vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 14.12.1995, NJW 1996 S. 2051) dient die vorgesehene Anschlagsäule für Informationen und Veranstaltungshinweise sowie Ankündigungen und Aufrufen aller Art nicht Verkehrszwecken. Zu den Nebenanlagen von Anlagen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 HBauO gehören nach überkommenem Verständnis nur solche Anlagen, die unmittelbar oder mittelbar dem Verkehr im Sinne der Fortbewegung von Personen oder Gütern dienen (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 30.11.1992, HmbJVBl. 1993 S. 213, zu § 1 Abs. 3 HBauO 1969). Dies entspricht dem Begriffsverständnis des Bundesfernstraßengesetzes, auf das in der Begründung zum nahezu gleichlautenden § 1 Abs. 3 HBauO 1969 ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. Bü/Drs. 1258 vom 9.4.1968). Nach § 1 Abs. 4 Nr. 4 FStrG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1994 (BGBl. I S. 854) sind Nebenanlagen solche Anlagen, die überwiegend den Aufgaben der Straßenbauverwaltung der Bundesfernstraßen dienen, z.B. Straßenmeistereien, Gerätehöfe, Lager, Lagerplätze, Entnahmestellen, Hilfsbetriebe und -einrichtungen. Außerdem gehören zu den Nebenanlagen im Sinne der HBauO noch das - nicht gesondert angeführte - Wegezubehör im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 HWG. Zu diesen Anlage und Einrichtungen gehört eine Anschlagsäule, auch wenn sie der Information der Passanten dient, nicht.

8.

Das Errichten einer Litfaßsäule ist auch nicht nach der Baufreistellungsverordnung vom 5. Januar 1988 (GVBl. S. 1) von der Genehmigungsbedürftigkeit freigestellt.

9.

2. Vorschriften des Bauplanungsrechts stehen der Errichtung der Litfaßsäule nicht entgegen.

10.

a) Die Errichtung der hier vorgesehenen "klassischen" Litfaßsäule auf dem öffentlichen Weg unterliegt nicht einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB, da es sich hierbei nicht um ein Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB handelt.

11.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 3. 12. 1992, DÖV 1993 S. 620), der sich der Senat angeschlossen hat (Urt. vom 28. 10. 1993 - OVG Bf II 41/92 -), handelt es sich bei der Anbringung einer Werbeanlage an eine Gebäudewand um ein Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB. Bundesrechtlich ist es dabei nicht von Bedeutung, ob es sich um die Anbringung einer Werbeanlage an eine Gebäudewand oder die Errichtung einer freistehenden Anlage handelt. In beiden Fällen wird eine Anlage im Sinne des bundesrechtlichen Sprachgebrauchs "errichtet". Maßgebend für die Bewertung als Vorhaben ist die städtebauliche Relevanz, die Werbeanlagen aufgrund ihrer Typisierbarkeit zukommt.

12.

An einer solchen städtebaulichen Relevanz fehlt es bei der Errichtung einer Litfaßsäule, die - wie die hier vorgesehene - ausschließlich der Anbringung von Informationen und Veranstaltungshinweisen sowie Ankündigungen und Aufrufen dient. Anschlagsäulen dieses Typs rufen kein Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervor, durch die ihre Zulässigkeit allgemein geregelt würde. Sie werden üblicherweise auf öffentlichen Wegen errichtet, und zwar in einer Weise, die es Fußgängern ermöglicht, um sie herumzugehen und aus kurzer Entfernung die Anschläge zu lesen. Aufgrund dieser Besonderheiten, insbesondere ihres typischen Aufstellungsorts auf öffentlichen Wegen, ist für den Regelfall bereits ausgeschlossen, daß sie in einer Häufung auftreten, durch welche die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Sinne der §§ 1 Abs. 3 und 5 BauGB berührt werden. Die Nutzbarkeit von öffentlichen Wegen wird maßgeblich durch deren Verkehrsfunktion bestimmt. Diese Funktion des Weges schließt es aus, daß dort beliebig Anlagen errichtet werden mit der Folge, daß eine Regulierung aus städtebaulichen Gründen erfolgen müßte. Welche Nutzungen, auch baulicher Art, auf öffentlichen Wegen überhaupt zulässig sind, regeln die Straßengesetze des Bundes und der Länder abschließend. Für eine gemeindliche Bauleitplanung besteht insofern kein Raum (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 5.7.1974, Buchholz 406.11 § 35 Nr. 112 zur abschließenden Regelung der Nutzung von Bundeswasserstraßen).

13.

Durch die straßenrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer nicht Verkehrszwecken dienenden baulichen Nutzung des öffentlichen Weges einerseits und andererseits durch die Möglichkeit, die Zulässigkeit von Werbeanlagen auch in der Bauordnung gebietsbezogen zu regeln, ist im übrigen sichergestellt, daß es nicht zu einer unkontrollierten und aus Gründen der Stadtbildgestaltung unerwünschten Häufung derartiger Anlagen kommen kann.

14.

b) Selbst wenn man die städtebauliche Relevanz bejahen wollte mit der Folge, daß es sich um ein Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB handelte, stünden diesem Vorhaben Vorschriften des Bauplanungsrechts nicht entgegen.

15.

aa) Als Vorhaben verstößt die Errichtung einer klassischen Litfaßsäule auf einem öffentlichen Weg nicht gegen § 34 BauGB. Auf diese Vorschrift kommt es hier an, weil der Baustufenplan für das Grundstück, auf dem die Litfaßsäule errichtet werden soll, keine Festsetzungen trifft. Der Bereich der beiden Straßen Geidelberg und Moränenweg einschließlich der Aufweitung im Einmündungsbereich liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, ist im Baustufenplan farblich aber nicht gekennzeichnet. Die Straßenflächen sind nicht in die umgebende Wohngebietsfestsetzung einbezogen und Staßenverkehrsflächen werden in dem Baustufenplan nicht festgesetzt.

16.

Unerheblich ist es, ob sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nach § 3 BauNVO beurteilt, weil die maßgebliche Umgebung der eines reinen Wohngebiets entspricht, oder ob hinsichtlich der Umgebung auf die vorhandene Straßenfläche abzustellen ist, auf der die Litfaßsäule errichtet werden soll. In jedem Fall wäre sie als Vorhaben städtebaulich zulässig.

17.

Die über den Bereich der Straße hinausgehende Umgebung besteht nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten und den Feststellungen im Urteil des Verwaltungsgerichts aus einer Bebauung, die typisch für ein reines Wohngebiet im Sinne von § 3 BauNVO ist. Dort ist eine Litfaßsäule des hier vorgesehen Typs - ihre städtebauliche Relevanz unterstellt - als Nebenanlage im Sinne von § 14 BauNVO zulässig, da sie der Information der in dem Wohngebiet lebenden Menschen dient.

18.

Stellt man hingegen auf die umgebende Straßenfläche ab, wäre die Errichtung der Litfaßsäule gleichfalls ein zulässiges Vorhaben. Auf einer (festgesetzten oder tatsächlich vorhandenen) Straßenverkehrsfläche sind zumindest alle Anlagen zulässig, die unmittelbar der Verkehrsfunktion der Straße dienen. Hierauf beschränkt sich die Zulässigkeit jedoch nicht. Weiterhin sind bauplanungsrechtlich auch hier "Nebenanlagen" vorhandener Straßen allgemein zulässig, also solche Anlagen, die mittelbar Verkehrszwecken dienen oder an die Verkehrs- oder Erschließungsfunktion der Straße anknüpfen und diese unterstützen. Neben Informationsanlagen (Litfaßsäulen, Schaukästen) zählen hierzu z.B. Telefonzellen, Uhrensäulen u.ä. typische Wegenutzungen.

19.

bb) Sollte es sich bei der Errichtung der Litfaßsäule um ein Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB handeln, so stünde ihm schließlich auch § 13 Abs. 5 BPVO nicht entgegen. Hierauf hat das Verwaltungsgericht maßgeblich abgestellt und gemeint, die Beklagte habe ihr durch diese Vorschrift eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar.

20.

Nach § 13 Abs. 5 BPVO sind der öffentliche Grund, die für besondere Zwecke vorbehaltenen Flächen und die dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen mit dem darüberliegenden Luftraum zu privaten baulichen Anlagen, auch zu einzelnen Bauteilen u. dgl. weder ständig noch vorübergehend benutzt werden, wenn nicht Gesetze oder öffentliche Belange wahrende Verträge etwas anderes bestimmen oder Ausnahmen im Einzelfall zugelassen werden. Diese Vorschrift enthielt nach der früheren Rechtsprechung des erkennenden Senats eine in § 9 BBauG vorgesehene planungsrechtliche Festsetzung über Art und Maß der baulichen Nutzung, war deshalb gemäß § 173 Abs. 3 BBauG in das neue Planungsrecht übergeleitet und galt als Bebauungsplan fort (vgl. Urteile v. 25.7.1963 - OVG Bf II 65/63 -, v. 11.11.1971, MDR 1972 S. 896, und v. 30.11.1992, HmbJVBl. 1973 S. 213).

21.

Diese Rechtsauffassung gibt der Senat auf. § 13 Abs. 5 BPVO ist jedenfalls insoweit, als er die dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen betrifft, nicht gemäß § 173 Abs. 3 BBauG in das moderne Planungsrecht übergeleitet worden. Die Vorschrift trifft insoweit keine grundstücksbezogene Regelung im Sinne des § 9 BBauG darüber, wie derartige Flächen allgemein genutzt werden dürfen, sondern allein darüber, wer sie (nicht) nutzen darf. Der Sache nach handelt es sich um eine vorwiegend wegerechtliche Regelung über die Unzulässigkeit einer Sondernutzung.

22.

3. Der Errichtung der Litfaßsäule auf dem öffentlichen Weg stehen im übrigen auch keine zwingenden Vorschriften des Bauordnungsrechts entgegen. Allerdings ist der Beklagten hiernach formal Ermessen eröffnet, von dem sie bislang keinen Gebrauch gemacht hat.

23.

a) Bei der Litfaßsäule handelt es sich um eine Werbeanlage im Sinne von § 13 HBauO. Nach der weiten Begriffsbestimmung im Absatz 1 dieser Vorschrift gehören zu den Anlagen der Außenwerbung alle ortsfesten Einrichtungen, die der Ankündigung oder der Anpreisung oder als Hinweis, wie auf Gewerbe oder Beruf, dienen und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind. Gewerbe und Beruf sind nur beispielhaft erwähnt. Ortsfeste Einrichtungen, an denen auf Veranstaltungen hingewiesen, für sie also geworben wird und an denen Aufrufe und Mitteilungen aller Art veröffentlicht werden, gehören hiernach stets zu den Werbeanlagen. Dies wird auch die ausdrückliche Nennung von Veranstaltungshinweisen in § 13 Abs. 8 HBauO bestätigt.

24.

b) Vorschriften, die der Abwehr von Verunstaltungen dienen, stehen der Errichtung der Litfaßsäule nicht entgegen.

25.

Ihre Errichtung scheitert nicht an § 12 Abs. 2 HBauO. Danach sind bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, daß sie das Straßen-, Orts-, Stadt- oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören; auf Kultur- und Naturdenkmale und auf andere erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung ist Rücksicht zu nehmen.

26.

Eine Verunstaltung der Umgebung durch die Litfaßsäule ist ausgeschlossen. Diese Feststellung kann der Senat treffen, ohne die Umgebung in Augenschein genommen zu haben. Aufgrund des insoweit übereinstimmenden Vorbringens der Beteiligten und aufgrund der Feststellungen des Verwaltungsgerichts steht es fest, daß es sich bei der Umgebung des Aufstellungsortes der Litfaßsäule um ein Wohngebiet handelt, das aus Ein- und Mehrfamilienhäusern besteht, die in offener Bauweise errichtet und von Gärten umgeben sind. Gewerbliche Anlagen sind dort nicht erkennbar vorhanden. In einem derartigen Wohngebiet stellt eine Litfaßsäule des hier vorgesehen Typs keine Störung dar, die der für ästhetische Eindrücke offene Betrachter als belastend empfindet. Anschlagsäulen der hier vorgesehen Art gehören vielmehr seit Jahrzehnten zum Stadtbild. In ihrer typischen Erscheinungsform sind sie in allen Baugebieten, also auch in reinen Wohngebieten, verträglich, was auch - wie noch auszuführen sein wird - der gesetzgeberischen Bewertung in § 13 Abs. 8 HBauO entspricht. Anhaltspunkte dafür, daß die vorgesehene Anschlagsäule oder die Umgebung atypische Merkmale aufweisen, liegen nicht vor.

27.

Da in der Umgebung bislang keine weiteren Werbeanlagen errichtet sind, scheidet auch ein Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Nr. 4 HBauO, wonach Werbeanlagen in störender Häufung unzulässig sind, aus.

28.

c) Ein Verstoß gegen § 13 Abs. 5 HBauO liegt im Ergebnis wegen des Vorrangs des § 13 Abs. 8 HBauO nicht vor.

29.

Anzuwenden sind hier § 13 Abs. 5 und 8 HBauO in der alten Fassung vom 1. Juli 1986 (GVBl. S. 183) mit der letzten allerdings nicht die genannten Vorschriften betreffende - Änderung vom 15. April 1992 (GVBl. S. 83). Die späteren Änderungsgesetze vom 20. Juli 1994 (GVBl. S. 221) und vom 27. September 1995 (GVBl. S. 221) sind auf den vorliegenden Fall aufgrund ihrer Artikel 4 Abs. 2 bzw. 5 Abs. 2 noch nicht anwendbar, weil der Bauantrag der Klägerin bereits am 29. Oktober 1993 und damit vor dem Inkrafttreten dieser Gesetze am 1. September 1994 bzw. am 1. Januar 1996 gestellt wurde.

30.

aa) Nach § 13 Abs. 5 Satz 1 HBauO a.F. sind Werbeanlagen in Kleinsiedlungsgebieten, Wohngebieten und Dorfgebieten nur an Gebäuden an der Stätte der Leistung zulässig, und zwar in Kleinsiedlungsgebieten und reinen Wohngebieten nur in der Höhe des Erdgeschosses, in allgemeinen und besonderen Wohngebieten und in Dorfgebieten bis zur unteren Dachkante des Gebäudes. Nach dem früheren, hier noch anwendbaren Satz 2 der genannten Vorschrift können in Dorfgebieten und in allgemeinen und besonderen Wohngebieten Werbeanlagen auch außerhalb der Stätte der Leistung zugelassen werden, aber nur an Gebäuden unterhalb der Fenster des zweiten Vollgeschosses. Die Werbeanlage soll - was hier hinsichtlich der Umgebung zugunsten der Beklagten unterstellt werden kann - in einem reinen Wohngebiet im Sinne dieser Vorschrift errichtet werden. Auf diese Umgebung ist abzustellen, da die Straßenfläche, für die der Baustufenplan eine eigene Festsetzung nicht enthält, dem sie umgebenden Baugebiet zuzuordnen ist (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluß v. 3.5.1995 - OVG Bs II 51/94 -).

31.

Dies steht allerdings im Widerspruch zu der früheren, im Urteil des erkennenden Senats vom 27. April 1989 (HmbJVBl. 1990 S. 29) vertretenen Rechtsauffassung, daß § 13 Abs. 5 HBauO nicht für Werbeanlagen auf öffentlichen Wegen gelte. Diese frühere Rechtsprechung hat der Senat allerdings aufgegeben. Sie war das Ergebnis einer im Rahmen des § 13 Abs. 5 HBauO erfolgten planungsrechtlichen Bewertung der Zulässigkeit von Werbeanlagen. Hierfür ist kein Raum mehr, seit aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt ist, daß Werbeanlagen, insbesondere Anlagen der Erinnerungswerbung, städtebauliche Relevanz besitzen und deshalb als Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB agesehen werden können. Dies macht eine eine planungsrechtliche Beurteilung der jeweiligen Grundstücksnutzung im Rahmen des Bauordnungsrechts überflüssig. § 13 Abs. 5 HBauO ist vielmehr allein noch als positiv gefaßte Gestaltungsvorschrift zu verstehen (vgl. Urt. vom 28.10.1993 - OVG Bf II 41/92 -), die darauf abzielt, die gestalterische Zulässigkeit von Werbeanlagen in verschiedenen Baugebieten umfassend und vollständig zu erfassen. Es geht dabei nicht um die Frage, ob ein bestimmtes Grundstück von seiner planerischen Ausweisung her zu Werbezwecken genutzt werden darf, sondern umfassender um die gestalterische Vereinbarkeit von Werbung mit dem Charakter des jeweiligen Baugebiets, in dem sich die Werbeanlage befindet. Abzustellen ist deshalb nicht allein auf die spezielle planerische Ausweisung des betroffenen Grundstücks, sondern auch auf die der Umgebung. So ist z.B. ein inmitten eines ausgewiesen Wohngebiets gelegenes Grundstück, für das eine spezielle Ausweisung besteht (etwa Stellplatzfläche, vgl. Urt. v. 28.10.1993, Bf II 13/92), aus gestalterischer Sicht diesem umgebenden Wohngebiet zuzuordnen. Gleiches gilt für Straßenverkehrsflächen innerhalb eines Baugebiets. Festzuhalten ist dabei allerdings an dem Grundsatz, daß sich die gestalterische Zulässigkeit von Werbeanlagen nach § 13 Abs. 5 HBauO grundsätzlich nach der planerischen Ausweisung der Umgebung beurteilt und nicht nach den tatsächlichen Verhältnissen am vorgesehenen Standort der Werbeanlage (vgl. Urt. v. 27.4.1989 a.a.O.).

32.

bb) Das sich hiernach aus § 13 Abs. 5 HBauO ergebende Verbot für eine Werbeanlage, die in einem reinen Wohngebiet freistehend und nicht an der Stätte der Leistung errichtet werden soll, greift dennoch im vorliegenden Fall nicht ein. Für die hier vorgesehene Litfaßsäule zum Anschlag von Veranstaltungshinweisen u.ä. gilt nämlich die spezielle Regelung des § 13 Abs. 8 HBauO. Danach können Hinweise auf besondere Veranstaltungen, Messen, Schaustellungen, Feiern sowie Sportveranstaltungen in allen Baugebieten zugelassen werden. Diese generelle Privilegierung von Informationen gilt für die gesamte Anlage, an der ausschließlich solche Hinweise angebracht werden sollen. Denn auf die Werbemittel selbst sind die Vorschriften der Bauordnung ohnehin nicht anzuwenden (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 HBauO).

33.

Um eine solche Anlage handelt es sich hier. Die Vorschrift will die Errichtung von Anschlagsäulen, die der Information der Bevölkerung und nicht der Erinnerungswerbung für Markenartikel dienen, in einem umfassenden Sinne privilegieren. Derartige Anschlagsäulen sollen grundsätzlich in allen Baugebieten zugelassen werden können, da sie überall in gleicher Weise der Information der Bevölkerung dienen. Anschlagsäulen dieser Art konnten in Hamburg unter der Geltung der Hamburgischen Bauordnung stets in allen Baugebieten zugelassen werden. So hieß es in § 73 Abs. 5 Satz 3 HBauO vom 10. Dezember 1969 (GVBl. S 249), daß Säulen für Anschläge - sogar unabhängig von ihrer Zweckbestimmung - in Kleinsiedlungsgebieten und reinen Wohngebieten zugelassen werden können. Außerdem war im Satz 4 dieser Vorschrift die allgemeine Zulassungsmöglichkeit von Hinweisen auf besondere Veranstaltungen, wie Ausstellungen, Messen, Schaustellungen, Feiern sowie Sportveranstaltungen, geregelt. Die spezielle Erwähnung der Anschlagsäulen fehlte zwar in der Nachfolgeregelung des § 13 Abs. 5 und 8 HBauO 1986. Verblieben ist jedoch in § 13 Abs. 8 HBauO 1986 die allgemeine Zulassungsmöglichkeit von Hinweisen auf besondere Veranstaltungen u.s.w., die dahin ergänzt worden ist, daß sie sich auf alle Baugebiete beziehen sollte. Dadurch, daß die Anschlagsäulen nicht mehr ausdrücklich erwähnt wurden und zum anderen die Zulassung von Veranstaltungshinweisen in allen Baugebieten als eigenständige Regelung herausgestellt wurde, hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß diese neu herausgestellte Regelung auch die nicht mehr ausdrücklich genannten Anschlagsäulen erfassen sollte, wenn sie derartigen Veranstaltungshinweisen dienten. Anderenfalls wäre die frühere umfassende Privilegierung der Anschlagsäulen vollständig entfallen, was eine erhebliche Änderung des bisherigen Rechts bedeutet hätte. Eine solche Änderung war mit der Neufassung der HBauO jedoch nicht bezweckt. Im neuen § 13 sollte vielmehr für Werbeanlagen die bisherige unter stadtgestalterischen Gesichtspunkten bewährte Regelung beibehalten und nur redaktionell überarbeitet werden (vgl. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Drs. 11/5093 S. 35 und 52).

34.

cc) Nach § 13 Abs. 8 HBauO in der hier noch anzuwendenden alten Fassung können Anschlagsäulen der vorliegenden Art in allen Baugebieten zugelassen werden. Damit ist der Beklagten ein Ermessen eröffnet, von dem sie bisher keinen Gebrauch gemacht hat. Sie war deshalb zur Neubescheidung des Bauantrags der Klägerin zu verpflichten. Bei der Neubescheidung wird sie allerdings zu berücksichtigen haben, daß nach § 13 Abs. 8 HBauO in der nunmehr geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 27. September 1995 (GVBl. S. 221) derartige Anschlagsäulen in allen Baugebieten zulässig sind. Ein Ermessen ist der Bauaufsichtsbehörde nicht mehr eingeräumt, so daß ein neuer Bauantrag zwingend zu genehmigen wäre.

 

II.

35.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

36.

Ein Grund, gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegt nicht vor.