Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 29. Januar 1985
- 1 C 10/83
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 (weitere Fundstellen: BVerwGE 71, 29 ff.)

 

Leitsatz:

 

Striptease-Darbietungen sind grundsätzlich auch dann gemäß § 33a GewO erlaubnisfähig, wenn sie in der Pause der Vorführung von pornographischen Filmen stattfinden.

 

Tatbestand:

1.

Die Klägerin begehrt die gewerberechtliche Erlaubnis für Striptease-Darbietungen in den Pausen von Pornofilmvorführungen. Ihr diesbezüglicher Antrag ist vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt worden, das zum Betrieb des Gewerbes bestimmte Lokal genüge wegen seiner Lage nicht den polizeilichen Anforderungen und der Betrieb des Gewerbes lasse eine erhebliche Belästigung der Allgemeinheit befürchten. Der gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Widerspruch ist vom Regierungspräsidenten D aus den Gründen des Bescheides des Beklagten sowie mit der zusätzlichen Erwägung zurückgewiesen worden, die beabsichtigte Veranstaltung verstoße gegen die guten Sitten. Mit der daraufhin erhobenen Klage hatte die Klägerin in der ersten Instanz Erfolg, jedoch unterlag sie beim Berufungsgericht. Das Berufungsgericht (GewArch 1983, 58) hat sich im Ergebnis der Auffassung der Widerspruchsbehörde angeschlossen, die beabsichtigte Darbietung verstoße im Sinne des § 33 a GewO gegen die guten Sitten, denn - so hat das Berufungsgericht ausgeführt - durch die Kombination mit der Vorführung von Pornofilmen halte sich die von der Klägerin vorgesehene Striptease-Darbietung nicht in dem üblichen Rahmen, sondern ziele in massiver Weise auf die geschlechtliche Erregung der Zuschauer ab und überschreite deshalb die Grenzschwelle zur Sittenwidrigkeit.

2.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung des § 33 a GewO mit dem Vortrag gerügt, auch in dem beabsichtigten betrieblichen Zusammenhang verstoße eine Striptease-Darbietung nicht gegen die guten Sitten.

3.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1982 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 29. Juli 1981 zurückzuweisen.

4.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

5.

Er verteidigt das Berufungsurteil.

6.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er vertritt die Auffassung, die übliche Striptease-Darbietung verstoße nicht gegen die guten Sitten; tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß die von der Klägerin beabsichtigte Darbietung von den üblichen Vorführungen dieser Art abwichen, seien dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.

 

Gründe:

7.

Die Revision ist begründet.

8.

Unter Aufhebung des Berufungsurteils war die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

9.

Die von der Klägerin geplante Darbietung ist entsprechend dem zutreffenden Ausgangspunkt des Berufungsgerichts als Schaustellung von Personen gemäß § 33 a GewO erlaubnisbedürftig. Daran hat sich nichts dadurch geändert, daß die vorgenannte Vorschrift nach Erlaß des Berufungsurteils durch Gesetz vom 25.7.1984 (BGBl. I S. 1008) mit Wirkung vom 1.10.1984 neu gefaßt worden ist.

10.

Der Versagungsgrund der Sittenwidrigkeit, auf den das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung abgehoben hat, ist durch die vorerwähnte Novellierung der Gewerbeordnung zwar redaktionell umgestaltet worden, aber in seinem sachlichen Gehalt als Bewertungsmaßstab unverändert geblieben. Daß die Voraussetzungen dieses Versagungsgrundes im vorliegenden Falle erfüllt seien, ist die tragende Aussage des Berufungsurteils. In den eigenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts findet diese Aussage allerdings keine hinreichende Stütze.

11.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BVerwGE 64, 274 <276>, 280 <282>) hat das Berufungsgericht den Inhalt der guten Sitten den sozialethischen Wertvorstellungen entnommen, die in der Rechtsgemeinschaft als maßgebliche Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind. Einer solchen anerkannten Wertvorstellung widerstreitet nicht eine Veranstaltung, in der sich eine weibliche Person vor den Augen der Zuschauer und zu deren Unterhaltung entkleidet. Dies ist in Rechtsprechung, Schrifttum und Behördenpraxis weitgehend unbestritten. Allerdings betreffen diese Bewertungen zu einem erheblichen Teil Striptease-Darbietungen in Nachtlokalen. Die Klägerin will indes die von ihr geplante Entkleidungsschau tagsüber in dem von ihr betriebenen Unterhaltungszentrum ablaufen lassen. Diese Verschiebung von Aufführungsort und Aufführungszeitpunkt bleibt jedoch ohne Einfluß auf die rechtliche Qualität der Veranstaltung unter dem hier allein maßgeblichen Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit. Zwar ist nicht zu verkennen, daß eine Veranstaltung der in Rede stehenden Art wegen ihrer zeitlichen und örtlichen Umstände auf Jugendliche eine weitaus größere Anziehungskraft ausübt als die gleichartige Schaustellung in einem Nachtlokal, dessen milieubedingte Eigenart bereits ein Zugangshindernis für Jugendliche darstellt. Daraus ist aber allenfalls die Verpflichtung des Veranstalters zu folgern, in besonderem Maße Vorkehrungen zu treffen, die sicherstellen, daß die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit eingehalten werden. Ist zu befürchten, daß der Veranstalter diese Verpflichtung nicht erfüllen wird, so mag dies Zweifel an seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit begründen (§ 33 a Abs. 2 Nr. 1 GewO), aber die Frage, ob die Schaustellung den guten Sitten zuwiderläuft (§ 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO), wird davon nicht berührt.

12.

In gleicher Weise ist die Frage zu verneinen, ob allein die beabsichtigte pausenfüllende Einschiebung der herkömmlichen Striptease-Darbietung in ein Pornofilm-Programm die Sittenwidrigkeit des Vorhabens begründet. Erlaubnisbedürftige Veranstaltung ist nur die von lebenden Personen gestaltete Schaustellung, nicht aber die Pornofilmvorführung. Zwar besteht zwischen der Striptease-Darbietung und der Pornofilmvorführung ein enger betrieblicher Zusammenhang, der bei der Frage der Erlaubniserteilung für die Striptease-Darbietung beachtet werden muß, jedoch ist kein Grund für die Annahme ersichtlich, allein der vorerwähnte Zusammenhang mache eine dem herkömmlichen Erscheinungsbild entsprechende und für sich genommen erlaubnisfähige Striptease-Darbietung sittenwidrig. Eine diesbezügliche Annahme würde auch zu dem eigenartigen Ergebnis führen, daß bei einer zusammenfassenden Betrachtung von Pornofilmvorführung einerseits und Striptease-Darbietung andererseits von dem Gesamtprogramm der ohne die Filmvorführungen wohl auch nach Auffassung des Berufungsgerichts erlaubnisfähige Teil der Veranstaltungen verhindert wird, ohne daß dies auf die Filmvorführungen eine Auswirkung hat, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in massiver Weise auf die geschlechtliche Erregung der Zuschauer abzielen. Eine andere Beurteilung wird auch nicht durch den Hinweis des Berufungsgerichts gerechtfertigt, die beabsichtigte Striptease-Darbietung verstärke auch bei herkömmlichem Ablauf die Zielsetzung der Filmvorführungen dadurch, daß die Darstellerinnen "in der Vorstellung der Zuschauer die Rolle eines reinen Sexualobjekts einnehmen, das das Lustempfinden weiter steigern und vollenden soll". Ob diese Annahme berechtigt ist, erscheint zweifelhaft. Diesem Zweifel gibt das Berufungsgericht selbst Raum, indem es im Widerspruch zu seinem Hinweis seine weitere Argumentation auf die Feststellung gründet, im Anschluß an eine Pornofilmvorführung werde der Zuschauer durch einen unverfänglichen Schönheitstanz herkömmlicher Art enttäuscht. Im übrigen kann eine Zuschauerreaktion in dem hier interessierenden Zusammenhang nur dann von Belang sein, wenn sie im Unterschied zur Annahme des Berufungsgerichts außerhalb der subjektiven Empfindungswelt in Erscheinung tritt und auf den Charakter der Veranstaltung einwirkt.

13.

Die Erwägungen des Senats haben allerdings zur Voraussetzung, daß die Klägerin eine Entkleidungsschau üblicher Art darbieten lassen will. In diesem Punkte ist indes das Berufungsgericht anderer Meinung. Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, die Klägerin begehre die Erlaubnis für eine Schaustellung, die sich grundlegend von dem unterscheide, was unter einer herkömmlichen Striptease-Darbietung zu verstehen sei. Im Berufungsurteil wird die von der Klägerin geplante Darbietung in ihrer geschlechtsbezogenen Gestaltung mit der öffentlichen Vorführung des Geschlechtsverkehrs und mit einer vor den Augen der Öffentlichkeit vorgenommenen Selbstbefriedigung auf eine Stufe gestellt. Seine prognostische Einschätzung dessen, was die Klägerin vorhat, begründet das Berufungsgericht damit, daß die durch die Filme geprägte Erwartungshaltung der Besucher die Darstellerinnen nahezu unausweichlich zu Striptease-Darbietungen zwinge, "die geschlechtliche Aktivitäten andeuten und nachahmen sollen". Es entspricht der in BVerwGE 64, 274 <277> bekundeten Auffassung des Senats, daß die prognostische Beurteilung von Veranstaltungen im Sinne des § 33 a GewO alle tatsächlichen Umstände einbeziehen muß, "deren Eintritt im Zusammenhang mit dem im Antrag beschriebenen Geschehensablauf aufgrund aller Merkmale des zur Erlaubnis gestellten Vorhabens nach der Lebenserfahrung zu erwarten ist". Indes kann in Fällen der hier interessierenden Art nicht ohne weitere Anhaltspunkte aus der Lebenserfahrung zum Nachteil des Antragstellers davon ausgegangen werden, die Darbietungen zwischen den Filmvorführungen würden sich gewissermaßen zwangsläufig dem Inhalt der Pornofilme anpassen. Wie sehr man mit vertretbaren Gründen darüber streiten kann, ob in dem zu beurteilenden Falle die Filmvorführungen auf die Striptease-Darbietung abfärben, belegt die literarische Kontroverse zwischen von Ebner und Orlob zu dem Berufungsurteil (vgl. GewArch 1983, 215 <216/217>; GewArch 1984, 11 <14/15>; GewArch 1984, 16 <17>), in der von beiden Seiten ganz entgegengesetzte Erwartungen hinsichtlich des Ablaufs der Entkleidungsschau geäußert werden. Sollte die Voraussage des Berufungsgerichts zutreffen und die beabsichtigte Striptease-Darbietung sich zu einer Schau entwickeln, mit der die Grenzen der guten Sitten überschritten werden, so hat es die Behörde in der Hand, darauf durch Widerruf oder durch Auflagenerteilung zu reagieren.

14.

Der Senat hatte nicht zu beurteilen, welche Konsequenzen sich für den Erlaubnisantrag der Klägerin ergäben, wenn die Pornofilmvorführungen, die den Rahmen für die beabsichtigte Striptease-Darbietung bilden sollen, unzulässig wären. Der dem Senat unterbreitete Sachverhalt rechtfertigt es nicht, von der Unzulässigkeit der Pornofilmvorführung auszugehen. Diese Filmvorführungen sind - wie bereits an anderer Stelle erwähnt - nicht erlaubnisbedürftig. Die Frage, ob diese Vorführungen sittenwidrig sind, stellt sich für den Senat mangels eines auf die guten Sitten verweisenden einschlägigen normativen Tatbestandes nicht. Nach § 184 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist die Vorführung eines Pornofilmes nur strafbar, wenn der Film gegen ein Entgelt gezeigt wird, das ganz oder überwiegend für die Vorführung verlangt wird. Nach dem festgestellten Sachverhalt werden die Porno-Kinos ohne behördliche Beanstandung betrieben, so daß zugunsten der Klägerin unterstellt werden muß, daß sie der Entgeltklausel gerecht wird und daß vor allem darüber hinaus die Ordnungsbehörden auch nicht aus anderen Gründen in der Vorführung eine Verletzung der öffentlichen Ordnung sehen.

15.

Das Berufungsgericht hat sich - aus seiner Sicht verständlicherweise - nur mit der Frage befaßt, ob die von der Klägerin beabsichtigte Veranstaltung den guten Sitten zuwiderlaufen wird. Der Beklagte macht indes darüber hinaus geltend, der Gewerbebetrieb der Klägerin widerspreche im Hinblick auf seine örtliche Lage und auf die Verwendung der Räume dem öffentlichen Interesse und zudem rechtfertigten Tatsachen die Annahme, daß der Geschäftsführer der Klägerin die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze, da er u.a. sowohl selbst als auch durch einen Strohmann erlaubnisbedürftige Veranstaltungen ohne Erlaubnis durchgeführt habe. Die vorliegenden tatsächlichen Feststellungen erlauben dem Senat kein Urteil darüber, ob aus den vom Beklagten geltend gemachten Gründen die beantragte Erlaubnis gemäß § 33 a Abs. 2 Nr. 1 GewO und/oder gemäß § 33 a Abs. 2 Nr. 3 GewO versagt werden muß, so daß die Zurückverweisung der Sache geboten war.