Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 02.02.1995
- 2 A 5/92
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 (weitere Fundstellen: NVwZ 1995, 991 f.)

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die Kl. begehrt von dem bekl. Land Schadensersatz für die von einem Sachbearbeiter für wirtschaftliche Angelegenheiten des erweiterten Katastrophenschutzes bei einer Stadt in Nordrhein-Westfalen veruntreuten Selbstbewirtschaftungsmittel. Beim Amt für Feuer- und Zivilschutz der Stadt war ein Beamter tätig, zu dessen Aufgaben es unter anderem gehörte, Gelder des Bundes für Zivilschutzübungen anzufordern, Auszahlungsanordnungen durch seinen Vorgesetzten unterzeichnen zu lassen, die entsprechenden Geldbeträge in Empfang zu nehmen und sodann an die jeweilige Berechtigten weiterzuleiten. Der Beamte veruntreute in der Zeit von Mai 1987 bis Mai 1988 Selbstbewirtschaftungsmittel in Höhe von 122200 DM; er erstellte in insgesamt 17 Einzelfällen Auszahlungsanordnungen, unterschrieb sie mit dem Namen seines Vorgesetzten und ließ sich die jeweiligen Zahlungsbeträge auszahlen. Der inzwischen entlassene frühere Beamte wurde zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht, daß es dem Bediensteten sehr leicht gemacht worden sei, die jeweiligen Beträge einzukassieren. Zur Durchsetzung der Rückforderungsansprüche gegen den früheren Beamten erließ die Stadt im März 1990 aufgrund von § 84 I 1 NWBG einen Leistungsbescheid. Die Kl. erwirkte gegen ihn im November 1990 einen Mahnbescheid/Vollstreckungsbescheid über 122200 DM. Zahlungen sind bisher nicht erfolgt. Das Bundesamt für Zivilschutz machte gegen den Bekl. unter Bezugnahme auf Art. 104a V GG einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Veruntreuung zugewiesener Haushaltsmittel geltend. Der Bekl. lehnte eine Schadensersatzpflicht ab.

2.

Die Klage hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben. Gem. § 50 I Nr. 1 VwGO hat das BVerwGim ersten und letzten Rechtszug über die Sache zu entscheiden (BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307). Die Klage ist auch begründet.

4.

Rechtsgrundlage des Klagebegehrens ist allein Art. 104a V 1 Halbs. 2 GG. Eine Haftung des Bekl. für das im Vollzug eines Bundesgesetzes begangene Fehlverhalten eines Beamten einer Stadt aufgrund anderer Vorschriften scheidet aus. Ein Anspruch läßt sich weder aus Amtshaftung noch aus öffentlichrechtlicher Erstattung herleiten. Der Bund ist nicht Dritter i.S. von Art. 34 S. 1 GG, § 839 I 1 BGB (BGHZ 27, 210 = NJW 1958, 1392 = LM § 839 (C) BGB Nr. 39); einer Entreicherung bei ihm steht keine Bereicherung des Bekl. gegenüber. Ein Vertrag oder vertragsähnliche Beziehungen bestehen insoweit nicht; das Prinzip der Bundestreue, die Grundsätze des bürgerlichrechtlichen Auftragsverhältnisses (vgl. BVerwGE 12, 253 (254 f.)) oder eine Drittschadensliquidation (vgl. hierzu BVerwG, NJW 1995, 978 = NVwZ 1995, 603 L) kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

5.

Wie bereits der 11. Senat des BVerwG im Urteil vom 18. 5. 1994 (BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307) im einzelnen unter Heranziehung der einschlägigen Literatur ausgeführt hat, ist Art. 104 a V 1 Halbs. 2 GG eine unmittelbar geltende Anspruchsgrundlage für die Haftung eines Landes in Fällen der vorliegenden Art. Nach dieser Regelung haften Bund und Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung. Der Wortlaut dieses Satzteils - unabhängig von Abs. 5 S. 2 der Vorschrift - macht die Haftung nicht von weiteren Voraussetzungen als der einer nicht "ordnungsgemäßen Verwaltung" abhängig. Ihm ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß die Haftung erst nach Inkrafttreten des in Abs. 5 S. 2 vorgesehenen Ausführungsgesetzes eintreten oder beginnen soll. Er enthält einen mit unmittelbarer Geltungskraft ausgestalteten Haftungskernbereich, darüber hinaus jedoch für einen denkbaren weiteren Haftungskreis nur einen Verfassungsauftrag für den Gesetzgeber, der gem. Abs. 5 S. 2 dieser Bestimmung das Nähere festzulegen hat. Die Bestimmung des engeren Haftungskerns in Art. 104 a V 1 Halbs. 2 GG mit den Mitteln der Verfassungsinterpretation darf einerseits nicht zu einer Verengung der Vorschrift in der Weise führen, daß von Haftung im eigentlichen Sinne nicht mehr gesprochen werden kann, andererseits aber auch nicht so weit gehen, daß als Regelungsinhalt für das von Verfassungs wegen geforderte Ausführungsgesetz im Grunde nur noch die Bestimmung des Verfahrens übrigbliebe (BVerwG, NVwZ 1995,56 = DVBl 1994, 1307 (1309)).

6.

Die Wahrung der Beteiligungsrechte der Länder zwingt nach Auffassung des 11. Senats des BVerwG zu einer Beschränkung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 104 a GG V 1 GG auf einen Kernbereich, der nur schwerwiegende, vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene Pflichtverletzungen erfaßt. Zwar spricht der in dieser Verfassungsvorschrift verwendete Begriff der ordnungsmäßigen Verwaltung durchaus für die Annahme einer Verantwortlichkeit für rechtmäßiges und zweckmäßiges Verwaltungshandeln. Eine derart weitreichende Haftung könnte indes nur durch das in Art. 104 a V 2 GG vorgesehene Ausführungsgesetz begründet werden (BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307 (1310)). Der erkennende Senat teilt diesen Rechtsstandpunkt. Eine Anrufung des Großen Senats gem. § 11 III VwGO scheidet daher aus.

7.

Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Haftung des Bekl. liegen - gemessen an diesen Grundsätzen - vor.

8.

Gem. § 2 I des Gesetzes für die Erweiterung des Katastrophenschutzes - KatSG - vom 9. 7. 1968 (BGBl I, 776) in der hier maßgebenden Fassung von Art. 5 des Gesetzes vom 13. 6. 1986 (BGBl I, 873) handeln die Länder einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände, soweit ihnen die Ausführung des Gesetzes obliegt, im Auftrag des Bundes. Wenn nichts anderes bestimmt ist, sind die kreisfreien Städte und Landkreise zuständig. Für sie handelt der Hauptverwaltungsbeamte. Mit dem Katastrophenschutzgesetz hat der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 87 b GG II GG Gebrauch gemacht, wonach im übrigen Bundesgesetze, die der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, bestimmen können, daß sie von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden. Aufgrund des Art. 85 I GG konnte der Bundesgesetzgeber für diese Bundesauftragsverwaltung auch Gemeinden und Gemeindeverbände als zuständige Behörde bestimmen (vgl. BVerwGE 40, 276 (281); Maunz/Dürig, GG, Art. 85 Rdnr. 66). Die der Bundesregierung nach Art. 85 IV GG zustehenden Befugnisse sowie die Weisungsbefugnisse gem. Art. 85 III GG nimmt gem.§ 2 II 2 KatSG das Bundesamt für Zivilschutz wahr.

9.

Auch wenn die rechtswidrige Schädigung eines Dritten im Amtshaftungsprozeß nur die Haftung der Stadt - nicht des bekl. Landes - begründen könnte, gehört die Passivlegitimation des Landes im Rahmen dieser Bundesauftragsverwaltung als besonderer Form der Landesverwaltung zum Kernbereich des Art. 104 a V GG (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307 (1310)). Das gilt auch dann, wenn die Zuständigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände - im Einklang mit der Verfassung - nicht auf Landesrecht, sondern auf Bundesrecht beruht. Wegen der besonders starken Berührung des Interessenbereichs der Länder hat Art. 87 b II 1 GG für Gesetze das Zustimmungserfordernis des Bundesrates vorgesehen. Art. 87b II 1 GG trägt damit dem Umstand Rechnung, daß der Gesetzesvollzug der Verwaltungsmaterie ganz oder doch zumindestens teilweise - abweichend von der Regel des Art. 83 GG - einer Zuständigkeit zugeführt wird, die die Verwaltung der Länder weitgehenden Aufsichts- und Weisungsrechten (BVerfGE 48, 127 (178) = NJW 1978, 1245), aber auch deren Verantwortlichkeit für die Gemeinden und Kreise unterwirft. Wie sich aus dem Wortlaut des § KATSG § 2 KATSG § 2 Absatz I 1 KatSG ergibt, sind die Gemeinden und Gemeindeverbände insoweit als Teil der Länder zu begreifen (Maunz/Dürig, GG, Art.104 Rdnrn. 27, 72). Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung Teil einer einheitlichen Verwaltungsorganisation (vgl. auch BGHZ 27, 210 (213) = NJW 1958, 1392 = LM § 839 (C) BGB Nr. 39). Hiervon geht auch § NWLOG § 16 NWLOG § 16 Absatz II 1 des Gesetzes über die Organisation der Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen - NWLOG - vom 10. 7. 1962 i.d.F. vom 6. 10. 1987 (GVNW S. 342) selbst aus. Danach obliegen Aufgaben, die der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen und die das Land im Auftrag des Bundes ausführt (Art. 87b II 1 GG), falls sie von Gemeinden oder Kreisen durchzuführen sind, den Hauptverwaltungsbeamten dieser Gebietskörperschaften. Die Argumentation des Bekl., daß ihm aufgrund des Art. 28 II GG Eingriffe in die Personal- und Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht möglich seien und er die Fehlerquelle nicht beherrschen könne, führt im Rahmen dieser Bundesauftragsverwaltung deshalb zu keinem anderen Ergebnis.

10.

Der frühere Beamte beim Amt für Feuer- und Zivilschutz der Stadt ist demgemäß bei seiner Tätigkeit im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung tätig geworden. Er hat "in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" dem Bund durch Veruntreuung von Selbstbewirtschaftungsmitteln vorsätzlich einen Schaden zugefügt. Denn Kosten, die den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden durch das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes, durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften aufgrund dieses Gesetzes und durch Weisungen der zuständigen Bundesbehörden entstehen, werden nach Art. 104 a II GG i.V. mit§ 14 I Halbs. 1 KatSG vom Bund getragen; persönliche und sächliche Verwaltungskosten werden nicht übernommen (§ 14 I Halbs. 2 KatSG). Die Ausgaben sind für Rechnung des Bundes zu leisten (§ 14 II 1 KatSG). Nach Nr. 34 I der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Kosten der Erweiterung des Katastrophenschutzes (KatS-Kosten-Vwv) vom 27. 2. 1972 (GMBl S. 192) werden die Ausgabenmittel zur Selbstbewirtschaftung zugewiesen (§ 15 II BHO).

11.

Der Anspruch der Kl. ist auch der Höhe nach in vollem Umfang begründet. Der Gesetzgeber bezweckt mit der Verwendung des Begriffs Haftung in Art. GG Artikel 104a GG Artikel 104A Absatz V 1 Halbs. 2 GG die Übernahme der Mehrkosten, die dem Haftungsberechtigten durch die nicht ordnungsgemäße Verwaltung entstehen. Es ist eindeutig, daß die veruntreuten Selbstbewirtschaftungsmittel für die Kl. gem. § 14 I KatSG zu Mehrausgaben führten. Jedenfalls für den bestimmten "engen" Haftungsbereich, aus dem das Einstehenmüssen des Bekl. dem Grunde nach folgt, ist der Haftungsumfang nicht vom vollen Ersatz der Mehrkosten auf einen wertmäßig darunterliegenden Ausgleich oder auf das im Regreßwege Erlangte eingeschränkt. Ob und inwieweit im Rahmen eines künftigen Ausführungsgesetzes die Haftungsvoraussetzungen und der Haftungsumfang auch abweichend von den zum Kernbereich gehörenden Grundsätzen bestimmt werden können, bedarf hier - wie in dem Urteil vom 18. 5. 1994 (BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307 (1311)) - keiner Erörterung.

12.

Der Bekl. kann nicht mit Erfolg geltend machen, er könne allenfalls im beschränkten Umfange haften, weil der frühere Beamte der Stadt nur Erfüllungs-/Verrichtungsgehilfe gewesen sei und die Bundeskasse ein Mitverschulden treffe. Wie schon der 11. Senat des BVerwG in dem Urteil vom 18. 5. 1994 (BVerwG, NVwZ 1995, 56 = DVBl 1994, 1307 (1310)) ausgeführt hat, gehört jedenfalls ein Einstehenmüssen für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit - ohne die Einräumung einer Exkulpationsmöglichkeit für den Verwaltungsträger - zu einem eng gezogenen Haftungskreis. Diese Auffassung teilt der erkennende Senat, weil anderenfalls Art. GG Artikel 104a GG Artikel 104A Absatz V GG als unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlage praktisch bedeutungslos würde. Wenn auch die in § BGB § 254 BGB niedergelegten Rechtsgedanken im Rahmen der Haftung des Art. 104a V 1 Halbs. 2 GG zu berücksichtigen sind und wenn die Bediensteten der Bundeskasse nach den gesamten Umständen den Verdacht der Urkundenfälschung und Untreue hätten schöpfen müssen, so fiele deshalb ihre Fahrlässigkeit gegenüber dem vorsätzlichen Verhalten des früheren Beamten der Stadt hier nicht ins Gewicht (vgl. hierzu BGHZ 98, 148 (158) = NJW 1986, 2941 = LM § 31 BGB Nr. 29).

13.

Bei dieser Beurteilung der Rechtslage bedarf es keiner Erörterung, ob die Kl. - wie sie meint - ihren Anspruch auch auf § 16 II 3 NWLOG stützen könnte oder ob der gegenteiligen Auffassung des Bekl. zu folgen wäre.

14.

Der Zinsanspruch der Kl. ist in entsprechender Anwendung der Regelung des § 291 BGB begründet. Gemäß der Einschränkung des Klageantrages ist der Bekl. Zug um Zug gegen Abtretung des Schadensanspruchs der Kl. gegen den früheren Beamten der Stadt zu verurteilen.