Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 12.09.1963
- II C 195.61
-

 (weitere Fundstellen: BVerwGE 16, 340 f.)

 

 

Leitsätze:

1.

Die Zurücknahme einer Ernennung wegen arglistiger Täuschung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Dienstherr den wahren Sachverhalt hätte kennen müssen.

2.

Die Ernennung ist durch jede Täuschung "herbeigeführt", ohne die sie unterblieben wäre.

 

Tatbestand:

1.

Im Jahre 1955 nahm der Vorstand der Deutschen Bundesbahn unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 551) – BBG – die Ernennungen des Klägers zum Reichsbahnbetriebswart, zum Reichsbahnassistenten, zum Beamten auf Lebenszeit und zum Bundesbahnsekretär mit der Begründung zurück, daß der Kläger seine Behörde über seine Dienstzeitverpflichtungen bei der Wehrmacht arglistig getäuscht habe. Bei Kenntnis dieses Sachverhalts wäre dem Kläger als ehemaligem Berufssoldaten die vor dem Wiedereintritt liegende Dienstzeit nicht auf sein Eisenbahndienstalter angerechnet worden mit der Folge, daß er zur Laufbahn der Betriebswarte frühestens am 1. Mai 1949 hätte zugelassen werden können, dann – nach der Trennung der Laufbahnen der Assistenten und der Betriebswarte – in den Bewerbungsaufruf für die Assistentenlaufbahn vom 1. Oktober 1947 eingegliedert worden wäre und erst jetzt zur Anstellung als Bundesbahnassistent heranstände.

2.

Die Anfechtungsklage wurde in erster Instanz abgewiesen, hatte jedoch in zweiter Instanz Erfolg. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer unrichtigen Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG.

4.

Nach dieser Vorschrift ist eine Ernennung zurückzunehmen, wenn sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung "herbeigeführt" wurde. Die Vorschrift gestattet nicht, wie die Revision mit Recht geltend macht, die in dem angefochtenen Urteil vorgenommene Unterscheidung zwischen "wesentlichen" Ursachen und solchen, welche die Entscheidung des Dienstherrn "nicht wesentlich" beeinflußt haben und daher nach der Meinung des Berufungsgerichts nicht rechtserheblich sein sollen. Diese Unterscheidung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug nimmt, - in Anknüpfung an die Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Haftung für Betriebsunfälle - bei Anwendung der Vorschriften über die beamtenrechtliche Dienstunfallfürsorge vorgenommen worden (vgl. BVerwGE 7, 48; 10, 258). Sie fußt auf der Erwägung, daß bei solchen, möglicherweise unverschuldeten, Unfällen zwischen einem dienstlichen und einem privaten Gefahrenkreis zu unterscheiden sei, um zu gerechten Ergebnissen zu gelangen. Diese Erwägung ist für die Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG aber nicht verwertbar. Denn diese Vorschrift betrifft nicht die Gefahrtragung bei möglicherweise unverschuldeten Ereignissen, sondern das Einstehenmüssen für ein schuldhaftes, überdies arglistiges und folglich zu vertretendes Verhalten. Für die Anwendung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG genügt es, daß die Täuschung eine Bedingung im logischen Sinn (conditio sine qua non) für die Ernennung war; eine Ernennung ist durch eine Täuschung "herbeigeführt", wenn die Ernennungsbehörde - in der Person des Dezernenten oder des maßgeblich an der Entscheidung beteiligten Sachbearbeiters (BVerwGE 11, 61 (63)) - bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, Abstand genommen hätte. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch der Zweck des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG, der insbesondere auf die Wiederherstellung der Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde und auch auf die Reinhaltung des Berufsbeamtentums von Personen gerichtet ist, die durch unlauteres Verhalten die Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde eingeschränkt haben. Hiernach kann es für die Anwendung dieser Vorschrift nicht wesentlich sein, ob die Unkenntnis der Ernennungsbehörde auf deren Verschulden beruht; für die entsprechende Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 2 BBG hat dies das Bundesverwaltungsgericht bereits klargestellt (BVerwGE 11, 61 (64) und Urteil vom 17. Juli 1963 - BVerwG VI C 162.60 -).

5.

Mit Recht rügt die Revision in diesem Zusammenhang weiter, daß das Berufungsgericht selbst die Verwaltungsvorschriften der Beklagten ausgelegt und den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Erklärungen des Klägers und dessen Ernennungen mit der Begründung verneint hat, bei zutreffender Auslegung hätten diese Vorschriften der alsbaldigen Anstellung des Klägers nicht entgegengestanden. In diesem Zusammenhang ist nur rechtserheblich, ob die Ernennungsbehörde ohne die Täuschung tatsächlich von der Ernennung abgesehen haben würde. Darauf, ob die einem solchen Verhalten der Ernennungsbehörde zugrunde liegenden Erwägungen mit den Verwaltungsvorschriften über die laufbahnmäßigen Voraussetzungen bei richtiger Auslegung dieser Vorschriften im Einklang gestanden haben würden oder ob nach dem - richtig verstandenen - Inhalt dieser Vorschriften die Voraussetzungen erfüllt waren und die Ernennung hätte vorgenommen werden können oder sollen, kommt es für die Frage nach dem Ursachenzusammenhang nicht entscheidend an. Die Verwaltungsvorschriften können für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs allenfalls als Beweisanzeichen Bedeutung gewinnen. Dabei kommt es zudem nicht darauf an, welchen Inhalt diese Vorschriften bei zutreffender Auslegung hatten; erheblich ist in diesem Zusammenhang allein, wie die Ernennungsbehörde in der Verwaltungspraxis die Verwaltungsvorschriften zur Zeit der Vornahme der umstrittenen Ernennungen wirklich ausgelegt und angewendet hat.

6.

Das angefochtene Urteil enthält hiernach sachlichrechtliche Mängel, die sich auch auf die Auffassung, der Kläger habe nicht arglistig getäuscht, ausgewirkt haben. Gleichwohl hätte es aufrechterhalten werden können, wenn es sich aus anderen Gründen als richtig erwiese (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das ist aber nicht der Fall. Fehl geht die Meinung des Klägers, § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBG beziehe sich nur auf die "Ernennung" im engeren Sinne, nämlich auf die Begründung des Beamtenverhältnisses. Daß diese Meinung jedenfalls in bezug auf § 12 Abs. 1 BBG unzutreffend ist, hat bereits der VI. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in den Gründen seines Urteils vom 26. Juni 1961 - BVerwG VI C 5.59 - (Buchholz BVerwG 231, § 32 DBG Nr. 2) klargestellt. Den dort enthaltenen Ausführungen und ihrem Ergebnis schließt der erkennende Senat sich an.

7.

Der Senat ist auch nicht in der Lage, zugunsten der Beklagten in der Sache abschließend zu entscheiden. Die von dem Berufungsgericht bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen hierzu nicht aus (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Sache muß daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Dieses wird unter Zugrundelegung der vorstehenden Darlegungen nunmehr zunächst für jede einzelne Ernennung feststellen müssen, ob die Ernennungsbehörde sie dann, wenn die falschen Angaben des Klägers unterblieben wären, nicht oder nicht zu der Zeit, in der sie erfolgte, vorgenommen hätte. Gegebenenfalls wird ferner zu klären sein, ob der Kläger "arglistig" getäuscht hat. Arglistig handelt in der Regel, wer den Vorsatz hat, auf den Erklärungswillen des anderen einzuwirken. Dabei genügt bedingter Vorsatz (BVerwGE 13, 156 (158)); Arglist wäre also schon dann zu bejahen, wenn festgestellt werden kann, dem Kläger sein bewußt gewesen, daß seine Angaben unrichtig sein könnten und daß gerade der durch diese Angaben hervorgerufene Irrtum die Beklagte zur Vornahme der Ernennung bestimmen könnte. Anders als beim strafrechtlichen Betrug ist nicht erforderlich, daß der Erklärende die Absicht hat, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Auch ist nicht entscheidend, ob der Erklärende das Bewußtsein hat, dem Erklärungsgegner einen Schaden zuzufügen. Sein Verhalten muß aber unlauter sein.