Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen
Urteil vom 24. März 1998
- 1 BA 27/97 -

(weitere Fundstellen: NVwZ 1999,314 ff.)

 

Leitsätze

1.

Eine Platzverweisung und ein längerfristiges Aufenthaltsverbot stellen qualitativ unterschiedliche polizeiliche Maßnahmen dar. Sie beziehen sich auf nach Art und Ausmaß nicht vergleichbare Gefahrenlagen. Rechtsgrundlage für eine Platzverweisung bildet § 14 BremPolG, für ein längerfristiges Aufenthaltsverbot die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs 1 BremPolG.

2.

Ein längerfristiges Aufenthaltsverbot berührt den Schutzbereich von Art 11 Abs 1 GG. Einschränkungen des Grundrechts sind - unter Beachtung der in Art 11 Abs 2 GG genannten Schranken - auch im Rahmen des landesrechtlichen Gefahrenabwehrrechts zulässig.

3.

Die Bekämpfung des Drogenhandels und -konsums in der sogenannten offenen Drogenszene kann ein längerfristiges Aufenthaltsverbot rechtfertigen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit darf ein solches Verbot nur gegen Personen ergehen, die in besonderer Weise an der Bildung und Aufrechterhaltung der Szene beteiligt sind.

 

Tatbestand

1.

Der Kläger wendet sich gegen ein vom Stadtamt Bremen angeordnetes Aufenthaltsverbot.

2.

Gegen den Kläger wurden in der Zeit von April 1993 bis April 1997 insgesamt 26 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet. Mit Strafbefehl vom 05.01.1996 verhängte das Amtsgericht Bremen eine Geldstrafe von insgesamt 50 Tagessätzen zu je DM 15,-- gegen ihn (AZ: betreffend die Vorfälle vom 12.10.1994 - Besitz von Heroin -; 31.10.1994 - Besitz von Heroin -; 08.02.1995 - Handel mit Heroin -). Mit Strafbefehl vom 06.02.1997 wurde eine Geldstrafe von insgesamt 90 Tagessätzen zu je DM 15,-- gegen ihn verhängt (AZ: betreffend die Vorfälle vom 30.10.1995 - Handel mit Heroin -; 11.12.1995 - Handel mit Heroin -; 19.12.1995 - Besitz von Heroin -). Die übrigen Verfahren wurden eingestellt (überwiegend nach §§ 153 Abs. 1, 154 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO) oder es wurde gem. § 31 a BtMG von der Strafverfolgung abgesehen. Die Vorfälle ereigneten sich ganz überwiegend im Bereich Vor dem Steintor/Am Dobben.

3.

Mit Verfügung des Stadtamts B vom 23.07.1996 erging unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein auf 6 Monate befristetes Aufenthaltsverbot für bestimmte Bereiche der Stadtgemeinde B gegen den Kläger (Bahnhofsvorplatz, Bereich An der Weide und Am Dobben, Bereich Vor dem Steintor). Entsprechende Verfügungen waren bereits im Februar 1995 und im Dezember 1995 gegen ihn ergangen.

4.

Wegen des räumlichen Geltungsbereichs des Verbots wurde im Tenor der Verfügung auf einen beigefügten Plan Bezug genommen. Weiter wurde bestimmt, daß das Verbot sich neben dem Aufenthalt in dem Gebiet auch auf dessen Durchquerung mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln erstrecke. Von dem Verbot ausgenommen wurde das direkte Aufsuchen der Drogenberatungsstelle am Bahnhofsvorplatz/Ecke Breitenweg. Weitere Ausnahmen wurden auf entsprechenden Antrag in Aussicht gestellt. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot wurde ein Zwangsgeld in Höhe von DM 200,-- angedroht.

5.

Zur Begründung wurde ausgeführt, daß das Verbot sich auf die polizeiliche Generalklausel im § 10 Abs. 1 BremPolG stütze. Die Maßnahme sei zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergriffen worden. Der Kläger gehöre zur offenen Drogenszene, die in den von dem Verbot erfaßten Bereichen ihre Treffpunkte habe. Dort würden Betäubungsmitteldelikte verabredet und begangen. Der Kläger halte sich weiterhin an diesen Treffpunkten auf, es sei auch erneut zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gekommen.

6.

Die Verfügung wurde dem Kläger am 09.09.1996 ausgehändigt, am Tage darauf legte er beim Stadtamt Widerspruch ein.

7.

Zugleich erhob er Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht. Die Verfügung sei zu Unrecht ergangen. In den zurückliegenden Monaten seien keine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz mehr von ihm begangen worden. Außerdem gehe vom bloßen Besitz von Betäubungsmitteln keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Mit der Verfügung werde nachhaltig in seine Grundrechte eingegriffen.

8.

Die Beklagte erwiderte, entgegen der Behauptung des Klägers sei es im Laufe des Jahre 1996 zu weiteren Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gekommen.

9.

Mit Urteil vom 29.05.1997 stellte das Verwaltungsgericht fest, daß das Aufenthalts- und Durchquerungsverbot rechtswidrig gewesen sei. Die Klage sei gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Sie sei auch begründet, weil für das Verbot eine Rechtsgrundlage fehle. Ein Aufenthaltsverbot, wie es gegen den Kläger ergangen sei, greife in das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG ein. Zwar lasse der Gesetzesvorbehalt in Art. 11 Abs. 2 GG Einschränkungen der Freizügigkeit zu, um strafbaren Handlungen vorzubeugen. Solche Eingriffe dürften jedoch nur aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage erfolgen. Die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs. 1 BremPolG, auf die die Beklagte sich gestützt habe, stelle keine solche gesetzliche Grundlage dar, weil sie zu allgemein gefaßt sei. Aus der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts folge, daß der Landesgesetzgeber die Frage, ob Aufenthaltsverbote der hier in Rede stehenden Art zulässig seien, ausdrücklich selbst regeln müsse. Eine spezielle Befugnisnorm, wie sie seit kurzem das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz enthalte, sehe das Bremische Polizeigesetz aber nicht vor.

10.

Das Oberverwaltungsgericht hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluß vom 25.11.1997 die Berufung zugelassen.

11.

Die Beklagte meint, dem Verwaltungsgericht könne schon darin nicht gefolgt werden, daß das Aufenthalts- und Durchquerungsverbot in den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG eingreife. Selbst wenn man aber einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts annehmen würde, stellte die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs. 1 BremPolG entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für diesen Eingriff dar. Das Grundrecht auf Freizügigkeit könne gemäß Art. 11 Abs. 2 GG eingeschränkt werden, um strafbaren Handlungen vorzubeugen. Genau hierzu ermächtige auch die Generalklausel. Bedenken gegen die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers, Beschränkungen i. S. von Art. 11 Abs. 2 GG vorzunehmen, bestünden nicht. Insbesondere verbiete Art. 73 Nr. 3 GG derartige landesgesetzliche Regelungen nicht; das habe auch das Verwaltungsgericht zutreffend so gesehen. Das Bremische Polizeigesetz habe mit der in § 14 vorgesehenen Platzverweisung keine abschließende Regelung über aufenthaltsbeschränkende Eingriffe der Polizei getroffen, ein Rückgriff auf die Generalklausel scheide auch aus diesem Grunde nicht aus. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen gegen den Kläger seien gegeben gewesen. Er gehöre der offenen Drogenszene an und sei im Laufe des Jahres 1996 erneut mehrfach mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz in Erscheinung getreten. Aufenthaltsverbote hätten sich in der Praxis als geeignete Maßnahme erwiesen, die offene Drogenszene einzudämmen. In der Verfügung sei ausdrücklich vorgesehen, daß bei begründetem Bedarf Ausnahmen von dem Verbot gestattet werden könnten. Damit sei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausreichend Rechnung getragen worden.

12.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 29.05.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

13.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14.

Es könne nicht bezweifelt werden, daß Aufenthalts- und Durchquerungsverbote in das Grundrecht auf Freizügigkeit eingriffen. Das Verwaltungsgericht habe weiter zu Recht erkannt, daß die polizeiliche Generalklausel keine Rechtsgrundlage für einen derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstelle. Dem Landesgesetzgeber fehle bereits, was das Verwaltungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt habe, die Gesetzgebungszuständigkeit für Beschränkungen der Freizügigkeit. Das folge aus Art. 73 Nr. 3 GG. Überdies habe der Landesgesetzgeber in § 14 BremPolG eine abschließende Regelung hinsichtlich möglicher Aufenthaltsbeschränkungen getroffen; diese Regelung dürfe nicht durch den Rückgriff auf die Generalklausel überspielt werden. Weiterhin beurteile die Beklagte den hier in Rede stehenden Sachverhalt und die Wirkung der von ihr ergriffenen Maßnahme nicht zutreffend. Eine offene Drogenszene an sich stelle keine polizeiliche Gefahr dar. Sie könne sogar leichter von der Polizei beobachtet und von Sozialarbeitern betreut werden, als wenn die Drogenabhängigen einfach vertrieben werden würden. Das bewirke nur, daß die Drogenszene sich an andere Orte verlagere. Bezogen auf die Person des Klägers habe die Beklagte überdies nicht nachweisen können, daß er in relevanter Weise in Rauschgiftgeschäfte verstrickt sei. Die ihm vorgehaltenen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtfertigten nach Art und Zahl keinesfalls eine derart einschneidende Maßnahme. Die Maßnahme sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil der Kläger aus dringenden Gründen darauf angewiesen sei, bestimmte Personen in dem Verbotsbezirk aufzusuchen. Das sei ihm durch die Verfügung verwehrt worden. Ihm werde es sogar unmöglich gemacht, Bremen mit dem Zug zu verlassen, weil er den Hauptbahnhof nicht erreichen könne.

15.

Dem Gericht haben die Behördenakte sowie die 25 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz betreffenden Straf- bzw. Ermittlungsvorgänge vorgelegen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Gründe:

16.

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

17.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben. Der Bescheid des Stadtamts Bremen vom 23.07.1996, mit dem ein auf 6 Monate befristetes Aufenthalts- und Durchquerungsverbot für bestimmte Bereiche der Stadtgemeinde Bremen gegen den Kläger ausgesprochen worden ist, ist rechtmäßig gewesen. Der Bescheid kann sich auf die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs. 1 des Bremischen Polizeigesetzes vom 21.03.1983 (SaBremR 205-d-1) - BremPolG - stützen. Nach dieser Vorschrift darf die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren.

18.

1. § 10 Abs. 1 BremPolG kommt als Rechtsgrundlage für längerfristige Aufenthaltsbeschränkungen in Betracht. Das Bremische Polizeirecht enthält keine spezielle Regelung, die für eine derartige Maßnahme einen Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel verbieten würde.

19.

1.1. § 10 Abs. 1 BremPolG ermächtigt zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr, soweit nicht die §§ 11 bis 33 BremPolG die Befugnisse der Polizei besonders regeln. Die §§ 11 bis 33 BremPolG enthalten nähere Bestimmungen über die polizeilichen Standardbefugnisse sowie die polizeilichen Befugnisse zur Informationsverarbeitung. Die Eingriffe werden dabei im Vergleich zur Generalklausel zum Teil an engere Voraussetzungen geknüpft, zum Teil gehen die speziellen Eingriffsvoraussetzungen aber auch über die der Generalklausel hinaus (vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl., Rdnr. 277). Im Anwendungsbereich der speziellen Regelungen ist der Polizei ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel verwehrt, das System der Spezialbefugnisse entfaltet in dieser Hinsicht eine Sperrwirkung für die Generalklausel.

20.

1.2. Das Bremische Polizeigesetz enthält eine spezielle Vorschrift über aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen, nämlich die Platzverweisung. Gemäß § 14 Satz 1 BremPolG darf die Polizei eine Person, die eine Gefahr verursacht, zur Abwehr dieser Gefahr vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Gemäß § 14 Satz 2 Brem- PolG darf die Platzverweisung ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz von Hilfs- und Rettungsdiensten behindert.

21.

Bei der Platzverweisung handelt es sich um eine Regelung über den Aufenthalt (Betretungsverbot/Entfernungsverbot), deren Anwendungsbereich sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht beschränkt ist. Die Maßnahme darf nur vorübergehend, also kurzzeitig, sein; sie bezieht sich darüber hinaus auf einen bestimmten Ort (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl., F 268; Hornmann, Kommentar zum HessSOG, § 31 Rdnr. 1).

22.

Die Beklagte hat das hier in Rede stehende 6-monatige Aufenthalts- und Durchquerungsverbot zu Recht nicht auf § 14 Brem- PolG gestützt, da das Verbot den Rahmen dieser Vorschrift überschreitet.

23.

1.3. § 14 BremPolG trifft keine abschließende Regelung über aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen der Polizei. Die Vorschrift verbietet es nicht, für Maßnahmen, die nicht nur vorübergehend sind und nicht nur auf einen bestimmten Ort beschränkt sind, auf die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs. 1 BremPolG zurückzugreifen.

24.

Die Standardmaßnahme Platzverweisung erfaßt Gefahrenlagen, die sich mit einer kurzfristigen Eingriffsmaßnahme bewältigen lassen. Wie die übrigen Standardmaßnahmen ist die Platzverweisung auf bestimmte typische polizeiliche Gefahrenlagen zugeschnitten. Der Bezug zum polizeilichen Alltagsbetrieb sowie insbesondere zur Tätigkeit des Polizeivollzugsdienstes und den vom Polizeivollzugsdienst zu treffenden unaufschiebbaren Maßnahmen (§ 64 Abs. 1 Satz 1 BremPolG) ist unverkennbar. Daß die Standardmaßnahmen ihrem Charakter nach eher im Bereich polizeilicher Sofortmaßnahmen anzusiedeln sind, verdeutlicht auch ihre Entstehungsgeschichte. Sie haben nicht zuletzt deshalb, angelehnt an den Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz des Bundes und der Länder vom 25.11.1977, in den Polizeigesetzen der Länder eigene Regelungen erfahren, um den überregionalen Einsatz der Landesvollzugspolizeien zu erleichtern (vgl. Boldt, in: Lisken/Denninger, a.a.O., A 86).

25.

Die polizeiliche Generalklausel ist demgegenüber auf eher komplexe und atypische Gefahrenlagen ausgerichtet. Dazu gehören auch neue, nach Art und Ausmaß bislang nicht bekannte Gefahren. Da der Gesetzgeber nicht sämtliche künftigen Gefahren und alle ihnen gegenüber zu treffenden Maßnahmen im einzelnen voraussehen und detailliert regeln kann, besitzt die Generalklausel in dieser Hinsicht eine bedeutende Auffangfunktion (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 130). Im Hinblick auf Aufenthaltsbeschränkungen kann die Generalklausel etwa bei Unglücksfällen oder Naturkatastrophen Bedeutung erlangen. Die komplexe Gefahrenlage kann Beschränkungen erfordern, die über eine Platzverweisung hinausgehen. Gleiches gilt, wie noch darzulegen sein wird, im Hinblick auf die Bekämpfung bestimmter Formen der Kriminalität.

26.

Das Oberverwaltungsgericht folgt nicht der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der neben der spezialgesetzlich geregelten Platzverweisung für eine auf die Generalklausel gestützte längerfristige Aufenthaltsbeschränkung kein Raum mehr sein soll (so Rachor, in: Lisken/Denninger, a.a.O., F 461 a; Hecker, Die Regelung des Aufenthalts von Personen im innerstädtischen Raum, Darmstadt 1997, S. 42). Die Ansicht berücksichtigt nicht ausreichend, daß eine Platzverweisung und ein längerfristiges Aufenthaltsverbot qualitativ unterschiedliche polizeiliche Maßnahmen darstellen, die jeweils auf nach Art und Ausmaß nicht vergleichbare Gefahrenlagen reagieren.

27.

2. Ein auf die polizeiliche Generalklausel in § 10 Abs. 1 Brem- PolG gestütztes längerfristiges Aufenthaltsverbot hat die Grundrechtsschranken des Art. 11 GG zu beachten.

28.

2.1. Gemäß Art. 11 Abs. 1 GG genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist weit. Freizügigkeit bedeutet, ungehindert durch staatliche Gewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt oder Wohnsitz nehmen zu können (BVerfG, B. v. 06.06.1989 - 1 BvR 921/85 -, BVerfGE 80, 137 (150)). Die Aufenthaltsfreiheit umfaßt dabei die Freiheit, an einem Ort vorübergehend oder längerfristig zu verweilen, ohne einen Wohnsitz zu begründen. Das schließt einen Ortswechsel innerhalb des Gemeindegebiets ein. Es wäre verfehlt, den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG nur auf einen zwischengemeindlichen Aufenthaltswechsel zu beziehen und die innergemeindliche Bewegungsfreiheit vom Schutzbereich des Grundrechts auszunehmen. Umstritten ist, ob der Begriff Aufenthalt eine gewisse Zeitdauer begrifflich voraussetzt. Die herrschende Meinung in der Literatur verlangt, daß Ortswechsel und Fortbewegung von gewisser Bedeutung und Dauer sind (vgl. zum Meinungsstand: Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 4. Aufl., Art. 11 Rdnr. 11 ff.; Hailbronner, in: HdbStR IV, § 131 Rdnr. 22 ff.).

29.

Diesen Abgrenzungsversuchen braucht hier indes nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn daß eine polizeilich angeordnete Aufenthaltsbeschränkung von insgesamt 6 Monaten Dauer für einen bestimmten Teil des Gemeindegebiets den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG berührt, liegt auf der Hand.

30.

2.2. Das Grundrecht auf Freizügigkeit steht unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG. Die Freizügigkeit darf danach nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutz der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

31.

Freizügigkeitsbeschränkungen nach Art. 11 Abs. 2 GG können unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Landesrecht erfolgen. Denn der Gesetzesvorbehalt bezieht sich teilweise auf Gegenstände der Landesgesetzgebung. In diesem Umfang steht den Bundesländern auch die Gesetzgebungszuständigkeit zu. Dies betrifft etwa den Katastrophenschutz (außerhalb des Verteidigungsfalles) sowie Schutzvorkehrungen bei besonders schweren Unglücksfällen, also bedeutende Aufgabenbereiche des herkömmlichen landesrechtlichen Gefahrenabwehrrechts. Soweit nicht spezielle landesrechtliche Vorschriften zur Anwendung kommen, kann in beiden Fällen die polizeiliche Generalklausel Bedeutung erlangen (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, a.a.O., S. 277).

32.

Auf einen Gegenstand der Landesgesetzgebung bezieht sich teilweise auch der sog. Kriminalvorbehalt, d. h. die Ermächtigung, Freizügigkeitsbeschränkungen vorzunehmen, wenn dies erforderlich ist, um strafbaren Handlungen vorzubeugen. Dieser Vorbehalt kommt nicht nur zur Anwendung, wenn aus Anlaß eines Strafverfahrens nach den bundesrechtlichen Vorschriften des Strafgesetzbuches (§§ 68 ff., § 56 c Abs. 2, §§ 56, 57 Abs. 3) freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen gegen verurteilte Straftäter ergriffen werden. Er zielt vielmehr unabhängig davon, ob eine Verurteilung vorliegt, auf die Verhütung von strafbaren Handlungen (Kunig, a.a.O., Art. 11 GG Rdnr. 27; Hailbronner, a.a.O., § 131 Rdnr. 58). Nach Wortlaut sowie Entstehungsgeschichte handelt es sich um einen umfassenden Präventionsvorbehalt (zur Entstehungsgeschichte vgl. Waechter, Freizügigkeit und Aufenthaltsverbot, NdsVBl. 1996, S. 197 (198)). Maßgeblich ist, ob die Begehung entsprechend gewichtiger Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und ob eine Einschränkung der Freizügigkeit erforderlich ist, um die Begehung zu verhindern. Die Verhütung von strafbaren Handlungen ist typische Funktion des Polizeirechts. Polizeirecht ist aber eine der wesentlichen Materien der Ländergesetzgebung. Aus diesem Grund ist in dem Kriminalvorbehalt eine Ermächtigung (auch) an den Landesgesetzgeber zu sehen (Bay. VerfGH, Ent. v. 02.08.1980 - Vf. 3 - VII/89 u.a. -, NVwZ 1991, 664; Randelzhofer, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 11 Rdnr. 142).

33.

Art. 73 Nr. 3 GG steht einer landesrechtlichen Freizügigkeitsbeschränkung, die vorstehenden Rahmen wahrt, nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit unter anderem für die Freizügigkeit. Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, daß Art. 73 Nr. 3 GG es den Ländern generell verbiete, beschränkende Gesetze i. S. von Art. 11 Abs. 2 GG zu erlassen; erst nach ausdrücklicher Ermächtigung in einem Bundesgesetz sei gemäß Art. 71 GG Raum für ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers (Hecker, a.a.O., S. 50 ff.; Waechter, a.a.O., S. 199); Schenke, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl., S. 219). Diese Ansicht berücksichtigt jedoch nicht ausreichend die inhaltliche Verknüpfung der Grundrechtsschranken in Art. 11 Abs. 2 GG mit Gegenständen der Landesgesetzgebung. In dem Umfang, in dem Art. 11 Abs. 2 GG sich auf Regelungsgegenstände der Landesgesetzgebung bezieht - hier die Abwehr bestimmter qualifizierter polizeilicher Gefahren -, muß auch ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers möglich sein. Andernfalls würde der Grundrechtsvorbehalt, der das Ergebnis einer in der Verfassung selbst vorgenommenen Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse des Einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit darstellt, in wichtigen Punkten leerlaufen. Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 73 Nr. 3 GG umfaßt die gesetzliche Ausgestaltung der Freizügigkeit, verdrängt aber nicht die herkömmliche Regelungszuständigkeit der Länder im Bereich der Abwehr unmittelbarer Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit. Landesrechtliche Regelungen, die in diesem Rahmen im konkreten Fall zu einer Einschränkung der Freizügigkeit führen können, sind deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen (Kunig, a.a.O., Rdnr. 21; Hailbronner, a.a.O., § 131 Rdnr. 47; Rittstieg, in: Alternativkommentar GG, 2. Aufl., Art. 11 Rdnr. 53; Krüger, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 11 Rdnr. 23; Riegel, Polizei- und Ordnungsrecht des Landes Bremen, Köln 1984, S. 17). Aus diesem Grund ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß § 9 BremPolG, um dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG zu genügen, Art. 11 GG als eingeschränktes Grundrecht benennt. Folgte man der Mindermeinung, wäre diese Bezugnahme als ein Hinweis auf eine grundgesetzwidrige Kompetenzanmaßung des Landesgesetzgebers zu werten.

34.

2.3. § 10 Abs. 1 BremPolG kann als Rechtsgrundlage für freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen nur bei solchen Gefahren für die öffentliche Sicherheit herangezogen werden, die zugleich die Voraussetzungen des qualifizierten Grundrechtsvorbehalts in Art. 11 Abs. 2 GG erfüllen. Der Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel führt also nicht etwa dazu, daß die Freizügigkeit generell unter den Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit gestellt würde. Die öffentliche Sicherheit wird in § 2 Nr. 2 BremPolG als Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt definiert; der Begriff erfaßt also umfassend den Rechtsgüterschutz. Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen sind demgegenüber nur bei einer Gefährdung bestimmter qualifizierter Schutzgüter zulässig, also nur bei einem Ausschnitt aus dem Kreis der Schutzgüter, die vom Begriff der öffentlichen Sicherheit erfaßt werden.

35.

Die Einschränkung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 BremPolG ergibt sich insoweit unmittelbar aus der Verfassung. Berücksichtigt man diese Einschränkung, ist eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für einen Grundrechtseingriff gegeben (vgl. BVerwG, U. v. 06.09.1974 - I C 17/73 -, BVerwGE 47, S. 31).

36.

3. Ein Landesgesetz, das die Polizei unter bestimmten qualifizierten Voraussetzungen zu freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahmen ermächtigt, verstößt nicht gegen die Bremische Landesverfassung.

37.

Art. 18 BremLV bestimmt, daß das Recht auf Freizügigkeit und auf Auswanderung ins Ausland jedem Bewohner der Freien Hansestadt Bremen zusteht. Die Vorschrift, nach der jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen sich innerhalb des Landes Bremen frei bewegen kann (vgl. Spitta, Kommentar zur Bremischen Verfassung von 1947, Bremen 1960, S. 60), gilt gemäß Art. 142 GG fort (vgl. Böckenförde/Grawert, Rechtsgutachten zu der Frage, inwieweit Bestimmungen der Bremischen Landesverfassung durch das Grundgesetz oder anderes Bundesrecht außer Kraft getretenen sind, Bremen 1970, S. 58; Hansgeorg Neumann, Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Stuttgart 1996, Art. 18 Rdnr. 3).

38.

Art. 18 BremLV enthält keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, das landesverfassungsrechtliche Freizügigkeitsrecht stand aber von Anfang an unter der immanenten Schranke der Gefährdung wichtiger Gemeinschaftsgüter. Es ist nicht vorstellbar, daß die am 21.10.1947 verkündete Landesverfassung, die stärker noch als das Grundgesetz die Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen betont, jedwede Einschränkungen der Aufenthaltsfreiheit verbieten wollte, mochten diese auch aus überwiegenden Gemeinwohlbelangen dringend geboten sein. Die bei Entstehung der Landesverfassung unmittelbar gegenwärtigen Nachkriegsverhältnisse mit der Aufgabe, die Probleme der Flucht zu bewältigen (vgl. zu den entsprechenden Diskussionen im Parlamentarischen Rat Hailbronner, a.a.O., § 131 Rdnr. 8), sowie der Umstand, daß bestimmte Schranken der Freizügigkeit seit jeher für sachlich geboten gehalten werden (vgl. Waechter, a.a.O., S. 199) verbieten die Annahme, der Landesverfassungsgeber habe das Freizügigkeitsrecht über alle denkbaren Notwendigkeiten hinweg absolut setzen wollen. Die absolute Fassung der Norm zeigt angesichts des Problemfeldes vielmehr, daß sie Grundsatzcharakter hat, aber nicht schon Einschränkungen entgegensteht, soweit sie durch wichtige Gemeinschaftsbelange geboten sind. Ob insoweit die vergleichsweise weiten Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 3 Abs. 2 BremLV auch für Art. 18 BremLV gelten, mag hier dahinstehen (vgl. dazu Böckenförde/Grawert, a.a.O., S. 41). Die landesverfassungsrechtliche Schranke erfaßt jedenfalls den Schutz derjenigen Gemeinschaftsgüter, die in Art. 11 Abs. 2 GG genannt werden. Denn das Grundgesetz enthält eine abgewogene Begrenzung, wie sie der Landesverfassungsgeber kaum abweichend in Rechnung gestellt haben kann. Soweit es um die Abwehr der qualifizierten polizeilichen Gefahren geht, kann in Bezug auf die Freizügigkeit hiernach nicht von einem unterschiedlichen Gewährleistungsniveau ausgegangen werden.

39.

4. Auf die polizeiliche Generalklausel gestützte freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen haben - neben den Einschränkungen, die sich unmittelbar aus dem Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG ergeben - weitere aus dem Verfassungsrecht und dem einfachen Recht resultierende Begrenzungen zu beachten.

40.

4.1. Voraussetzung für einen auf § 10 Abs. 1 BremPolG gestützten Eingriff ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Eine konkrete Gefahr ist eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird (§ 2 Nr. 3 a BremPolG).

41.

Die Gefahrenabwehraufgabe schließt die Beseitigung bereits eingetretener Störungen ein. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so geht die Gefahrenabwehraufgabe dahin, die eingetretene Störung zu unterbinden und zu beseitigen. Die Störungsbeseitigung bedeutet die Unterbindung der Fortdauer der Störung und damit die Abwehr weiterer Störungen (vgl. Götz, a.a.O., S. 61).

42.

Eine offene Drogenszene stellt eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Der verbotene Umgang mit Betäubungsmitteln wird durch die Strafvorschriften der §§ 29 ff. BtMG in umfassender Weise mit Strafe bedroht. Der Gesetzgeber verfolgt mit diesen Strafvorschriften das Ziel, die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Betäubungsmitteln zu bewahren. Mit dieser Zielsetzung dient das Betäubungsmittelgesetz Gemeinschaftsbelangen, die vor der Verfassung Bestand haben (BVerfG, B. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - E 90, 145 (174)). Dies gilt in besonderer Weise für die Pönalisierung des Umgangs mit sog. harten Drogen, die die Gesundheit sowie die Fähigkeit des Einzelnen, eine freie Willensentscheidung zu treffen, nachhaltig gefährden.

43.

Eine offene Drogenszene ist eine Anlaufstelle zum Erwerb von Rauschgift. Dort findet direkt Drogenumschlag statt, es werden aber auch Drogengeschäfte angebahnt, die an anderer Stelle vollzogen werden. Eine offene Drogenszene stört wegen der dort begangenen oder verabredeten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in erheblicher Weise die öffentliche Sicherheit (VGH Mannheim, B. v. 30.09.1996 - 1 S 2531/96 -, NVwZ-RR 97, 225 sowie B. v. 08.07.1997 - 1 S 1409/97 -, DVBl. 98, 97; vgl. auch Alberts, Freizügigkeit als polizeiliches Problem, NVwZ 1997, 45 (48)). Zugleich ist, da es um die Unterbindung strafbarer Handlungen geht, der Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG erfüllt.

44.

4.2. Gemäß § 5 Abs. 1 BremPolG ist eine polizeiliche Maßnahme gegen diejenige Person zu richten, die die Gefahr bzw. Störung verursacht. Hierzu zählen bei einer offenen Drogenszene an erster Stelle Personen, die Handel mit Drogen betreiben. Verursacher der Störung sind aber auch die Drogenabhängigen, die sich mit Erwerbsabsichten zum Treffpunkt der Drogenszene begeben. Ihre Anwesenheit schafft erst die Bedingung, die den Händlern das Geschäft erleichtern. Das befreit die Behörde allerdings nicht davon, bei der Entscheidung über die im Einzelfall zu treffende Maßnahme nach Art und Ausmaß der Verstrickung in die Szene zu differenzieren.

45.

4.3. Polizeiliche Maßnahmen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Verfassungsrang besitzt. Die rechtlichen Bindungen, die sich aus diesem Grundsatz ableiten, werden in § 3 BremPolG nochmals bezeichnet.

46.

4.3.1. Ein 6-monatiges Aufenthaltsverbot für einen Teil des Gemeindegebiets stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit dar und darf deshalb aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur gegen solche Personen angeordnet werden, die in besonderer Weise an der Bildung und Aufrechterhaltung der offenen Drogenszene beteiligt sind. Hierzu können insbesondere Rauschgifthändler zählen, aber auch Personen, die auf andere Weise in das Rauschgiftvertriebssystem eingebunden sind. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Ein pauschal gegen sämtliche Angehörigen der offenen Drogenszene angeordnetes 6-monatiges Aufenthaltsverbot wäre kaum mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Das Vorgehen stünde in keiner angemessenen Relation zum erstrebten Zweck (Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne).

47.

Die Beklagte richtet ihr Handeln an diesem Maßstab aus. Sie hat entsprechende Aufenthaltsverbote bislang nur in begrenzter Anzahl erlassen, und zwar nur, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erläutert hat, gegen Personen, die erwiesenermaßen zum "harten Kern" der Drogenszene zählen. Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis.

48.

Gegen ihn wurden in der Zeit von 1993 bis 1997 insgesamt 26 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet. Die Vorfälle ereigneten sich ganz überwiegend in dem Bereich, der räumlich den Schwerpunkt der offenen Drogenszene bildet und der von dem Aufenthaltsverbot erfaßt ist. Zwischen Oktober 1995 und Oktober 1996, also einem Zeitraum, der für die hier zur Beurteilung stehende Verfügung vom 23.07.1996 in erster Linie in Betracht zu ziehen ist, ist der Kläger u.a. wegen Handels mit Heroin auffällig geworden am 30.10.1995 und 11.12.1995 (Strafbefehl des AG Bremen v. 06.02.1997 - AZ: -). Wegen Vermittlung eines Rauschgiftgeschäfts wurden Strafverfahren eingeleitet am 07.08.1996 (eingestellt von der STA Bremen am 29.01.1997 nach § 154 Abs. 1 StPO - AZ: -), am 17.09.1996 (eingestellt von der STA Bremen am 11.12.1996 nach § 153 Abs. 1 StPO - AZ:) und am 28.10.1996 (eingestellt vom AG Bremen am 11.02.1998 nach § 154 Abs. 2 StPO - AZ: -). Dazu kommt ein wiederholtes Auffälligwerden wegen Besitzes von Heroin am 19.12.1995 (Strafbefehl des AG Bremen v. 06.02.1997 - AZ: -) und 08.02.1996 (eingestellt von der STA Bremen am 01.04.1996 nach § 31 a BTMG - AZ: -). Nach den Feststellungen des zuständigen Polizeireviers hat der Kläger sich fast täglich über einen längeren Zeitraum hinweg im Umfeld der Kreuzung Ostertorsteinweg/Am Dobben aufgehalten. Er habe ständig Kontakt zu den Personen aus der Drogenszene gesucht; häufig habe es sich um Personen gehandelt, die Betäubungsmittel erwerben wollten. Diese Personen führe er an die Dealer heran oder handele auch selbst mit Betäubungsmitteln (Vermerk des Reviers Steintor vom 23.09.1996). Die genannten Vorfälle stützen diese Feststellungen. Sie belegen, daß der Kläger aktiv am Funktionieren der offenen Drogenszene mitgewirkt hat. Sie verdeutlichen die typischen Ablaufe innerhalb dieser Szene, die für die Drogenabhängigen eine Anlaufstelle zum Erwerb von Rauschgift darstellt. Sie bildet in dieser Hinsicht den Endpunkt eines tiefgestaffelten Vertriebssystems für das Rauschgift. Eine Vermittlungstätigkeit, wie sie der Kläger wiederholt übernommen hat, ermöglicht dabei den Rauschgifthändlern, sich zunächst im Hintergrund zu halten.

49.

4.3.2. Das längerfristige Aufenthaltsverbot stellt im Hinblick auf das mit ihm verfolgte Ziel eine geeignete und erforderliche Maßnahme dar.

50.

Gelegentlich wird in Zweifel gezogen, daß Aufenthaltsbeschränkungen ein geeignetes Mittel darstellten, um gegen die offene Drogenszene vorzugehen. Die Maßnahme führe nur zu einer Verlagerung der Drogenszene (Lesting, Polizeirecht und offene Drogenszene, KJ 1997, S. 214 (220), Rachor, a.a.O., F 60 a).

51.

Die Beklagte verweist demgegenüber darauf, daß die inzwischen gewonnenen Erfahrungen die Tauglichkeit von Aufenthaltsbeschränkungen belegten. Die Bildung einer offenen Drogenszene werde dadurch deutlich erschwert. Die Attraktivität des betreffenden Gebiets als - auch überregional bekannte - Anlaufstelle zum Drogenerwerb habe deutlich nachgelassen. Sie hat ferner darauf hingewiesen, daß die Maßnahme nicht isoliert gesehen werden dürfe. Sie sei eingebettet in umfassende betreuerische Angebote an die Drogenabhängigen, mit denen ihnen der Ausstieg aus der Drogenszene erleichtert werden solle. Die Darlegungen der Beklagten, denen konkrete Erfahrungen zugrunde liegen, sind plausibel.

52.

Es kann auch nicht angenommen werden, daß mildere Mittel zur Verfügung stehen, mit denen das angestrebte Ziel in gleicher Weise erreicht werden könnte:

53.

(1) Die zeitliche Dauer des Aufenthaltsverbots begründet die Beklagte damit, daß diese Maßnahme sich nur gegen die in besonderer Weise an der Bildung und Aufrechterhaltung der offenen Drogenszene Beteiligten richte; gegenüber diesem Personenkreis sei mit Rücksicht auf die Verfestigung der Fehlentwicklung in den betreffenden Teilen des Gemeindegebiets aber ein längerfristiges Tätigwerden geboten. Diese Begründung ist nachvollziehbar. Die beträchtliche Dauer des Aufenthaltsverbots verpflichtet die Beklagte allerdings dazu, im Falle der wiederholten Anordnung sorgfältig zu prüfen, ob ein neuerliches Tätigwerden wirklich unabweisbar ist. Ein schematisches Vorgehen hielte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. In Bezug auf den Kläger, gegen den zuvor bereits wiederholt Aufenthaltsverbote ergangen waren, ist vor der erneuten Anordnung eine derartige Prüfung vorgenommen worden.

54.

(2) Das Aufenthaltsverbot erstreckt sich räumlich auf bestimmte Straßenzüge der Stadtteile Oster- und Steintor, weiter das Gebiet zwischen dem Straßenzug An der Weide/Außer der Schleifmühle und dem Rembertiring sowie schließlich den Bahnhofsvorplatz. Das Verbotsgebiet weist damit eine nicht geringe Ausdehnung auf.

55.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht ist die Frage des räumlichen Geltungsbereichs des Verbots im einzelnen erörtert worden. Die Beklagte hat hierzu erläutert, daß eine Beschränkung auf die Hauptstraßenzüge (insbesondere Vor dem Steintor, Ostertorsteinweg, Am Dobben) ein Ausweichen der Drogenszene auf die Nebenstraßen zur Folge hätte, in deren Schutz bereits jetzt nicht selten die Drogengeschäfte abgewickelt werden würden. Die Einbeziehung des Gebiets zwischen dem Straßenzug An der Weide/Außer der Schleifmühle und dem Rembertiring sei erforderlich gewesen, weil dieses Gebiet von der Straßenbahnlinie durchquert werde, die den Hauptbahnhof mit dem Steintorviertel verbinde und es insbesondere im Umkreis der Straßenbahnhaltestellen zu Rauschgiftgeschäften gekommen sei. Die Erläuterungen der Beklagten sind plausibel. Der Kläger hat Tatsachen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, nicht zu nennen vermocht.

56.

(3) Die Verfügung vom 23.07.1996 schließt auch das Verbot ein, das genannte Gebiet in öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln bzw. zu Fuß zu durchqueren. Die Beklagte begründet dieses Durchquerungsverbot einmal mit den praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten, die ein auf einen bloßen Aufenthalt beschränktes Verbot hätte. Zum anderen verweist sie darauf, daß die das Verbotsgebiet durchquerenden Straßenbahnen (Linien 10, 2 und 3) intensiv zur Anbahnung und auch zur Abwicklung von Drogengeschäften genutzt worden seien. Dem habe das Durchquerungsverbot Rechnung tragen sollen. Diese Argumentation ist nachvollziehbar. Die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat zudem ergeben, daß sich infolge des Durchquerungsverbots für den Kläger zwar zeitliche Verluste beim Erreichen bestimmter Stadtteile und auch des Hauptbahnhofs ergeben, die Hindernisse durch ein Ausweichen auf andere Routen bzw. Bahn- und Buslinien aber überwindbar sind.

57.

4.3.3. Die Verfügung vom 23.07.1996 hat ausreichend das Interesse des Klägers berücksichtigt, bestimmte Orte innerhalb des Verbotsbezirks aufzusuchen. Die Verfügung nimmt das direkte Aufsuchen der Drogenberatungsstelle im Hause des Sozialsenators, Bahnhofsplatz 29/Eingang Breitenweg, von dem Verbot aus. Darüber hinaus heißt es im Tenor der Verfügung, daß weitere Ausnahmen auf Antrag gestattet werden können. Damit hat die Beklagte anerkannt, daß bestimmte weitere Ausnahmen geboten sein können, hat aber auf deren ausdrückliche Benennung verzichtet. Ob ein solches bloßes Inaussichtstellen von Ausnahmen ausreichend gewesen wäre, wenn der Kläger rechtzeitig eindeutig und glaubhaft auf die Erforderlichkeit bestimmter Ausnahmen hingewiesen hätte, erscheint zweifelhaft. Die Pflege bestimmter persönlicher Beziehungen, aber auch etwa Arzt- und Rechtsanwaltsbesuche können solche Ausnahmen gebieten. Der Kläger hat indes solche persönlichen Bedürfnisse nicht substantiiert geltend gemacht. Die getroffene Regelung durfte aus diesem Grund in der vorliegenden Fassung ergehen. Daß die Beklagte nachträglich gestellte Anträge des Klägers nicht ausreichend entgegenkommend behandelt hätte, macht der Kläger selbst nicht geltend.

58.

5. Die Zwangsgeldandrohung kann sich auf §§ 11 Abs. 1, 13 Abs. 1, 17 BremVwVfG stützen. Zur wirksamen Durchsetzung des ergangenen Verbots ist ein Zwangsgeld in Höhe von DM 200,-- für jeden Fall der Zuwiderhandlung nicht unangemessen.

59.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

60.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.