Bundesverfassungsgericht (1. Senat)
Beschluß vom 31.
Oktober 1956
- 1 BvR 413/56 -
(weitere Fundstellen: BVerfGE 6, 7 ff.)
|
Leitsätze: |
a) |
Auch ein freisprechendes Strafurteil kann durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen. |
b) |
Ist eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, so kann die Frage der Zulässigkeit bei einer Entscheidung nach § 24 BVerfGG dahingestellt bleiben. |
c) |
Die Rechtsprechung, nach der dem Angeklagten ein Rechtsmittel gegen ein freisprechendes Strafurteil nicht gegeben ist, verletzt kein Grundrecht. |
|
Aus den Gründen: |
|
I. |
1. |
Der Beschwerdeführer ist durch Urt. des AG von der Anklage der Hehlerei und des Betruges freigesprochen worden. In den Urteilsgründen heißt es u.a.:
|
2. |
Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er die Verletzung von Art. 1 und 2 Abs. 1 GG rügt. Er macht geltend, aus den Feststellungen des Urt. ergebe sich, daß er unschuldig sei, zumindest kein begründeter Tatverdacht gegen ihn mehr bestehe. Das AG habe in Widerspruch dazu zusammenfassend bemerkt, er sei mangels Beweises freigesprochen worden und belaste ihn so mit einem ungerechtfertigten Verdacht, strafbare Handlungen begangen zu haben. Der Beschwerdeführer beantragt,
|
II. |
|
3. |
Die form- und fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer mit ihr geltend macht, er sei in seinen Rechten aus Art. 1 und 2 GG dadurch verletzt worden, daß er im angef. Urt. mangels Beweises freigesprochen werde, obgleich das Gericht in den Gründen selbst dargelegt habe, daß seine Unschuld erwiesen sei. Auch freisprechende Urteile können - insbes. durch die Art ihrer Begründung - Grundrechte verletzen. Der Rechtsweg ist erschöpft, denn nach st. Rspr. kann ein Angekl., der mangels Beweises freigesprochen worden ist, kein Rechtsmittel einlegen. |
III. |
|
4. |
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch offensichtlich unbegründet. Ob ein Angekl. freigesprochen wird, weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt ist oder weil es sich von seiner Schuld nicht hat überzeugen können, ist eine Frage der Beweis Würdigung. Die Beweis Würdigung kann im Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde nicht schlechthin auf ihre Richtigkeit, sondern nur daraufhin nachgeprüft werden, ob sie spezifisches Verfassungsrecht verletzt, ob also die Beweise willkürlich oder sonst unter Verletzung von Verfassungsrecht gewürdigt worden sind (vgl. BVerfGE 1, 418 [420] = NJW 53, 177; BVerfGE 4, 1 [6 f.]). |
5. |
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Verfassungsverstoß vorläge, wenn die abschließende Feststellung des AG, der Beschwerdeführer wäre mangels Beweises freigesprochen, offensichtlich im Widerspruch zu vorher getroffenen Feststellungen stände, aus denen sich ergäbe, daß das Gericht die Unschuld des Beschwerdeführers für erwiesen hielte, denn ein solcher Widerspruch liegt hier offensichtlich nicht vor. |
6. |
Einige Formulierungen des Urt. konnten zwar, aus dem Zusammenhang genommen, den Anschein erwecken, als wolle das AG das Fehlen bestimmter Tatbestandsmerkmale der Hehlerei und des Betruges positiv feststellen. Liest man diese Formulierungen jedoch im Zusammenhang der gesamten Urteilsgrunde, so ergibt sich eindeutig, daß ihnen diese Bedeutung nicht zukommt. Das AG ist vielmehr bei seiner Urteilsbegründung davon ausgegangen, daß dem Angekl. eine strafrechtliche Schuld nicht nachzuweisen war. Mögen auch einzelne Formulierungen des Urt. mißverständlich sein, so weicht die zusammenfassende Schlußfolgerung, der Beschwerdeführer werde (nur) mangels Beweises freigesprochen, doch nicht eindeutig von dem vorangegangenen Inhalt der Urteilsgründe ab. Daß die Urteilsgrunde sonst Ausführungen entnielten, die die Menschenwürde oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers beeinträchtigen, ist nicht ersichtlich. |
IV. |
|
7. |
Der Beschwerdeführer will mit dem Feststellungsantrag zu 2 offenbar geltend machen, daß ein Angekl. in seinen Grundrechten auch dadurch verletzt werden könne, daß nach h. Rspr. ein Rechtsmittel gegen freisprechende Urt. nicht gegeben ist, selbst wenn das Gericht auf Grund seiner Beweiswürdigung den Freispruch auf mangelnden Beweis gestützt hat, während der Angekl. seine Unschuld für erweisbar hält oder jedenfalls meint, daß ein begründeter Verdacht nicht bestehe. Bereits hinsichtlich der Zulässigkeit dieses Antrags bestehen Bedenken. Der Beschwerdeführer hat den Versuch, entgegen der h. Rspr. eine Berufung gegen das mangels Beweises freisprechende Urt. durchzuführen, nicht unternommen. Es erscheint aber zweifelhaft, ob nicht in derartigen Fällen der Beschwerdeführer auf einen solchen Versuch angewiesen ist, um dann das seine Berufung verwerfende Urt. als verfassungswidrig angreifen zu können, oder ob er etwa seine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das erstinstanzliche Urt. richten kann, obgleich dieses keine verfassungsrechtlichen Mängel aufweist, sondern nur seine Unanfechtbarkeit für verfassungswidrig gehalten wird. |
8. |
Die Frage braucht nicht abschließend entschieden zu werden, da die Verfassungsbeschwerde auch insoweit offensichtlich unbegründet ist. § 24 BVerfGG gibt dem BVerfG wegen der durch sein umfassendes Aufgabengebiet kaum vermeidbaren Arbeitsüberlastung die Möglichkeit, in einem besonders beschleunigten Verfahren aussichtslose Verfassungsbeschwerden zurückzuweisen. Dem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn das BVerfG in derartigen Fällen schwierige Rechtsfragen der Zulässigkeit prüfen und entscheiden müßte, obgleich sich von vornherein übersehen läßt, daß die Beschwerde der Sache nach offensichtlich unbegründet ist. Eben deshalb befreit das Gesetz das BVerfG in derartigen Fällen auch weitgehend vom Begründungszwang. Wegen des summarischen Charakters des Verfahrens nach § 24 BVerfGG ist es daher gerechtfertigt, Zweifelsfragen zur Zulässigkeit dahingestellt sein zu lassen, wenn eine Verfassungsbeschwerde oder ein im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gestellter Antrag ohnehin offensichtlich unbegründet ist. |
9. |
Das ist hier der Fall. Es besteht kein Verfassungsgrundsatz, daß in gerichtlichen Verfahren schlechthin ein Instanzenzug erforderlich sei (BVerfGE 4, 74 [94 f.]; BVerfGE 4, 387 [411]). Es ist auch nicht willkürlich, wenn die Rspr. in der Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln einen Unterschied macht zwischen Urt., die einen Freispruch mangels Beweises enthalten, in denen also das Vorliegen der strafrechtlichen Schuld und das Bestehen eines staatlichen Strafanspruchs aus tatsächlichen Gründen dahingestellt bleibt, und anderen Fällen, in denen strafrechtliche Schuld und staatlicher Strafanspruch bejaht werden. |
10. |
Sollte der Beschwerdeführer einen Antrag gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG haben stellen wollen, wäre er schon deshalb unbegründet, weil einem solchen Antrag nur dann stattgegeben werden kann, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat. Die Verfassungsbeschwerde ist daher gemäß § 24 BVerfGG als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. |