Bundesgerichtshof
Urteil vom 26.10.1960
- V ZR 122/59
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 (weitere Fundstellen: BGHZ 33, 230 ff. [Sachverhalt näher dargestellt in NJW 1961, 308 308 f.])

 

Leistsätze:

a)

Die Verfügungsgewalt am Verwaltungsvermögen - hier Rathaus einer Stadt - richtet sich nach privatem Recht (öffentliche Verwaltung in privatrechtlichen Formen).

b)

Eine Beschränkung des Rechts, andere von jeder Einwirkung auszuschließen, kann sich aus der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung und dem Gleichheitsgrundsatz ergeben. Der Träger des Verwaltungsvermögens kann im Rahmen dieser Einschränkung das Eigentumsrecht nach freiem Ermessen gegenüber dem Störer ausüben.

 

Tatbestand

1.

Das Bezirksamt R. der Kl. (Stadt) hat im Laufe der Jahre 1954 bis 1957 teils auf bestimmte Wochentage beschränkte Verbote gegen den Bekl. erlassen, durch welche ihm untersagt wurde, das Rathaus samt Rathausvorplatz zu betreten. In diesem Rathaus ist neben Baubehörden das Standesamt des Bezirks R. untergebracht. Eigentümer des Rathausgrundstücks ist die Kl.

2.

Der Bekl. hat seit 1954 bei Brautpaaren, die sich trauen ließen, um Fotoaufträge geworben, die er an Fotografen vermittelte. Erst (1954) warb er nach dem unstreitigen Sachverhalt um Aufträge auch unmittelbar bei der Trauung vor dem Rathaus; ob er sich später auf die Werbung vor der Trauung in der Wohnung der Brautpaare beschränkte und seinen Auftraggebern nur noch die von ihm früher geworbenen Brautpaare zeigte, wie er behauptet, ist bestritten. Da neben einem Fotografen mit Standschein sich an den Trauungstagen mehrere Fotografen um Aufträge bemühten, kam es bei dem Wettbewerb um Aufträge und bei der Sicherung gewonnener Aufträge zu Streitigkeiten. Das Verhalten des Bekl. führte zu erheblichen Störungen. Nach den beim Bezirksamt über ihn entstandenen Akten hatte er mit anderen Fotografen Streit, wobei es mehrmals zu Tätlichkeiten kam und ein Einschreiten der Bediensteten des Kl. erforderlich wurde, um die Ruhe und Ordnung auf dem Grundstück wieder herzustellen. Im August und Oktober 1954 hat er dem Bezirksamt mitgeteilt, er werde zu Handgreiflichkeiten schreiten, falls man ihn an seiner Gewerbeausübung hindern werde. Er hat ferner den Pförtner des Rathauses beleidigt; er wurde schließlich wegen Hausfriedensbruchs in 2 Fällen (begangen August 1956) bestraft. Diese Störungen fanden auf dem Rathaus und auf dem Rathausvorplatz statt. Die Brautpaare fühlten sich durch diese Vorgänge belästigt und beschwerten sich auch über diesen Zustand. Nach seiner am 20. 3. 1957 erfolgten erstinstanzlichen Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs, behauptet der Bekl., habe er sich einwandfrei verhalten; auch habe er nicht mehr auf dem Rathausgrundstück geworben, er sei vielmehr nur noch hin und wieder auf dem Vorplatz spazieren gegangen. Der stellvertretende Bürgermeister des Bezirksamts erneuerte am 13. 6. 1957 im Zusammenhang mit einem Hausverbot gegen einen Fotografen, gegen den ebenfalls Klage erhoben worden war, das auf den Samstag beschränkte Betretungsverbot vom Jahre 1955 und dehnte es am 24. 6. 1957 auf alle Sonn- und Wochentage aus. Alsbald erhob der Kl. vorliegende Klage gegen den Bekl., der dieses Verbot nicht anerkannte.

3.

Der Kl. hat u.a. beantragt, den Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, das Rathaus und den vor dem Rathaus befindlichen gesamten Rathausvorplatz … zu betreten. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das KG hat den Bekl. verurteilt (Betretungsverbot für Rathaus und Rathausvorplatz in den Grenzen des eingetragenen Grundstücks), dem räumlich umfassenderen Hauptantrag (einschließlich der Gehwege entlang des Rathausgrundstückes) aber nicht stattgegeben. Die Bev. des Bekl. wurde zurückgewiesen.

 

Aus den Gründen:

4.

2. Der Hauptangriff der Bev. richtet sich gegen die Wirksamkeit des auf das Eigentum gestützten Betretungsverbots. Sie führt unter Hinweis auf Forsthoff (Lehrb. des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., S. 329) aus, die öffentlich-rechtliche Zweckbindung habe den absoluten Vorrang vor allen aus dem privaten Eigentum fließenden Befugnissen, das Hausverbot widerspreche der öffentlich-rechtlichen Zweckbindung und sei als Mißbrauch anzusehen. Die öffentlich-rechtliche Zweckbindung stelle eine Beschränkung des Eigentums dar. Im Rathaus befinde sich der nach § 3 PStG vorgeschriebene öffentliche Aushang der Aufgebote. Das Bezirksamt sei nicht befugt, den Bekl. von ihrer Kenntnisnahme auszuschließen. Im Gegensatz zur Ansicht des BerGer. sei es unerheblich, aus welchem Grunde der öffentliche Aushang vom Gesetzgeber angeordnet worden sei. Jedermann könne zu jedem gesetzlich erlaubten Zweck, insbesondere auch zu gewerblichen Zwecken, von den Aufgeboten Kenntnis nehmen.

5.

Ob der Träger des Verwaltungsvermögens jedermann den Zutritt gestatten muß und unter welchen Voraussetzungen er bestimmten Personen den Zutritt kraft seines Eigentums untersagen kann, hängt in der Tat von der Art und dem Ausmaß der öffentlich-rechtlichen Zweckbindung ab. Er ist nicht allein als Behörde im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Zuständigkeit nach Maßgabe des öffentlichen Rechts verpflichtet, dieser Zweckbindung Rechnung zu tragen; es tritt vielmehr das ihm als Eigentümer zustehende Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen - ähnlich wie im Falle einer dem Gemeingebrauch gewidmeten öffentlichen Sache - hinter dieser Zweckbindung zurück (§§ 903, 1004 Satz 2 BGB). Auf die theoretische Streitfrage, ob Verwaltungsvermögen den „öffentlichen Sachen" zuzurechnen ist oder nicht, braucht dabei nicht eingegangen zu werden (vgl. dazu u.a. Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., § 21 S. 352, 361 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., § 19 S. 328; Wolff, Verwaltungsrecht I, 3. Aufl., § 55, III S. 293; Soergel-Siebert, BGB, 9. Aufl., vor § 90 Nr. 32, 37, und abw. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., § 22, I S. 505 f., Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts 15. Bearb. § 130, II S. 829, BGB-RGRK, 11. Aufl., vor § 903 Anm. 6 und 7). Richtig ist auch, daß jedermann von öffentlichen Aushängen zu jedem erlaubten Zweck Kenntnis nehmen kann.

6.

Die Rev. zieht jedoch Art und Umfang der öffentlichrechtlichen Zweckbindung des hier in Rede stehenden öffentlichen Gebäudes nicht hinreichend in Betracht. Mit Recht unterscheidet das BerGer. zwischen dem dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßenland, in dessen Bereich die Ruhe und Ordnung nur durch Polizeimaßnahmen und nicht durch zivilrechtliche Klagen des Eigentümers sicherzustellen ist, und öffentlichen Gebäuden, die der Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben, nicht aber dem Verkehr für jedermann dienen. Hier entspricht es der Übung, daß die zur Erfüllung des öffentlichen Zwecks erforderlichen sachlichen Voraussetzungen (soweit nicht besondere öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnisse vorliegen) durch den Eigentümer kraft seines Eigentums gewährleistet und nicht durch Polizeimaßnahmen gesichert werden. Die mit der Wahrnehmung des Eigentums an einem öffentlichen Gebäude betraute Behörde ist somit in der Ausübung ihrer dem Eigentum entspringenden Ausschlußrechte zwar durch die öffentliche Zweckbestimmung beschränkt, und sie darf nicht durch, die Ausübung dieser Rechte den öffentlichen Zweck behindern; sie darf sonach niemand kraft des Eigentums bei einer Inanspruchnahme behindern, die der öffentlichen Zweckbestimmung entspricht. Die Verwendung des Rathausgebäudes soll nach seiner Bestimmung jedoch dem einzelnen nicht unmittelbar eine Leistung zuwenden oder einen Vorteil gewähren, wie dies etwa bei den im Gemeingebrauch stehenden Sachen oder bei den nutzbaren öffentlichen Anstalten der Fall ist. Der öffentliche Zweck umfaßt insbesondere nicht die Möglichkeit, sich auf diesem Grundstück gewerblich betätigen zu können. Sollte jemand öffentliche Bekanntmachungen (mögen sie auch nur im öffentlichen Interesse erfolgen) oder behördliche Akte gewerblich ausnutzen, würden allerdings sachenrechtliche Gründe ihn daran nicht hindern; er kann jedoch keineswegs zur Sicherung dieser Tätigkeit die auf ganz andere Zwecke gerichtete öffentlich-rechtliche Bestimmung für sich in Anspruch nehmen. Umgekehrt hat vielmehr die Behörde, die mit der - in den Formen des Zivilrechts ausgeübten - Verwaltung eines öffentlichen Gebäudes betraut ist, darauf zu achten, daß die Ausnutzung solcher gewerblicher Chancen nicht den öffentlichen Zweck des Gebäudes stört.

7.

Hier stellt sich die entscheidende Frage nach der Wirksamkeit des umfassenden Hausverbots, nämlich wie weit die mit Mitteln des Privatrechts vollzogene öffentliche Verwaltung die Privatautonomie in Anspruch nehmen kann, ohne an öffentlich-rechtliche Grundsätze gebunden zu sein. Dies verkennt die Revisionserwiderung, soweit sie geltend macht, die Anwendung der Grundrechtsartikel scheide schon um deswillen von vornherein aus, weil sich die Grundrechte nur gegen den Staat als Hoheitsträger, nicht aber als Fiskus richteten. Die Frage ist nicht, unter welchen Voraussetzungen dem Kl. ein Anspruch auf Unterlassung einer zweckfremden Benutzung zusteht, als vielmehr, unter welchen Voraussetzungen jemand das Betreten des Grundstücks überhaupt verboten werden kann, wobei gleichzeitig die Grenzen der gerichtlichen Nachprüfung eines solchen Verbots zu bestimmen sind.

8.

Der Senat hat schon im Urt. v. 10. 12. 1958 (BGHZ 29,76, 80 = NJW 59, 431) ausgesprochen, daß das in den Grundrechten normierte Gleichheitsprinzip die öffentliche Verwaltung auch dort bindet, wo sie sich bei der unmittelbaren Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben privatrechtlicher Rechtsformen bedient (zu der dort angeführten Literatur ist neuerdings zu vergleichen: Maunz-Dürig, Komm, zum Grundgesetz Art. 1 Nr. 136 ff.; Forsthoff, aaO S. 69; Wolff, aaO § 23, I b S. 84 f.; BVerwG, NJW 58, 394). Das Recht des Kl., mit dem Rathausgrundstück nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, findet daher nicht allein in der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung, sondern auch in Art. 3 GG seine Grenzen. Der Kl. hat jedoch bei dem Hausverbot gegenüber dem Bekl. nicht gegen Art. 3 GG verstoßen. Der Bekl. hat durch seine jahrelangen, vom BerGer. festgestellten Störungen einen besonderen Anlaß zu dieser Maßnahme gegen sich gegeben. Ob die unterschiedliche Behandlung der Fotografen bei der Gewährung der Erlaubnis, im unmittelbaren Bereich des Standesamts auf dem Rathausgrundstück zu fotografieren, gerechtfertigt ist, bedarf bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Hausverbots wegen des störenden Verhaltens durch den Bekl. keiner Prüfung. Der Umfang des Verbots findet, wie das BerGer. ohne Rechtsirrtum hervorhebt, seine Rechtfertigung in der Hartnäckigkeit, mit der der Bekl. sich gegenüber anderen Fotografen und den Bediensteten des Bezirksamts ohne Rücksicht auf die Gefühle der Neuvermählten durchzusetzen versucht hat. Auch kann dem Bezirksamt nicht zugemutet werden, für den Fall seines erneuten Auftretens besondere Vorkehrungen zu treffen, um Störungen vor dem Rathausgebäude zu verhindern. Demgegenüber spielt es keine Rolle, daß das BerGer. in anderem Zusammenhang festgestellt hat, daß keine Gefahr für die zukünftige Wiederholung der Werbung zu besorgen sei. Welche Maßnahmen der Kl. zur Gewährleistung der Ordnung in und vor dem Gebäude für geboten erachtet und für welchen Zeitraum er diese für notwendig hält, unterliegt seinem Ermessen. Ein Mißbrauch dieses Ermessens und damit eine unzulässige Ausübung des Eigentumsrechts liegt in dem verfügten Betretungsverbot gegenüber dem Bekl. nicht.

9.

An diesem. Ergebnis ändert sich dadurch nichts, daß in dem dem Bekl. verbotenen Gebäude die Heiratsaufgebote öffentlich ausgehängt werden. § 3 PStG regelt bestimmte Voraussetzungen der Eheschließung, und diese Vorschrift ist hier nur insofern von Bedeutung, als der Ort des Aushangs für die öffentliche Zweckbestimmung des Rathausgebäudes auch maßgebend ist. Dieser Ort soll jedem zugänglich sein, während der Teil des Gebäudes, in dem eine Baubehörde untergebracht ist, allenfalls den Besuchern dieser Behörde zu bestimmten Zeiten offengehalten zu werden braucht. Dies hindert das Hausverbot jedoch nicht. Das Ziel, die Aufgebote durch öffentlichen Anschlag allgemein bekanntzugeben, wird durch das Hausverbot des Bekl. nicht beeinträchtigt. Jedenfalls geht die Wahrung der Ordnung im Bereich des Standesamts der Kenntnisnahme der Aufgebote durch einen einzelnen Störer vor (vgl. auch § 8 PStG).

10.

3. Die Rev. macht in diesem Zusammenhang weiter geltend, Beschränkungen der Berufsausübung könnten nach Art. 12 GG nur durch Gesetz angeordnet werden; daraus ergebe sich, daß eine derartige Beschränkung weder durch Verwaltungsakt noch durch ein auf privatrechtlicher Grundlage ausgesprochenes Hausverbot angeordnet werden könne. Damit verkennt die Rev., daß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG den grundsätzlich an die Grundrechte gebundenen Gesetzgeber (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) zur Regelung der Berufsausübung ermächtigt. Es ist daher keine Rede davon, daß die Regelung nur durch Gesetz erfolgen könne; es ist vielmehr selbstverständlich, daß die Regelung im Einzelfall durch Verwaltungsakt, natürlich im Rahmen der Gesetze, vollzogen werden kann, wie auch keiner weiteren Ausführung bedarf, daß die Ausübung privater Rechte nicht an der Behinderung fremder Erwerbsmöglichkeiten scheitert (vgl. dazu auch LM Nr. 4 zu § 903 BGB und BGHZ 19, 130, 137 = NJW 56, 548). Im übrigen wird der Bekl. durch das Hausverbot in der Werbung für die Anfertigung von Hochzeitsbildern nicht beschränkt. Er ist nur zwangsläufig gehindert, die Anschriften der Brautpaare sich persönlich auf eine einfache Art, nämlich aus den Aufgeboten, zu verschaffen und damit durch das Hausverbot mittelbar behindert.

11.

4. Schließlich liegt in dem Hausverbot kein rechtswidriger Eingriff in einen eingerichteten Gewerbebetrieb des Bekl. Selbst wenn man einen Gewerbebetrieb unterstellt, obwohl weder materielle noch immaterielle Werte eines Geschäftsbetriebs dargetan sind, so ist die Verweisung des Bekl. vom Grundstück des Kl. doch nicht rechtswidrig, wie oben schon dargelegt ist (vgl. BGHZ 14, 294, 404 = NJW 54, 1483). Ein Verstoß gegen § 1 UWG liegt nicht vor, da das Hausverbot allein der Sicherstellung des öffentlichen Zwecks des Rathauses dient und keinerlei Anhaltspunkt dafür vorgetragen ist, daß auch Wettbewerbszwecke mit dieser Maßnahme verfolgt würden.