Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 6.10.1959
- V C 316.58
-

 (weitere Fundstellen: DVBl. 1960, 246 ff.)

 

Leitsätze

1.

Stolgebühren gehören nicht zu dem von den Fürsorgeverbänden nach § 6 Abs. 1 Satz 2 RGr. zu tragenden Bestattungsaufwand.

2.

 Verhältnis zwischen Kirche und Staat.

 

Tatbestand

1.

Am 16. 4. 1953 verstarb der mittellose, auf der Wanderschaft begriffene L. Als Kosten für die kirchliche Beerdigung forderte der Kl. [Pfarrer der evang. Kirche] vom bekl. Fürsorgeverband die Stolgebühr. Der Bekl. lehnte die Bezahlung ab. Der Kl. beantragte, den Bekl. zur Zahlung der ihm zustehenden Stolgebühr in Höhe von 12 DM zu verurteilen.  

2.

Das VG gab der Klage statt. Der VGH wies sie ab. Die Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Dem BerGericht ist darin beizupflichten, daß nach dem vor Erlaß der RGrds geltenden Fürsorgerecht die Kosten der kirchlichen Feier anläßlich der Bestattung eines Hilfsbedürftigen von den Fürsorgeverbänden zwar übernommen werden konnten, daß jedoch eine rechtliche Verpflichtung hierzu nicht bestanden hat (vgl. Preuß. AG z. UWG v . 8. 3. 1871, GS 130, § 1 Abs. 3 Bayer. ArmenG vom 21. 8. 1914, GVBl. 551, Art. 3 Abs. 4; Bundesamt für das-Heimatwesen, Entscheidungen 10, 73; 47, 39; Jehle, ZfF 1956, 50; Pöll, Unterstützungswohnsitzgesetz und Bayer. Armengesetz 1916, S. 437). Jedenfalls wurde damals die Ersatzpflicht der endgültig verpflichteten Fürsorgeverbände insoweit einhellig abgelehnt. Das BerGericht hat ferner dargelegt, daß sich an dieser Rechtslage seitdem nichts geändert habe: Eine Änderung ergibt sich nicht aus dem Erlaß der FürsPflVO vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 100) auf der FürsRGrds. (vgl. PrVO über Fürsorgeleistungen vom 20. 12. 1924, GS 764, Art. 4 Abs. 2; Bayer. VGHE 56, 92; Baath, FürsPflVO, 7. Auflage, 1929, S. 97; 13. Auflage 1942, S. 424 f.) In § 6 Abs. 1 Satz 2 RGr. ist die Verpflichtung der Fürsorgeverbände zur Übernahme der Bestattungskosten ausdrücklich durch die Beifügung des Wortes "nötigenfalls" eingeschränkt worden. Danach haben die Fürsorgeverbände nicht nur den Subsidiaritätsgrundsatz zu beachten und nur die Kosten eines einfachen Begräbnisses zu übernehmen, sondern auch - soweit es sich um kirchliche Feiern und deren Kosten handelt - die allg. Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche, insbesondere Art. 136 ff. WR V zu berücksichtigen. Durch diese Vorschriften wurden die bis dahin etwa bestehenden Staatskirchen beseitigt und Kirche und Staat in der dort näher geregelten Weise getrennt. Die Regelung von Seelsorge und Gottesdienst einschließlich der kirchlichen Beerdigungsfeierlichkeiten und der dafür zu erhebenden Gebühren war den Religionsgesellschaften im Rahmen der für alle geltenden Gesetze zur selbständigen Ordnung und Verwaltung überlassen. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen sollten durch die Länder abgelöst werden. Soweit Bedürfnis nach Seelsorge und Gottesdienst in staatl. oder anderen öff. Einrichtungen bestand, waren die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten war. Nach dieser Regelung blieben die religiösen Feierlichkeiten bei der Bestattung Hilfsbedürftiger einschließlich etwaiger Kosten den religiösen Gemeinschaften überlassen. Mit Recht hat das BerGericht § 6 Abs. 1 Satz 2 FürsRGrds. für die Zeit des Erlasses dieser Bestimmung dahin ausgelegt, daß die Fürsorgeverbände zur Übernahme der Kosten kirchlicher Beerdigungsfeiern nicht verpflichtet gewesen seien. Diese Rechtslage ist auch heute noch maßgebend. Durch Art. 140 GG sind die Bestimmungen der Art. 136 ff. WR V ausdrücklich. aufrechterhalten. Mit Recht hat das BerGericht auch dargelegt, daß jedenfalls für den hier zu entscheidenden Sachverhalt der Umfang der Fürsorgeleistungen durch die Anerkennung des Rechtsanspruchs eines Hilfsbedürftigen auf Fürsorge nicht geändert worden ist. Denn nach der Rspr. des BVerwG (BVerwGE 1, 159 [= DVBl. 1954, 704)) besteht ein solcher Rechtsanspruch nur, "soweit das Gesetz dem Träger der Fürsorge zugunsren des Bedürftigen Pflichten auferlegt". Es ist deshalb gerechtfertigt, § 6 Abs. 1 Satz 2 FürsRGrds. in der bisherigen Weise auszulegen und anzuwenden.

4.

Der KI. hat sich demgegenüber auf Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Er meint, mit der Unantastbarkeit der menschlichen Würde sei es nicht zu vereinbaren, wenn dem Angehörigen eines christlichen Bekenntnisses ein würdiges kirchliches Begräbnis versagt und ihm nur ein weltliches Armenbegräbnis zugebilligt werde. Doch kann aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht entnommen werden, daß der Bekl. im vorl. Fall zur Zahlung der dem KI. zustehenden Stolgebühren verpflichtet ist. Es bedarf zunächst keiner weiteren Erörterung, daß das dem KI. nach Art. 1 GG zustehende Grundrecht im vorliegenden Fall nicht verletzt worden ist. Es kann sich nur darum handeln, ob dies dem Verstorbenen gegenüber geschehen ist. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob das Grundrecht mit dem Tode erlischt (Bonner Komm. zum GG, Anm. II 1 b zu Art. 1. GG; v. Mangoldt-Klein, GG 2. Aufl., S. 150; Hamann, GG, S. 73; Neumann-Nipperdey-Scheuner, Grundrechte Bd. 2, S. 4) oder ob es allg. oder beschränkt über den Tod hinaus wirken kann. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob nach der heutigen Auffassung ein Verstorbener grundsätzlich in der von ihm gewählten Form oder beim Fehlen einer entspr. letztwilligen Verfügung in der Form der religiösen Gemeinschaft, der er angehört hat, zu bestatten ist und ob die Verhinderung einer solchen Bestattung als eine Verletzung der menschlichen Würde anzusehen sein würde. Denn im vorl. Fall haben weder der KI. noch der Bekl. eine solche Bestattungsfeierlichkeit verweigert oder gar verhindert. Nach der, Auskunft des Evang.-Luth. Landeskirchenrates muß vielmehr angenommen werden, daß die Beerdigungsfeierlichkeit für einen Verstorbenen von der vorherigen Bezahlung der umstrittenen Gebühr nicht abhängig gemacht wird. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob die Kosten einer religiösen Beerdigungsfeierlichkeit endgültig von der Religionsgemeinschaft des Verstorbenen bzw. deren Amtsträgern oder von dem Fürsorgeverband zu tragen sind, eine Frage, die jedenfalls im vorl. Falle mit dem .dem Verstorbenen nach Art. 1 Abs. 1 GG etwa zustehenden Grundrecht nichts zu tun hat. 

5.

Der Kl. hat schließlich eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gerügt. Er sieht Art. 3 Abs. 3 GG als verletzt an; die Versagung eines kirchlichen Begräbnisses bedeute eine Benachteiligung des evangelischen Christen, weil er dann wegen seines Glaubens einem Nichtchristen gleichgestellt werden würde, für den ein kirchliches Begräbnis ohne Bedeutung sei. Jedoch liegt auch eine Verletzung des Art. 3 GG nicht vor. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG wäre etwa gegeben, wenn die Fürsorgeverbände allg. oder der Bekl. im besonderen die Kosten der Bestattungsfeier der einen Religionsgemeinschaft erstatten, einer anderen Religionsgemeinschaft oder deren Amtsträgern aber verweigern würden: Hiervon kann jedoch keine Rede sein. Nach den Feststellungen des BerGerichts muß vielmehr angenommen werden, daß die Fürsorgeverbände die Übernahme der Kosten von Beerdigungsfeierlichkeiten ablehnen, ohne daß hierbei die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft von Bedeutung ist. Art. 3 GG ist auch nicht etwa dadurch verletzt, daß die Kosten des Totengräbers, der Grabträger, des Leichenschauers und andere ähnliche Kosten von den Fürsorgeverbänden übernommen, die Kosten für die Amtshandlung eines Geistlichen aber nicht erstattet werden. Denn die ersteren Tätigkeiten sind von der Tätigkeit eines Geistlichen so verschieden, daß durch die unterschiedliche Behandlung der Grundsatz "Gleiches gleich, Verschiedenes aber nach seiner Eigenart zu behandeln'" nicht als verletzt angesehen werden kann. Die Auffassung, die Feier anläßlich der Beerdigung eines Hilfsbedürftigen und die Regelung der dadurch entstehenden Kosten seien den Religionsgemeinschaften zu überlassen, verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 3 GG, wenn danach bei allen Hilfsbedürftigen ohne Unterschied der Religionszugehörigkeit verfahren wird. Nach den Feststellungen des BerGerichts ist nicht ersichtlich, daß dieser Grundsatz ungleichmäßig angewendet wird. Der Ansicht des Kl., die Ablehnung der Übernahme der Kosten eines kirchlichen Begräbnisses sei eine durch Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Benachteiligung, kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil nach der Auskunft des Evang.-Luth. Landeskirchenrates die hier umstrittene Bezahlung der Stolgebühren nicht zur Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses geführt hat oder führen konnte.