Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 14.9.1992
- 4 C 15/90
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 (weitere Fundstellen: NVwZ 1993, 985 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl. begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für einen etwa 100 m x 25 m großen Abstellplatz für 56 Wohnwagen auf den Flurstücken 16 119 und 16 120 am Ortsrand von E. Die Bekl. lehnte den Bauantrag ab, weil das Grundstück im Außenbereich liege und das Vorhaben dort nach § 35 II, III BBauG unzulässig sei. Das VG hat die Verpflichtungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das BerGer. die Bekl. zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung verpflichtet.

2.

Die Revision hatte mit dem Ergebnis der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das BerGer. Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig...

4.

Das BerGer. geht zutreffend davon aus, daß der zur Genehmigung gestellte Abstellplatz für 56 Wohnwagen bauplanungsrechtlich den Regelungen der §§ 30 ff. BauGB unterliegt. Es handelt sich um ein Vorhaben i. S. von § 29 S. 1 BauGB. Denn es geht um eine bauliche Anlage mit bodenrechtlicher Relevanz, die nach dem baden-württembergischen Bauordnungsrecht genehmigungspflichtig ist. Das BerGer. führt in Anwendung irrevisiblen Landesrechts aus, das Vorhaben stelle eine nach § 51 I BadWürttBauO genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung dar, soweit es die Umwandlung von 16 Lkw- und 14 Pkw-Stellplätzen auf dem Flurstück 16 119 in Abstellplätze für Wohnwagen betreffe; es sei darüber hinaus genehmigungspflichtig, weil es die Abstellfläche durch Einbeziehung des Flurstücks 16 120 um etwa 800 qm erweitere. Aus den Ausführungen des BerGer. ergibt sich zugleich, daß auch die planungsrechtlichen Voraussetzungen des Vorhabensbegriffs gegeben sind. Der Abstellplatz ist "gebaut", weil er auf einer Aufschüttung mit Schotterbelag errichtet und mit einer Seitenmauer versehen ist. Er stellt eine "Änderung" einer baulichen Anlage dar; denn nach den Feststellungen des BerGer. ist der 1963 errichtete Stellplatz nicht unerheblich verändert worden, indem das Gelände aufgeschüttet und eine Betonmauer an der Westgrenze des Grundstücks gebaut worden ist. Ferner liegt in der Umwandlung eines Stellplatzes für Lastkraftwagen und Lastzüge des Betriebes des Kl. und für Personenkraftwagen der Betriebsangehörigen in gewerbliche Abstellflächen für Wohnwagen eine Nutzungsänderung, durch die bodenrechtliche Belange i. S. von § 1 V BauGB neu berührt werden können.

5.

Das BerGer. ist im Gegensatz zu den am Verfahren beteiligten Behörden und dem VG der Auffassung, das Vorhaben des Kl. sei nach § 34 I BauGB zu beurteilen, weil das Grundstück, auf dem der Abstellplatz für 56 Wohnwagen errichtet werden solle, im (unbeplanten) Innenbereich liege. Denn das Flurstück 16 119 sei mit bestandsgeschützten oder zumindest geduldeten Stellplätzen bebaut und stehe mit den baulichen Anlagen auf dem benachbarten Schulgrundstück in einem Bebauungszusammenhang. Durch das dazwischenliegende nur 11 m breite unbebaute Flurstück 16 120 und den Feldweg werde der Bebauungszusammenhang nicht unterbrochen. Mit dieser Begründung verletzt das BerGer. Bundesrecht.

6.

Das BerGer. geht zwar zutreffend davon aus, daß ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil grundsätzlich so weit reicht, wie die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt (BVerwGE 31, 20 (21), st. Rspr.). "Bebauung" im Sinne dieses Grundsatzes ist jedoch nicht jede noch so unbedeutende bauliche Anlage. Im unbeplanten Innenbereich richtet sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens gem. § 34 I 1 BauGB danach, ob es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (und ob die Erschließung gesichert ist). Der innere Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB liegt darin, daß die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zugelassen werden soll. Dies setzt eine Bebauung voraus, die maßstabsbildend ist. Unter den Begriff der "Bebauung" i. S. von § 34 I BauGB fallen deshalb nur bauliche Anlagen, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so daß sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu gehört ein mit Schotter befestigter Stellplatz, auch wenn er i. S. des § 29 S. 1 BauGB eine bauliche Anlage ist, nicht. Denn er ist ungeeignet, einen Bebauungszusammenhang zu vermitteln. Ihm fehlt die maßstabsbildende Kraft, weil er sich dem Beobachter bei einer optischen Bewertung eher als unbebaut darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich eine solche bauliche Anlage in einer Ortsrandlage befindet, weil sie regelmäßig nicht den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) des Ortsteils vermitteln kann. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 6. 11. 1968 (BVerwGE 31, 20) als Beispiel für freie Flächen, die wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen sind, auch Sportplätze genannt. Er hat ferner entschieden, daß ein befestigter Reitplatz keine Bebauung i. S. von § 34 I BauGB ist (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 149).

7.

Das bedeutet allerdings nicht, daß eine bloße Schotterfläche von vornherein nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnehmen kann. Denn selbst i. S. von § 29 S. 1 BauGB unbebaute Flächen können einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein, wenn sie den optischen Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbrechen (BVerwGE 31, 20). Dies ist sogar dann nicht ausgeschlossen, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine Grundstückslage am Ortsrand handelt. Zwar wird es in der Regel entsprechen, daß der Bebauungszusammenhang am letzten Baukörper endet; möglich ist aber, daß ihm noch ein oder mehrere unbebaute Grundstücke bis zu einer sich aus der örtlichen Situation ergebenden natürlichen Grenze zuzuordnen sind (vgl. BVerwG, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 138 = ZfBR 1991, 126).

8.

Das BerGer. ist von einem abweichenden Ansatz ausgegangen. Es hat das unbebaute Flurstück 16120 als Baulücke zwischen dem Stellplatz auf dem Flurstück 16119 und dem zur Ortslage gehörenden Schulgrundstück angesehen und es deshalb in den Bebauungszusammenhang miteinbezogen. Das ist nicht richtig. Dagegen hat es nicht geprüft, ob die beiden Flurstücke 16 119 und 16 120 möglicherweise deshalb noch am Bebauungszusammenhang teilnehmen, weil besondere örtliche Verhältnisse dem Beobachter den Eindruck vermitteln, der Außenbereich beginne erst westlich der Schotterfläche. Dies erscheint zwar zweifelhaft. Die Frage erfordert jedoch eine Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten, die das RevGer. nicht treffen kann.

9.

Das Berufungsurteil ist auch insoweit nicht mit Bundesrecht vereinbar, wie das BerGer. annimmt, der Stellplatz auf dem Flurstück 16 119 sei in seinem Bestand geschützt und deshalb für die Beurteilung des Bebauungszusammenhangs beachtlich. Für die Frage, ob eine bauliche Anlage einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil zuzurechnen ist, kommt es nicht auf die Legalität der Bebauung und damit auch nicht auf ihren Bestandsschutz an. Zu berücksichtigen ist vielmehr jede vorhandene Bebauung, soweit sie nur in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran läßt, daß sich die zuständigen Behörden mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden haben (vgl. BVerwGE 31, 20 (26)). Selbst eine nicht mehr vorhandene Bebauung kann für eine gewisse Zeit derart fortwirken, daß ein Grundstück nach Abriß der Bebauung seine Innenbereichsqualität noch behält (BVerwGE 75, 34 (36) = NVwZ 1987, NVWZ Jahr 1987, 406). Eine eingestellte Nutzung behält ihre prägende Wirkung so lange, wie nach der Verkehrsauffassung mit der Aufnahme einer gleichartigen Nutzung gerechnet werden kann (BVerwGE 68, 360 (368) = NJW 1984, 1771).

10.

Die Feststellungen des BerGer. rechtfertigen aber weder die Beurteilung, daß die Stellplätze auf dem Flurstück 16 119 in ihrem Bestand geschützt sind, noch daß sie von der Bekl. in rechtserheblicher Weise geduldet werden oder eine prägende Wirkung besitzen. Das BerGer. führt zwar aus, daß die Stellplätze in den Jahren 1965 bis 1972 keiner Baugenehmigung bedurft und deshalb einen eigentumsrechtlichen Bestandsschutz genossen hätten; es stellt ferner fest, daß die Bekl. im Jahre 1976 ausdrücklich davon Abstand genommen habe, gegen die Stellplätze einzuschreiten. Dem Berufungsurteil ist jedoch auch zu entnehmen, daß schon nach den Jahren 1971/72 "die Nutzung der Grundstücke als Kies- und sonstiger Lagerplatz für den Betrieb des Kl. in den Vordergrund getreten" sei. Aus dieser Formulierung ist zwar zu schließen, daß das Flurstück 16 119 möglicherweise noch zu einem kleinen Teil weiter als Stellplatz für Last- und Personenkraftwagen genutzt worden ist. Den überwiegenden Teil dieses Grundstücks hat der Kl. jedoch über viele Jahre als Kies- und Lagerplatz genutzt und damit in einer für die Verkehrsauffassung erheblichen Weise die Nutzung des größeren Teils des Flurstücks als Stellplatz beendet. Mit dieser Nutzungsänderung ist sowohl der nach der Rechtsauffassung des BerGer. ursprünglich gegebene Bestandsschutz der Stellplatznutzung als auch deren prägende Wirkung entfallen. Auch auf die Duldungserklärung der Bekl. kommt es nicht mehr an, weil sie nach der Nutzungsänderung durch den Kläger ins Leere gegangen ist.

11.

Auf der Grundlage der Feststellungen des BerGer. zur Nutzung des Flurstücks 16 119 in der Vergangenheit kann ihm auch nicht darin gefolgt werden, daß sich der Abstellplatz für 56 Wohnwagen - bei untersteller Innenbereichslage - in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Zu Unrecht hat das BerGer. vornehmlich auf die prägende Wirkung der 1963 errichteten Stellplätze abgestellt. Denn diese Wirkung ist mit der Anlage eines Kies- und Lagerplatzes ganz oder zum überwiegenden Teil entfallen. Zumindest zweifelhaft ist aber auch, ob sich der Abstellplatz für Wohnwagen in die Umgebung einfügen würde, wenn der ursprüngliche Stellplatz noch beachtlich wäre. Für einen gewerblich genutzten Abstellplatz gibt es nämlich in der Umgebung kein Vorbild. Die Anlage des Kl. als gewerblich betriebener selbständiger "Lagerplatz" für Wohnwagen unterscheidet sich nach ihrer Funktion von Stellplätzen, die sich als Nebenanlagen von Gewerbebetrieben oder von Schulen darstellen und die innerhalb eines Bebauungsplans gem. § 12 BauNVO privilegiert wären. Ob der Abstellplatz, wie der Kl. vorträgt, zu seinem auf der Südseite der Weilstraße gelegenen Betrieb gehört, ist unerheblich; denn bei der Vermietung von Standplätzen für Wohnwagen würde es sich jedenfalls um einen selbständigen Betriebszweig handeln, der in keiner Beziehung zu einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt steht. Das BerGer. wird danach, wenn es das Vorhaben des Kl. erneut dem Innenbereich zuordnen sollte, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats auch neu zu prüfen haben, ob der Abstellplatz geeignet ist, in seiner Umgebung städtebauliche Spannungen zu begründen oder zu erhöhen.

12.

Sollte sich dagegen ergeben, daß das Grundstück des Kl. im Außenbereich liegt, so wird insbesondere zu klären sein, ob das Vorhaben mit der Darstellung als "Fläche für die Landwirtschaft" im Flächennutzungsplan vereinbar ist und ob es die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt; eine Beurteilung dieser Fragen ist dem Senat mangels entsprechender Feststellungen des BerGer. nicht möglich. Eine Zulassung nach § 35 IV 1 Nr. 6 BauGB kommt nicht in Betracht, weil zwischen dem Abstellplatz und dem Kraftfahrzeugreparaturbetrieb des Kl. der erforderliche funktionale Zusammenhang nicht besteht (vgl. BVerwG, Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 275 = BRS 52 Nr. 84).