Amtliche Leitsätze
I.
1. a)
Gegenstand eines Organstreits kann auch die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift der Geschäftsordnung des Landtags sein.
b)
Bezieht sich die Verfassungsstreitigkeit auf die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm, so ist — wie in den sonstigen Normprüfungsverfahren – der Berufsrichtersenat zur Entscheidung berufen.
2. a)
Die im Bayer. Landtag vertretenen Fraktionen sind mit eigenen Rechten ausgestattete Teile eines obersten Staatsorgans im Sinne des Art. 64 BV.
b)
Jedenfalls in einer Verfassungsstreitigkeit über die Zuerkennung des Fraktionsstatus können auch Gruppen von Abgeordneten, denen der Fraktionsstatus auf Grund der Geschäftsordnung vorenthalten ist, Beteiligte im konkreten Verfassungsstreit und damit Auftragsberechtigte nach Art. 64 BV, Art 42 Abs. 1 und 2 VfGHG sein.
3.
Bei der Beurteilung des Verfassungsstreites bat der Verfassungsgerichtshof, wenn sich dieser auf eine Norm oder den Erlaß oder die Abänderung einer Norm bezieht, grundsätzlich den Rechtszustand zugrunde zu legen, wie er sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellt.
II.
1.
Fraktionen sind Gliederungen des Parlaments und unterliegen als Einrichtungen desselben dem Parlamentsrecht. Kraft Ihrer Beteiligung an der Bildung des Staatswillens sind sie dem staatsorganschaftlichen Bereich zugeordnet.
2.
Bei der Beschlußfassung über die Festlegung des Fraktionsstatus‘ unterliegt der Landtag verfassungsrechtlichen Schranken Als solche sind anzuerkennen:
a)
Der Gleichheitssatz des Art 118 Abs. 1 BV und das darin verbürgte Willkürverbot.
b)
Die elementaren Rechte der Abgeordneten, die diesen kraft des verfassungsmäßig garantierten freien Mandats (Art. 13 Abs. 2 BV) zustehen.
c)
Das im Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 BV enthaltene Übermaßverbot.
d)
Die Oppositionsfreiheit und der Minderheitenschutz.
3.
Der Umstand, daß eine Partei unter Überwindung der Sperrklausel des Art. 14 Abs. 4 BV in den Landtag gelangt ist, führt nicht notwendig dazu, daß den Abgeordneten dieser Partei in jedem Falle der Fraktionsstatus zuerkannt werden müßte.
Aus den Gründen:
I.
1
1. a) Zwischen der Freien Demokratischen Partei (F.D.P.) – Landesverband Bayern e. V. – und der Gruppe der 8 Abgeordneten der F.D.P., die auf Grund der Landtagswahlen vom 27. 10. 1974 ein Mandat im 8. Bayer. Landtag erhalten haben‚ einerseits und dem Landtag als oberstem Staatsorgan andererseits besteht ein Streit über die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag vom 26. 9. 1974 (GVBl. S. 587), zuletzt geändert durch Beschluß vom 15. 5. 1975 (GVBl. S. 154), soweit in dieser Vorschrift für die Bildung einer Fraktion auch dann eine Mindestzahl von Abgeordneten vorausgesetzt wird, wenn die Fraktion von Abgeordneten einer Partei gebildet werden soll, auf welche bei der Wahl mindestens 5 v. H. der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entfallen sind (Art. 64 BV, Art. 2 Nr.4, Art. 42 VfGHG; § 38 GeschOVerfGH.
2
b) § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag (GeschO) hat folgenden Wortlaut:
"Die Fraktionen
§ 7 Begriff
(1) Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens 10 Abgeordneten. Die Bildung einer Fraktion, ihre Bezeichnung, die Namen der Vorsitzenden und Abgeordneten sind dem Präsidium schriftlich mitzuteilen. Ein Abgeordneter kann nur einer Fraktion angehören.
3
c) Den Antrag der genannten Abgeordneten. de F.D.P. auf Änderung der Geschäftsordnung dahin, daß der Gruppe der 8 Abgeordneten der Fraktionsstatus zuerkannt wird, hat der Landtag – nach Vorberatung im Ausschuß der Geschäftsordnung und Wahlprüfung sowie Einholung eines Gutachtens der Bayer. Staatsregierung – in seiner Vollsitzung am 15. 5. 1975 abgelehnt (Stenogr. Bericht 8/22 S. 1050). In dieser Sitzung hat der F.D.P.-Abgeordnete J. ausgeführt, er halte den § 7 Abs. 1 Satz l GeschO insoweit für verfassungsrechtlich bedenklich, als darin auch für jene politischen Parteien eine Zahl von mindestens 10 Abgeordneten für die Bildung einer Fraktion vorausgesetzt wird, die bei der Landtagswahl 5 v. H. der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben (Stenogr. Bericht 8/22 S. 1024, 1029).
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d) Mit Beschluß vom 15. 5. 1975 hat der Landtag eine Änderung der Geschäftsordnung beschlossen. Durch Einfügung eines neuen Absatzes 2 in § 16 GeschO wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, daß Gruppen von Abgeordneten derselben Partei, die wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 GeschO keine Fraktion bilden können, bei der Zusammensetzung des Ältestenrats berücksichtigt werden; Entsprechendes gilt für die Zusammensetzung des Zwischenausschusses (vgl. § 20 Abs. 2 GeschO i. d. F. des Beschlusses vom 15. 5. 1975). Für die Besetzung der übrigen Ausschüsse (§ 26 Abs. 2 GeschO) ist weiterhin gemäß § 8 Abs. 2 GeschO die Stärke der Fraktion maßgebend, wobei auch Gruppen von Abgeordneten derselben Partei, die wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 keine Fraktion bilden können, berücksichtigt werden, falls die Zahl der Mitglieder des Ausschusses, der nach dem d’Hondtschen System besetzt wird, dies ermöglicht (§ 26 Abs. 1 GeschO). Dem Absatz 1 des § 111 GeschO, der die Rededauer in besonderen Fällen regelt, wurde ein weiterer Satz angefügt, der vorsieht, daß Abgeordnetengruppen höchstens die Hälfte der für eine Fraktion festgesetzten Grundredezeit erhalten. Auf Grund dieser Änderungen ist die Gruppe der Abgeordneten der F.D.P. nunmehr bei der Zusammensetzung des Ältestenrats und im Zwischenausschuß sowie in 8 von insgesamt 13 Ausschüssen des Landtags vertreten.
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Der Landesverband Bayern der F.D.P. und die genannten Abgeordneten der F.D.P. halten diese Änderung der Geschäftsordnung nicht für ausreichend, um den durch § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO geschaffenen, ihrer Ansicht nach verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen.
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2. Die 8 Abgeordneten der F.D.P. haben ferner den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO gestellt, soweit für die Bildung einer Fraktion auch dann eine Mindestzahl von Abgeordneten vorausgesetzt wird, wenn die Fraktion von Abgeordneten einer Partei gebildet werden soll, auf welche bei der Wahl mindestens 5 v. H. der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entfallen sind (Art. 98 Satz 4 BV, Art. 2 Nr. 7 und Art. 53 VfGHG).
II.
[...]
III.
[...]
IV.
7
A. 1. Nach Art. 64 BV, Art. 2 Nr.4, Art 42 Abs. 1 VfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Verfassungsstreitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans. Der Begriff Verfassungsstreitigkeit wird in erster Linie geprägt durch den formellen Gesichtspunkt der am Streit beteiligten Parteien (VerfGH 2, 61/68; Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern – 1971 – RdNr. 1 zu Art. 64; Nawiasky-Leusser-Schweiger-Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern – RdNr. 3 zu Art. 64). Vom Streitgegenstand her gesehen muß es sich um eine Verfassungsstreitigkeit handeln, also um einen Streit über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung einer Verfassungsnorm. Diese Streitfragen können sich beziehen auf Befugnisse, Rechte und Pflichten der Beteiligten, soweit diese aus der Verfassung abgeleitet werden.
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Gegenstand des Organstreits kann auch die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift der Geschäftsordnung sein (vgl. Maunz, Deutsches Staatsrecht – 20. Aufl. – S. 343; Lechner, Bundesverfassungsgerichtsgesetz – 3. Aufl. – Anm. I, 3 a und c, BB), und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie als allgemein verbindliche Norm des Landesrechts anzusehen ist. Abgesehen davon, daß im Wege der Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV nur Grundrechtsverletzungen gerügt werden können, bestehen hinsichtlich der Antragsbefugnis, der Verfahrensart und des Verfahrenszieles Unterschiede. Die Normenkontrolle im Sinne des Art. 98 Satz 4 BV ist auf Kassation einer grundrechtswidrigen Norm gerichtet, Antragsteller kann jedermann sein; demgegenüber ist bei einem Organstreit der Kreis der Streitstelle durch Art. 64 BV abschließend bestimmt, und das Verfahren in erster Linie auf die Entscheidung über Streitigkeiten aus Anlaß der Anwendung und Auslegung der Verfassung ausgerichtet. Es handelt sich um ein kontradiktorisches Verfahren Verfassungsstreitigkeit), das bestimmte Rechtsbeziehungen zwischen den Streitsteilen voraussetzt. Die Parteien des Organstreits müssen zueinander in einem verfassungsrechtlichen Verhältnis stehen, und es muß Streit zwischen ihnen bestehen über bestimmte Folgerungen aus diesem Rechtsverhältnis (vgl. auch BVerfGE 2, 143/156; 27, 152/157; Lechner, a.a.O., Anm. I 3a, und Kaufmann, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit in VVDStRL Heft 9 – 1952 – S. 3).
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Dennoch sind aus der Tatsache, daß es sich in beiden Fällen um Normenprüfungsverfahren handeln kann, gewisse Folgerungen hinsichtlich der Besetzung des Verfassungsgerichtshofs und des Kreises der Verfahrensbeteiligten abzuleiten. Der Verfassungsgerichtshof setzt sich in diesen Fällen nicht – wie sonst im Fall der Verfassungsstreitigkeit nach Art. 64 BV – nach Art. 68 Abs. 2 Buchst. c, sondern nach Art. 68 Abs. 2 Buchst. b BV (Berufsrichterbesetzung) zusammen (VerfGH 2, 61/70 f.; 19, 1; 23, 80/85; Meder a.a.O., RdNr. 4). Bezieht sich die Verfassungsstreitigkeit im konkreten Fall auf die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm, so ist – wie in den sonstigen im Normenkontrollverfahren vorgesehenen Fällen (Art. 65, 98 Satz 4, Art. 75 Abs. 3 BV) – der Berufsrichtersenat zur Entscheidung berufen. Darüber hinaus sind neben dem Antragsteller und dem Antragsgegner auch die im Normenkontrollverfahren im übrigen Beteiligten (vgl. Art. 44 Abs. 3, Art 53 Abs. 3 VfGHG) heranzuziehen (VerfGH 23, 80/85; Meder a.a.O. RdNr. 4 zu Art. 64 BV). Von dem Fall der abstrakten Normenkontrolle unterscheidet sich die Verfassungsstreitigkeit nach Art. 64 BV – auch wenn sich diese auf eine Norm bezieht — jedoch in der Weise, daß die Frage der Vereinbarkeit der Norm mit der Bayerischen Verfassung nicht losgelöst betrachtet werden kann von dem Streitfall, der Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist.
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2. a) Der Landesverband Bayern der F.D.P. ist antragsberechtigt im Sinne des Art. 64 BV, Art. 42 Abs. 1 und 2 VfGHG. Politische Parteien sind zwar keine Staatsorgane. Sie haben aber nach Art. 21 Abs. 1 GG, der unmittelbar auch in den Ländern gilt (VerfGH 23, 80/84; BVerfGE 1, 208/227; 4, 375/378; 6, 367/375), die Aufgabe, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Diese besondere Aufgabe der Parteien im Verfassungsleben muß auch die Form ihrer Teilnahme am verfassungsgerichtlichen Verfahren bestimmen. Es muß ihnen daher die Befugnis zustehen, zur Wahrung ihrer verfassungsrechtlichen Stellung im Verfahren nach Art. 64 BV Anträge zu stellen (VerfGE 23, 80/84). Der Art. 64 BV ist demgemäß so aufzufassen, daß – über seinen Wortlaut hinaus (vgl. VerfGH 20, 36/44) – grundsätzlich auch politische Parteien, soweit sie in dem dargelegten Sinn die Funktion von Verfassungsorganen ausüben, Beteiligte an einem Verfassungsstreit sein können. Dieses Recht steht hier der Antragstellerin jedenfalls deshalb zu, weil sie im Bayer. Landtag als politische Partei vertreten ist.
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b) Als mit eigenen politischen Rechten ausgestattet erwähnt die Bayerische Verfassung zwar nur die politischen Parteien (Art. 15 Abs. 2 BV). Das schließt nicht aus, auch die im Landtag als Zusammenschlüsse der Abgeordneten einer bestimmten Partei vertretenen Fraktionen, die die Funktion von Verfassungsorganen – bezogen auf die Tätigkeit im Landtag – ständig wahrnehmen, als antragsberechtigt im Sinne des Art. 64 BV anzusehen (vgl. BVerfGE 2, 143/160). Davon geht auch die Geschäftsordnung des Bayer. Landtags aus; sie sieht in § 92 Abs. 1 vor, daß Anträge auf Erhebung von Verfassungsstreitigkeiten mit einem anderen Staatsorgan entweder der Unterzeichnung durch 20 Abgeordnete oder durch eine Fraktion bedürfen. Parlamentsfraktionen sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (BVerfGE 2, 143/160; 10 4/14). Als in der Bayerischen Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattete Teile eines Staatsorgans sind daher auch die im Landtag vertretenen Fraktionen anzusehen (a. A. Nawiasky-Leusser- Schweiger-Zacher RdNr. 4 zu Art. 64 BV). Zwar sind die Fraktionen in der Bayerischen Verfassung nicht ausdrücklich mit eigenen Rechten ausgestattet, sie finden darin überhaupt keine Erwähnung. Eine dem Art. 93 Abs.1 Nr.1 GG entsprechende Vorschrift, wonach es für die Parteifähigkeit im Organstreit genügt, daß der Beteiligte in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet ist, fehlt in der Bayerischen Verfassung. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, die Fraktionen als ständige Zusammenschlüsse von Abgeordneten einer bestimmten politischen Partei im Landtag seien nicht parteifähig im Organstreitverfahren nach Art. 64 BV. Vielmehr ist auch hinsichtlich dieses formellen Erfordernisses eine die Verfassungswirklichkeit berücksichtigende Betrachtungsweise angezeigt. Fraktionen sind Teile des obersten Staatsorgans Landtag. Die diesem in der Bayerischen Verfassung zur Wahrnehmung zugewiesenen Rechte werden wenigstens teilweise von den Fraktionen wahrgenommen. Diese nach der Geschäftsordnung als ständige Gliederung des Landtags eingerichteten Teile desselben können parteifähig und damit in der Lage sein, Rechte des Landtags oder eigene Rechte vor dem Bayer. Verfassungsgerichtshof zu vertreten (vgl. auch BVerfGE 2, 143/160).
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Der Gruppe der 8 F.D.P.-Abgeordneten steht zwar nach der Geschäftsordnung der Fraktionsstatus nicht zu. Der Ausschluß beruht auf § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO, dessen verfassungsrechtliche Gültigkeit die Antragsteller in diesem Verfahren gerade in Zweifel ziehen. Jedenfalls in einer Verfassungsstreitigkeit über die Zuerkennung des Fraktionsstatus können auch Gruppen von Abgeordneten, denen der Fraktionsstatus auf Grund der . Geschäftsordnung vorenthalten wird, Beteiligte im konkreten Verfassungsstreit und damit Antragsberechtigte nach Art. 64 BV, Art. 42 Abs. 1 und 2 VfGHG sein (vgl. VerfGH 23, 80/85; BVerfGE 2, 143/160).
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Antragsgegner im Sinne des Art. 42 Abs. 1 VfGHG ist der Bayer. Landtag, der mit mehrheitlicher Auffassung eine von den Antragstellern abweichende Meinung zu den strittigen Verfassungsfragen vertritt.
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c) Der Gegenstand des Verfassungsstreits ergibt sich aus den gestellten Anträgen. Danach begehren die Antragsteller die Feststellung, daß § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar sei, soweit für die Bildung einer Fraktion auch dann eine Mindestzahl von Abgeordneten vorausgesetzt wird, wenn die Fraktion von Abgeordneten einer Partei gebildet werden soll, auf welche bei der Wahl im Land mindestens 5 v. H. der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entfallen sind. Die Versagung des Fraktionsstatus gegenüber den 8 Abgeordneten der F.D.P. verstoße gegen Art. 15 Abs. 2 BV und den Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien, wie dieser in Art. 14 Abs. 1 und Art. 118 Abs. 1 BV i. V. m. Art. 21 GG zum Ausdruck gelangt sei.
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Die Antragsteller machen geltend, durch eine Maßnahme oder eine Unterlassung des Antragsgegners im Zusammenhang mit der Änderung der Geschäftsordnung des Landtags in der Ausübung verfassungsmäßiger Rechte und Pflichten verletzt zu sein. Ein prozeßrechtliches Verhältnis im Sinne des Art. 64 BV. Art. 42 VfGHG ist somit zwischen den Streitsteilen gegeben. Die prozessualen Voraussetzungen für eine Verfassungsstreitigkeit sind daher insoweit erfüllt.
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Bei der Beurteilung eines Verfassungsstreites, der sich auf eine Norm oder auf den Erlaß oder die Abänderung einer Norm bezieht, hat der Verfassungsgerichtshof den Rechtszustand zugrunde zu legen, wie er sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellt. Insoweit sind die bei der Popularklage gegen überholte Rechtsvorschriften entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung des Bayer. Verfassungsgerichtshofs (vgl. VerfGH 26, 87/93 m. w. N.) entsprechend heranzuziehen. Gegenstand des Verfassungsstreites ist demnach das verfassungsrechtliche Verhältnis der Streitsteile, wie es sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellt. Das aber ist die konkrete Frage, ob die Antragsteller durch § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO in Verbindung mit dem übrigen Inhalt der Geschäftsordnung in der geänderten Fassung vom 15. 5. 1975 in der Ausübung verfassungsmäßiger Rechte und Pflichten verletzt sind.
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B. Nach Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) beim Verfassungsgerichtshof geltend machen (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).
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1. Die von den 8 Antragstellern angefochtene Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO ist jedenfalls eine Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts im Sinne des Art. 53 Abs. 1 Satz 2 VfGHG. Über die Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen bestehen unterschiedliche Auffassungen. Die h. M. geht dahin, daß es sich hierbei um eine autonome Satzung handelt die der Verfassung und dem einfachen Landesrecht im Rang nachgeht (Maunz, Deutsches Staatsrecht, 20. Aufl., S. 343; ders. in Maunz-Dürig-Herzog, RdNr. 21 zu Art. 40; Trossmann, Parlamentsrecht – 1967 – S. 123). Gegenüber der Meinungsvielfalt im älteren Schrifttum (vgl. Hatschek, Parlamentsrecht – 1915 – S. 42 ff.; Perels, Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. 1 S. 449 f.) findet sich heute lediglich noch die Auffassung, bei den Geschäftsordnungen handle es sich um Rechtsverordnungen; abgelehnt wird hingegen die Meinung, sie seien nur Konventionalregeln oder interne Verwaltungsvorschriften (vgl. im einzelnen die Darstellung von Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht – 1966 – S. 136 mit zahlreichen Literaturhinweisen). Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 30. 11. 1955 (VerfGH 8, 91 ff.) mit der Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen befaßt und sich dabei insbesondere mit der Frage auseinandergesetzt, ob Vorschriften der Geschäftsordnung, soweit sie ihrer Natur nach überhaupt Rechtssatzcharakter haben können, der Normenkontrolle nach Art. 98 Satz 4 BV unterliegen. Er hat das bejaht und dazu ausgeführt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs umfasse die Sammelbezeichnung "Gesetze und Verordnungen" im Sinne des Art. 98 Satz 4 BV alle allgemein verbindlichen Rechtsnormen, ohne daß es darauf ankomme, von welcher Stelle sie erlassen seien. Nach dem Wesen der Geschäftsordnung könne kein Zweifel bestehen, daß sie jedenfalls den "Gesetzen und Verordnungen" im Sinne der genannten Verfassungsvorschrift gleichzustellen sei. Im übrigen habe der Verfassungsgerichtshof auch schon für autonome Satzungen verschiedenster Art seine Prüfungszuständigkeit nach Art. 98 Satz 4 BV bejaht (VerfGH 8, 91/101). Diesen Ausführungen tritt der Verfassungsgerichtshof nach erneuter Prüfung bei. Auch wenn man davon ausgeht, daß es sich bei der Geschäftsordnung um eine kraft der Autonomie des Parlaments erlassene Satzung über Organisation und Verfahrensweise des Parlaments während einer bestimmten Parlamentsperiode handelt, steht nichts entgegen, deren Vorschriften den Charakter von Rechtssätzen im Sinne des Art. 98 Satz 4 BV zuzuerkennen. Die Tatsache, daß das Parlament insoweit ohne Bindung an frühere Parlamentsbeschlüsse und ohne sachliche Beschränkung oder Mitwirkung anderer Staatsorgane handelt, steht dem gleichfalls nicht entgegen. Daß der Geschäftsordnungsgeber den Bindungen der Bayerischen Verfassung unterliegt, wird von keiner Seite in Zweifel gezogen (vgl. auch Maunz, Deutsches Staatsrecht a.a.O., S. 343 sowie in Maunz-Dürig-Herzog, RdNr. 21 zu Art. 40 GG). Der Meinungsstreit über die Rechtsnatur der Geschäftsordnung ist jedenfalls für die Geltendmachung des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes ohne praktische Bedeutung. Denn auch wenn man mit der h. M. den Satzungscharakter bejaht, so unterliegen die Vorschriften der Geschäftsordnung, soweit sie innerhalb ihres Geltungsbereiches allgemeine Verbindlichkeit haben können, der Normenkontrolle (VerfGH 23, 62/66 m. w. N.). Die Frage der Vereinbarkeit von Vorschriften der Geschäftsordnung mit der Bayerischen Verfassung kann daher nicht nur Gegenstand eines verfassungsrechtlichen Organstreits nach Art. 64 BV sein (vgl. zum Bundesrecht dazu Maunz, Deutsches Staatsrecht, a.a.O., S. 343), sondern auch zum Gegenstand der Normenkontrolle gemacht werden. Voraussetzung ist allerdings, daß es sich hierbei um eine Vorschrift der Geschäftsordnung handelt, die ihrem Inhalt nach Rechtssatzcharakter hat. Das ist bei der angefochtenen Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO, die den Fraktionsstatus verbindlich – auch für den Rechtsverkehr – festlegt, der Fall.
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2. Die 8 Abgeordneten rügen Verstöße gegen den Grundsatz der Chancengleichheit, wie er in Art 14 Abs. 1 und Art. 118 Abs. 1 BV niedergelegt ist. Beide Verfassungsnormen verbürgen Grundrechte (zu Art. 14 Abs. 1, soweit darin der Grundsatz der Wahlgleichheit verbürgt ist: VerfGH 5, 66/72; 19, 105/110; 27, 139/142 und zuletzt VerfGH, E. vom 18. 12. 1975 Vf. 5-VII-75 S. 16). Die Antragsteller haben auch näher dargelegt, inwiefern sie einen Grundrechtsverstoß der angefochtenen Vorschrift der Geschäftsordnung für gegeben erachten.
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Die prozessualen Voraussetzungen des Art. 98 Satz 4 BV und des Art. 53 Abs. 1 VfGHG sind daher insoweit erfüllt.
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3. Der Verfassungsgerichtshof hat hiernach zu prüfen, ob durch die angefochtene Vorschrift der Geschäftsordnung des Bayer. Landtags Grundrechte der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig eingeschränkt worden sind. Käme er dabei zu der Überzeugung, daß sie gegen andere – keine Grundrechte verbürgenden – Normen der Bayerischen Verfassung verstößt, so hätte er dies nach seiner ständigen Rechtsprechung zu berücksichtigen (VerfGH 27, 139/143 m. w. N.).
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C. Die Verbindung der beiden, letztlich auf die Kontrolle einer Rechtsnorm gerichteten verfassungsgerichtlichen Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung beruht auf Art. 23 VfGHG, § 26 GeschOVerfGH, § 93 VwGO.
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1. § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.
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a) Die Vorschrift definiert den Begriff der Fraktion und bestimmt hierfür Vereinigungen von mindestens 10 Abgeordneten. Sie hält sich im Rahmen der im Parlamentsrecht des Bundes und der Länder üblichen Regelungen, wonach für die Zuerkennung der Fraktionseigenschaft eine gewisse Mindestzahl von Abgeordneten gefordert wird, und zwar entweder eine feste Zahl oder ein bestimmter Prozentsatz der Zahl der Mitglieder des Parlaments. Abweichend von der Geschäftsordnung des Bundestags i. d. F. der Bek. vom 22. 5. 1970 (BGBl. I S. 628) wird für den Fraktionszusammenschluß nicht vorausgesetzt, daß es sich um Abgeordnete derselben Partei handelt. Die Geschäftsordnung des Landtags hält ferner fest an der schon im Parlamentsrecht des Reichstags (vgl. Perels, a.a.O., S. 451) und im bayerischen Parlamentsrecht der Vorkriegszeit (vgl. Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht – 1923 –‚ S. 174 f.) gebräuchlichen festen Mitgliederzahl für den Fraktionsstatus und stellt nicht ab auf einen bestimmten Prozentsatz der Mitglieder des Landtags (so z. B. § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundestags). Andererseits wird aber auch nicht jeder Partei, die unter Überwindung der 5%-Klausel in den Landtag gelangt ist, der Fraktionsstatus eingeräumt.
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b) Bei Erlaß seiner Geschäftsordnung ist der Landtag autonom (Art. 20 Abs. 3 BV). Er ist folglich weder durch den vorherigen Landtag noch durch andere Staatsorgane bei Erlaß seiner Geschäftsordnung inhaltlich gebunden. Er hat allerdings die Schranken der Verfassung zu beachten. Derartige verfassungsrechtliche Schranken könnten sich ergeben aus dem Gleichheitssatz und dem in ihm verbürgten Willkürverbot sowie aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit, wie er in Art. 14 Abs. 1 BV gesichert ist, sofern dieser für die Zeit nach der Wahl gewisse Auswirkungen auf die Tätigkeit der Parteien im Parlament (Minderheitenschutz) erkennen läßt. Inwieweit auch der einfache Gesetzgeber der Geschäftsordnungsautonomie des Landtags Grenzen setzen darf, kann hier dahinstehen (vgl. hierzu BVerfGE 1, 144/148; Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, RdNr. 22 zu Art. 40; Hamann-Lenz, Grundgesetz – 3. Aufl. – Anm. 3 zu Art. 40; v. Mangoldt-Klein, Bonner Grundgesetz – 2. Aufl. – Anm. IV 2 zu Art. 40; Nawiasky-Leusser-Schweiger-Zacher, a.a.O., RdNr. 14 zu Art. 20 BV; Meder, a.a.O., RdNr. 3 zu Art. 20 BV).
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2. Die Antragsteller sind der Auffassung, die auf Grund des Wahlergebnisses im Parlament vertretenen politischen Parteien hätten Anspruch auf Einräumung des Fraktionsstatus, zumindest müsse das gelten für jene politischen Parteien, die die 5%-Klausel überwunden hätten. Die angefochtene Vorschrift der Geschäftsordnung richte demgemäß eine zweite Sperrklausel auf, das sei verfassungsrechtlich unzulässig. Bereits auf Grund von Vorschriften des einfachen Rechts, insbesondere des Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes über Untersuchungsausschüsse und des Art. 6 Abs. 3 Nr. 2 des Rundfunkgesetzes, sei der Fraktionsbegriff vorgegeben, so daß es nicht nur keiner Festlegung desselben in der Geschäftsordnung bedürfe, sondern daß eine solche Festlegung auch mit einfachem Recht in Widerspruch stehe. Schließlich ergebe sich ein Anspruch der antragstellenden Partei auf Einräumung des Fraktionsstatus im Landtag aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien, der nicht nur eine Gleichstellung im Wahlkampf verlange, sondern darüber hinaus für die Arbeitsweise und Arbeitsmöglichkeit im Parlament Geltung beanspruche. Eine wirkungsvolle Parlamentsarbeit sei aber nur möglich bei Einräumung des Fraktionsstatus; diese sei auch geboten aus Gründen der Wirkungsmöglichkeit einer Oppositionspartei.
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3. a) Nach Art. 20 Abs. 3 BV i. V. m. § 154 GeschO stellt der Landtag in seiner ersten konstituierenden Sitzung jeweils fest ob und in welchem Umfang die Geschäftsordnung der vorausgegangenen Legislaturperiode übernommen wird. Die Geschäftsordnung enthält die notwendige Ergänzung der wenigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des Landtags und ist daher von erheblicher Bedeutung für das materielle Verfassungsrecht und das Verfassungsleben (VerfGH 8, 91/100; BVerfGE 1,144/148; Schneider in Festschrift für Rudolf Smend – 1952 – S. 303; Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht – 1966 –‚ S. 60 ff.; Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts – 1971 –‚ S. 49). Diese über den Landtag selbst und seine Mitglieder hinausgreifende Wirkung wird insbesondere deutlich in jenen Vorschriften der Geschäftsordnung, die im einzelnen das parlamentarische Verfahren für das Zustandekommen der Gesetze regeln oder die das Recht der einzelnen Abgeordneten auf ungehinderte Ausübung des Mandats gewährleisten sollen. Ist es somit der Sinn der Geschäftsordnung, die Bewältigung der Aufgaben des Landtags durch eine geeignete Verfahrensweise und Organisation zu fördern, so dient die Geschäftsordnung darüber hinaus doch auch dem Schutz der Minderheiten durch Festlegung von besonderen Minderheiten- rechten (Trossmann, a.a.O., S. 123; Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht – 1923 –, S. 175). Andererseits folgt aus der Natur der Geschäftsordnung als Verfahrensordnung des jeweiligen Landtags, daß es sich hierbei um Rechtsvorschriften besonderer Art handelt. Sie sind ausgezeichnet durch einen hohen Grad an Flexibilität und sind gerade nicht – wie sonst bei Rechtssätzen allgemeiner Art – auf Dauer angelegt, sondern sollen die Verfahrensweise des konkreten Landtags regeln.
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b) Ebenso wie die Parteien im Prozeß der politischen Meinungsbildung eines demokratischen Staates eine wichtige und nicht hinwegzudenkende Funktion erfüllen, sind auch die Fraktionen als innerparlamentarische Zusammenschlüsse der Abgeordneten bestimmter politischer Parteien für die Arbeit im Parlament und für dessen Funktionsfähigkeit heute unentbehrlich. Sie organisieren dessen Arbeit, sichern als Regierungsparteien der Regierung eine beständige Mehrheit und gewährleisten zugleich die Kontrolle derselben (BVerfGE 2, 143/160; 10, 4/14; Badura, Bonner Kommentar, Art. 38 RdNr. 73). Parlamentsfraktionen sind im modernen Parteienstaat notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und sichern die kollektive Wahrnehmung von Parlamentsrechten. Ihre Organisation und Existenz liegen nicht nur im Interesse der politischen Parteien selbst, sondern vor allem auch im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamentsarbeit. Mit der Anerkennung der politischen Parteien in Art. 15 Abs. 2 BV geht die Bayerische Verfassung – nicht anders als das Grundgesetz in Art. 21 GG – von der Existenz von Fraktionen als innerparlamentarischen Vereinigungen aus; dem steht nicht entgegen, daß der Fraktionsbegriff im Text der Bayerischen Verfassung nicht erwähnt ist. Die Verfassungsgebende Landesversammlung fand diesen bereits in der Zeit der Weimarer Reichsverfassung geläufigen Begriff des Parlamentsrechts vor und legte ihn im hergebrachten und überlieferten Sinne zugrunde (Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung Bd. I S. 81 ff.; 90 ff. und 97 ff.; Perels, Handbuch des Deutschen Staatsrechts – 1930 –, Bd. II, 499/451).
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Zwar sind die Fraktionen mit den politischen Parteien eng verbunden und nehmen deren Interessen im Parlament wahr. Das rechtfertigt jedoch nicht die von den Antragstellern vertretene Annahme, eine Fraktion sei Partei im Parlament mit der Folge, daß jede im Parlament vertretene politische Partei ipso iure den Fraktionsstatus beanspruchen könnte. Vielmehr sind Fraktionen Gliederungen des Parlaments und unterliegen als Einrichtungen desselben dem Parlamentsrecht Kraft ihrer Beteiligung an der Bildung des Staatswillens sind sie dem "staatsorganschaftlichen Bereich" zugeordnet (BVerfGE 20,104; StGH Bremen, DÖV 1970, 639/640; Badura, a.a.O., RdNr. 73 zu Art. 38 GG; Hauenschild, Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, 1968, 150; Henke, Das Recht der politischen Parteien – 1964 –‚ 110; Linck, DÖV 1976, 689/693; Häberle, NJW 1976, 537/539). Die Festlegung des Statut der Fraktionen, ihrer Rechte und Pflichten obliegt dem Parlament kraft seiner Autonomie (Art. 20 Abs. 3 BV). Über Rechtsnatur und verfassungsmäßige Stellung der Fraktionen gehen die Auffassungen auseinander (vgl. zum Meinungsstand Badura, a.a.O., RdNr. 74; Maunz-Dürig-Herzog, RdNr. 14 zu Art 40 GG; Moecke, NJW 1965, 276; ders. in DÖV 1966, 162; Hauenschild, a.a.O., S. 151; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems – 1972 .‚ S. 114 ff.) Ob sie Organe des Parlaments sind (vgl., v. Mangoldt-Klein, a.a.O.; Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat VVDStRL 1956 S. 24) oder ob sie ledigilich als ständig vorhandene Teile des Parlaments ohne Organschaftscharakter aufzufassen sind, (so Maunz-Dürig-Herzog a.a.O.), kann letztlich dahingestellt bleiben. Fraktionen sind jedenfalls verfassungsrechtliche Institutionen, deren Errichtung, Bestand und Wirken sich nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen richtet. Die Fraktion als Institution des öffentlichen Rechts nimmt als mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete Gliederung des Parlaments unmittelbar Verfassungsaufgaben wahr. Sie wirkt in der Regel zugleich im Parlament mittelbar als Repräsentant der jeweiligen Partei (StOH Bremen, a.a.O., S.640).
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Aus dieser Doppelstellung der Fraktionen darf aber nicht gefolgert werden, die Fraktion sei Partei im Parlament. Diese von den Antragstellern unter Berufung auf W. Schmidt (W. Schmidt, Chancengleichheit der Fraktionen unter dem Grundgesetz, in Der Staat, .1970, 481/495, und neuerdings Dellmann, DÖV 1976, 153 ff.) vertretene Auffassung entspricht nicht nur nicht der herrschenden Meinung, sondern findet auch im geltenden Parlamentsrecht des Bundes und der Länder keine Stütze. Vielmehr geht die an der historischen Entwicklung des Fraktionsbegriffes ausgerichtete herrschende Auffassung dahin, daß es dem jeweiligen Parlament überlassen ist für seinen Bereich und für die Geltungsdauer seiner Wahlperiode autonom zu bestimmen, welche Zahl von Abgeordneten Voraussetzung für die Zuerkennung des Fraktionsstatus ist. Dabei werden nach der Natur des zu regelnden Sachbereiches und unter Berücksichtigung der Funktionsweise des Parlaments gewisse Anforderungen hinsichtlich der Fraktionsstärke (Fraktionsquorum) gestellt Die Eigenschaft als Fraktion und die damit verbundenen gesteigerten Rechte und Pflichten sollen nur einer Gruppe von Abgeordneten zustehen, der angesichts der Zahl der mit gleicher politischer Zielsetzung vereinigten Abgeordneten eine gewisse Bedeutung zukommt. Bei der Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen sich Abgeordnete im Parlament zu einer Fraktion zusammenschließen können, steht dem Parlament kraft seiner ihm von der Verfassung gegebenen Autonomie ein Ermessensspielraum zu. In diesem Rahmen ist die Bildung von Fraktionen frei (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GeschO; Steiger, a.a.O., S. 107 f., und Hauenschild, a.a.O., S. 41).
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c) Es steht jedoch außer Zweifel, daß der Landtag gewisse verfassungsrechtliche Schranken einzuhalten hat. Über die Reichweite derselben gehen die Auffassungen zwischen den Streitsteilen auseinander. Der Einwand der Antragsteller, der Landtag habe dabei auch Bindungen des einfachen Rechts zu beachten, geht hier fehl, ohne daß auf die Streitfrage einzugehen wäre, ob der einfache Gesetzgeber dem insoweit von der Verfassung mit autonomen Befugnissen ausgestatteten Landtag Schranken setzen könnte. Weder aus Art. 4 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayer. Landtags vom 23. 3. 1970 (GVBl. S. 95) noch aus Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr.2 des Bayer. Rundfunkgesetzes i. d. F. der Bek. vom 26. 9. 1973 (GVBl. S. 563) lassen sich Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß jeder im Parlament vertretenen Gruppierung von Abgeordneten mit gleicher politischer Richtung auch der Fraktionsstatus zuerkannt werden müßte. In den genannten Vorschriften des einfachen Rechts, soweit darin die Fraktionen Erwähnung finden, geht der Gesetzgeber von dem im Parlamentsrecht geprägten Fraktionsbegriff aus. Sinn und Zweck der angeführten Bestimmungen ist es nicht, Organisationsnormen für die Fraktionsbildung aufzustellen. Auch aus dem Grundsatz, daß im Rundfunkrat die politisch relevanten Kräfte vertreten sein sollen, kann eine gegenteilige Folgerung nicht gezogen werden, insbesondere kann darauf nicht die Forderung gestützt werden, daß allen im Landtag vertretenen politischen Parteien deshalb der Fraktionsstatus zuerkannt werden müsse. Im übrigen enthalten sowohl Art. 6 Abs. 2 und 3 des Rundfunkgesetzes als auch Art. 4 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse eine eigenständige, hier nicht angefochtene Regelung.
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4. Die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Schranken hat der Verfassungsgerichtshof im Wege der Organstreitigkeit zu prüfen:
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a) Einmal hat der Landtag bei der Festlegung des Fraktionsstatus den Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV und das darin verbürgte Willkürverbot zu beachten. Der Landtag darf zwar Voraussetzungen für die Fraktionsbildung festlegen und dabei auf eine bestimmte Zahl von Abgeordneten abstellen. Er muß sich aber an sachlichen Gründen orientieren und darf insbesondere seine Regelung nicht von willkürlichen, mißbräuchlichen oder politisch tendenziösen Erwägungen abhängig machen (Lechner-Hülshoff, Parlament und Regierung – 3. Aufl. – S. 193. zu § 10 GeschO des Bundestags; Seifert, Die Politischen Parteien -. 1975 –, S. 343 und insbesondere Fußn. 24). Bei der Festlegung der zahlenmäßigen Voraussetzungen für den Fraktionsstatus darf der Landtag berücksichtigen die Zahl der Abgeordneten, die Funktionsfähigkeit des Parlaments und die nach der konkreten Geschäftsordnung mit dem Fraktionsstatus verbundenen besonderen Rechte und Pflichten der Fraktionen. Desgleichen hat er zu beachten die Grundsätze der Chancengleichheit der politischen Parteien, des Minderheitenschutzes und die Einräumung von Mindestbefugnissen zur Wahrnehmung der parlamentarischen Opposition. Diese Gesichtspunkte sind abzuwägen gegenüber dem Zweck der Geschäftsordnung, eine möglichst reibungslose Parlamentsarbeit zu gewährleisten.
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§ 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO hält sich im Rahmen dieser aufgezeigten Schranken. Willkürlich und damit verfassungswidrig wäre das in dieser Vorschrift aufgestellte Quorum von 10 Abgeordneten nur dann, wenn es jeder einleuchtenden Begründung entbehrte. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Entwicklung des Geschäftsordnungsrechts, insbesondere die Novellierung der Geschäftsordnung am Ende der 7. Wahlperiode, bei der dieses Quorum nicht umstritten war, ergibt keinen Anhalt dafür, daß die vom 8. Landtag in seiner konstituierenden Sitzung übernommene Regelung mit dem subjektiven Merkmal des Rechtsmißbrauchs der Parlamentsmehrheit gegenüber einer Minderheitengruppe belastet wäre.
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b) Bei der Bestimmung des Fraktionsstatus darf sich die Landtagsmehrheit auch nicht hinwegsetzen über elementare Rechte der Abgeordneten, die diesen kraft des verfassungsmäßig garantierten freien Mandats (Art. 13 Abs. 2 BV) zustehen. Art. 13 Abs. 2 BV garantiert dem einzelnen Abgeordneten jedenfalls einen Kernbestand an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben (vgl. BVerfGE 4, 144/149; 10, 4/14), deren unmittelbare Wahrnehmung darf dem Abgeordneten nicht entzogen werden (vgl. dazu Linck, DÖV 1975, 689 ff.; Arndt, a.a.O., S. 74). In diesem Zusammenhang sind drei zentrale Funktionen anzuführen, in denen der Schutz des Verfassungsprinzips des freien Mandats dem einzelnen Abgeordneten im Kern eine selbständige Stellung garantiert: Dazu gehört das Recht auf freie und gleiche Abstimmung, ein Mindestbestand an Redemöglichkeiten und ein gewisses Maß an Antragsbefugnissen.
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Die parlamentarische Praxis und ihr Niederschlag in den Geschäftsordnungsregeln erlauben jedoch insoweit Beschränkungen des einzelnen Abgeordneten bei der Wahrnehmung seiner Rechte. Diese können darin bestehen, daß nicht, der einzelne Abgeordnete, sondern nur die Fraktion oder eine Mindestzahl von Abgeordneten gewisse Befugnisse wahrnehmen kann. Geht diese Bindung oder Mediatisierung nicht über das Maß hinaus, das zur Sicherung des Ablaufs der Parlamentsarbeit geboten ist, so liegt sie noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen unter der Voraussetzung, daß die notwendige Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Abgeordneten erhalten bleiben (BVerfGE 10, 4/14). Die Geschäftsordnung des Bayer. Landtags – jedenfalls in der durch Beschluß vom 15. 5. 1975 geänderten Fassung – hält sich im Rahmen dieser Grundsätze. Ohne Rücksicht auf die Festlegung des Fraktionsstatus’ verbleiben nach bayerischem Parlamentsrecht dem einzelnen Abgeordneten weitgehende parlamentarische Befugnisse (vgl. §§ 52, 53, 55, 65, 70, 76, 79, 106,131 133, 140 und 141 GeschO). Unter diesen Einzelrechten der Abgeordneten sind insbesondere hervorzuheben die Einbringung von Gesetzentwürfen (§ 55 GeschO) sowie die Stellung von Anträgen und Abänderungsanträgen (§ 65 GeschO), ferner das Recht, mündliche und schriftliche Anfragen zu stellen (§§ 76, 79 GeschO). Durch Änderung der Geschäftsordnung gemäß Beschluß vom 15. 5. 1975 sind darüber hinaus Abgeordnetengruppen derselben Partei, die wegen Fehlens der Voraussetzung des § 7 Abs. 1 GeschO keine Fraktion bilden können, Sitze und damit Mitwirkungsrechte eingeräumt worden im Ältestenrat (§ 16 Abs. 2 GeschO), im Zwischenausschuß (§ 20 Abs. 2 Satz 2. i. V. m. § 26 Abs. 2 GeschO) und in den großen Ausschüssen (§ 26 Abs. 2,2. Halbsatz GeschO).
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Darüber hinaus ist es nach der Geschäftsordnung, die für die Zuerkennung des Fraktionsstatus nicht voraussetzt, dass es sich um Abgeordnete derselben Partei handelt, zulässig, daß sich jeder Abgeordnete mit 9 anderen Abgeordneten auf Dauer zu einer Fraktion zusammenschließt. Ferner kann sich jeder Abgeordnete mit der erforderlichen Zahl von weiteren Abgeordneten zusammentun, um von Rechten Gebrauch zu machen, die nur kollektiv (Fraktion oder 20 Abgeordnete) mutet Beteiligung einer Mindestzahl von Abgeordneten ausgeübt werden können. Dabei wird nicht verkannt, daß es in der politischen Wirklichkeit Schwierigkeiten begegnet, über die Parteien hinweg derartige Verbindungen auf Zeit oder Dauer zustande zu bringen.
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Die Funktionsfähigkeit des Parlaments setzt eine gewisse Arbeitsteilung in Ausschüssen mit einer reduzierten Mitgliederzahl und zum anderen eine Rationalisierung des technischen Ablaufs der Parlamentsarbeit voraus. Die Sicherstellung der sachlichen Arbeit des Parlaments bedingt Einschränkungen der durch Art. 13 Abs. 2 BV grundsätzlich gewährleisteten Eigenständigkeit des Abgeordneten durch die Geschäftsordnung. Die Einschränkungen bestehen im wesentlichen darin, daß der Abgeordnete einzelne Antragsbefugnisse nicht selbständig, sondern nur kollektiv über seine Fraktion oder in Übereinstimmung mit einer größeren Gruppe von Abgeordneten wahrnehmen kann. Diese Einschränkungen beziehen sich insbesondere auf solche Antragsbefugnisse, die ein arbeitsaufwendiges Verfahren innerhalb des Parlaments in Gang setzen (z. B. §§ 39, 66, 87, 137 GeschO), die den Lauf des Gesetzgebungsverfahrens zu unterbrechen oder zu verzögern geeignet sind oder den Gang des Verfahrens beeinflussen (§§ 39,56,59,62, 102, 142 GeschO), sowie solche, die das grundsätzliche Verhältnis des Parlaments zur Regierung und ihren Mitgliedern (z. B. § 67 GeschO; Art. 61 BV i. V. mit § 89 GeschO) oder anderen Staatsorganen betreffen oder sonst von besonderer Tragweite sind (z. B. §§ 33, 106, 71 GeschO; Art. 22, 25 BV). Die in Rede stehenden Vorschriften beschränken zwar die Freiheit des einzelnen Abgeordneten, insbesondere auch seine Möglichkeit der Selbstdarstellung gegenüber der Öffentlichkeit. Solche Einschränkungen müssen aber im vorrangigen Interesse der Funktionsfähigkeit des Parlaments in Kauf genommen werden, weil das Parlament andernfalls der Gefahr ausgesetzt wäre, daß seine notwendig auf Sachlichkeit und Effektivität ausgerichtete Arbeit infolge einer Häufung von Anträgen und durch schwerfällige Verfahrensweisen unverhältnismäßig belastet oder durch einzelne Abgeordnete oder kleinste Gruppen nachhaltig behindert würde.
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c) Auch die Oppositionsfreiheit und der Minderheitenschutz begrenzen die Autonomie des Parlaments bei der Festlegung des Quorums für die Fraktionsbildung. Das Recht zur Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition ist verfassungsmäßig geschützt und gehört zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung (BVerfGE 2, 1/13; 5, 85/140; H. P. Schneider, Die Parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. I – 1974 –‚ S. 214; Linck a.a.O., S. 693). Weder die Oppositionsfreiheit noch der Minderheitenschutz erfahren durch die Festlegung eines Fraktionsquorums in § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO eine mit der Notwendigkeit der parlamentarischen Arbeit nicht zu vereinbarende Einschränkung. Abgesehen davon, daß die Stellung der Opposition nach bayerischem Verfassungsrecht und bayerischer Parlamentspraxis ohnehin eine starke Ausprägung erfahren hat (vgl. dazu H. P, Schneider, a.a.O., S. 268 ff.), stehen bedeutende Befugnisse der Opposition nach bayerischem Parlamentsrecht auch einzelnen Abgeordneten zur Verfügung (vgl. die obige Zusammenstellung der Einzelbefugnisse der Abgeordneten).
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Auch in diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Geschäftsordnung des Bayer. Landtags bei der kollektiven Wahrnehmung von Minderheitenrechten der Opposition, soweit diese Befugnis den Fraktionen eingeräumt ist, nicht darauf abstellt, daß es sich hierbei um ständige Gruppierungen oder um Abgeordnete derselben Partei handeln muß. Dieser Umstand gewinnt – worauf der Senat hingewiesen hat – dann an politischer Bedeutung, wenn im Parlament mehrere Oppositionsparteien vorhanden sind, die zumindest durch ihr Zusammenwirken eine effektive Kontrolle der Regierung ermöglichen.
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d) Eine weitere Schranke ergibt sich aus dem Übermaßverbot als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 BV); auch sie ist eingehalten.
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Das dem Landtag im Rahmen der Organisationsgewalt und seiner Autonomie eingeräumte Ermessen besagt nicht, daß er nach Belieben bestimmen könnte, ob er politischen Gruppierungen im Landtag den Fraktionsstatus zuerkennen will. Allgemeine Regeln über die Fraktionsstärke müssen so bemessen sein, daß ansehnlich große Gruppen von einer angemessenen Entfaltungsmöglichkeit im Landtag nicht ausgeschlossen werden dürfen. Der in der Geschäftsordnungsautonomie liegenden Ermächtigung ist die für jedes Ermessen maßgebende rechtsstaatliche Schranke immanent, daß sich seine Ausübung nach dem Sinn und dem Zweck der gegebenen Regelung zu orientieren hat und nicht gegen das Willkürverbot verstoßen darf (VerfGH 9, 158/177; 13, 23/45 und insbesondere BayVGH in VGH n. F. 21, 71/78 f.). Zwar stellt sich nach diesen Grundsätzen für den Verfassungsgerichtshof nicht die Frage, ob die im Einzelfall gewählte Lösung der Billigkeit und der politischen Zweckmäßigkeit entspricht. Seine Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob das Ergebnis der kraft verfassungsmäßiger Autonomie getroffenen Entscheidung noch mit dem Sinn und Zweck der Einrichtung der Fraktionen vereinbar ist oder ob es nach rechtsstaatlichen Grundsätzen außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht und daher willkürlich ist. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO vorgesehene Zahl von 10 Abgeordneten bei einer Gesamtzahl von 204 Abgeordneten entspricht einem Prozentsatz von 4,9. Audi bei einem Vergleich mit den bestehenden Regelungen im Bundestag sowie in anderen Länderparlamenten der Bundesrepublik zeigt sich, daß Mindestzahlen für die Bildung von Fraktionen in der Regel bei 5 v. H. der Mitgliederzahl liegen (eine Ausnahme machen lediglich Schleswig-Holstein mit derzeit 4,1 % und Nordrhein-Westfalen mit derzeit 7 Abgeordneten; vgl. die Zusammenstellung in Recht und Organisation der Parlamente, herausgegeben im Auftrage der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft). Bei der Bemessung der Voraussetzungen für den Fraktionsstatus durfte der Landtag die Tatsache berücksichtigen, daß die politischen Rechte der einzelnen Abgeordneten nach bayerischem Parlamentsrecht ohnehin eine starke Ausprägung erfahren haben, ferner aber auch dem Umstand Rechnung tragen, daß der Vorbehalt der kollektiven Wahrnehmung von Rechten die Funktionsfähigkeit des Parlaments sicherstellen soll.
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Eine sachliche Berechtigung kann schließlich auch dem vom Antragsgegner vorgetragenen Gesichtspunkt, die Fraktionsstärke müsse so bemessen sein, daß nicht kleinere, weniger bedeutende politische Gruppierungen im Landtag gegenüber den großen Fraktionen unangemessen bevorzugt würden, nicht abgesprochen werden. Würde einer Gruppe von 8 Abgeordneten in allen 13 Ausschüssen mindestens ein Sitz eingeräumt, so läge darin – verglichen mit der anteilsmäßigen Berücksichtigung der größeren Fraktionen nach dem d‘Hondtschen System – eine gewisse Bevorzugung. Diese Erwägung gilt nicht nur für die Vertretungsrechte, sondern auch für die Wahrnehmung von Antragsbefugnissen, etwa der großen Anfrage (Interpellation). Diese kann (§ 71 Abs. 1 GeschO) nur von einer Fraktion oder von 20 Abgeordneten eingebracht werden. Würden die vollen Fraktionsrechte einer Gruppe von 8 Abgeordneten zugestanden, so genügte zur Wahrnehmung dieser wesentlichen parlamentarischen Rechte ein Mehrheitsbeschluß innerhalb dieser Gruppe, während es in den beiden anderen großen Landtagsfraktionen hierzu wesentlich größerer Mehrheiten bedarf (20 Abgeordnete oder Mehrheitsbeschluß).
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5. a) Keine Begrenzung erfährt die Geschäftsordnungsautonomie des Landtags bei der Festlegung des Fraktionsquorums durch Art. 15 Abs. 2 BV. Soweit hier neben der Staatsregierung auch den im Landtag vertretenen politischen Parteien ein Antragsrecht auf Verbot von Wählergruppen zuerkannt wird, kann daraus keine Folgerung für den Fraktionsstatus gezogen werden. Das Antragsrecht steht allen im Landtag vertretenen politischen Parteien zu, ohne Rücksicht darauf, ob ihnen nach der Geschäftsordnung des Landtags der Fraktionsstatus zuerkannt ist oder nicht.
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b) Die Antragsteller leiten eine Verpflichtung des Landtags auf Zustimmung zur Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO ferner daraus ab, daß Abgeordneten einer Partei, die die 5 %-Klausel des Art. 14 Abs. 4 BV überwunden habe, der Fraktionsstatus zur Wahrnehmung der politischen Rechte im Parlament zuerkannt werden müsse. Andernfalls werde im Parlamentsrecht eine weitere Sperrklausel errichtet, die durch die Geschäftsordnungsautonomie des Landtags nicht gerechtfertigt sei, weil sie zu einer Beeinträchtigung der Rechte der Partei und der Fraktion führe.
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Mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit und der staatspolitischen Funktion der sog. Sperrklausel hat sich der Verfassungsgerichtshof wiederholt befaßt. Er hat dabei – in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht – eine Rechtfertigung für Sperrklauseln darin gesehen, daß eine Partei, die bei Ausnutzung freier Wahlchancen sich als zu klein erwiesen habe, keinen Sitz im Landtag und keinen Einfluß auf die Führung der Staatsgeschäfte erhalten solle, damit die Bildung regierungsfähiger Mehrheiten im Parlament erleichtert und dadurch dessen Arbeitsfähigkeit ermöglicht werde (VerfGH 3, 115/126 f.; vgl. ferner VerfGH 23, 80ff. m. w. N.; BVerfGE 6, 84/92 ff.). Hat eine politische Partei die Sperrklausel des Art, 14 Abs. 4 BV überwunden und erhält sie demgemäß Sitze im Landtag zugeteilt, so folgt daraus noch nicht, daß dieser Gruppe der Abgeordneten auch der Fraktionsstatus zuerkannt werden müßte. Dies läßt sich auch nicht damit begründen, daß Abgeordnete aller politischen Parteien, die im Parlament vertreten sind – unabhängig von deren Stärke – gleich zu behandeln seien. Eine solche Schlußfolgerung ist aus mehreren Gründen unzutreffend. Einmal handelt es sich bei der Regelung des Fraktionsstatus‘ – wie ausgeführt – um eine solche des Parlamentsrechts und nicht um eine solche des Wahlrechts, zum anderen unterscheiden sich die für die Zuerkennung des Fraktionsstatus maßgebenden Kriterien von denen, die zur Errichtung der Sperrklausel des Art. 14 Abs. 4 BV geführt haben. Für die Frage des Fraktionsstatus‘ ist maßgebend die Funktionsfähigkeit des Parlaments bezogen auf die Geschäftsordnung und die dort mit dem Fraktionsstatus verbundenen konkreten Rechte und Pflichten der Fraktionen. Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß. Art. 14 Abs. 4 BV auf das Stimmenverhältnis der Wahlvorschläge im gesamten Wahlgebiet abstellt (VerfGH, BayVBl. 1976, 107 ff.). Mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Landtagswahl in Bayern auf Grund von Wahlvorschlägen in 7 Wahlkreisen und auch sonst bei Bestehen von Wahlsystemen, die eine Mischung aus Elementen der Mehrheits- und Verhältniswahl enthalten, kann das dazu führen, daß eine Partei – ungeachtet der Überwindung der Sperrklausel – infolge einer ungleich verteilten Wählerschaft im Wahlgebiet oder in sonstigen Grenzfällen weniger Mandate im Landtag zugeteilt erhält, als es ihrem Stimmanteil im Wahlgebiet entspricht. Das hat dazu beigetragen, daß die F.D.P. bei der Landtagswahl 1974 zwar 5,2 v. H. der Gesamtstimmen auf sich vereinigt hat, jedoch nur 8 Mandate erringen konnte. Ferner sind noch weitere Konstellationen denkbar mit der Folge, daß mehrere politische Parteien im Landtag vertreten sind, die eine so geringe Mandatszahl aufweisen, daß ihnen der Fraktionsstatus nicht zuerkannt werden könnte. Es gehört zum Gestaltungsspielraum jeder Selbstorganisation, daß für die Zuerkennung von Rechten und Pflichten an eine Gruppe ein maßvolles Quorum vorausgesetzt wird. Die Mindestzahl muß sich dabei an sachbezogenen Kriterien orientieren. Als solche sind anzuerkennen die Funktionsfähigkeit des Parlaments, aber auch die Möglichkeit einer sinnvollen Wahrnehmung der Rechte und Pflichten durch die Gruppe selbst. Schließlich darf der Landtag im Rahmen der ihm eingeräumten Geschäftsordnungsautonomie auch berücksichtigen, daß eine völlige Gleichstellung aller politischen Gruppierungen ohne Rücksicht auf ihre Größe im Landtag bei der Zuerkennung des Fraktionsstatus‘ zu einer gewissen Benachteiligung der großen Fraktionen führen könnte. Das in § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO aufgestellte Quorum von 10 Abgeordnetenmandaten für den Fraktionsstatus entspricht einem Prozentsatz von 4,9 v. H. der 204 Abgeordnetenmandate im Landtag. Dieser liegt jedenfalls unter der 5 %-Grenze, so daß es keiner Untersuchung darüber bedarf, ob es zulässig gewesen wäre, die Mindestzahl für die Fraktionsstärke auf einen Wert von über 5 % der Mitgliederzahl des Bayer. Landtags festzusetzen. Auch daraus erhellt, daß das Argument der Antragsteller, in der Geschäftsordnung werde eine zweite Sperrklausel errichtet, nicht zutrifft. …