Bundesverwaltungsgericht
Beschluss vom 5. Februar 1976
- VII A 1/76 -
(weitere Fundstellen: BVerwGE 50, 124 ff.)
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Leitsätze |
1. |
§ 90 Abs. 2 VwGO schließt neue Anträge nur aus, wenn die Streitsache bei einem dort genannten Gerichte rechtshängig ist; ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht steht neuen Anträgen nicht entgegen. |
2. |
Ein Streit zwischen Bundesländern um die Erfüllung des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen ist nichtverfassungsrechtlicher Art. |
3. |
Einstweilige Anordnungen sind auch im Länderstreit des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig. |
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Sachverhalt: |
1. |
1. Der am 20. Oktober 1972 unterzeichnete Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen, dem der Landtag des Freistaats Bayern am 21. Februar 1973 zustimmte und der nach der Ratifizierung durch alle Länder am 1. Mai 1973 in Kraft trat (BayGVBl. S. 98 und S. 285), sieht in Art. 11 Abs. 8 vor, daß für die Bewertung der Reifezeugnisse und der Zeugnisse der Fachhochschulreife einheitliche Maßstäbe zu entwickeln sind, um im gesamten Geltungsbereich des Staatsvertrags eine gerechte Zulassung zum Studium nach dem Grad der Qualifikation zu gewährleisten. Bis zur Entwicklung solcher Maßstäbe ist gemäß Art. 11 Abs. 8 Satz 2 nach folgenden Grundsätzen zu verfahren:
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2. |
Diese sogenannte bonus-malus-Regelung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 3. April 1974 (BVerfGE 37, 104) “unter den derzeitigen Gegebenheiten” – wie es in der Entscheidung heißt (a.a.O. S. 114) – für verfassungsgemäß gehalten. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dann in seiner Entscheidung vom 1. August 1975 (VGH n. F. 28.143 = NJW 1975, 1733 = BayVBl. 1975, 555 = EuGRZ 1975, 431) festgestellt, daß der Zustimmungsbeschluß des Bayerischen Landtags zum Staatsvertrag nunmehr insoweit mit Art. 118 Abs. 1, dem Gleichheitssatz der Verfassung des Freistaats Bayern unvereinbar und deshalb nichtig geworden ist, als der Staatsvertrag in Art. 11 Abs. 8 Sätze 2 ff. die Grundsätze des Notenausgleichs regelt. Außerdem hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden, daß die Regelung vom Freistaat Bayern beginnend mit der Zulassung zum Sommersemester 1976 nicht mehr angewendet werden darf. |
3. |
Der Verwaltungsausschuß der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen hat am 11. September 1975 gegen die Stimme des bayerischen Vertreters beschlossen, das Vergabeverfahren zum Sommersemester 1976 nach den bisherigen Rechtsvorschriften, also einschließlich der bonus-malus-Regelung, durchzuführen. |
4. |
2. Mit Anträgen vom 27. Oktober 1975 zum Bundesverfassungsgericht wenden sich die Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg gegen die Weigerung Bayerns, die bonus-malus-Regelung des Staatsvertrags weiter anzuwenden. Der Freistaat Bayern hat in diesem Verfahren die Unzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts geltend gemacht und selbst am 13. Januar 1976 Klage gegen die anderen Länder zum Bundesverwaltungsgericht erhoben. Mit der Klage beantragt der Freistaat Bayern,
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5. |
Zur Rechtfertigung einer Verpflichtung der anderen Länder, die bonus-malus-Regelung nicht anzuwenden, werden die Unmöglichkeit des Vertragsvollzugs im Hinblick auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, die Außenwirkung dieser Entscheidung und ferner ein Verstoß der Regelung gegen den Gleichheitssatz der einzelnen Landesverfassungen und des Grundgesetzes geltend gemacht. |
6. |
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen beigeladen und die Klage zugestellt. Die Frist zur Äußerung läuft noch. |
7. |
3. Der klagende Freistaat Bayern und acht der beklagten Länder haben in diesem Verfahren Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt und sich jeweils gegen die gegnerischen Anträge gewandt. Der Freistaat Bayern stellt einen dem oben wiedergegebenen Klageantrag wörtlich entsprechenden Antrag und beantragt hilfsweise,
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8. |
Demgegenüber beantragen die Länder Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, denen sich in der mündlichen Verhandlung Baden-Württemberg angeschlossen hat, eine einstweilige Anordnung folgenden Inhalts:
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9. |
Der Oberbundesanwalt hat sich an dem Verfahren über die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beteiligt und angeregt, dem vom Freistaat Bayern hilfsweise gestellten Antrag zu entsprechen. |
10. |
Die beigeladene Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen hat entsprechend einer gerichtlichen Verfügung zur technischen und zeitlichen Abwicklung des Vergabeverfahrens für das Sommersemester 1976 jeweils für den Fall Stellung genommen, daß a) keine einstweilige Anordnung ergeht, b) die bonus-malus-Regelung nicht angewendet wird und c) das vom Freistaat Bayern hilfsweise erstrebte Verfahren praktiziert wird. |
11. |
In der mündlichen Verhandlung über die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung am 5. Februar 1976 waren das Land Rheinland- Pfalz und das Saarland nicht vertreten. |
12. |
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag des Freistaats Bayern auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung vom 9. Januar 1976 zurückgewiesen und den Freistaat Bayern im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für das Vergabeverfahren zum Sommersemester 1976 die für die Anwendung der bonus-malus-Regelung des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen erforderlichen Daten der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in Dortmund zur Verfügung zu stellen; im übrigen hat es den Antrag der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung vom 28. Januar 1976 zurückgewiesen. |
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Aus den Gründen: |
13. |
Der Freistaat Bayern muß der Beigeladenen die zur Ermittlung der Gesamtdurchschnittsnote aller Länder (Nrn. 5 und 6.2 Abs. 3 der Anlage 3 der Verordnung zur Durchführung des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1975 [GV. NW. S. 456]) für das Vergabeverfahren zum Sommersemester 1976 erforderlichen Daten zur Verfügung stellen. Das darüber hinaus gehende Begehren der acht Länder und der bayerische Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind dagegen unbegründet. |
14. |
1. In prozessualer Hinsicht ist für die Entscheidung des Senats zunächst folgendes von Bedeutung: |
15. |
a) Entgegen der Ansicht des Antragsgegners zu 1) steht der Zulässigkeit der Klage und der Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch der Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg nicht entgegen, daß bei dem Bundesverfassungsgericht auf Antrag dieser beiden Länder bereits ein die bonus-malus-Regelung des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen betreffendes Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG anhängig ist. Denn § 90 Abs. 2 VwGO schließt neue Anträge nur aus, wenn die Streitsache bei einem der dort genannten Gerichte rechtshängig ist. Das Bundesverfassungsgericht und überhaupt die Verfassungsgerichtsbarkeit werden in § 90 Abs. 2 VwGO nicht erwähnt. Aber nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Sinn der Vorschrift läßt ihre Unanwendbarkeit im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht erkennen. Denn die Einheit der Gerichtsbarkeit, von der § 90 Abs. 2 VwGO ausgeht, ergibt sich nur aus den Verweisungsmöglichkeiten, die zwischen den in der Vorschrift genannten Gerichten bestehen. Daran fehlt es beim Bundesverfassungsgericht. |
16. |
b) Das Bundesverwaltungsgericht hält auch den Verwaltungsrechtsweg und seine Zuständigkeit zur Entscheidung im ersten und letzten Rechtszug für gegeben (§§ 40 Abs. 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). |
17. |
Die für die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen verschiedenen Ländern vorausgesetzte Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs hängt in erster Linie von der Beantwortung der zwischen den Beteiligten streitigen Frage ab, ob die vorliegende öffentlich-rechtliche Streitigkeit eine solche nichtverfassungsrechtlicher Art ist. Ein Teil der Länder der Bundesrepublik Deutschland verneint dies und hat deswegen Anträge beim Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG gestellt oder sich an dem dort anhängigen Verfahren beteiligt, während der klagende Freistaat Bayern die Streitigkeit als nichtverfassungsrechtlich ansieht und demzufolge Klage zum Bundesverwaltungsgericht erhoben hat. Die danach bestehenden Zweifel über die rechtliche Natur der Streitigkeit berechtigen und verpflichten das Bundesverwaltungsgericht jedoch entgegen der vom Antraggegner zu 1) herangezogenen Ansicht von Ule (vgl. Verwaltungsprozeßrecht, 6. Aufl. 1975, S. 73 unten; ebenso für die § 50 Abs. 3 VwGO entsprechende Regelung in § 9 Abs. 3 BVerwGG Schunck-De Clerck, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, 1953, Anm. 2 zu § 9 – S. 47 –) nicht zu einer Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht gemäß § 50 Abs. 3 VwGO. Denn Zweifel genügen für diese Vorlage ebensowenig wie für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG (vgl. hierzu BVerfGE 22, 373 [378] mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Muß sich das Bundesverwaltungsgericht danach über die rechtliche Qualität der Streitigkeit schlüssig werden, so kann dies bei der in einem beschleunigten Verfahren gebotenen Eile jedoch nur summarisch und naturgemäß unter dem Vorbehalt einer eingehenden, auch durch den weiteren Vortrag der Beteiligten im Klageverfahren veranlaßten Überprüfung geschehen. Für die unter diesen Gegebenheiten zu treffende Entscheidung sah der Senat folgende Erwägung als ausschlaggebend an: |
18. |
Wann eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist, läßt sich – wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt betont hat (vgl. BVerwGE 36, 218 [227 f.]; 24, 272 [279]) – nicht allgemeingültig bestimmen. Die in diesen beiden Entscheidungen genannte Formel, daß es darauf ankomme, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt sei, läßt nach Ansicht des Senats bei Berücksichtigung dessen, was die Beteiligten mit ihren Anträgen erstreben, nicht zu, die Streitigkeit für verfassungsrechtlich zu halten. Den Beteiligten geht es mit ihren Anträgen um die Erfüllung (Vollziehung) des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen. Streitig ist dabei, mit welchem Inhalt der Staatsvertrag heute gilt. Danach richtet sich, ob der Freistaat Bayern von den anderen Ländern verlangen kann, daß der Staatsvertrag heute ohne die im Vertrag vereinbarte bonus-malus-Regelung anzuwenden ist, oder ob die anderen Länder von Bayern eine dem ursprünglichen Vertragsinhalt entsprechende Erfüllung verlangen können. |
19. |
Der Staatsvertrag selbst – das danach streitige Rechtsverhältnis, um dessen Erfüllung es geht – läßt sich seinem Regelungsinhalt nach nicht dem Verfassungsrecht zurechnen. Die Regelung der Vergabe von Studienplätzen dient zwar im Verhältnis des Studienbewerbers zum Staat der Verwirklichung von Grundrechten, und die Form der Regelung wird von daher bestimmt, wie in der numerus-clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 (BVerfGE 33, 303) im einzelnen dargelegt ist. Die Regelung bleibt aber Verwaltung, Verwaltung eines Mangels, wie Haas (DVBl. 1974, 22 [23 f.]) und ihm folgend das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 39, 258 [271]) treffend formulieren. Einen verfassungsrechtlichen Inhalt der Art, wie ihn das Bundesverfassungsgericht bei dem Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Coburg und dem Freistaat Bayern vom 14. Februar 1920 für die Zuordnung zum Verfassungsrecht festgestellt hat (vgl. BVerfGE 22, 221 [229 f.]; 34, 216 [226]; 38, 231 [237]), oder auch nur einer vergleichbaren Art hat der Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen nicht. Daß das Verwaltungsrecht, dem der Vertrag danach zuzuordnen ist, natürlich von den Grundrechten und sonstigen Verfassungsrechtssätzen unmittelbar beeinflußt und von ihnen letztlich getragen wird, wird in der Klageschrift des Freistaats Bayern zu Recht betont. |
20. |
Für die Annahme einer verfassungsrechtlichen Natur des Staatsvertrags kann der Senat einen hinreichenden Anhaltspunkt auch nicht darin sehen, daß die Länder mit dem Vertrag einem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 33, 303 [357 f.]) aus Bundesverfassungsrecht entwickelten Gebot entsprachen, für die numerus-clausus-Fächer eine Vergabe der Studienplätze nach bundeseinheitlichen Kriterien herbeizuführen. Denn staatliches Tätigwerden entspricht häufig einem Verfassungsauftrag, so daß von daher die hier erforderliche rechtliche Einordnung nicht vorgenommen werden kann. |
21. |
Soweit die beteiligten Länder für ihre Vorstellungen von der richtigen Vertragserfüllung auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte ins Feld führen (Verfassungswidrigkeit der bonus-malus-Regelung, Grundsatz der Bundestreue), handelt es sich um Vorfragen für die maßgebliche (Haupt-) Frage, ob für die Länder eine Verpflichtung zur Erfüllung des Staatsvertrags mit oder ohne die bonus-malus-Regelung besteht. Vorfragen (Inzidentfragen, vgl. BVerwGE 29, 52 [53]) dürfen aber zur rechtlichen Qualifizierung der Streitsache nicht herangezogen werden. Dies ergibt sich auch daraus, daß wegen bestimmter verfassungsrechtlicher Vorfragen eine Vorlagepflicht zum Bundesverfassungsgericht besteht. |
22. |
Ist Gegenstand der Streitigkeit der Inhalt, mit dem der Staatsvertrag heute zwischen den Ländern gilt, so ergibt sich eine verfassungsrechtliche Natur der Streitigkeit auch nicht daraus, daß der Staatsvertrag in den einzelnen Ländern als Landesgesetz gilt. |
23. |
Die nach Ansicht des Senats danach vorliegende öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen. |
24. |
2. Die getroffene einstweilige Anordnung und die Ablehnung der im übrigen gestellten Anträge rechtfertigen sich aus § 123 Abs. 1 VwGO. Die Anordnung erschien als vorläufige Regelung des Vergabeverfahrens zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Studienbewerber und für ein geordnetes Zulassungsverfahren dringend nötig. |
25. |
Der beschließende Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung von der Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung für die Durchführung des Verfahrens zur Vergabe von Studienplätzen im Sommersemester 1976 überzeugt. Wird nämlich keine vorläufige Regelung durch das Gericht getroffen, werden also der Antrag des Freistaats Bayern und der Antrag der anderen Länder auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, so wird die beigeladene Zentralstelle nach ihren Erklärungen in der mündlichen Verhandlung die bonus-malus-Regelung des Staatsvertrags anwenden und dabei die von den Antragsgegnern entsprechend der Anlage 3 der Vergabeverordnung für das Sommersemester 1976 ermittelten Durchschnittsnoten, für Bayern aber – da ihr die für das Sommersemester 1976 maßgeblichen Zahlen für Bayern nicht vorliegen – die Noten aus dem Berechnungszeitraum für das vorhergehende Semester zugrundelegen. Da sich nicht übersehen läßt, ob und in welchem Ausmaß sich in Bayern die Durchschnittsnoten aus dem für das Sommersemester 1976 maßgeblichen Berechnungszeitraum (16. Januar 1975 bis 15. Januar 1976) gegenüber den Zahlen aus dem Berechnungszeitraum für das Wintersemester 1975/76 (16. Juli 1974 bis 15. Juli 1975) geändert haben, wäre damit das gesamte Zulassungsverfahren mit einem Unsicherheitsfaktor belastet, der den Studienbewerbern im gesamten Geltungsbereich des Staatsvertrags bei der Bedeutung der Studienplatzvergabe für jeden einzelnen nicht zuzumuten ist. Insofern stimmt der Senat mit den Antragstellern beider Seiten überein, die – insoweit übereinstimmend – für ihre Anträge von der Notwendigkeit einer Regelung ausgehen, die – entsprechend den entgegengesetzten Anträgen – in der Anwendung der bonus-malus-Vorschriften mit den auch für Bayern richtigen Durchschnittsnoten, ihrer Nichtanwendung oder auch in einer alternativen Berechnung entsprechend dem bayerischen Hilfsantrag bestehen könnte. Eine Regelung durch einstweilige Anordnung erschien dem Senat auch dringend, da nach dem von den anderen Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen Zeitplan der Zentralstelle jedenfalls eine Entscheidung, die nach dem 16. Februar 1976 ergeht, zu Verzögerungen bei der Studienzulassung und zu Beeinträchtigungen bei dem Nachrückverfahren führt. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Hauptsache kann schon wegen der den Beteiligten einzuräumenden Äußerungsfristen nicht so rasch getroffen werden, daß eine einstweilige Anordnung unterbleiben könnte. |
26. |
Da die von beiden Seiten beantragten einstweiligen Anordnungen auf eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache hinauslaufen, wären die Erfolgsaussichten in der Hauptsache an sich ein geeignetes Kriterium für die einstweilige Anordnung; eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache scheidet jedoch angesichts der besonderen Lage des Falles aus. Die Schwierigkeiten der in der Hauptsache zu beurteilenden Rechtsfragen erlauben nicht die Feststellung, daß das Ergebnis im Verfahren zur Hauptsache offensichtlich sei. Wie in der Regel bei Meinungsverschiedenheiten in einer grundsätzlichen Frage zwischen Bundesländern ist auch hier davon auszugehen, daß weder die Auffassung der einen noch die der anderen Seite als unhaltbar oder evident unrichtig bezeichnet werden kann (vgl. BVerfGE 8, 42 [44]; 12, 36 [40]). In dieser Situation kann auch eine mehr oder weniger hohe Wahrscheinlichkeit für das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens nicht zur Grundlage der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO gemacht werden. |
27. |
Kann sich die Entscheidung, in welcher Weise die Vergabe von Studienplätzen einstweilen zu regeln ist, nicht aus der Erfolgsaussicht in der Hauptsache ergeben, so ist für die Entscheidung auf eine Abwägung der Interessen und auch der Folgen abzustellen, die jeweils eintreten würden, wenn das Vergabeverfahren vorläufig mit der bonus-malus-Regelung oder wenn es ohne diese Regelung durchgeführt würde. Dabei geht es in dem Länderstreit angesichts des Regelungsinhalts des Staatsvertrags nicht so sehr wie sonst im Verfahren nach § 123 VwGO um eigene, zumeist private, Interessen der Antragsteller, denen öffentliche Interessen gegenüberstehen; vielmehr sind die Interessen beider Seiten gleichermaßen eigene und öffentliche, so, was die Stellung als Vertragspartner, die Belange der Studienbewerber des jeweiligen Landes und die Durchführung eines einheitlichen, ordnungs- und funktionsgerechten Zulassungsverfahrens anlangt. Von den Studienbewerbern her gesehen bleibt die Abwägung offen; denn die Anwendung und die Nichtanwendung der bonus-malus-Vorschriften hat jeweils für eine nicht feststellbare Zahl von Studienbewerbern die gleiche nachteilige Folge (vgl. BVerfGE 36, 37 [40]). Auch von dem Interesse an der Einheitlichkeit und Funktionsfähigkeit des Zulassungsverfahrens her läßt sich eine Entscheidung nicht finden, da diesem Interesse sowohl durch die Anwendung als auch durch die Nichtanwendung der bonus-malus-Regelung Rechnung getragen werden kann. Schließlich gibt auch die Schwere, mit der jeweils Landesrecht der Vertragspartner berührt wird, keinen Maßstab für die Entscheidung; denn die von beiden Seiten beantragten einstweiligen Anordnungen berühren jeweils auf der Gegenseite innerstaatliche Verbindlichkeiten. In Bayern ist dies die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 1. August 1975, in den anderen Ländern sind es die den Staatsvertrag betreffenden Landesgesetze. |
28. |
Die der einstweiligen Anordnung in der Beschlußformel zugrundeliegende Entscheidung, wonach für das Sommersemester 1976 noch nach der bonus-malus-Regelung zu verfahren ist, ergibt sich nach Ansicht des Senats jedoch aus einer Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einem möglichst hohen Maß an Kontinuität des Studienplatzvergabeverfahren: Bei einem Staatsvertrag, der 1973 die Zustimmung aller Länder der Bundesrepublik Deutschland gefunden und den das Bundesverfassungsgericht bezüglich der in diesem Verfahren streitigen Regelung am 3. April 1974 für verfassungsgemäß gehalten hat (BVerfGE 37, 104), ist jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt bei dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung, die den Vollzug des Staatsvertrags nach seinem ursprünglichen Inhalt teilweise aussetzt, besondere Zurückhaltung geboten. Ob nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 3. April 1974 Umstände eingetreten sind, die einer weiteren Durchführung der bonus-malus-Regelung entgegenstehen, ist im Verfahren zur Hauptsache zu entscheiden, unter Umständen erst im Zusammenhang mit einer Vorlage des Senats gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht. Bis zur abschließenden Klärung der Verpflichtung aller Beteiligten kann es nicht im öffentlichen Interesse und im Interesse der Gesamtheit der Studienbewerber liegen, die auf gemeinsamer Willensbildung aller Länder beruhende Regelung vorläufig außer Kraft zu setzen; vielmehr erscheint hier im gegenwärtigen Zeitpunkt die vollständige Erhaltung des Staatsvertrags noch geboten. Dabei ist auch von Bedeutung, daß dadurch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs nicht im vollen Umfang, sondern nur hinsichtlich der Fristbestimmung für die Nichtanwendung der bonus-malus-Regelung durch den Freistaat Bayern berührt wird. Hinzu kommt, daß der Gesichtspunkt der Kontinuität auch noch unter einem anderen Blickwinkel für die Aufrechterhaltung des Staatsvertrags spricht. Es wird nämlich dadurch vermieden, daß die bisherige Zulassungspraxis geändert, diese Änderung aber im Falle eines Mißerfolgs der Klage anschließend wieder rückgängig gemacht werden müßte. Eine mehrfache kurzfristige Änderung des Zulassungsverfahrens muß nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Gründe, die eine sofortige und vorläufige Nichtanwendung der bonus-malus-Regelung rechtfertigen könnten, sind demgegenüber nicht zu erkennen. In dieser Lage war unter Ablehnung des vom Freistaat Bayern in erster Linie gestellten Antrags im wesentlichen dem Antrag der acht Länder zu entsprechen. |
29. |
Bezüglich der Fassung der einstweiligen Anordnung konnte sich der Senat – abweichend von dem Antrag der acht Länder – auf die Verpflichtung beschränken, die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Nach dem Hilfsantrag und den Erklärungen des Freistaats Bayern in der mündlichen Verhandlung war davon auszugehen, daß die maßgeblichen Zahlen in Bayern vorliegen, also nicht mehr ermittelt werden müssen. Entsprechend dem Rechtsträgerprinzip der Verwaltungsgerichtsordnung war nicht die Bayerische Staatsregierung, sondern der Freistaat Bayern zu verpflichten. |
30. |
Soweit der Antrag der acht Länder über das Sommersemester 1976 hinausgeht und die Vollziehung der Zulassungsbescheide der Zentralstelle in Bayern betrifft, erschien dem Senat im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Anordnung nicht nötig. Für das auf die Vollziehung der Zulassungsbescheide gerichtete Begehren kommt hinzu, daß bisher nicht dargetan ist, inwiefern neben der nach Art. 8 Abs. 4 Satz 2 des Staatsvertrags die einzelne Hochschule treffenden Verpflichtung zur Vollziehung eines Zulassungsbescheids noch eine entsprechende Verpflichtung des Freistaats Bayern bestehen kann. |
31. |
Ist der Antrag der acht Länder auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen den Freistaat Bayern im wesentlichen begründet, so erhellt bereits dies, daß der Freistaat Bayern auch mit seinem hilfsweise gestellten Antrag, die Zulassungsbescheide alternativ, d. h. sowohl mit als auch ohne die bonus-malus-Regelung, vorbereiten zu lassen, nicht durchdringen kann. Der Antrag, der ausdrücklich als Hilfsantrag bezeichnet ist, hätte aber auch für sich allein keinen Erfolg haben können. Die Entscheidung über die erst am 13. Januar 1976 erhobene Klage kann nicht so rechtzeitig ergehen, daß die Zulassungsbescheide ohne für die Bewerber unzumutbare Verzögerung versandt werden könnten. Da nach der mündlichen Verhandlung eine einstweilige Anordnung über die Gestaltung des Zulassungsverfahrens für das Sommersemester 1976 getroffen werden konnte und auch dringend nötig erschien, hielt es der Senat nicht für zulässig, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit des Verfahrens dort abzuwarten und nur hierzu eine alternative Vorbereitung der Zulassungsbescheide anzuordnen. Dagegen spricht im übrigen auch, daß nach den von keinem Beteiligten bezweifelten Angaben der Zentralstelle bei der Durchführung von zwei getrennten Berechnungsverfahren zeitliche Verzögerungen in der Versendung der Zulassungsbescheide wahrscheinlich sind, eine Entscheidung in der Hauptsache auch vom Bundesverfassungsgericht bei Bejahung seiner Zuständigkeit nicht rechtzeitig vor dem Sommersemester 1976 ergehen kann und zudem nach der Erklärung der Zentralstelle durch die alternative Vorbereitung der Zulassungsbescheide Mehrkosten von 100 000 DM entstehen würden. |