Bundesgerichtshof
Urteil vom 14.06.1984
- III ZR 68/83
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 (weitere Fundstellen: NVwZ 1986, 504 f.)

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl., ein Landwirt, beantragte die Genehmigung zur Errichtung eines Schweinemaststalles für 504 Tiere mit einer Güllegrube und zwei Futtersilos auf einem im Außenbereich gelegenen Grundstück. Zuvor hatte ein sog. Standorttermin stattgefunden. Daran hatten die Verwaltung der bekl. Gemeinde, die Bezirksregierung, die Kreisverwaltung, das Gewerbeaufsichtsamt und weitere Behörden teilgenommen. In diesem Termin waren von keiner Seite Einwendungen gegen den im Bauantrag bezeichneten Standort des Schweinemaststalles erhoben worden; das Gewerbeaufsichtsamt hatte allerdings nur eine Stallanlage für höchstens 400 Schweine für unbedenklich erklärt. Die Bekl. gab sodann aufgrund eines Ratsbeschlusses folgende Stellungnahme zu dem Baugesuch des Kl. ab: "Gegen die Durchführung des Bauvorhabens in der vorgesehenen Form bestehen vorbehaltlich der Billigung in baurechtlicher und gestalterischer Hinsicht durch die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich keine Bedenken. Die Stadt ist jedoch nicht mit dem jetzt vorgeschlagenen Standort einverstanden. Es muß eine Möglichkeit gefunden werden, den Betrieb weiter vom Ort entfernt anzusiedeln." Daraufhin versagte die Kreisverwaltung dem Kl. die beantragte Baugenehmigung mit der Begründung, es fehle an dem nach § 36 I BBauG erforderlichen Einvernehmen der Gemeinde. Auf den Widerspruch des Kl. wurde der ablehnende Bescheid aufgehoben und die Kreisverwaltung angewiesen, den Bauantrag positiv zu bescheiden. Die dagegen gerichtete Klage der Gemeinde wies das VG durch rechtskräftiges Urteil ab. Darauf wurde dem Kl. die Baugenehmigung unter verschiedenen Auflagen erteilt.

2.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kl. zunächst die Feststellung begehrt, daß die Bekl. verpflichtet sei, ihm alle durch die Versagung des Einvernehmens bereits entstandenen Schäden (Baumehrkosten, Erwerbsverluste) zu ersetzen. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Klage abgewiesen und die auf Ersatz der Zukunftsschäden gerichtete Anschlußberufung des Kl. zurückgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

 

Aus den Gründen:

3.

... I. 1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das BerGer. an, daß die Bekl. am 23. 4. 1979 das für das Bauvorhaben des Kl. erforderliche Einvernehmen (§ 36 I BBauG) rechtswidrig versagt hat.

4.

Die Bekl. hat sich mit der Errichtung des Vorhabens an dem im Bauantrag bezeichneten Standort nicht einverstanden erklärt und darauf bestanden, daß der Neubau nur "weiter vom Ort entfernt" ausgeführt werden könne. Sie hat dem Vorhaben an dem vorgesehenen Standort auch nicht unter der Voraussetzung zugestimmt, daß gewisse technische Vorkehrungen gegen Geruchsbelästigungen getroffen würden. In ihrer Stellungnahme vom 23. 4. 1979 liegt somit eine Verweigerung des Einvernehmens nach § 36 I BBauG. So ist das Verhalten der Beklagten auch von der Baugenehmigungsbehörde ..., der Widerspruchsbehörde und dem VG gewertet worden. Auch die Bekl. selbst ist im Verwaltungsrechtsstreit davon ausgegangen, daß sie ihr Einvernehmen zu dem konkreten Vorhaben des Klägers versagt habe. Es stand der Bekl. frei, ihr Einvernehmen zu erteilen und die Baugenehmigungsbehörde lediglich auf Bedenken gegen den vom Kl. gewählten Standort seines Vorhabens hinzuweisen. Diesen Weg hat jedoch die Bekl. nicht beschritten.

5.

2. Die zuständigen Amtsträger einer Gemeinde verletzen gegenüber einem Bauwilligen ihre Amtspflichten (§ 839 BGB, Art. 34 GG), wenn sie das nach § 36 I BBauG erforderliche Einvernehmen verweigern, obwohl das Bauvorhaben nach den §§ 33 bis 36 BBauG zulässig ist (BGHZ 65, 182 = NJW 1976, 184; Senat, NJW 1980, 387 (388); VersR 1981, 851 (852) = DVBl 1981, 825 (826) = WM 1981, 1087 (1088); VersR 1982, 498). Aufgrund des rechtskräftigen Verwaltungsgerichtsurteils vom 19. 6. 1981 steht für den vorliegenden Amtshaftungsprozeß bindend fest, daß das nach § 35 I BBauG privilegierte Vorhaben des Kl. zulässig und somit die Verweigerung des Einvernehmens der Bekl. rechtswidrig war. Diese Bindungswirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils erstreckt sich auch auf den Kl., da dieser zu dem Verwaltungsrechtsstreit beigeladen war (vgl. BGH, LM § 19a GewO Nr. 1 und LM Art. 14 (Ba) GrundG Nr. 66; RGRK, 12. Aufl., § 839 Rdnrn. 580 ff.). Gegenstand jenes Verfahrens war die auch hier zu beurteilende Frage nach der Zulässigkeit des Vorhabens des Kl. Die vom VG für erforderlich gehaltenen Auflagen in der Baugenehmigung betrafen nicht den Standort des Vorhabens, sondern nur Modalitäten der Bauausführung.

6.

Das BerGer. geht rechtsbedenkenfrei davon aus, daß dem Kl. die beantragte Baugenehmigung etwa 2 bis 3 Jahre früher erteilt worden wäre, wenn die Bekl. ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben nicht amtspflichtwidrig verweigert hätte.

7.

II. 1. Die rechtswidrige Versagung des Einvernehmens geht auf einen Beschluß des Stadtrats der Bekl. zurück. Jedes Mitglied des Stadtrats ist bei der Beschlußfassung als "Beamter" im haftungsrechtlichen Sinne tätig geworden (BGHZ 84, 292 (298 f.) = NJW 1983, 215 m. w. Nachw.).

8.

2. Das BerGer. verneint ein Verschulden der Mitglieder des Stadtrats. Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9.

a) Die Annahme des BerGer., der Stadtrat der Bekl. habe "grundsätzlich nach laienhaftem Ermessen" entscheiden dürfen, ist rechtlich unzutreffend. Sie beruht auf einem grundlegenden Fehlverständnis von den Amtspflichten der Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaften und verkennt, daß der Sorgfaltsmaßstab auch im Rahmen des § 839 BGB von der Rechtsprechung zunehmend objektiviert worden ist (RGRK, § 839 Rdnr. 289 m. w. Nachw.; Papier, in: MünchKomm, § 839 Rdnr. 174, 178). Für die Verschuldensfrage kommt es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind, und nicht auf die Fähigkeiten, über die der Beamte tatsächlich verfügt. Jeder Beamte muß die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen (BGH, LM § 839 (Fi) BGB Nr. 28; Senat, VersR 1975,469 (470); NJW 1979, 2097 (2098); RGRK, aaO m. w. Nachw.). Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu orientieren (Senat, VersR 1968, 371 (373); RGRK, aaO m. w. Nachw.; Papier, in: MünchKomm, § 839 Rdnr. 178).

10.

b) Für die Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaften gelten keine milderen Sorgfaltsmaßstäbe. Im sozialen Rechtsstaat kann der Bürger auch von Gemeinde- und Stadträten erwarten, daß sie bei ihrer Amtstätigkeit den nach § 276 BGB zu verlangenden Standard der verkehrserforderlichen Sorgfalt einhalten. Andernfalls würde das Schadensrisiko in unzumutbarer Weise auf den Bürger verlagert. Die Mitglieder von Gemeinde- und Stadträten müssen sich auf ihre Entschließungen nach § 36 I BBauG sorgfältig vorbereiten und, soweit ihnen die eigene Sachkunde (hier zur Frage der umweltschädlichen Auswirkungen des Vorhabens i. S. des § 35 III BBauG) fehlt, den Rat ihrer Verwaltung oder die Empfehlungen von (sonstigen) Fachbehörden einholen bzw. notfalls sogar außerhalb der Verwaltung stehende Sachverständige zuziehen (vgl. auch zur Einholung juristischen Rats: Senat, VersR 1981, 851 (852); RGRK, § 839 Rdnr. 290 m. w. Nachw.). Letzteres gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - von den Empfehlungen mehrerer Fachbehörden abgewichen werden soll. Das BerGer. hat diese Grundsätze nicht hinreichend beachtet und daher zu geringe Sorgfaltsanforderungen an das Verhalten der Ratsmitglieder gestellt. Es läßt sich nicht ausschließen, daß es in der Verschuldensfrage zu einer dem Kl. günstigeren Würdigung gelangt wäre, wenn es von dem dargelegten Grundsätzen ausgegangen wäre.

11.

3. Auch die sonstigen Erwägungen des BerGer. zum Verschulden sind nicht frei von Rechtsirrtum.

12.

a) Der Stadtrat der Bekl. hatte bei seiner Entscheidung über das Einvernehmen (§ 36 I BBauG) zu prüfen, ob dem nach § 35 I Nr. 1 oder Nr. 5 BBauG privilegierten Vorhaben des Kl. Gesichtspunkte des Umweltschutzes (§ 35 III BBauG) als öffentlicher Belang (Abs. 1) entgegenstanden. Die Beurteilung der Frage, ob eine geplante Schweinemastanlage geeignet ist, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen, kann zwar im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Im Streitfall hatte jedoch u. a. zur Klärung dieser Frage am 28. 2. 1978 unter Beteiligung aller maßgeblichen Behörden ein sog. Standorttermin stattgefunden, dessen für den Kl. positive Ergebnisse vom BerGer. bei seiner Beurteilung nicht genügend berücksichtigt werden. In diesem Termin hatten alle beteiligten Behörden - auch die Verwaltung der Bekl. - dem später im Bauantrag angegebenen Standort C zugestimmt. Damit war die Frage des Standortes unter den fachlich zuständigen Behörden schon geklärt. Dabei war das Vorhaben von den Fachbehörden vor allem auch unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes geprüft und als unbedenklich befunden worden.

13.

Zwar hatte das Gewerbeaufsichtsamt, worauf das BerGer. abhebt, in diesem Termin einschränkend ausgeführt, gegen den vorgesehenen Standort bestünden keine Bedenken, "wenn die Stallgröße nicht über 400 Schweine betrage und die Ortsentwicklung nicht in Richtung des Schweinestalles weitergeführt" werde. Entgegen der Ansicht des BerGer. durfte der Stadtrat der Bekl. aber nicht allein im Hinblick auf die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes "ohne weiteres dem beantragten Bau eines Stalles für 504 Schweine widersprechen". Die knappe Stellungnahme dieser Behörde konnte dem Stadtrat Anlaß geben, sich in dieser Frage näher fachlich beraten zu lassen; sie bot aber keine tragfähige Grundlage für die endgültige Verweigerung des Einvernehmens. Das gilt um so mehr, als beim Standorttermin noch kein eingehender Bauantrag mit Bau- und Betriebsbeschreibung vorgelegen hatte. Das Gewerbeaufsichtsamt hat auch später ... gegenüber dem Bauantrag, in dem ein Stall für 504 Mastschweine angegeben war, keine Einwendungen mehr erhoben, falls bestimmte Auflagen zur Vermeidung von Geruchsbelästigungen beachtet würden. Die Bekl. hat zudem in ihrer Erklärung vom 23. 4. 1979 nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie dem im Standorttermin vertretenen Standpunkt des Gewerbeaufsichtsamts folge und zum Bau eines Stalls für 400 Tiere ihr Einvernehmen erteile, sondern sie hat den Standort C für das im übrigen gebilligte Vorhaben schlechthin abgelehnt.

14.

b) Dem BerGer. kann auch nicht zugegeben werden, die Sachlage sei derart zweifelhaft gewesen, daß die Bekl., ohne sich fachlich beraten zu lassen, ihr Einvernehmen habe verweigern und die endgültige Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens den Verwaltungsgerichten habe überlassen dürfen. Diese Auffassung würde, da die Baugenehmigungsbehörde im Falle der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens die Baugenehmigung nicht erteilen darf (BVerwGE 22, 342 = NJW 1966, 513), zu dem unvertretbaren Ergebnis führen, daß im Verwaltungsverfahren keine gründliche und fundierte Sachprüfung des Vorhabens stattfände. Auch mit Rücksicht auf die durch Art. 14 I GG geschützte Baufreiheit (vgl. Krohn-Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl., Rdnr. 119) mußte die Bekl. selbst alle zumutbaren Mittel zur sachgerechten Beurteilung des Vorhabens ergreifen (vgl. auch BGHZ 65, 182 (186) = NJW 1976, 184). Sie durfte nicht wegen der Schwierigkeit der Beurteilung davon absehen, die Sachlage sorgfältig zu prüfen und sich gegebenenfalls fachlich beraten zu lassen. Die Bekl. war nicht befugt, ihr Einvernehmen nach nur summarischer Prüfung zu verweigern und auf diese Weise die eigentliche Entscheidung den Verwaltungsgerichten zuzuschieben.