Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Urteil vom 6.5.2015
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2 Bf 2/12 -

 (weitere Fundstellen: NordÖR 2016, 63 ff.)

 

Tatbestand

1.

Die Klägerin wendet sich gegen einen die Beigeladene begünstigenden Bauvorbescheid sowie gegen eine diese begünstigende Baugenehmigung zur Nutzung des Obergeschosses eines Bürogebäudes als Bordell.

2.

Das streitgegenständliche Grundstück in der ...- Straße ... in Hamburg, für das die Nutzungsänderung genehmigt worden ist, ist mit einem im Jahr 1972 genehmigten Lager- und Geschäftshaus bebaut. Das Erdgeschoss dieses Gebäudes wurde zuletzt durch einen Elektronikfachhandel genutzt und steht gegenwärtig leer.

3.

Das Grundstück ...- Straße ... liegt im Geltungsbereich der Verordnung über den Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 11. August 1999 (HmbGVBl. S. 213) und ist als Gewerbegebiet ausgewiesen. Zuvor wiesen die - abseits der Art der zulässigen Nutzung fortgeltenden - Baustufenpläne Wandsbek-Marienthal und Tonndorf-Jenfeld das Plangebiet insgesamt als Industriegebiet aus. Nach § 2 Nr. 5 Satz 1 des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 (PlanVO) sind im Gewerbegebiet Büro- und Verwaltungsgebäude nur ausnahmsweise zulässig. § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO schließt Ausnahmen für Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet aus. Außerdem sind gemäß § 2 Nr. 6 PlanVO im Industrie- und Gewerbegebiet gewerbliche Freizeiteinrichtungen (wie Squash- und Tennishallen, Bowlingbahnen etc.) mit einzelnen Ausnahmemöglichkeiten unzulässig.

4.

Ausweislich Ziffer 2. der Planbegründung sollte mit dem Erlass des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 die Ansiedlung zentrengefährdender Einzelhandelsbetriebe unterbunden, die Zulässigkeit von Betrieben mit flächenbeanspruchenden Waren geregelt und das Plangebiet für produzierendes Gewerbe gesichert werden. Reine Büronutzungen sollten im Gewerbegebiet nur unter Duldung von Emissionen zugelassen werden. Zum Ausschluss der Vergnügungsstätten heißt es in der Begründung unter Ziffer 4.4 "Gliederung der Baugebiete":

"Im Gewerbegebiet werden Ausnahmen für Vergnügungsstätten ausgeschlossen (vgl. § 2 Nr. 5 Satz 2). Damit soll in Verbindung mit den differenzierten Regelungen zur beschränkten Zulässigkeit von Einzelhandel und gewerblichen Freizeiteinrichtungen die planerische Zielsetzung verfolgt werden, die im Bereich des F... Damms vorhandene "Automeile" zu sichern und zu entwickeln. Die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten aller Art (z.B. Nachtlokale, Diskotheken, Spiel- und Automatenhallen) kann sich negativ auf das gewerbliche Umfeld auswirken und damit zu einem weiteren Verlust an Attraktivität der hier ansässigen Betriebe führen. Weiterhin sind Betreiber von Spielhallen und ähnlichen Unternehmen in der Lage, höhere Mieten bzw. Pachten zu zahlen als andere Betriebe, so daß sich eine erhöhte Gefahr der Verdrängung bestehender gewerblicher Einrichtungen ergibt."

5.

Am 4. Juli 2008 beantragte ein Rechtsvorgänger der Beigeladenen, Herr H..., als Bauherr bezogen auf das Grundstück ...- Straße ... einen Vorbescheid für eine geplante Nutzungsänderung des vorhandenen Bürogebäudes zu der bauplanungsrechtlichen Fragestellung:

Ist ein Bordellbetrieb aus Sicht der BauNVO 1990 ein "Gewerbebetrieb aller Art" oder eine "Vergnügungsstätte"?

6.

Die Beklagte beantwortete diese Frage mit Vorbescheid vom 12. September 2008 dahingehend, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einem Bordell, in dem Prostituierte nicht wohnten, um eine gewerbliche Nutzung "sui generis" handele, die in die planungsrechtliche Kategorie "Gewerbebetriebe aller Art" falle. Es sei keine Vergnügungsstätte im Sinne des § 2 Nr. 5 Satz 2 der Verordnung über den Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29.

7.

Am 8. November 2008 beantragte H... im konzentrierten Baugenehmigungsverfahren eine Genehmigung für die Nutzungsänderung des ersten Obergeschosses des Geschäftshauses in der ...- Straße ... als Bordellbetrieb mit 19 Einzelzimmern und Gemeinschaftseinrichtungen. In der Betriebsbeschreibung wurde die Zahl der beschäftigten Prostituierten mit 20 angegeben, wobei voraussichtlich in der stärksten Schicht 10 Prostituierte zeitgleich arbeiten würden.

8.

Mit Bescheid vom 5. März 2009 genehmigte die Beklagte die Nutzungsänderung, beschränkte die Zahl der gleichzeitig tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entsprechend der Betriebsbeschreibung auf 10 (Anlage 1 zum Bescheid, Nr. 5), untersagte die Wohnnutzung (Anlage 1, Nr. 6), stellte Werbeanlagen unter Genehmigungsvorbehalt (Anlage 1, Nr. 7) und untersagte das Ansprechen von Personen außerhalb des Gebäudes durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (Anlage 1, Nr. 8).

9.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks ...- Straße XY, das gegenüber dem Grundstück ...- Straße ... ebenfalls in dem im Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 ausgewiesenen Gewerbegebiet liegt. Das Grundstück ist gegenwärtig an eine Behindertenwerkstätte vermietet, in der Karton, Papier und Holz bearbeitet werden.

10.

Die Klägerin legte am 6. Januar 2009 Widerspruch gegen den ihr nicht bekannt gegebenen Vorbescheid vom 12. September 2008 sowie am 24. März 2009 gegen die Baugenehmigung vom 5. März 2009 ein und vertrat die Auffassung, eine Bordellnutzung sei im Gewerbegebiet allgemein und angesichts der konkreten Verhältnisse nicht zulässig.

11.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin ab und führte aus, diese werde durch die erteilten Bescheide nicht in subjektiven Rechten verletzt. Die Ansiedelung eines Bordells sei als "Gewerbebetrieb aller Art" zulässig; es handele sich auch nicht um eine nach der Bebauungsplanverordnung ausgeschlossene Vergnügungsstätte oder Freizeiteinrichtung. Eine unzumutbare Belastung der Klägerin sei nicht zu befürchten; angrenzende schutzwürdige Wohnbebauung sei nicht vorhanden.

12.

Die Klägerin hat am 15. Mai 2009 Klage gegen beide Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids erhoben (11 K 1237/09).

13.

Die Klägerin hat zudem vor dem Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz gegen die Genehmigung des Bordellbetriebs begehrt. Mit Beschluss vom 4. Juni 2009 (11 E 929/09) hat das Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung ihrer Klage angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handele sich um einen "Gewerbebetrieb aller Art" und nicht um eine "Vergnügungsstätte", die nach § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO im Gewerbegebiet ausgeschlossen sei. Es dürfte jedoch ein Abwehrrecht der Klägerin nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bestehen, da der genehmigte Betrieb der Eigenart des Baugebiets widerspreche. Nach der Planbegründung sei das Gebiet vorrangig für produzierende Gewerbebetriebe mit höherem Störungsgrad vorgesehen. Auf die Beschwerde des Rechtsvorgängers der Beigeladenen hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. August 2009 (2 Bs 102/09, NordÖR 2009, 453) den Beschluss des Verwaltungsgerichts in der Sache abgeändert und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Maßgeblich für die typische Prägung eines Baugebiets im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO seien die im geltenden Planungsrecht getroffenen Festsetzungen, hier die Festsetzung des Gewerbegebiets nach § 8 BauNVO, das grundsätzlich ein breites Spektrum zulässiger Nutzungen beinhalte. Die Begründung zum Bebauungsplan habe demgegenüber nur die Funktion einer Auslegungshilfe und könne einem Planungswillen, der in den Festsetzungen nicht zum Ausdruck komme, nicht zum Durchbruch verhelfen. Im Übrigen gebe die Begründung auch nicht den Willen des Plangebers wider, die Grundstücke im Gewerbegebiet in erster Linie Betrieben mit einem hohen Störungsgrad vorzubehalten. Die dem Beschwerdegericht eröffnete weitergehende Prüfung habe nicht ergeben, dass sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht aus anderen Gründen als richtig erweise. Es spreche einiges dafür, dass der streitige Bordellbetrieb unter die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im Gewerbegebiet allgemein zulässigen "Gewerbebetriebe aller Art" falle. Es sei nicht zwingend, Bordellbetriebe auch nach der Neuregelung der Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in der Baunutzungsverordnung 1990 als solche zu qualifizieren, da es sich nicht um eine "typische", von der Baunutzungsverordnung gemeinte Vergnügungsstätte handele.

14.

Der Bordellbetrieb ist zum 13. November 2009 aufgenommen worden.

15.

Der Rechtsvorgänger der Beigeladenen, Herr H..., hat gegen verschiedene Auflagen im Bescheid vom 5. März 2009 ebenfalls nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg erhoben (11 K 3091/09). Zum 1. Januar 2010 hat seine Ehefrau H... den Mietvertrag für diese Fläche sowie die Rechte und Pflichten aus den ergangenen Bescheiden übernommen. Sie hat gegen Rücknahme der Klage und zusätzlich gestellter Tekturanträge sowie unter Verzicht auf weitergehende Rechte aus dem Vorbescheid vom 12. September 2008 mit der Beklagten am 23./29. September 2010 eine Vereinbarung über die Abänderung der Baugenehmigung getroffen, wonach nicht nur 10, sondern maximal 19 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zeitgleich in den 19 Zimmern sexuelle Dienstleistungen ausüben dürfen. Im August 2011 hat Frau H... den Betrieb auf die Beigeladene übertragen.

16.

Nachdem die Genehmigung des streitgegenständlichen Bordellbetriebs in der Presse diskutiert worden war und sich im Bezirk Wandsbek ein weiteres, größeres Bordellprojekt anbahnte, fasste die Beklagte am 13. Januar 2009 einen Aufstellungsbeschluss für die Änderung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 mit dem Ziel, Bordelle im Gewerbegebiet auszuschließen. Mit der Änderung des Bebauungsplans vom 11. Januar 2010 (HmbGVBl. S. 22) fügte die Beklagte dem Verordnungstext in § 2 eine Nr. 8 hinzu, wonach Bordelle, bordellartige Betriebe sowie Verkaufsräume und Verkaufsflächen, Vorführ- und Geschäftsräume, deren Zweck auf den Verkauf von Artikeln, auf Darstellungen oder Handlungen mit sexuellem Charakter ausgerichtet sind, im Plangebiet ausgeschlossen sind.

17.

Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Klageverfahren 11 K 1237/09 geltend gemacht, Bordelle seien als "Vergnügungsstätten" im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO anzusehen. Am Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1983 (BVerwGE 68, 213 ff. zur BauNVO 1977) sei aufgrund der Änderung der Baunutzungsverordnung im Jahr 1990 nicht mehr festzuhalten. Aus stadtplanerischer Sicht sei es stimmig, Bordelle ebenso wie andere Vergnügungsstätten nur im Kerngebiet allgemein zuzulassen. Die nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise mögliche Zulassung von Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet sei hier durch den Bebauungsplan ausgeschlossen. Der Plangeber habe einen "Trading down"-Effekt ausschließen wollen, der durch Nachtlokale und Bordelle gleichermaßen eintrete. Der Bordellbetrieb verletze zudem das Gebot der Rücksichtnahme, da der Grundstückswert durch die benachbarte Bordellnutzung erheblich gemindert werde und ihre Ein- und Ausfahrt auf den Eingang des Bordells ausgerichtet sei. Zudem widerspreche das Bordell der Eigenart des Baugebiets hinsichtlich Lage und Zweckbestimmung, da dieses vorrangig dem produzierenden Gewerbe dienen solle. Die Klägerin hat unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich getroffenen Vereinbarung vom 23. bzw. 29. September 2010 in erster Instanz beantragt,

den Vorbescheid vom 12. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009 sowie den Baugenehmigungsbescheid vom 5. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2009 und der Vereinbarung zwischen Herrn H..., Frau H... und der Beklagten vom 23. bzw. 29. September 2010 aufzuheben.

18.

Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

19.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. November 2011 die Klage abgewiesen. Die – im Hinblick auf die Vereinbarung vom 23./29. September 2010 geänderte – Klage sei zulässig, aber unbegründet:

Die Klägerin besitze keinen Anspruch auf Gebietserhaltung, denn das Vorhaben der Beigeladenen widerspreche nicht den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 in seiner maßgeblichen, ursprünglichen Fassung vom 11. August 1999. Das Vorhaben sei als "Gewerbebetrieb aller Art" im Gewerbegebiet zulässig. Es handele sich nicht um eine Vergnügungsstätte im Sinne des § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO, wobei diese Begriffe in einem Exklusivitätsverhältnis stünden. Der Begriff der Vergnügungsstätte nach der Baunutzungsverordnung 1990 beziehe sich, sofern es sich um größere Einrichtungen handele, auf die kerngebietstypischen, urbanen Nutzungen eines größeren Einzugsbereichs, die in Ortszentren anzusiedeln seien. Dies treffe auf Bordelle nicht zu, für die sich aufgrund der allgemeinen sozialethischen Bewertung und der milieutypischen Begleiterscheinungen eher ein Standort außerhalb oder allenfalls am Rande des Blickfeldes der Öffentlichkeit eigne. Die negative sozialethische Bewertung der Prostitution habe sich auch durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I 3983) nicht geändert. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Plangeber bei der Festsetzung des § 2 Nr. 5 S. 2 PlanVO den Begriff der Vergnügungsstätte in einer von der Baunutzungsverordnung abweichenden Weise verstanden wissen wollte.

Das Vorhaben entspreche auch nicht einer Freizeiteinrichtung im Sinne des § 2 Nr. 6 PlanVO und sei auch nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nach seiner Art unzulässig. Insoweit sei der im Beschluss vom 13. August 2009 geäußerten Rechtsauffassung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zu folgen. Ferner liege kein Verstoß gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme vor. Die Klägerin habe nicht dargelegt, inwiefern das Bordell zu rücksichtslosen Störungen und Beeinträchtigungen führe. Die Beigeladene habe verschiedene Schreiben von Anwohnern vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass sie sich durch den Betrieb des Bordells nicht gestört fühlten. Eine etwaige Wertminderung des Grundstücks könne nicht zur Begründung der Rücksichtslosigkeit herangezogen werden. Abwehransprüche bestünden nur gegenüber einer für den Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit seines Grundstücks oder der Verletzung anderer nachbarschützender Normen.

20.

Mit Beschluss vom 26. März 2013, der Klägerin zugestellt am 5. April 2013, hat der Senat auf Antrag der Klägerin die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

21.

Mit der am 3. Mai 2013 eingegangenen Berufungsbegründung führt die Klägerin aus, das Verwaltungsgericht habe ihre Klage zu Unrecht abgewiesen:

Sie besitze einen Gebietserhaltungsanspruch, denn Bordelle seien als Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 nicht regelhaft zulässig und seien nach § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO ausgeschlossen worden. Vergnügungsstätten seien Gewerbebetriebe, bei denen die kommerzielle Unterhaltung der Besucher und Kunden im Vordergrund stehe. Sie seien durch gewinnbringende Freizeitgestaltung und Amüsierbetrieb gekennzeichnet, auch unter Ansprache oder Ausnutzung des Sexualtriebs. Bereits das allgemeine Sprachverständnis spreche für die Einordnung von Bordellen als Vergnügungsstätten. Auch Peep-Shows, Swinger-Clubs, Stripteaselokale und Sex-Kinos würden nach Rechtsprechung und Literatur als Vergnügungsstätten eingeordnet. Obwohl auch hier der Sexualtrieb der Besucher ausgenutzt werde, würden diese Nutzungen nicht in Gebiete außerhalb der Treffpunkte der größeren und allgemeinen Öffentlichkeit verlagert. Im Übrigen seien allgemeine sozialethische Bewertungen nicht geeignet, taugliche Kriterien zur Auslegung des bodenrechtlichen Begriffs der Vergnügungsstätte zu liefern. Jedenfalls habe der Plangeber mit dem Ausschluss der Vergnügungsstätten auch Bordelle erfassen wollen, denn er habe bezweckt, die "Automeile" zu sichern und zu entwickeln, einen "Trading-Down-Effekt" zu verhindern und die Verdrängung der weniger zahlungskräftigen Gewerbebetriebe zu verhindern. Die Zulassung eines Bordells konterkariere diese Zwecke evident. Aus der späteren Änderung des Bebauungsplans könnten keine Rückschlüsse auf die Auslegung des ursprünglichen Bebauungsplans gezogen werden. Aus der Begründung der Planänderung ergebe sich vielmehr, dass die Beklagte bereits bei der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 davon ausgegangen sei, Bordelle seien als Vergnügungsstätten vom Ausschluss erfasst. Auch sei der Anspruch der Klägerin auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verletzt. Der Plangeber habe im Jahr 1999 nicht nur im Industriegebiet Flächen für das produzierende Gewerbe sichern wollen, wie sich aus der Planbegründung zum Anlass der Planung und zur Gliederung der Baugebiete ergebe, sondern auch im Gewerbegebiet.

22.

Die Klägerin beantragt,

das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. November 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zu ändern und den Vorbescheid vom 12. September 2008 sowie den Baugenehmigungsbescheid vom 5. März 2009 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009 aufzuheben sowie festzustellen, dass § 1 der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen vom 23./29. September 2010 unwirksam ist.

23.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

24.

Sie beruft sich zur Begründung auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts und der Beigeladenen und betont, das Bundesverwaltungsgericht sei insbesondere in seinem jüngsten Beschluss vom 5. Juni 2014 (ZfBR 2014, 574) nicht von seiner Argumentation abgerückt, dass Bordelle keine Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnung, sondern gewerbliche Betriebe im Sinne des § 8 BauNVO seien. Es gebe auch keine Unsicherheiten bei der Auslegung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 11. August 1999. Dem Plangeber sei im Jahr 1999 die Problematik der Bordelle als Nutzungsart in Gewerbegebieten nicht bewusst gewesen, daher habe er damals noch keinen Ausschluss verfügt. Als Vergnügungsstätten habe er Bordelle nicht angesehen. Vielmehr entspreche es der Verwaltungspraxis aller sieben Bezirke der Beklagten, Bordellbetriebe in Anlehnung an die höchstgerichtliche Rechtsprechung als Gewerbebetriebe eigener Art zu behandeln. Sofern sie in Bebauungsplänen ausgeschlossen werden sollten, würden Bordelle gesondert neben Vergnügungsstätten genannt. Der Bordellbetrieb widerspreche vorliegend auch nicht der Eigenart des Baugebietes, da es an Festsetzungen zugunsten einer Automeile oder des produzierenden Gewerbes fehle. Vielmehr sei nach den planerischen Festsetzungen eine große Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen im Gewerbegebiet generell oder ausnahmsweise zulässig, so dass nicht ersichtlich sei, dass ein Bordell den Gebietscharakter verändere.

25.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

26.

Sie verweist auf die ihrer Auffassung nach unverändert maßgebliche Argumentation im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1983 (a.a.O.), die in der jüngsten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2014 (a.a.O.) bestätigt worden sei. Danach werde anhand der Zuweisung der Vergnügungsstätten in die Kerngebiete nach § 7 BauNVO deutlich, dass damit Betriebe gemeint seien, die regelhaft in zentralen Gebieten angesiedelt werden könnten. Dies treffe auf Bordelle nicht zu, denn die allgemeine sozialethische Bewertung und die sich aus dem "Milieu" ergebenden Begleiterscheinungen sprächen eher für einen Standort außerhalb oder am Rande der allgemeinen Treffpunkte der Öffentlichkeit. Zweckbestimmung der Gewerbegebiete sei es gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werde. Die mit der Baunutzungsverordnung 1990 eingetretene erweiternde Einführung der Vergnügungsstätten im Ausnahmewege in andere Baugebiete führe nicht dazu, dass sich der Begriff der Vergnügungsstätte geändert habe. Nach wie vor seien vom Begriff der Vergnügungsstätte nach der Baunutzungsverordnung die typischen, nicht dagegen die atypischen Vergnügungsstätten erfasst. Denn die Unterlagen des Rechtssetzungsverfahrens zur Baunutzungsverordnung 1990 gäben nichts anderes her. Der Gesetzgeber habe vielmehr als Begründung zur Ergänzung des § 8 Abs. 3 BauNVO ausdrücklich ausgeführt, diese ziele darauf ab, dass in Gewerbegebieten "kerngebietstypische Vergnügungsstätten" ausnahmsweise zulassungsfähig sein sollten. Dadurch solle Erfordernissen der Praxis Rechnung getragen werden, sogenannte Großdiskotheken wegen ihres Störungsgrades in Gewerbegebieten unterzubringen. Es entspreche der Verwaltungspraxis aller sieben Hamburger Bezirke, Bordellbetriebe als "Gewerbebetriebe eigener Art" und nicht als Vergnügungsstätten zu behandeln. Gewerbebetriebe, die wegen der Anbietung sexueller Dienstleistungen in schutzwürdigen Gebieten unerwünscht seien, könnten nach § 1 Abs. 9 BauNVO gegebenenfalls neben den Vergnügungsstätten ausgeschlossen werden. Die bodenrechtliche Einordnung der Bordelle sei nicht davon abhängig, wie andere Gerichte über sonstige Betriebe des Sex-Animiergewerbes bzw. zu Swinger-Clubs entschieden hätten, da diese Abgrenzungsprobleme nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien. Soweit Sex-Animierbetriebe als Vergnügungsstätten angesehen würden, beruhe dies im Übrigen im Unterschied zum Bordell auf der passiven Rolle des Vergnügungssuchenden. Swinger-Clubs seien ebenso wenig wie Bordelle als kerngebietsverträgliche Vergnügungsstätten anzusehen.

27.

Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Plangeber bei der Aufstellung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 dem Begriff der Vergnügungsstätte ein Verständnis zugrunde gelegt habe, das von dem der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur abgewichen sei. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, sei dies wegen des numerus clausus im Städtebaurecht unzulässig. Der Bordellbetrieb widerspreche auch nicht der Eigenart des Baugebietes nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Ein Ausschluss bestimmter Nutzungsarten müsse sich aus den Festsetzungen ergeben, nicht allein aus der Begründung des Plangebers. Die Festsetzungen ließen nicht erkennen, dass ausschließlich Nutzungen mit hohem Störungsgrad im Gewerbegebiet zulässig sein sollten. Der Tatbestand des § 15 Abs. 1 BauNVO sei kein zulässiges Mittel, um eine vom Plangeber möglicherweise gewollte, tatsächlich aber nicht vorgenommene Differenzierung des Baugebietes im Sinne des § 1 Abs. 4 BauNVO nachzuholen.

28.

Die Beklagte und die Beigeladene haben in der mündlichen Verhandlung der Umstellung des Klagantrags von dem erstinstanzlich gestellten erweiterten Anfechtungsantrag auf einen Feststellungsantrag in Bezug auf die in der Vereinbarung vom 23./29. September 2010 geregelte Nutzungserweiterung zugestimmt.

29.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Sachakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

I.

30.

Die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ist zurückzuweisen (1.). Auch der in zweiter Instanz gestellte Feststellungsantrag bleibt ohne Erfolg (2.).

31.

1. Die Berufung ist zurückzuweisen, da sie unbegründet ist. Die gegen den Bauvorbescheid vom 12. September 2008 sowie den Baugenehmigungsbescheid vom 5. März 2009 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009 gerichtete Anfechtungsklage ist zulässig (a.), aber nicht begründet (b.).

32.

a. Die Klage gegen den der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid vom 12. September 2008 ist nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Insbesondere steht der Klage nicht der Umstand entgegen, dass während des laufenden Widerspruchsverfahrens am 5. März 2009 die Baugenehmigung erlassen wurde. Denn der Regelungsgehalt des Bauvorbescheides, der die Frage einer zulässigen Nutzungsart betrifft, hat sich durch den Erlass der Baugenehmigung weder aufgrund einer landesrechtlichen Bestimmung des Bauordnungsrechts noch gemäß § 43 Abs. 2 HmbVwVfG auf andere Weise erledigt. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Inhalt des angegriffenen und noch nicht bestandskräftigen Bauvorbescheids mangels vollziehbarer Bindungswirkung - § 212 a Abs. 1 BauGB findet insoweit keine Anwendung - in der Baugenehmigung neu geregelt werden musste. Denn der Bauvorbescheid kann im Fall der Aufhebung der Baugenehmigung weiterhin planungsrechtliche Grundlage einer neuen, geänderten Baugenehmigung sein (ebenso BVerwG, Urt. v. 9.2.1995, Buchholz 310, § 42 VwGO Nr. 213; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.8.1999, 2 Bf 2/97; VGH München, Beschl. v. 11.3.2013, 14 ZB 12.2073, juris Rn. 2). Eine Erledigung gemäß § 43 Abs. 2 HmbVwVfG ist auch nicht dadurch eingetreten, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin in der Vereinbarung vom 23./29. September 2010 auf "weitergehende Rechte" aus dem Vorbescheid verzichtet haben. Denn damit haben sie gerade zum Ausdruck gebracht, dass sich der Bauvorbescheid hinsichtlich seines Kerngehalts, der auch Gegenstand der nachfolgend erteilten Baugenehmigung wurde, nicht erledigt hat.

33.

b. Die Anfechtungsklage ist insgesamt unbegründet, weil die Genehmigung der Nutzung der genannten Räumlichkeiten in der ...- Straße ... als Bordell im Gewerbegebiet durch den Baugenehmigungsbescheid vom 5. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin als Dritte nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie besitzt keinen Abwehranspruch gegen die genehmigte Nutzungsänderung. Da der nach § 63 HBauO ergangene Bauvorbescheid allein die einzelne Frage behandelt, ob ein Bordell seiner Art nach auf der Basis der bestehenden planungsrechtlichen Festsetzung zulässig ist, und diese Frage auch Gegenstand der nach § 62 HBauO erteilten Baugenehmigung ist, entspricht seine rechtliche Bewertung der der Baugenehmigung.

34.

Die genehmigte Nutzungsänderung widerspricht weder den auch im Vorbescheidsverfahren streitigen nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts noch den darüber hinaus im Baugenehmigungsverfahren entscheidungserheblichen weiteren nachbarschützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die Klägerin kann sich weder auf einen Gebietserhaltungsanspruch (aa.) noch auf den Ausschluss von Vergnügungsstätten nach § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO berufen (bb.). Auch ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der Gebietsprägung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (cc.) oder ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (dd.) scheiden aus.

35.

aa. Der Klägerin steht kein Gebietserhaltungsanspruch aufgrund einer Störung des nachbarlichen Austauschverhältnisses wegen der Art der zugelassenen Nutzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.2.2000, BauR 2000, 1306 f.; Urt. v. 23.8.1996, BVerwGE 101, 364, 374; OVG Hamburg, Beschl. v. 25.3.2014, BauR 2014, 1438) zu. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Erteilung des Bauvorbescheids vom 12. September 2008, d.h. sind gemäß § 29 BauGB die Festsetzungen des – ungeänderten – Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 11. August 1999 in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung 1990. Denn mit dem die Beigeladene begünstigenden Bauvorbescheid trat im Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen eine Bindungswirkung für die spätere Baugenehmigung ein. Rechtsänderungen wären allenfalls relevant, wenn sie den Bauherrn begünstigen würden. Dies ist bei dem am 11. Januar 2010 erfolgten Ausschluss der Bordelle und der bordellähnlichen Betriebe etc. im Gewerbegebiet gerade nicht der Fall.

36.

Ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin liegt nicht vor, da es sich bei einem Bordell um einen regelhaft zulässigen "Gewerbebetrieb aller Art" im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1990 handelt und nicht um eine nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO 1990 nur ausnahmsweise zulässige - und im vorliegenden Fall durch § 2 Nr. 5 Satz 2 PlanVO ausgeschlossene - Nutzung als Vergnügungsstätte. Seit der Neufassung der Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 wird die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten abschließend im Sinne einer besonderen Nutzungsart geregelt; ihre Zulassung als "sonstiger Gewerbebetrieb" kommt daneben im Unterschied zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung 1990 nicht mehr in Betracht (BVerwG, Beschl. v. 9.10.1990, Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 4; Regierungsentwurf zur BauNVO 1990, BR-Drs. 354/89 v. 30.6.1989 S. 32 f.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, vor §§ 2 – 9, 12 – 14 Rn. 4.8; Stühler, BauR 2010, 1013, 1021).

37.

Der Betrieb eines Bordells unterfällt dem Begriff des Gewerbes im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1990. Denn es handelt sich um eine selbständige, auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Gewinnerzielung dient und eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wobei die Tätigkeit weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft, als Ausübung eines freien Berufs oder als eine andere selbständige Tätigkeit im Sinne des Einkommenssteuerrechts anzusehen ist (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1.7.2014, § 8 BauNVO Rn. 22). Der Betrieb eines Bordells ist wie die Prostitution – unabhängig von gebietsbezogenen oder anderen Beschränkungen (z.B. Sperrgebietsverordnungen nach Art. 297 EGStGB) – ohne persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit der Prostituierten auch generell erlaubt (vgl. §§ 180a, 181 StGB; BVerwG, Beschl. v. 23.3.2009, Buchholz 541.41 § 4 GastG Nr. 26; Urt. v. 25.11.1983, BVerwGE 68, 213, 218).

38.

Ein Bordell stellt dagegen keine Vergnügungsstätte im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO 1990 dar. Das Berufungsgericht sieht keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 5.6.2014, ZfBR 2014, 574; Urt. v. 25.11.1983, a.a.O.) und seiner eigenen Rechtsprechung (Beschl. v. 13.8.2009, NordÖR 2009, 453) abzuweichen.

39.

Maßgeblich ist nicht darauf abzustellen, wie der Begriff der "Vergnügungsstätte" umgangssprachlich oder in anderen Rechtsgebieten verwendet wird. Entscheidend für seine Auslegung ist vielmehr die in der Baunutzungsverordnung verwendete bodenrechtliche Begrifflichkeit (Fickert/Fieseler, a.a.O., § 4a Rn. 22.12). Im Bauplanungsrecht ist der Begriff der Vergnügungsstätte zwar gesetzlich nicht definiert. Anhand der Gesetzessystematik wird aber deutlich, dass der städtebauliche Begriff der Vergnügungsstätte nach der vom Verordnungsgeber verwendeten Systematik nicht alle Stätten umfasst, in denen sich Menschen nach einer am reinen Wortlaut orientierten Auslegung "vergnügen", d.h. wo sie einen angenehmen Zeitvertreib erleben. So nennt § 7 Abs. 2 BauNVO 1990 als zulässige Nutzungen im Kerngebiet neben Vergnügungsstätten (Nummer 2) in Nummer 4 z.B. Anlagen für kulturelle und sportliche Zwecke, obwohl diese ebenfalls dazu dienen, Vergnügen im weiten Sinn zu bereiten. Üblicherweise werden im Städtebaurecht unter Vergnügungsstätten gewerbliche Nutzungen verstanden, die sich in unterschiedlicher Ausprägung (wie Amüsierbetriebe, Diskotheken, Spielhallen, Multiplex-Kinos) unter Ansprache (oder Ausnutzung) des Geselligkeits-, Spiel- und/oder Sexualtriebes einer bestimmten gewinnbringenden "Freizeit"-Unterhaltung widmen (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O. § 4a Rn. 22.2; ähnlich Ziegler in: Brügelmann, BauGB, Stand: Oktober 2013, § 4a BauNVO Rn. 56; Stühler a.a.O., S. 1020). Es handelt sich um einen städtebaulichen Sammelbegriff. Im Vordergrund steht nicht die Frage nach der Art der kommerziellen Unterhaltung, sondern in welcher Weise sich die unter diesem Begriff zusammengefassten Nutzungsarten innerhalb der einzelnen Baugebiete auswirken können (Fickert/Fieseler a.a.O. § 4a Rn. 22.1; vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 5.3.2012, BRS 79 Nr. 87 S. 445 m.w.N.). Daher kann eine Vergnügungsstätte nur eine solche Einrichtung sein, die nach der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise (BVerwG, Beschl. v. 31.7.2013, BauR 2013, 1996 f.; Urt. v. 2.2.2012, BVerwGE 142, 1, 5) insbesondere mit der Baugebietsart, in der Vergnügungsstätten uneingeschränkt zulässig sind, d.h. gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990 vornehmlich im Kerngebiet, regelhaft kompatibel ist. Anderenfalls unterfällt die Einrichtung nicht dem Begriff der Vergnügungsstätte i.S.d. Baunutzungsverordnung. Bordelle und bordellartige Betriebe sind nicht als Einrichtungen anzusehen, die regelhaft im Kerngebiet anzusiedeln sind (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.8.2009, NordÖR 2009, 453 f.; VGH Mannheim, Beschl. v. 5.3.2012, a.a.O.).

40.

Nicht zuletzt weil auch Kerngebiete in gewissem Umfang dem Wohnen dienen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 6 und 7, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 BauNVO 1977), hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. November 1983 (a.a.O.) ausgeführt, dass Bordellbetriebe nicht dem typischen Erscheinungsbild einer Vergnügungsstätte im Sinne der Baunutzungsverordnung entsprechen. Für Bordelle, in denen die Prostituierten nicht wohnten, eigne sich im Hinblick auf die allgemeine sozialethische Bewertung und die sich aus dem "Milieu" ergebenden Begleiterscheinungen eher ein Standort, der außerhalb oder allenfalls am Rande des "Blickfeldes" und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit liege. Daher dürften sie nicht ausschließlich im Kerngebiet (und ausnahmsweise im besonderen Wohngebiet) zugelassen werden, sondern auch grundsätzlich im Gewerbegebiet. Denn die Zweckbestimmung des Gewerbegebietes sei es gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werde (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983, a.a.O.).

41.

Die mit der Baunutzungsverordnung 1990 erfolgten Änderungen, insbesondere die systematische Ausgliederung der Vergnügungsstätten aus der Begrifflichkeit der "Gewerbebetriebe aller Art" und ihre Einstufung als eigenständige Nutzungsart, führen nicht dazu, dass Bordelle oder bordellähnliche Betriebe nicht mehr als Gewerbebetriebe aller Art im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1990, sondern nunmehr (nur) als Vergnügungsstätten anzusehen sind (ebenso BVerwG, Beschl. v. 5.6.2014, a.a.O.). Eine ausdrückliche Zuordnung des Nutzungstyps der Bordelle bzw. der bordellähnlichen Betriebe ist mit der Neufassung zur Baunutzungsverordnung 1990 nicht erfolgt. Für ein insoweit geändertes Verständnis des Begriffs "Vergnügungsstätten" bietet auch die Begründung zur Neufassung (BR-Drs. 354/89 S. 32 f.) keine Anhaltspunkte. Sie erwähnt die Bordelle als zugehörigen Nutzungstyp nicht; die für die Einführung der "Vergnügungsstätten" als eigenständige Nutzungsart angeführten Erwägungen erfassen die Eigentümlichkeiten dieses Nutzungstyps nicht. Solches ist auch aufgrund der systematischen Zuordnung von Vergnügungsstätten zu den Baugebietsarten der Baunutzungsordnung 1990 nicht ersichtlich. Zwar sind diese – insbesondere sog. kerngebietstypische Vergnügungsstätten – weiterhin nur im Kerngebiet (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990) sowie – ohne kerngebietstypischen Charakter – nunmehr in "überwiegend von gewerblichen Nutzungen geprägten Teilen von Mischgebieten" (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1990) allgemein zulässig. Nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten sind jedoch zusätzlich im Wege der Ausnahme neben besonderen Wohngebieten (§ 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990), auch in Dorfgebieten (§ 5 Abs. 3 BauNVO 1990), in allen Bereichen von Mischgebieten (§ 6 Abs. 3 BauNVO 1990) sowie in Gewerbegebieten (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) zulässig. Damit sind – vornehmlich ihrer Größe nach - nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten verstärkt in Baugebieten zulassungsfähig, die regelhaft auch dem Wohnen dienen. Im Kerngebiet wurde mit der Novelle der Baunutzungsverordnung im Jahr 1990 die Zulässigkeit der Wohnnutzung erweitert, wie sich aus den neu eingeführten Festsetzungsmöglichkeiten für reine Wohngebäude gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO 1990 ergibt. Aufgrund der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Bordellen und bordellartigen Betrieben mit Baugebieten, in denen gewohnt wird (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 12.9.2013, BVerwGE 147, 379, 382; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2015, a.a.O.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 6 Rn. 2.1), liegt danach auch nach dem Regelungszusammenhang der Baunutzungsverordnung 1990 fern, Bordelle und bordellartige Betriebe nunmehr der Nutzungsart der Vergnügungsstätten zuzuordnen.

42.

Im Hinblick hierauf kommt eine planungsrechtliche Einordnung von Bordellen und bordellartigen Betrieben als Vergnügungsstätten auch im Übrigen nicht in Betracht.

43.

Dabei kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, ob die fehlende Kerngebietsverträglichkeit von Bordellen und bordellartigen Betrieben weiterhin aus ihrer sozialethischen Ablehnung durch die Mehrzahl der Kerngebietsnutzer gefolgert werden kann (so BVerwG, Urt. v. 25.11.1983, a.a.O.; VGH Mannheim, Beschl. v. 5.3.2012, a.a.O. S. 446). Zwar hängt die Gebietsverträglichkeit einer Nutzung nicht nur von den nutzungstypischen Störungen anderer Grundstückseigentümer und dauerhafter Nutzer wie Mieter oder Pächter ab; abzustellen ist auch auf die Störungsempfindlichkeit jener Personen, die aus verschiedenen Gründen vorübergehend das jeweilige Baugebiet aufsuchen. Jedoch dürfte das Bodenrecht regelmäßig keine Handhabe zur Abwehr unerwünschter Vorhaben und Anblicke bieten, solange diese nach baurechtlichen Kriterien keine Nachteile mit sich bringen (vgl. zum Kleintierkrematorium OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.11.2010, NVwZ-RR 2011, 139, 140; zur Spielhalle VGH München, Beschl. v. 20.6.2013, 15 ZB 12.1415, juris Rn. 11; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, a.a.O., § 4a BauNVO Rn. 60). Genauso kommt es nicht darauf an, ob sich die sozialethischen Vorstellungen der Allgemeinheit gewandelt haben und ob eine (nicht jugendgefährdende) Bordellnutzung für freiwillig dort arbeitende volljährige Prostituierte inzwischen durch die Rechtsordnung gebilligt wird (vgl. Prostitutionsgesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3983).

44.

Denn die fehlende regelhafte Vereinbarkeit von Bordellen und bordellähnlichen Betrieben in einem Baugebiet, in dem in nennenswertem Umfang gewohnt werden darf, folgt weiterhin aus dem milieubedingten Störpotential, das ein Bordell bei der gebotenen typisierenden Betrachtung (vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 31.7.2013, 4 B 8/13, juris Rn. 14) mit sich bringt. Zwar dient die Festsetzung von Baugebieten grundsätzlich nicht dem Milieuschutz, d.h. dem Schutz der ansässigen Grundstückseigentümer vor einer Veränderung der sozialen Struktur der Nutzer des Gebiets (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.8.1996, 4 C 13.94, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.11.2010, a.a.O.). Anders verhält es sich aber dann, wenn mit einem bestimmten Milieu typischerweise Begleiterscheinungen auftreten, die sich unmittelbar auf die Grundstückseigentümer und Grundstücksnutzer im Baugebiet auswirken können. So ist bei gewerblicher Prostitution bei der gebotenen typisierenden Betrachtung mit milieutypischen Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierter Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht, Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten zu rechnen (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2015, OVG 2 B 1.14, juris Rn. 32; OVG Bautzen, Beschl. v. 28.6.2010, 1 A 659/08, juris; VGH München, Beschl. v. 10.6.2010, 1 ZB 09.1971, juris; OVG Koblenz, Urt. v. 11.5.2005, BRS 69 Nr. 35; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2005, OVG 10 S 3.05, juris Rn. 10 m.w.N.; OVG Berlin, Beschl. v. 9.4.2003, 2 S 5.03, juris; zu Milieustraftaten: BGH, Beschl. v. 4.7.2013, NStZ 2013, 580; Beschl. v. 23.2.2010, NStZ 2010, 391; OLG Celle, Beschl. v. 24.1.2013, StV 2014, 420 ff.; aus der Presse: www.sueddeutsche.de v. 13.1.2014 "In der Hölle von Schweinfurt"; www.ntv.de v. 24.11.2010, "Zwangsprostituierte immer jünger"; www.der-westen.de v. 20.3.2015, "Bordell-Schlägerei in Duisburg"; www.morgenpost.de v. 18.8.2012, "Schießerei im Bordell A... …"; www.ndr.de v. 14.11.1996 "Kiez-Krieg in Hamburg…" und v. 16.3.2015 "Schüsse in Bordell…"; www.abendblatt.de v. 3.3.2015 "Stinkbombe in Bordell G... geworfen"). Diese typischen milieubedingten bodenrechtlichen Spannungen können bei der Einordnung eines Bordells als Vergnügungsstätte im Übrigen nicht nur im Hinblick auf Wohnnutzungen auftreten. Die genannten milieubedingten Störungen sind auch geeignet, kerngebietstypische Nutzungen zu stören. Vor diesem Hintergrund sind ein Bordell oder ein bordellähnlicher Betrieb nicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990 als Vergnügungsstätte generell im Kerngebiet zulassungsfähig, sondern gegebenenfalls – abhängig von der Art des Kerngebiets – nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO 1990 als "sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe".

45.

Dem steht nicht entgegen, dass verschiedene andere Einrichtungen mit sexuellem Bezug (Sex-Kinos, Stripteasebars, Peep-Shows o.ä.) als Betriebe, in denen der Sexualtrieb angesprochen wird, in denen es aber nicht zu sexuellen Handlungen am Besucher oder durch den Besucher kommt, als Vergnügungsstätten im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990 angesehen werden (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 3.9.2012, NVwZ-RR 2012, 919; VGH München, Beschl. v. 4.1.2011, 22 ZB 10.2880, juris). Gleichermaßen bedarf es keiner Erwägung, ob Swinger-Clubs als Vergnügungsstätten anzusehen sind (vgl. dazu VGH Mannheim, Beschl. v. 28.11.2006, BauR 2007, 669; VGH München, Urt. v. 29.12.2003, NVwZ-RR 2005, 15; VGH Kassel, Beschl. v. 27.3.2001, 4 TZ 742/01, juris). Hieraus lässt sich nicht der Schluss rechtfertigen, dass deshalb Bordelle und bordellartige Betriebe planungsrechtlich in gleicher Weise zuzuordnen sind. Jedenfalls mit Einrichtungen, die gegen Entgelt sexuelle Dienstleistungen anbieten, sind typischerweise in einem solchen Umfang die beschriebenen milieubedingten Begleiterscheinungen verbunden, die einer etwaigen Gleichsetzung entgegenstehen.

46.

bb. Die Klägerin kann auch keinen Abwehranspruch daraus ableiten, dass die Beklagte in § 2 Nr. 5 Satz 2 des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 11. August 1999 Ausnahmen für Vergnügungsstätten ausgeschlossen hat. Der Klägerin ist insoweit bereits nicht in ihrer Auffassung zu folgen, dass der Plangeber im Jahr 1999 Bordelle als Vergnügungsstätten angesehen hat und diese mit dem Ausschluss erfassen wollte. Abzustellen ist auf die bei Planerlass vom Plangeber verstandene und für den Adressaten erkennbar verwendete Begrifflichkeit (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 133, 157 BGB) der Vergnügungsstätte im Sinne der Baunutzungsverordnung 1990. Insbesondere die Berücksichtigung des objektivierten Empfängerhorizonts führt dazu, dass sich die Verwendung der vom Plangeber verwendeten Rechtsbegriffe aus der Baunutzungsverordnung regelmäßig an der bundesweit üblichen Auslegung und insbesondere an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu orientieren hat. Anderes kann allenfalls gelten, wenn das abweichende Verständnis des Plangebers klar erkennbar zum Ausdruck gekommen ist.

47.

Zum Zeitpunkt des Planerlasses im Jahr 1999 wurde - der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 25. November 1983 (a.a.O.) folgend – ein Bordell nach herrschender Auffassung nicht als Vergnügungsstätte, sondern als Gewerbebetrieb aller Art im Sinne der Baunutzungsverordnung angesehen (VGH München, Beschl. v. 13.2.1996, 14 CS 95.3591, juris); lediglich in der Literatur finden sich vor 1999 einzelne Stimmen, die die Auffassung vertraten, mit dem Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung 1990 seien Bordelle den Vergnügungsstätten zuordnen (vgl. z. B. Stühler, NVwZ 1997, 861; Knaup/Stange, BauNVO, 8. Aufl. 1997, § 4a Rn 51; a.A. Wettling, VBlBW 1983, 18, 19). Dass sich der Plangeber bei der Verwendung des Begriffs der Vergnügungsstätte von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abwenden und den Begriff im Sinne der teilweise vertretenen Literaturauffassung verstanden wissen wollte, ergibt sich weder aus der in den Bezirken der Beklagten geübten Verwaltungspraxis (vgl. Antwort des Senats v. 13.1.2009, Bü.-Drs. 19/1865 auf eine Kl. Anfrage v. 5.1.2009) noch aus der Planbegründung. Letztere liefert schon keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Plangeber die Problematik von Bordellnutzungen im Gewerbegebiet zu diesem Zeitpunkt als regelungsbedürftig angesehen hat. Anlass der Planung war ausweislich Ziffer 2 der Planbegründung der verstärkte Ansiedlungsdruck durch großflächigen Einzelhandel. Auch wenn der Plangeber in Ziffer 2 der Begründung sein generelles Ziel beschreibt, das Plangebiet für produzierendes Gewerbe zu schützen und den Ausschluss der Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet in Ziffer 5 damit begründet, es sollten die Automeile gesichert und die Gewerbebetriebe vor einer Verdrängung durch finanzstarke Vergnügungsstätten geschützt werden, und sich diese Argumentation auf Bordelle übertragen ließe, führt dies nicht zu einem Begriffsverständnis, das entgegen dem in der Rechtsprechung üblichen Verständnis für den Adressaten erkennbar Bordelle als Vergnügungsstätten erfassen sollte. Auch die Begründung zur Änderung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29, die zum 11. Januar 2010 in Kraft getreten ist, betont unter Ziffer 5.1, dass erst "neueste Entwicklungen" die Gefahr der Ansiedlung teilweise flächenbeanspruchender Bordellnutzungen aufgezeigt hätten, woraufhin der Ausschluss von Bordellen und bordellähnlichen Betrieben etc. in § 2 Nr. 8 der Verordnung über den Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29 ergänzt worden ist. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob ein gegebenenfalls von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichendes Verständnis des Hamburgischen Plangebers vom bundesrechtlichen Begriff der Vergnügungsstätte im Sinne der Baunutzungsverordnung gegen den Typenzwang der Baunutzungsverordnung verstoßen hätte (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 27.10.2011, Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 105).

48.

cc. Die Genehmigung des Bordells und die im Bauvorbescheid enthaltene Feststellung der Beklagten zur Einordnung von Bordellen als Gewerbebetriebe aller Art, die sich auf das konkrete Vorhaben auf dem Grundstück ...- Straße ... bezieht, stellen keinen Verstoß gegen die Eigenart des Baugebiets nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1990 dar.

49.

Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1990 vermittelt innerhalb des betroffenen Baugebiets Nachbarn einen Anspruch auf Aufrechterhaltung einer typischen Prägung desselben, wenn ein im Baugebiet seiner Art nach allgemein zulässiges Vorhaben genehmigt wird, obwohl es im Einzelfall nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Die Eigenart des Baugebiets ergibt sich aus seiner allgemeinen Zweckbestimmung, den sonstigen Festsetzungen des Bebauungsplans und dem Planungswillen (soweit dieser in den Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist), sowie der örtlichen Situation, in die ein Gebiet "hineingeplant" worden ist. Die Begründung eines Bebauungsplans, die in dessen planerischen Festsetzungen keinen Ausdruck gefunden hat, ist dagegen für sich betrachtet nicht geeignet, die Eigenart eines Baugebiets i.S.v. § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO 1990 zu prägen (OVG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2010, NordÖR 2011, 84 f.; Beschl. v. 13.8.2009, a.a.O.). Auch auf die tatsächlich vorhandene Bebauung kommt es grundsätzlich nicht an (OVG Hamburg, Beschl. v. 8.10.2009, 2 Bs 176/09, juris). Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets liegt vor, wenn die Unangemessenheit des Vorhabens gegenüber den von dem Plangeber gezogenen Rahmen bei objektiver Betrachtungsweise augenscheinlich ist (so bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 4.5.2009, NordÖR 2009, 308, 309 f.; Beschl. v. 5.6.2009, NordÖR 2009, 310, 312).

50.

Das Berufungsgericht hat einen solchen Widerspruch bereits in seinem Beschluss vom 13. August 2009 (a.a.O.) verneint. Die Ausführungen der Klägerin im Hauptsacheverfahren geben keinen Anlass zu einer veränderten Beurteilung.

51.

dd. Ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1990 liegt nicht vor.

52.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1990 sind bauliche Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Das Gebot beinhaltet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die als rücksichtslos zu werten sind. Davon kann erst die Rede sein, wenn die mit dem genehmigten Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstückes bei einer Abwägung, in der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Nachbarn billigerweise unzumutbar erscheinen (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 5.8.1983, BVerwGE 67, 334, 339; OVG Hamburg, Urt. v. 2.2.2011, NordÖR 2011, 399, 403; Beschl. v. 26.9.2007, NordÖR 2008, 73 f.; Urt. v. 17.1.2002, NordÖR 2002, 454, 457).

53.

Wie bereits im Eilverfahren festgestellt, sind unzumutbare Nutzungsbeeinträchtigungen für das Grundstück der Klägerin, die vom Betrieb des Bordells herrühren, nicht ersichtlich (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.8.2009, a.a.O.). Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren keine konkreten Nutzungsbeeinträchtigungen ihres Grundstücks geltend gemacht. Insoweit ist zudem in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin als Eigentümerin eines im Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks gegenüber Störungen der hier in Rede stehenden Art nicht dasselbe Maß an Schutz beanspruchen kann, wie es in einem Wohngebiet der Fall ist (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.8.2009, a.a.O.; ebenso VGH Mannheim, Beschl. v. 5.3.2012, a.a.O.). Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin auf ihrem Grundstück eine besonders störempfindliche Nutzung betreibt.

54.

Soweit sich die Klägerin wegen des befürchteten "Trading-down-Effekts" auf eine unzumutbare Wertminderung ihres Grundstücks beruft, dringt sie damit nicht durch. Denn der Abwehranspruch aufgrund von Rücksichtslosigkeit bezieht sich maßgeblich auf Nutzungsstörungen. Dagegen bilden Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung für sich genommen keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinn des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.1.1999, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 159; Beschl. v. 13.11.1997, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 189; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.8.2009, a.a.O.; Beschl. v. 4.2.2009, 2 Bs 242/08, juris; Beschl. v. 21.5.2001, 2 Bs 178/01, juris).

55.

2. Der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag, festzustellen, dass § 1 der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen vom 23./29. September 2010, wonach nicht nur 10, sondern 19 Prostituierte gleichzeitig tätig sein dürfen, unwirksam ist, ist zulässig, aber unbegründet. Offen bleiben kann, ob dieser Antrag als Klageänderung anzusehen ist, der nur unter den Voraussetzungen des § 91 Abs. 1 VwGO zulässig ist. Denn der Umstellung des Klagantrags haben alle Beteiligten zugestimmt.

56.

a. Der Antrag ist als sogenannte Drittfeststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse an der Feststellung des Rechtsverhältnisses ist gegeben, denn die Klägerin möchte gerichtlich geklärt wissen, ob § 1 der genannten Vereinbarung wegen Verletzung ihrer eigenen subjektiven Rechte als betroffene Dritte gemäß § 58 Abs. 1 HmbVwVfG schwebend unwirksam ist. Der Feststellungsantrag scheidet nicht wegen Subsidiarität gegenüber dem Anfechtungsantrag nach § 43 Abs. 2 VwGO aus. Denn bei der geschlossenen Vereinbarung handelt es sich nicht um eine einseitige Rechtsfolgenanordnung in Gestalt eines Verwaltungsakts gemäß § 35 Satz 1 HmbVwVfG, der allein nach § 42 Abs. 1 VwGO anfechtbar ist. Vielmehr ist die Erklärung auf die gemeinsame Herbeiführung eines Rechtserfolgs kraft Einigung gerichtet (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 54 Rn. 21). Abzustellen ist darauf, welches Instrument die Behörde gewählt hat, nicht, welches Instrument sie hätte wählen müssen oder wählen können (Sodan in: Sodan/Ziekow, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 18; v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 42 Rn. 8). Gegenüber einer eventuellen Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Beklagten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 HBauO wegen möglicherweise formell illegaler Ausweitung der Nutzung besteht keine Subsidiarität. Denn der Erfolg eines solchen Antrags hängt nicht nur von der möglichen schwebenden Unwirksamkeit der geschlossenen Vereinbarung ab, sondern auch von einer Ermessensreduzierung auf Null. Auch bei der Wahl des Verwaltungsakts als Rechtsform hätte die Klägerin ausschließlich die Rechtswidrigkeit der Änderung der Genehmigung überprüfen lassen können, ohne darüber hinaus den Anspruch auf Einschreiten bei möglicherweise formell und materiell rechtswidrigem Tun geltend machen zu müssen.

57.

b. Der Feststellungsantrag ist jedoch unbegründet, da § 1 der zwischen den Rechtsvorgängern der Beigeladenen und der Beklagten geschlossenen Vereinbarung nicht gemäß § 58 Abs. 1 HmbVwVfG schwebend unwirksam ist. Gemäß § 58 Abs. 1 HmbVwVfG ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in die Rechte eines Dritten eingreift, erst wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt.

58.

Für den in § 58 Abs. 1 HmbVwVfG genannten Eingriff in die Rechte des Dritten genügt es nicht bereits, dass der Drittbetroffene klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO wäre (so aber: Bonk/Neumann in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014; Ziekow, VwVfG. 3. Aufl. 2013, § 58 Rn. 6; Kugele, VwVfG 2014, § 58 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG 15. Aufl. 2014, § 58 Rn. 5a, 6). Vielmehr muss ein Eingriff – entsprechend dem Wortlaut der Norm, der nicht auf die Möglichkeit des Eingriffs abstellt - tatsächlich vorliegen (Mann in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG 2014, § 58 Rn. 20; Fehling in: Fehling/Kastner /Stormer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2012, § 58 Rn. 16). Anderenfalls wäre die Beklagte in der Freiheit der Formenwahl entgegen den Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes erheblich eingeschränkt und der Handlungsform durch Verwaltungsakt würde mittelbar ein Vorrang gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Vertrag eingeräumt, den das Verwaltungsverfahrensgesetz ihm nicht gewährt. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Drittbetroffenen wird durch die Ermöglichung der Feststellungsklage effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG gewährt, da er wie bei der Anfechtungsklage ohne weitere Anforderungen überprüfen lassen kann, ob ein zwischen Dritten geschlossener Vertrag in seine Rechte eingreift.

59.

Zwar ist der geschlossene Verfügungsvertrag grundsätzlich geeignet, eine Rechtsbeeinträchtigung unmittelbar zu bewirken, da der Inhalt der angegriffenen Baugenehmigung geändert worden ist. Allerdings führt der Umstand, dass nicht nur 10, sondern 19 Prostituierte gleichzeitig tätig sein dürfen, nicht zu einer anderen Bewertung der oben unter 1. b. aa. – dd. genannten möglichen Abwehransprüche mit der Folge, dass mit dieser Vereinbarung in die Rechte der Klägerin eingegriffen würde. Denn auch der zu erwartende Kundenverkehr von bis zu 19 zeitgleich arbeitenden Prostituierten stellt keine unzumutbare Belastung eines Grundstücksnachbarn im Gewerbegebiet dar. Im Übrigen wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen.

 

II.

60.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

61.

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Revisionsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Insbesondere besitzt die Frage, ob Bordelle als Vergnügungsstätten oder als Gewerbebetriebe im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO anzusehen sind, keine grundsätzliche Bedeutung mehr im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da es seit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2014 (ZfBR 2014, 574) an einer höchstrichterlich klärungsbedürftigen Rechtsfrage fehlt. In diesem Beschluss hat der zuständige 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts – nach divergierenden obergerichtlichen und eigenen, diese Frage offen lassenden Entscheidungen - klargestellt, dass er an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 1983 (Urt. v. 25.11.1983, BVerwGE 68, 213 ff.) festhält und Bordelle als Unterart eines Gewerbebetriebes im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ansieht. Die Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsauffassung im Beschluss vom 5. Juni 2014 (a.a.O.) nicht begründet hat, führt nicht zur weiteren Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage.