Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 23.03.1999
- 1 C 12/97
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 (weitere Fundstellen: BVerwGE 18, 283 ff.)

 

Leitsätze:

1.

Der Bund kann den Soldaten mittels Verwaltungsaktes zur Leistung des Schadensersatzes gemäß § 24 des Soldatengesetzes verpflichten.

2.

Das Beschwerdeverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung tritt bei verwaltungsgerichtlichen Klagen aus dem Wehrdienstverhältnis dann nicht an die Stelle des Widerspruchsverfahrens nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung, wenn dem Betroffenen der Beschwerdegrund erst nach der Beendigung des Dienstverhältnisses als Soldat bekanntgeworden ist.

 

Tatbestand

1.

Der Kläger wurde durch Bescheid der Wehrbereichsverwaltung wegen eines Teilbetrages zum Ersatz des an einem Kraftfahrzeug entstandenen Schadens herangezogen, den er nach Auffassung der Beklagten durch grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflichten als Angehöriger einer Betriebsstoff- Transportkompanie der Bundeswehr verursacht hatte. Das Verwaltungsgericht entsprach seinem Klageantrag und hob den Teilleistungsbescheid sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten auf.

2.

Auf die Revision der Beklagten wurde die Sache zurückverwiesen.

 

Aus den Gründen:

3.

Der nach § 59 des Soldatengesetzes – SG – vom 19. März 1956, jetzt gültig in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes vom 9. Juli 1962 (BGBl. I S. 447), in Verbindung mit § 42 VwGO statthaften Anfechtungsklage gegen den den Kläger belastenden Bescheid ist das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren vorausgegangen. Gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 6 VwGO bleiben die Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung unberührt. Nach § 22 der Wehrbeschwerdeordnung – WBO – vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I S. 1066), jetzt gültig in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Änderung der Wehrdisziplinarordnung vom 9. Juni 1961 (BGBl. I S. 689), tritt zwar das Beschwerdeverfahren an die Stelle des Vorverfahrens, sofern der Verwaltungsrechtsweg für eine Klage aus dem Wehrdienstverhältnis gegeben ist. Aus der Regelung des § 15 in Verbindung mit § 1 WBO ergibt sich jedoch, daß das Beschwerdeverfahren nicht mehr Platz greift, wenn dem Betroffenen der Beschwerdegrund erst nach Beendigung seines Dienstverhältnisses als Soldat bekanntgeworden ist. In derartigen Fällen verbleibt es bei dem Widerspruchsverfahren nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung (so auch der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung über die Geltendmachung der Wehrbeschwerdeordnung für entlassene Soldaten vom 6. August 1958 [VMBl. 1958 S. 462]). Da der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides bereits nicht mehr Soldat war, hat er zutreffend nicht die Beschwerde, sondern den Widerspruch eingelegt.

4.

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten, mit dem diese den Kläger zum Ersatz des nach ihrer Auffassung durch grobfahrlässige Dienstpflichtverletzung verursachten Schadens verpflichtet hat, zu Unrecht als unzulässig aufgehoben.

5.

Nach § 24 SG hat der Soldat, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, dem Bund den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Diese Vorschrift enthält eine materiellrechtliche Regelung der Haftung. Sie ist öffentlich- rechtlicher Natur und hat mit der Regelung der Schadensersatzansprüche des Bürgerlichen Rechts nichts gemein (vgl. zur entsprechenden Haftung des Beamten schon RGZ 134, 311 [320]).

6.

Der Pflicht des Soldaten zum Schadensersatz steht nicht nur der entsprechende Anspruch des Bundes gegenüber, sondern notwendig auch die Befugnis, den Anspruch geltend zu machen. Daß der Bund zur Geltendmachung als solcher keiner besonderen Ermächtigung bedarf, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Streitig ist dagegen, ob er den Soldaten hoheitlich durch Verwaltungsakt in Anspruch nehmen darf oder ob er – abgesehen von den nach Sachlage hier ausscheidenden Möglichkeiten der Aufrechnung und des Erlasses eines Erstattungsbeschlusses – seinen Anspruch nur durch Erhebung der Klage verfolgen kann, also gegebenenfalls den Klageweg beschreiten muß. Das Verwaltungsgericht meint, der aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) herzuleitende Vorbehalt des Gesetzes erfordere auch für die Form der Geltendmachung eines gesetzlich bestimmten Rechtsanspruches durch die Verwaltung eine gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Ermächtigung. Dem ist jedenfalls bezüglich der Ansprüche des Bundes aus § 24 SG nicht zu folgen.

7.

Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Das bedeutet, daß der einzelne der vollziehenden Gewalt nicht schlechthin unterworfen ist. Deren Tätigwerden ist – jedenfalls soweit ihre Maßnahmen belastender Art sind – vielmehr davon abhängig, daß Gesetz und Recht die Maßnahmen gebieten oder zulassen, indem sie deren Voraussetzungen, Inhalt und Umfang bestimmen. Die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht ändert aber nichts daran, daß der einzelne insoweit, als derartige Maßnahmen gesetzlich vorgesehen sind, bezüglich der davon betroffenen Rechtsverhältnisse gewaltunterworfen ist, wenn anders die im Grundgesetz verankerten Begriffe der Staatsgewalt und der vollziehenden Gewalt nicht ohne Inhalt sein sollen. Der vom Grundgesetz gewährleistete umfassende Rechtsschutz sichert die Einhaltung der der vollziehenden Gewalt gesetzten Grenzen. Wird das – allgemeine – “Gewaltverhältnis” so verstanden, so können aus der demokratisch- rechtsstaatlichen Verfassung hergeleitete Einwände dagegen nicht durchgreifen.

8.

Das Wesen des – in dieser Weise bestimmten – Gewaltverhältnisses ist dadurch gekennzeichnet, daß die vollziehende Gewalt die von der Unterwerfung erfaßten Rechtsbeziehungen, vorbehaltlich der Nachprüfung durch die Gerichte, durch ihre Organe einseitig und dem einzelnen gegenüber verbindlich regeln kann, daß also diese Organe die für jene Rechtsbeziehungen maßgebenden abstrakt-generellen Rechtssätze individualisieren und konkretisieren können, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist. Die kraft hoheitlicher Gewalt verbindliche Regelung von Rechtsbeziehungen durch die Verwaltung im Einzelfall aber wird Verwaltungsakt genannt.

9.

Aus dem gesetzlich geregelten Wehrdienstverhältnis ergeben sich – ausdrücklich festgelegte und aus der Natur dieses Verhältnisses folgende – Pflichten des Soldaten. Für den Fall der schuldhaften Verletzung dieser Pflichten sieht § 24 SG die Haftung des Soldaten für den daraus entstandenen Schaden vor und bestimmt abschließend die Voraussetzungen, den Inhalt und Umfang der Haftung. Zur Regelung der die Haftung betreffenden Rechtsbeziehungen des Soldaten ist ein Organ der vollziehenden Gewalt berufen. Ihr ist der Soldat bezüglich jener Rechtsbeziehungen, die sich auch durch sein Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis als Soldat nicht ändern, nach dem oben Gesagten unterworfen. Deshalb kann der Soldat unter den durch das Gesetz eindeutig festgelegten materiellrechtlichen Voraussetzungen durch Verwaltungsakt zum Ersatz des Schadens herangezogen werden, sofern nichts anderes bestimmt ist. Das ist indessen nicht der Fall:

10.

Das Verwaltungsgericht meint, weil der Bundesgesetzgeber das Erstattungsgesetz nicht aufgehoben habe, sei davon auszugehen, daß er in anderen als den in diesem Gesetz geregelten Fällen den Erlaß eines Verwaltungsaktes nicht billige; denn anderenfalls wäre das Erstattungsgesetz überflüssig. Ob die Soldaten, die zwar neben den Beamten, Angestellten oder Arbeitern als haftende Personen im Sinne des § 2 des Erstattungsgesetzes in Betracht kommen können, überhaupt zum originär haftenden Personenkreis des § 1 des Erstattungsgesetzes zählen (so Rittau, Kommentar zum Soldatengesetz, Erl. 2 V zu § 24), erscheint zweifelhaft angesichts dessen, daß der Bundesgesetzgeber die sinngemäße Anwendung dieses Gesetzes nur für die Rechtsverhältnisse der Beamten und Richter des Bundes und der Angestellten und Arbeiter bestimmt hat (§§ 2 und 6 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen vom 17. Mai 1950 [BGBl. S. 207]) und daß dementsprechend – im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des Erstattungsgesetzes vom 18. April 1937 (RGBl. I S. 461) – in der Bundesfassung vom 24. Januar 1951 (BGBl. I S. 87, 109) in § 1 nur die Beamten, Angestellten und Arbeiter, nicht aber die Soldaten aufgeführt sind. Abgesehen davon aber übersieht das Verwaltungsgericht, daß das Erstattungsgesetz neben den Beamten eindeutig auch die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes und darüber hinaus in § 2 auch außerhalb des öffentlichen Dienstes stehende mithaftende Personen (etwa Handwerker, Lieferanten) betrifft, die ohne die ausdrückliche Regelung des Erstattungsgesetzes nicht hoheitlich in Anspruch genommen werden könnten. Dieses Gesetz ist somit nicht dadurch überflüssig geworden, daß der Dienstherr den Beamten auf Grund der – dem § 24 SG entsprechenden – Haftungsvorschrift des § 78 des Bundesbeamtengesetzes durch Verwaltungsakt zum Schadensersatz heranziehen kann.

11.

Aus der Regelung des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes – VwVG – vom 27. April 1953 (BGBl. I S. 157) ist ebenfalls nichts gegen die Zulässigkeit der Inanspruchnahme des Soldaten durch Verwaltungsakt herzuleiten. Daß § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes u. a. diejenigen öffentlich-rechtlichen Geldforderungen von der Vollstreckung im Verwaltungswege ausnimmt, die im Wege des Parteistreites vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden, besagt nichts darüber, welche Ansprüche im Klagewege verfolgt werden müssen. Die Vorschrift betrifft sowohl Ansprüche, die eingeklagt werden, weil sie infolge der Gleichordnung der Rechtsträger nicht hoheitlich geregelt werden können, als auch Ansprüche, die eingeklagt werden, obwohl sie auch hoheitlich hätten geltend gemacht werden können.
Auch § 59 Abs. 2 SG zwingt den Bund nicht zur Beschreitung des Klageweges. Diese Vorschrift regelt nur den Rechtsweg, falls der Bund klagt, sie bestimmt aber nicht, in welchen Fällen er klagen muß. Sie hat auch dann einen Sinn, wenn das hoheitliche Gewaltverhältnis, wie oben dargelegt, die aus dem Wehrdienstverhältnis herrührenden Haftungsbeziehungen zwischen dem Soldaten und dem Bund ergreift. Dieser Umstand ermächtigt zwar den Bund zur hoheitlichen Regelung, schließt aber nicht aus, daß er den Klageweg beschreitet, wenn ihm dies zweckmäßig erscheint (zum letzteren: Urteil vom 17. Juli 1963 – BVerwG VI C 173.61 –, Buchholz BVerwG 237.7, § 84 Nr. 1).

12.

Schließlich läßt sich auch aus der geschichtlichen Entwicklung des Beamtenhaftungsrechts ein gewohnheitsrechtliches Hindernis für den Erlaß eines Verwaltungsaktes nicht herleiten. Daß der Dienstherr seinen Schadensersatzanspruch gegen den Beamten früher nur durch Klageerhebung vor den ordentlichen Gerichten durchsetzen konnte, lag daran, daß damals der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz unvollkommen war und daß für Streitigkeiten über die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn der ordentliche Rechtsweg bestimmt wurde, um diese Beziehungen unter uneingeschränkten gerichtlichen Rechtsschutz zu stellen. Nachdem ein umfassender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz geschaffen war, hat das Bundesbeamtengesetz folgerichtig den ordentlichen Rechtsweg in vermögensrechtlichen Streitigkeiten der Beamten beseitigt und für alle Streitigkeiten aus dem Beamtenverhältnis den Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Damit entfiel auch die aus der Natur des Klagezwanges vor den ordentlichen Gerichten sich ergebende Sperre, die einer verbindlichen Regelung der Rechtsbeziehungen vermögensrechtlicher Art durch den Dienstherrn entgegenstand. Wo die Verfassung auch heute noch eine solche Sperre bestehen läßt – wie im Art. 34 Satz 3 GG – ist allerdings die Regelung durch Verwaltungsakt ausgeschlossen. Von einer gewohnheitsrechtlichen Notwendigkeit, dem Beamten – und demgemäß auch dem Soldaten – die Parteirolle des Beklagten im Rechtsstreit zu erhalten, kann jedoch nicht die Rede sein, unter anderem schon deshalb nicht, weil der Beamte, gegen dessen Anspruch auf Dienstbezüge mit Schadensersatzansprüchen des Dienstherrn aufgerechnet wurde, auch früher vor den ordentlichen Gerichten in die Rolle des Klägers gedrängt war, sofern er die Schadensersatzansprüche nicht anerkannte.

13.

Hiernach war das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Da das Verwaltungsgericht den angegriffenen Bescheid für unzulässig gehalten und deshalb die mit diesem Bescheid ausgesprochene Verpflichtung des Klägers zur Schadensersatzleistung sachlich nicht geprüft hat, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.