Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 09.11.1989
- 7 C 81/88 -
(weitere Fundstellen: BVerwGE 84, 71 ff.)
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Tatbestand: |
1. |
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in einer Fußgängerzone der beklagten Stadt H. ohne straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis Scherenschnitte (Silhouetten) anfertigen und an Passanten verkaufen darf. Die Klägerin, die von Beruf Bankkauffrau ist, fertigt derartige Profilschattenbilder in ihrer Freizeit in Fußgängerzonen und auf öffentlichen Plätzen verschiedener Gemeinden an und verkauft sie dort für 8 DM je Stück. |
2. |
In H. betätigt sich die Klägerin u.a. in der Fußgängerzone der H.straße und stellt hierzu am Eingang der Bezirkssparkasse eine Staffelei sowie einen Klappstuhl auf. Nachdem sie mehrfach Bußgeldbescheide wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung und das Ladenschlußgesetz sowie wegen Fehlens einer Sondernutzungserlaubnis erhalten hatte, erhob sie beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage und beantragte festzustellen, daß das Anfertigen und der Verkauf von Scherenschnitten weder unter das Ladenschlußgesetz falle noch als Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung einzustufen sei noch daß es hierfür einer Sondernutzungserlaubnis bedürfe. Das Verwaltungsgericht stellte durch Urteil vom 6. Februar 1987 fest, daß für die Tätigkeit der Klägerin weder die allgemeinen Ladenschlußzeiten noch gewerberechtliche Bestimmungen gälten. Im übrigen wies es die Klage ab und führte hierzu aus: Die Klägerin übe zwar eine freie künstlerische Tätigkeit aus, bedürfe dafür aber einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis. Durch die Nutzung des Straßenraumes als "Verkaufsraum" werde nämlich der Gemeingebrauch der Allgemeinheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt. |
3. |
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies mit Urteil vom 17. August 1988 (NJW 1989, 1299 = VBlBW 1989, 58 = DÖV 1989, 128 m.Anm. Goerlich) die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Berufung der Klägerin änderte er das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit, als dieses die Klage abgewiesen hatte, und stellte fest, daß das nebenberufliche Anfertigen und Verkaufen von Scherenschnitten am Eingang der Bezirkssparkasse in H., H.straße 8, einer Sondernutzungserlaubnis nicht bedürfe. In den Urteilsgründen heißt es: Bei der Herstellung von Schattenrißbildnissen handele es sich nicht um ein Gewerbe, sondern um eine künstlerische Tätigkeit, die in Europa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu den anerkannten Formen künstlerischer Äußerungen gehöre. Eine solche Betätigung im öffentlichen Straßenraum gehöre zum Gemeingebrauch. Darunter sei nicht nur der Verkehr im engeren Sinne der Ortsveränderung, sondern auch der sog. kommunikative Verkehr zu verstehen, besonders in Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen. Ob der landesstraßenrechtliche Verkehrsbegriff so eingeschränkt sei, daß er kommunikative Aktivitäten nicht als isolierten Hauptzweck, sondern nur als Nebenzweck der Straßennutzung umfasse, könne dahinstehen. Denn der Begriff des Gemeingebrauchs sei zugleich durch die grundrechtlichen Gewährleistungen bundesverfassungsrechtlich geregelt. So seien die straßenrechtlichen Begriffe "Verkehr" und "Gemeingebrauch" u.a. durch die Garantie der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) überlagert und müßten im Lichte dieses Grundrechts verfassungskonform ausgelegt und abgegrenzt werden. Kunst, vor allem auch die Straßenkunst, sei öffentlichkeitsbezogen und daher auf öffentliche Wahrnehmung angewiesen. Die Kunstfreiheit dürfe nur zum Schutz gleichrangiger, also verfassungsrechtlicher Rechtsgüter eingeschränkt werden. Bei einer verfassungskonformen Abgrenzung des Gemeingebrauchs von der Sondernutzung müsse daher jeweils im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob durch die Straßenkunst die Grenze der Gemeinverträglichkeit deshalb überschritten sei, weil grundrechtlich geschützte Positionen Dritter in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt würden; nur in diesem Fall habe die Freiheit der Kunst zurückzutreten und dürfe eine Sondernutzung angenommen werden. Im Fall der Klägerin seien Umstände für eine solche konkrete unverhältnismäßige Beeinträchtigung weder geltend gemacht noch ersichtlich. |
4. |
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Beklagte weiter geltend, daß die Tätigkeit der Klägerin einer Sondernutzungserlaubnis bedürfe, und hält insoweit an ihrem Antrag auf Klagabweisung fest. Zur Begründung führt sie aus: Das Silhouettenschneiden sei mangels freier individueller schöpferischer Gestaltung nicht Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Sehe man dies anders, sei das Berufungsgericht gleichwohl zu Unrecht von einer gemeingebräuchlichen Inanspruchnahme der öffentlichen Straße ausgegangen. Die Klägerin gehe mit der Herstellung von Schattenrissen, der Werbung für sie und insbesondere ihrem Verkauf über den typischen kommunikativen Verkehr der Benutzer einer Fußgängerzone hinaus. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiere keinen staatlich geförderten Werk- und Wirkbereich, zumal da die wirtschaftliche Verwertung der Kunsterzeugnisse von der Garantie der Kunstfreiheit nicht erfaßt sei. Aber selbst wenn man das Werken und Wirken eines Straßenkünstlers als vom Widmungszweck des kommunikativen Verkehrs gedeckt ansehe, müsse im Fall der räumlich beengten und belebten H.straße die Gemeinverträglichkeitsprüfung zur Annahme einer erlaubnispflichtigen Sondernutzung führen. |
5. |
Die Klägerin hält das Berufungsurteil für zutreffend. |
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Aus den Gründen: |
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II. |
6. |
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Zu Unrecht hat der Verwaltungsgerichtshof der Gewährleistung der Kunstfreiheit das verfassungsrechtliche Gebot entnommen, das Anfertigen und Verkaufen von Profilschattenbildern in der Art, wie es die Klägerin in der Fußgängerzone in H. betreibt, als erlaubnisfreie, gemeingebräuchliche Straßennutzung zu qualifizieren. |
7. |
1. a) Nach § 13 Abs. 1 des Straßengesetzes für Baden-Württemberg (Straßengesetz - StrG -) in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1987 (GBl. S. 478) ist Gemeingebrauch der Gebrauch der öffentlichen Straßen im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen. Zu dem von der Widmung erfaßten "Verkehr" rechnet das Berufungsgericht nicht nur die Straßenbenutzung zur Ortsveränderung, sondern zumindest im innerörtlichen Bereich und hier besonders in Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen auch den sog. kommunikativen Verkehr. Darunter wird eine Nutzung verstanden, die den öffentlichen Straßenraum auch als Stätte der kommunikativen Begegnung, der Pflege menschlicher Kontakte und des Informations- und Meinungsaustauschs begreift (vgl. dazu Kodal/Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl. 1985, S. 492 f. m.w.N.; Würkner, NJW 1987, 1793 <1796 ff.> und NJW 1989, 1266). Das Berufungsgericht läßt offen, ob es der vom 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 26. Juni 1986, DÖV 1987, 160 und dazu BVerwG, Beschluß vom 19. Dezember 1986 - BVerwG 7 B 144.86 - NJW 1987, 1836 sowie BVerfG, Kammer-Beschluß vom 20. Mai 1987 - 1 BvR 386/87 - n.v.) vertretenen Ansicht folgen könnte, daß der (landes-)straßenrechtliche Verkehrsbegriff kommunikative Aktivitäten allenfalls als Nebenzweck, nicht aber - wie regelmäßig bei der Straßenkunst - als vom Verkehrsinteresse isolierten Hauptzweck umfaßt. Das Berufungsgericht sieht sich durch dieses landesrechtlich begründete Verständnis des gemeingebräuchlichen kommunikativen Verkehrs an einem von dem Urteil vom 26. Juni 1986 abweichenden Auslegungsergebnis deshalb nicht gehindert, weil die Begriffe Gemeingebrauch und Sondernutzung bundesrechtlich durch die Gewährleistung der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwingend mitgeformt würden. Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. |
8. |
b) Bedenken gegen das Berufungsurteil bestehen allerdings nicht schon deshalb, weil die Tätigkeit der Klägerin nicht vom Schutzzweck des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG umfaßt wäre, wie die Revision meint. Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof von dem durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten weiten "materialen" Kunstbegriff ausgegangen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist danach die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden. Das künstlerische Schaffen, bei dem Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammenwirken, ist "unmittelbarster" Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. Die Freiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG betrifft den "Werkbereich" des künstlerischen Schaffens in prinzipiell gleicher Weise wie den "Wirkbereich" der Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (vgl. BVerfGE 30, 173 <188 f.>; 67, 213 <224 f.>). |
9. |
Zu den geschützten Kunstformen gehört auch die Straßenkunst, also das künstlerische Schaffen, das in einem untrennbaren Wechselspiel zwischen Werk- und Wirkbereich auf das Medium der öffentlichen Straße und das dort sich aufhaltende Publikum spezifisch angewiesen ist. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen der Kunstschöpfung und der Kommunikation zwischen Künstler und Außenwelt ist bei der Straßenkunst der Wirkbereich nicht weniger schutzbedürftig als der Werkbereich (vgl. dazu auch BVerfGE 77, 240 <253 f.>). In diesem Sinne ist Straßenkunst auch das Herstellen von Schattenrißbildern in der von der Klägerin betriebenen Art und Weise. Denn der Scherenschnittkünstler kann seine Modelle nur dort finden und an den Porträtierten verkaufen, wo Menschen in der Öffentlichkeit in größerer Zahl versammelt sind oder vorübergehen. Wegen dieser unauflöslichen Verknüpfung von Herstellung und wirtschaftlicher Verwertung gehört hier auch der Verkauf des Kunstwerkes zum geschützten Wirkbereich der Kunst. |
10. |
Daß das Herstellen von Profilschattenbildern durch die Klägerin die Merkmale eines Kunstwerks erfüllt, hat das Berufungsgericht näher dargelegt. Es hat dazu ausgeführt, daß sich diese Tätigkeit nicht auf eine bloß "handwerkliche" Kopie des Profiles der abgebildeten Person beschränkt, sondern ein eigenschöpferischer Gestaltungsprozeß ist, der ein intuitives Erfassen des Besonderen am Modell und dessen Wiedergabe in typischer Weise erfordert. Dafür, daß die Werke der Klägerin gänzlich dilettantisch wären und keinerlei schöpferische Ausstrahlungskraft besäßen, bestehen keine Anhaltspunkte. |
11. |
c) Genießen somit die Straßenkunst im allgemeinen und die Tätigkeit der Klägerin im besonderen den Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, so sind gleichwohl die daraus vom Berufungsgericht gezogenen Schlußfolgerungen für die Auslegung des Landesstraßenrechts nicht haltbar. Zwar verkennt der Verwaltungsgerichtshof nicht, daß es außerhalb des Rechts der Bundesfernstraßen einen allgemeinen bundesrechtlichen Begriff des Gemeingebrauchs nicht gibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1968 - BVerwG 4 C 195.65 - BVerwGE 30, 235 <238>; Beschluß vom 19. Dezember 1986 a.a.O.). Er hält aber eine verfassungskonforme Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung in der Weise für geboten, daß jede Ausübung der Straßenkunst, die nicht im konkreten Einzelfall andere gleichrangige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter unverhältnismäßig beeinträchtigt, erlaubnisfrei zulässig sein muß und damit innerhalb des vorgefundenen straßenrechtlichen Systems notwendig nur als - erlaubnisfreier - Gemeingebrauch und nicht als - erlaubnispflichtige - Sondernutzung qualifiziert werden kann. Das Berufungsgericht knüpft damit an die Erlaubnispflicht als solche und die darin gesehene Einschränkung der künstlerischen Betätigung an. Die entscheidungstragende Begründung läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Einführung eines auf generell-abstrakte Sachverhalte bezogenen Erlaubnisverfahrens für straßenkünstlerische Betätigungen wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungswidrig wäre, daß also der Gesetzgeber die Pflicht zur Einholung einer Erlaubnis erst dann vorsehen dürfe, wenn aufgrund einer Einzelfallprüfung feststehe, daß die konkrete Straßennutzung Grundrechte anderer unverhältnismäßig beeinträchtigt. Diese Auffassung ist mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats unvereinbar (vgl. dazu das Urteil vom 7. Juni 1978 - BVerwG 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63 <68> sowie die Beschlüsse vom 7. Januar 1981 - BVerwG 7 B 179.80 - DÖV 1981, 342, vom 19. Dezember 1986 a.a.O. und vom 16. Juni 1987 - BVerwG 7 B 118.87 - n.v.; ferner BVerfG - Vorprüfungsausschuß - Beschluß vom 19. Juni 1981 - 1 BvR 183/81 - und Kammer-Beschluß vom 20. Mai 1987 - 1 BvR 386/87 -, jeweils n.v.). Der Senat hält auch nach erneuter Überprüfung an dieser Rechtsprechung fest. |
12. |
d) In den genannten Entscheidungen ist näher dargelegt, daß das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis ein mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu vereinbarendes, den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhaltendes Mittel ist, um die verschiedenen grundrechtlich geschützten Belange der Straßenbenutzer in Einklang zu bringen (Ausgleichs- und Verteilungsfunktion der Sondernutzungserlaubnis). Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, daß die Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums durch künstlerische Betätigungen zu lösungsbedürftigen Konflikten mit anderen Straßenbenutzungen führen kann, insbesondere mit der gemeingebräuchlichen Verkehrsteilnahme, mit dem Anliegergebrauch des Grundeigentümers, aber auch im Verhältnis zu den um denselben Standort konkurrierenden anderen Straßenkünstlern. Während die Ausübung des Gemeingebrauchs durch Teilnahme am Straßenverkehr umfassend durch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften geregelt ist, fehlt für andere Nutzungen wie die Darbietung von Straßenkunst ein generelles normatives Regelwerk, das im vorhinein den Rahmen für ein gemeinverträgliches Verhalten absteckt. Dies macht die Präventivsteuerung straßenkünstlerischer Aktivitäten durch ein Erlaubnisverfahren, in dem im Einzelfall widerstreitende Nutzungen ausgeglichen werden können, verfassungsrechtlich unbedenklich. |
13. |
e) Der Senat verkennt nicht, daß die Notwendigkeit, eine Erlaubnis einzuholen, die Ausübung von Straßenkunst erschweren kann (vgl. hierzu vor allem Hufen, DÖV 1983, 353 ff. und Städtetag 1983, 394 ff. sowie Würkner, NVwZ 1987, 841 ff.; NJW 1987, 1793 ff. und NJW 1988, 317 ff.). Die Beeinträchtigung der Kunstfreiheit ist jedoch nur gering, wenn es sich - wie auch im Fall der Klägerin - um eine längerfristig geplante, möglicherweise in gleicher Weise sich wiederholende Betätigung handelt, für die unter Umständen nur einmal eine Erlaubnis einzuholen ist. Sie ist allerdings um so stärker, je spontaner und unmittelbarer die Darbietung ist, wie es etwa bei Straßenmusikanten der Fall sein kann. Deshalb könnte die generelle Qualifizierung straßenkünstlerischer Darbietungen als erlaubnispflichtige Sondernutzung dann eine unverhältnismäßige Einschränkung der Kunstfreiheit sein, wenn es fest umrissene Fallgruppen gäbe, die typischerweise keine nennenswerten Nutzungskonflikte und damit keinen Bedarf an präventiver Kontrolle hervorrufen. Für solche Straßenkunst könnte es ausreichen, im Einzelfall einzuschreiten, wenn es ausnahmsweise zu einem gemeinunverträglichen Zustand kommen sollte. Die in der Literatur zur Bildung solcher Fallgruppen angestellten Überlegungen (vgl. z.B. Hufen, DÖV 1983, 353 <360 f.>) überzeugen aber nicht. Die Formen der Straßenkunst und vor allem die örtlichen und zeitlichen Bedingungen ihrer Ausübung sind dermaßen vielgestaltig, daß eine eindeutige Bestimmung konfliktarmer straßenkünstlerischer Betätigungen auf der Ebene des förmlichen Gesetzes nicht möglich erscheint. |
14. |
Das Landesstraßengesetz für Baden-Württemberg läßt es aber bei dieser Erkenntnis nicht bewenden, sondern ermöglicht es in einer abgestuften, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragenden Weise, durch eine Einbeziehung der konkreten örtlichen Verhältnisse den Straßenbenutzer nicht mehr als erforderlich durch ein Erlaubnisverfahren zu belasten. Zunächst hebt § 13 Abs. 1 Satz 1 StrG zur Bestimmung des Gemeingebrauchs - außer auf den "Rahmen der Widmung", innerhalb derer bestimmte Straßenkunst als Gemeingebrauch definiert werden kann - auch auf die "verkehrsüblichen Grenzen", also auf örtliche Verkehrsanschauungen ab und läßt damit Raum für die Bildung von Ortsgebräuchen (vgl. dazu Gerhardt, Straßengesetz für Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1988, § 13 Rdnr. 5 d). Ein solcher Ortsgebrauch mag auch bestimmte straßenkünstlerische Aktivitäten erfassen können. Sodann gibt § 16 Abs. 7 Satz 1 StrG - in Übereinstimmung mit den anderen Landestraßengesetzen und § 8 Abs. 1 Satz 4 FStrG - den Gemeinden die Befugnis, bestimmte Sondernutzungen an Gemeindestraßen von der Erlaubnis freizustellen. Mit diesem Instrument können die Gemeinden das leisten, was dem Gesetzgeber nicht möglich ist, nämlich anhand der jeweiligen örtlichen Situation überprüfen, ob und innerhalb welcher zeitlichen und sonstigen Grenzen in Bereichen wie Fußgängerzonen u.ä. bestimmte Benutzungen generell als gemeinverträglich angesehen werden können. Denkbar wäre auch eine Freistellung von der Einholung einer Erlaubnis, verbunden mit der Verpflichtung, ähnlich wie im Versammlungsrecht (vgl. § 14 VersG) die Inanspruchnahme der Straße vorher anzumelden. |
15. |
Fehlt es an derartigen Satzungsregelungen, bleibt es zwar bei der Notwendigkeit, zuvor eine Erlaubnis einzuholen, doch entfaltet auch hier der hohe verfassungsrechtliche Rang der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstfreiheit seine rechtliche Wirkung. Die Erlaubnispflicht für Sondernutzungen ist eine formale Schranke, die noch nichts über die Zulässigkeit der beabsichtigten Straßennutzung aussagt. Das der Erlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen muß, soweit es um den Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen geht, nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ausgeübt werden. Ergibt die Prüfung des Einzelfalles, daß die straßenkünstlerische Darbietung weder die durch Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer noch das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG) noch andere Grundrechte, z.B. Art. 2 Abs. 2 GG im Falle erheblicher Geräuschimmissionen, ernstlich beeinträchtigt, wird in aller Regel das Ermessen reduziert sein und ein Anspruch auf Erlaubniserteilung bestehen (vgl. auch Beschluß des Senats vom 19. Dezember 1986 a.a.O.). |
16. |
f) Der mit dem Zwang zur Einholung einer Erlaubnis verbundene Verlust an Spontaneität wiegt im übrigen auch deshalb nicht unverhältnismäßig schwer, weil er - gerade auch für die Straßenkünstler - durch einen Gewinn an Rechtssicherheit ausgeglichen wird (vgl. dazu auch Bismark, NJW 1985, 246 <251 f.>). Demgegenüber kann die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht zu nicht unerheblichen Rechtsnachteilen für den Straßenkünstler führen. Hängt nämlich die Qualifizierung als Gemeingebrauch oder Sondernutzung vom konkreten Ausmaß der Störung anderer grundrechtlich geschützter Positionen ab, läuft der Straßenkünstler Gefahr, daß seine Darbietung letztlich doch nicht oder, sofern die Umstände im Verlauf der Darbietung sich ändern, nicht mehr als Gemeingebrauch anzusehen ist. Dies macht ihn nicht nur von der Einschätzung der Situation des an Ort und Stelle einschreitenden öffentlichen Bediensteten abhängig, sondern setzt ihn auch dem vorher nicht immer zu kalkulierenden Risiko aus, wegen einer Ordnungswidrigkeit infolge unerlaubter Sondernutzung belangt zu werden. Diese Ordnungswidrigkeit wöge um so schwerer, als die Sondernutzung nicht nur formell rechtswidrig, sondern auch in der Sache nicht erlaubnisfähig wäre. Denn die Rechtskonstruktion des Berufungsgerichts weicht von der herkömmlichen Begriffsbildung des Straßenrechts, nach der sich Gemeingebrauch und Sondernutzung durch Art und Intensität der Straßennutzung unterscheiden, dadurch ab, daß sie mit der Bestimmung von Gemeingebrauch als nichtstörender und von Sondernutzung als störender Straßenkunst zugleich über die straßenrechtliche Erlaubnisfähigkeit der Darbietung entscheidet; es wird die Erlaubnispflichtigkeit von der Erlaubnisfähigkeit her definiert: Mit der Qualifizierung eines Verhaltens als Sondernutzung steht bereits fest, daß die Erteilung der Erlaubnis nicht in Betracht kommen kann. |
17. |
g) Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob die Gewährleistung der Kunstfreiheit bei besonderen Fallgestaltungen ausnahmsweise die Erlaubnisfreiheit für straßenkünstlerische Betätigungen verlangt und damit zur Annahme einer gemeingebräuchlichen Nutzung oder, sofern das maßgebende Landesstraßenrecht eine derartige Konstruktion zuließe, einer erlaubnisfreien Sondernutzung zwingt. Dies könnte der Fall sein, wenn der Gang zur Erlaubnisbehörde nicht nur eine Lästigkeit wäre, sondern die Kunstausübung praktisch unmöglich machte. Zu denken ist hierbei vor allem an "Spontankunst" in dem Sinn, daß das künstlerische Werk nur entweder spontan oder gar nicht vollbracht werden kann, wenn also die Präsentation einmalig und so nicht wiederholbar ist. In Anlehnung an das zu Art. 8 GG entwickelte Rechtsinstitut der "Spontanversammlung" mag hier das formelle Erfordernis der Erlaubnis als unzulässig angesehen werden (vgl. auch Steinberg, NJW 1978, 1898 <1903> zur vergleichbaren Problematik von Meinungsfreiheit und Straßennutzung). Dies bedarf keiner Vertiefung, weil es sich im Fall der Klägerin so nicht verhält. Ihrer Tätigkeit des Silhouettenschneidens liegt eine Planung auf längere Sicht zugrunde, wie daran deutlich wird, daß sie immer wieder dieselbe Stelle in der Fußgängerzone aufsucht und offenbar sogar eine Absprache mit der Sparkasse getroffen hat, in deren Eingangsbereich sie sich aufhält. |
18. |
2. Die Sache ist gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu einer Auslegung der landesrechtlichen Begriffe des Gemeingebrauchs und der Sondernutzung zu geben. |
19. |
Das Berufungsurteil hat sich bislang einer eigenständigen Auslegung dieser Begriffe anhand landesrechtlicher Maßstäbe enthalten. Insbesondere hat es ausdrücklich offengelassen, ob danach der von ihm zum Gemeingebrauch gerechnete kommunikative Verkehr auch die Darbietung von Straßenkunst als Hauptzweck der Straßennutzung umfassen kann. Sollte der in dieser Sache zur Entscheidung berufene Senat des Verwaltungsgerichtshofs dies entgegen der vom 1. Senat desselben Gerichts im Urteil vom 26. Juni 1986 a.a.O. vertretenen Ansicht bejahen wollen, wäre der Große Senat des Verwaltungsgerichtshofs anzurufen (§ 12 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 VwGO). Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG würde einer derartigen Auslegung nicht entgegenstehen. Die Garantie der Kunstfreiheit zwingt zwar nicht, wie ausgeführt, zur Erlaubnisfreiheit für Straßenkunst, hindert aber - wie auf der Hand liegt - auch nicht eine grundrechtsfreundliche Auslegung der maßgebenden landesstraßenrechtlichen Bestimmungen in dem Sinn, daß bestimmte künstlerische Aktivitäten dem Gemeingebrauch zugerechnet werden. Überdies bietet sich eine Prüfung der Frage an, ob unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsüblichkeit (§ 13 Abs. 1 Satz 1 StrG) eine Qualifizierung von Straßenkunst als ortsüblicher Gemeingebrauch in Betracht kommt und, falls ja, ob es für die H.straße von H. einen solchen Ortsgebrauch gibt. |