Bundesverwaltungsgericht
Beschluss vom 28.1.1994
- 7 B 198/93 -
(weitere Fundstellen: NJW 1994, 956)
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Tatbestand |
1. |
Der Kl. wendet sich gegen das Zeitschlagen der Glocken der ihm benachbarten Kirche. Das VG, das entgegen einer entsprechenden Rüge der Bekl. den Verwaltungsrechtsweg für gegeben hielt, hat die Klage abgewiesen, weil keine unzumutbare Lärmbelästigung gegeben sei. Auf die Berufung des Kl. hat der VGH den Rechtsstreit an das LG München II verwiesen, weil der Verwaltungsrechtsweg unzulässig sei. Zur Begründung hat er ausgeführt: Er sei nicht gehindert, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu prüfen. § 17a V GVG sei nicht anwendbar, weil das VG es unter Verstoß gegen § 17a III GVG versäumt habe, vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler erlaube es dem BerGer., auf eine entsprechende Rüge hin das Verfahren wieder auf den gesetzlich vorgeschriebenen Weg zu bringen und so zu verfahren, wie wenn ein Beschluß nach § 17a III GVG ergangen wäre. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht gegeben, weil der Glockenschlag zur Zeitangabe sich jedenfalls heutzutage und im Gegensatz zum liturgischen Glockengeläut nicht generell als typische Lebensäußerung der öffentlichrechtlichen Körperschaft Kirche qualifizieren lasse. Wenn sogar die Bekl. das Zeitschlagen privatrechtlich beurteilt wissen wolle, spreche daraus ein kirchliches Selbstverständnis, das diese „nichtsakrale Nebenaufgabe im Randbereich kirchlicher Tätigkeit" aus dem spezifisch kirchlichen Wirken gerade ausklammere. Es könne offenbleiben, ob das kirchliche Selbstbestimmungsrecht es nicht geradezu gebiete, dieses Selbstverständnis staatlicherseits zu berücksichtigen. Weder die Herkunft der Glocken oder ihre Finanzierung noch die Frage, ob es sich beim Zeitschlagen um eine öffentliche Aufgabe handele, sei für die Rechtswegfrage erheblich; für letzteres ergebe sich dies daraus, daß es keinen Rechtssatz gebe, der den Schluß von einer öffentlichen Aufgabe auf die öffentlichrechtliche Form ihrer Wahrnehmung zulasse. |
2. |
Die Beschwerde des Kl. gegen den Beschluß des VGH blieb erfolglos. |
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Aus den Gründen: |
3. |
Der VGH hat über den Rechtsweg formell und materiell zutreffend entschieden. |
4. |
Da das VG unter Verstoß gegen § 17a III 2 GVG nicht vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs befunden und die Bekl. in der Berufungsinstanz an ihrer Zuständigkeitsrüge festgehalten hat, mußte der VGH prüfen und entscheiden, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. § 17a V GVG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar, weil andernfalls die in § l7a IV 3 GVG eingeräumte Möglichkeit, die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs auch im Fall ihrer Bejahung durch das Gericht erster Instanz durch das Rechtsmittelgericht prüfen zu lassen, aufgrund eines Verfahrensfehlers des Gerichts abgeschnitten würde (vgl. BGHZ 119, 246 [250] = NJW 1993, 470 = LM § 17a GVG Nr.3 [Wolf]; BGH, NJW 1993, 1799). Eine solche Rechtswegkontrolle durch die übergeordnete Instanz unterliegt bei ordnungsgemäßem Verfahren der Disposition der Bet., denen es freisteht, die Entscheidung der ersten Instanz zu akzeptieren oder sie mit der Beschwerde anzugreifen. Diese Kontrolle wird deshalb auch unter den hier gegebenen Voraussetzungen nur auf eine ausdrückliche Rüge hin eröffnet. |
5. |
Der VGH hat den Verwaltungsrechtsweg zu Recht verneint, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, die nach § 13 GVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Maßgeblich für die Rechtswegfrage ist, ob die Handlung der Bekl., gegen die der Kl. sich wendet, hoheitlicher oder privater Natur ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt nicht entscheidend davon ab, daß es sich bei der Bekl. um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und bei den Glocken, um deren Benutzung es geht, um res sacrae und damit um öffentliche Sachen handelt; denn nicht jede Tätigkeit eines Trägers öffentlicher Verwaltung ist schon allein wegen dieses Status dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Ebensowenig ist die Benutzung einer durch Widmung einem öffentlichrechtlichen Regime unterworfenen Sache immer öffentlichrechtlicher Natur, selbst wenn der Benutzer öffentlich-rechtlich organisiert ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die öffentliche Sache im Rahmen ihrer öffentlichrechtlichen Zweckbindung genutzt wird, oder ob es sich um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb des Widmungszwecks handelt. Da das nichtsakrale Glockenschlagen unter heutigen Lebensbedingungen nicht mehr dem Bereich kirchlicher Tätigkeit zugeordnet werden kann, in dem die allgemeinen Gesetze nur eingeschränkt gelten (BVerwGE 90, 163 [167] = NJW 1992, 2779 = NVwZ 1992, 1186 L), könnte – wenn überhaupt – eine fortbestehende öffentlichrechtliche Zweckbindung der Glocken für diese Art ihrer Nutzung allenfalls dann angenommen werden, wenn sie vom Widmungszweck nach wie vor umfaßt würde. Davon kann jedoch keine Rede sein im Blick auf das Vorbringen der Bekl., es handele sich bei dem Zeitschlagen nach ihrem Selbstverständnis nicht um eine ihrem Sonderstatus zuzurechnende Tätigkeit, sondern um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb eines sakralen Widmungszwecks. |
6. |
Zwar ist dem Kl. einzuräumen, daß die differenzierte Beantwortung der Rechtswegfrage nach dem Zweck des Läutens zu unerwünschten Rechtswegaufspaltungen führen kann, wenn ein Nachbar das Geläut der Kirchenglocken insgesamt bekämpft, ohne nach der Art des Läutens zu unterscheiden. Diese Folge ist jedoch wegen der Doppelnatur öffentlicher Sachen, deren Gebrauch sowohl Ausübung öffentlichrechtlicher Sachherrschaft wie Nutzung von Eigentümerbefugnissen sein kann, unvermeidlich. |